Laura Knight – in the open air. Elisabeth Knowles

Laura Knight (1877-1970) war eine britische Malerin. Sie genoss in England großen Ruhm, war eines der wenigen weiblichen Mitglieder der Royal Society. Was ist heute an ihr noch interessant?

Knight hat unter den widrigsten Bedingungen gerne im Freien gemalt. Ihre besten Bilder geben vibrierendes Licht wider. Die für mich schönsten Bilder dieser Art hat Knight zwischen 1915 und 1921 in Cornwall gemalt.

Zu dem äußerst faszinierenden Selbstporträt „Self Portrait/The Model“ von 1913 gibt es eine kluge und faszinierende Interpretation in Simon Schamas „The face of Britain“. Einen weiteren interessanten Aspekt ihres Werkes stellen die Kriegsbilder aus der Zeit des zweiten Weltkriegs dar. Sie zeigen Frauen in Fabrikhallen, Frauen an Fallschirmen und die Angeklagten der Nürnberger Prozesse.

Viele ihrer Sujets und die entsprechenden Bilder gefallen mir allerdings gar nicht. Weder Ballett- noch Zigeuner-Bilder Knights können mich in den Bann ziehen. Das Alterswerk zeigt einige fast asiatisch anmutende Werke in Grautönen von Landschaften im Morgenneben, die mich durch ihre reduzierte Gestaltung überzeugen.

Insgesamt ist das Buch die Nacherzählung von Laura Knights Leben, gespickt mit Hinweisen auf Werke, Freunde und Ausstellungen. Gefehlt haben mir Werk-Analysen und die Einordnung in den kunsthistorischen Kontext.

Gelesen habe ich die Ausgabe von 2013.

Library: An Unquiet History. Matthew Battles

Viele interessante Geschichten und Anekdoten zur Geschichte der Bibliothek und Bedeutung von Büchern, die ich noch nicht kannte – auch durchaus interessant und unterhaltsam geschrieben – dennoch kein enthusiastisches „Das Buch sollte man gelesen haben“.

Zunächst die guten Seiten:
Gleich als Leseprobe eine Partie zu den Büchern, die mittelalterliche Bibliotheken in Europa im Fundus hatten:
„Augustine’s works make up the bulk of the typical medieval library – after the Bible, of course. (…) The preponderance of Augustine’s books (…) strikes the modern reader as fairly preposterous: (…) observes that ‚the library of Lorsch in the tenth century had 98 volumes of Augustine out of a total of 590 (…), and the monastery of St. Maurice at Naumburg at the same period had 98 manuscipts of Augustine out of 184 in the Library.'“

Andere Beispiele faszinierendern Geschichten: Die Bedeutung von Robert Bentley oder auch Melvil Dewey für die Entwicklung der Rolle von Bibliothek und Bibliothekar; die Zerstörung der Bibliothek von Löwen durch die deutsche Armee im ersten und zweiten Weltkrieg; eine Blütezeit der Universitäten während der muslimischen Umayyaden und Abbasiden. Hierzu auch ein kurzes Zitat:
„According to the historian Ibn al-Abar, the catalog of al-Hakim’s library (Anmerkung: in Cordoba) ran to forty-four volumes, and the books themselves numbered between 400,000 and 600,000 – two or three books for every house in the city, and a stunning achievement at a time when even the largest European libraries numbered in the mere hundreds of volumes.“

Und auf der kritischen Seite?

Vielleicht bin ich nicht enthusiastisch, weil manche Geschichte zu lang erzählt wird, wie zum Beispiel die über den „Kampf der Bücher“ bei Jonathan Swift/William Temple. Oder es hat damit zu tun, dass – wie in vielen anderen amerikanischen Büchern – quasi ausschließlich amerikanische Wissenschaftler der heutigen Zeit zu Wort kommen. Oder Battles bleibt zu stark im Anekdotischen zu Lasten der großen Linien und Entwicklungen.

Dennoch, ein guter Schmöker für zwischendurch ist das Buch allemal, auch als Ergänzung zum an anderer Stelle empfohlenen Buch über die Architektur von Bibliotheken. Und Battles ist selbst auch nicht der Meinung, durch dieses Buch für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen werden zu müssen, wenn er es in die „Z class“ einsortiert, „which holds the following: ‚Books (General). Writing.P aleography. Book industries and trade. Libraries. Bibliography.'“ Und weiter: „The Z class and its neighbors are among those least frequently visited by readers, and the sound of my footfalls on the marble is joined only by the nearly subliminal buzz of the lighting above.“

Gelesen habe ich die Taschenbuchausgabe von 2004. Eine deutsche Übersetzung gibt es nicht.

No-Theater: Kissing the Mask – Beauty, Understatement and Femininity in Japanese Noh Theater. William T. Vollmann

Dieses Buch über das japanische No-Theater ist eine breit angelegte Suche nach der weiblichen Schönheit. So trägt es zunächst unerwartet, jedoch folgerichtig den weiteren Untertitel „With some thoughts on muses (especially Helga Testorf), transgender women, Kabuki goddesses, porn queens, poets, housewives, makeup artists, Geishas, Valkyries and Venus figurines.

