Literatur: Sonnenflecken, Schattenflecken. Philippe Jaccottet

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Eine Art poetischer Literatur, eine Art Selbstporträt eines Dichters. Ganz faszinierend ist, wie Jaccottet ganz genau hinschauen kann, wie er die eigne Reaktion auf das Gesehene verfolgt und wie er beides in Sprache bringen kann. Seine außerhalb seiner selbst liegenden Themen sind dabei oft die Natur, Bekannte oder Kunstwerke.

„Blumen, fast alle rosa oder rot, warum? Ihre Ähnlichkeit mit Flammen, ihre Frische dennoch. In der Nacht. Das Sternbild des Schwans, der Wind vor allem, wie das Geräusch eines Wasserfalls. Das leichte Donnern der Langstreckenflugzeuge. Eine Grille. Die schwarze und geschmückte Nacht.“

„Bruchstücke, aus denen sich meine unmerkliche Spur zusammensetzt im Unermesslichen und Unbekannten; Holzstöße und Gärten. Gartenmauern, Gerüche von Pfingstrosen und Iris, angstvolle Spaziergänge auf schmalen Festungswällen und Türmen, seltene Streitszenen, gesehen oder ausgemalt wie in einem schrecklichen Theater, alte Damen, zurückgezogen ins Dunkel, das die hohen Zimmer noch größer macht (…).“

Das Buch ist Exzerpt und Kommentar zu vorher unveröffentlichten Tagebüchern der Jahre 1952 bis 2005. Jaccottet wählte diejenigen Einträge aus, die er für noch immer bedeutsam hielt. Entstanden ist eine poetische Textsammlung, die die äußeren und inneren Geschehnisse aus vergangenen fünf Jahrzehnten beschreibt.

Philippe Jaccottet, geboren 1925 in der Schweiz, ist ein französisch schreibender Lyriker, Essayist und Übersetzer. Er wurde 2014 in die Bibliothèque de la Pléiade aufgenommen. Gelesen und zitiert als deutsche Übersetzung die Ausgabe von 2015.

Die Manns: Geschichte einer Familie. Tilmann Lahme

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Gewaltig ist der Berg aller bisherigen Veröffentlichungen über Thomas Mann selbst und auch über sein Umfeld. Das Buch „Die Manns: Geschichte einer Familie“ ergänzt ein wichtiges Schäufelchen Erde im oberen Bereich.

Etwas skeptisch bin ich an „Die Manns“ herangegangen mit der Befürchtung, eventuell eine Hagiographie in die Finger zu bekommen oder ein etwas oberflächliches Werk, das die Popularität des Themas nutzend (man denke an die noch gar nicht so alte Fernsehserie von Breloer über die Familie Mann!) versucht, Bestseller-Zahlen zu erwirtschaften, oder gar ein Buch, das umständlich die literarischen Erzeugnisse der Familie auf- und nacherzählt.

Gelesen habe ich das Buch beeindruckt und mit viel Vergnügen. Sehr gefallen hat mir, dass Lahme keinen der Protagonisten – Thomas Mann, seine Ehefrau Katia Mann sowie die sechs Kinder Elisabeth, Erika, Golo, Klaus, Michael und Monika Mann – wichtiger macht als die anderen oder sie aus einer einzelnen Perspektive wie z.B. ihr Verhältnis zu Thomas Mann betrachtet.

Ebenfalls angetan bin ich davon, dass Lahme nicht polemisiert im Sinne einer Anti-Hagiographie und die Schattenseiten der Familie besonders hervorhebt: Die Familie und ihre Mitglieder werden in all ihrem Handeln und all ihren Haltungen und Meinungen beschrieben; Lahme wertet nicht, er stellt dar und überlässt Urteile den Lesern, so sie denn urteilen wollen.

Beachtlich das Geschick, mit dem Lahme die Fülle des Stoffs – 80 Jahre Familien- und internationale Geschichte, 8 Manns mit ihren Ehepartnern, Lebenspartnern, Kindern, Freunden…. – auf gut 400 Seiten so aufbereitet, dass man nie in Details erstickt, sondern durch Kombination aus prägnant zusammenfassender Beschreibung einerseits und andererseits Zitat wie Anekdote den Eindruck bekommt, einen guten Überblick mit vertiefenden Einblicken zu erhalten.

Gefreut hat mich, dass der S. Fischer-Verlag, in dem das Buch erschienen ist, anscheinend auch wenig oder gar nicht versucht hat, auf die Beschreibung der Rolle von Verlag und Verleger zum Beispiel während des Nationalsozialismus Einfluss zu nehmen. Das Buch wirkt generell angenehm frei von Zensur in jeder Hinsicht – wahrscheinlich begünstigt dadurch, dass die 8 Manns zwischenzeitlich alle nicht mehr am Leben sind; und hat damit auch der genannten Breloer-Serie einiges voraus.

Als Leseprobe vielleicht der letzte Absatz des Buches:
„Auf dem Kilchberger Friedhof, hoch oben im Ort, mit weitem Blick über den Zürichsee und die Berge, liegt das Grab der Manns. (…) Ein dezenter Grabstein für Vater und Mutter, die Namen, die Lebensdaten lateinisch. Die Grabplatten für die Mann-Kinder liegen vor dem Stein der Eltern: Erika, Michael, Monika und Elisabeth. Es fehlen zwei. Der als Erster starb, Klaus Mann, liegt in Cannes. Auch Golo Mann hat, seinem ausdrücklichen Wunsch folgend, seinen Platz anderswo gefunden: auf demselben Friedhof wie die Familie, in derselben Erde, aber so weit entfernt wie möglich  auf der kleinen Anlage, in einem Einzelgrab nahe der Friedhofsmauer. Was bleibt, sind Bücher und Geschichten. Eine davon ist die von der erstaunlichen Familie, der ‚amazing family‘.“

Gelesen und genossen habe ich die 2. Auflage von Oktober 2015.

 

Mittelalter: Strange Landscape – A Journey Through the Middle Ages. Christopher Frayling

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Dieses Buch ist eine sehr gute Einführung in das Mittelalter. Es diskutiert, wie  Kirche, Klöster und Gelehrte versuchten, mit dem neuen, erstmalig ganz auf Profit ausgerichteten Wirtschaftsgebaren umzugehen. Im Mittelpunkt des gut lesbar und in Teilen unterhaltsam geschriebenen Buchs steht die Entstehung der französischen Gotik sowie die unterschiedlicher Bewegungen, welche eine Erneuerung der Kirche forderten. Die wichtigsten Protagonisten hierbei sind Abelard und Heloise, Franziskus und Bernhard von Clairvaux.

Frayling zeigt, wie Abt Suger von St. Denis in Frankreich mit seiner auf Licht und Farben konzentrierten Theologie des Lichts die französische Gotik beinahe im Alleingang entwickelte. Die Reliquienverehrung und die neue Verehrung von Maria  führte zu einem Bauboom mit dem Effekt, dass von 1050 bis 1350 in Frankreich mehrere Millionen Tonnen Stein gehauen und verarbeitet wurden.

In der Gegenüberstellung von Abelard und Bernhard von Clairvaux beschreibt der Autor die Relevanz der Frage nach dem richtigen Glauben. Der Intellektuelle Abelard auf der einen Seite, der überzeugt war, dass Glaubensinhalte mit Methoden antiker Philosophie hinterfragt werden können und müssen. Seiner Auffassung nach kann nur geglaubt werden, was auch verstanden wurde. Der Mönch Bernhard als Gegenpol, überzeugt, dass Religion eine Sache des persönlichen Kontakts mit und der Erfahrung von Gott ist, der Glaube allein Frömmigkeit ausmacht.

Das letzte Kapitel behandelt Dantes „Göttliche Komödie“: Obwohl Dante die neueste Forschung seiner Zeit zu Himmelsgestirnen in sein Werk einfließen lässt, stellt die „Göttliche Komödie“ das Universum als harmonisches System dar, in dem Menschen, Engel und Gott ihren passenden Platz haben. „A quintessentially medieval message. It is particulary ironic that Dante should be celebrating this huge idea at precisely the time when Christian Europe was falling apart. Ironic, too, that The Comedy has a happy ending – happy in the medieval sense of understanding the ultimate harmony and rightness of the universe, a harmony which is carried by one single principle, the key to the whole story.“

Die Kapitel haben die Titel The Jewelled City, Fires of Faith, The Saint and the Scholar und Circles of Light. Nur 200 Seiten, davon noch viele mit interessanten und hilfreichen Abbildungen machen dieses Buch zu einer unterhaltsamen Lektüre. Gelesen in der Ausgabe von 1995.

Detektiv-Geschichte: Death at Wentwater Court. Carola Dunn

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Dies ist der erste Band einer ganzen Serie mit Daisy Dalrymple als Freizeit-Ermittlerin. Als eine verarmte Adlige im England der 1920er Jahre verdient die Protagonistin ihren Lebensunterhalt mit dem Schreiben von Artikeln für Magazine und Zeitschriften. In der Ausübung ihres Berufs gerät sie regelmäßig in Mordfälle hinein, zum Leidwesen ihres angehimmelten Detective Inspector Alec Fletcher von Scotland Yard. Warum? Sie ist jung und hübsch und verfügt darüber hinaus über das Talent, fremde Menschen zu vertraulichen Gesprächen zu motivieren.

„At twenty-fife she ought to be sophisticated and selfconfident, but the butterflies refused to be banished from her stomach. She had to succed. The alternatives were altogether too blighting to contemplate. Was the emerald green cloche hat from Selfridges Bargain Basement a trifle too gaudy for a professional woman? „

Die Krimis sind nett zu lesen, Plots komplex, allerdings fehlt ihnen eine Spannungskurve. Alle Texte plätschern vor sich hin. Dennoch sind sie gut geeignet für einen regnerischen Nachmittag oder einen frühen Abend unter der Bettdecke.

Krimi-Empfehlungen von Markus und Louisa stehen auf diesen Seiten…