Japanisches No-Theater

Vollmann beschreibt die stilisierte Darstellungsform in dieser alten Theater-Tradition, die auf das 14. Jahrhundert zurückgeht. Das abstrakte Niveau der Themen, Gesten, Andeutungen, Masken war eine Unterhaltungsform für den Adel. Heute, so Vollmann, ist es nur Spezialisten ein Genuss und selbst diese sind auf Erklärungen angewiesen. Der Autor charakterisiert No als die mysteriöse Verbindung des Ewigen mit dem Vorübergehenden: „The old man transforming himself into the young female, the stillness that frames passion and delusion and violence, the constant endeavor to neutralize opposites.“

Worin besteht weibliche Schönheit, Grazie?

Im No tragen Schauspieler geschnitzte Masken, alle Frauen-Rollen werden durch männliche Schauspieler dargestellt. Wie kann es sein, dass eine Frauen-Figur auf der Bühne als wunderschön, als weiblich wahrgenommen wird, obwohl ein Mann hinter ihr steckt, der in seiner Männer-Stimme spricht und singt, dessen Hände, Hals und Füße als „männlich“ zu erkennen sind? Die Antwort des Autors, eine seiner Antworten, lautet, Schönheit zu erleben und zu erfahren, ist immer ein andauernder Prozess. Nach der Empfehlung Zeamis, eines No-Theoretikers aus der Entstehungszeit, soll der Zuschauer die Details des Stücks vergessen, damit er das Ganze wahrnehmen kann. Daraufhin soll er das Stück selbst vergessen und sich auf den Schauspieler konzentrieren, dann diesen vergessen und seinen Geist studieren. Zu guter Letzt soll er dessen Geist vergessen und übrig bleibt die Essenz des No. Vollmann überträgt dies in dieser Weise: „I propose to forget face, body and clothes in order to take in the entire impression that the woman makes. Next, forget her impression and consider its maker: her. Now forget her, and perhaps you may find a way to see her soul. At the last, forget even that, and then you will know her grace.“

Ausgehend von der Wirkung des No untersucht der Autor die Wirkung von weiß geschminkten Geisha-Gesichtern, Schminke, Körperhaltung und Kleidung bei transgender Frauen, Transvestiten und biologischen Frauen. Kapitel in diesem erstaunlichen und wunderbaren Buch heißen: Perfect Faces, A  Curtain of Mist, There is no Ugly Lady Face, Snow in a Silver Bowl, The Decay of the Angel, The Moon Maiden goes Home, Behind the Rainbow Curtain…

 Gelesen habe ich die Ausgabe von 2010.

 

Frederick the Great: King of Prussia. Tim Blanning

Friedrich der Große: Ein gelungenes Buch, diese neue Biographie von Tim Blanning, rundum gelungen. Und dieses Lob gehört vollständig dem Autoren, denn das Objekt des Schreibens, den umstrittenen Preußenkönig, haben schon viele andere gewählt und sind damit oft auf tiefer liegenden Stufen des Gelingens oder auf ganz woanders hin führenden Treppen gelandet.

Blanning ist Historiker aus Cambridge, mittlerweile im Teilruhestand, mit dem verdienten Ruf, exzellente Bücher zu schreiben, die neue Perspektiven schaffen. Sehr positiv rezensiert („history writing at its glorious best„, The New York Times) wurde beispielsweise auch „The Pursuit of Glory: Europe 1648-1815“. 2002 erhielt er einen Preis für „the best book in any language  on early modern Europe“. Er hat ein offensichtliches Talent, gut lesbar, spannend, auf hohem intellektuellen Niveau und obendrein amüsant zu schreiben. Darüber hinaus äußert er sich ebenso profund wie ungeschwätzig über Politik wie Militärstrategie, Musik, Literatur, Kultur im breitesten Sinne. Und dies zu können, ist gerade bei Friedrich dem Großen eine entscheidende Voraussetzung.

Beeindruckt hat mich zum Beispiel die Beschreibung der „Rehabilitierung“ Friedrichs nach dem für ihn befreienden Tod seines Vaters. Blannings nennt drei wesentliche Elemente:

  • „Firstly, he deployed the very considerable financial assets inherited from his father to create for himself a comfortable, not to say luxurious, material environment.“ Hierzu gehören der Bau der Oper, die Vergrößerung zweier Paläste, die Anschaffung von Büchern, Bildern, Porzellan…
  • „Secondly, he gathered around him a French-speaking intelligentsia to provide him with intellectual stimulation and to serve as an audience for his wit, philosophical disquisitions, literary creations and musical performances.“
  • Und zuletzt „the third route to repairing the damage inflicted by his father: to do what the latter desired most, but to do it better. (…) It meant the assertion of the rights of the Hohenzollern family against the rival Wettins of Saxony, Wittelsbachs of Bavaria or Habsburgs of Austria, and the elevation of Prussia to great-power status.“

Angenehm ist beim Lesen, dass sich Kapitel über Politik, Kultur, Krieg und Charakter immer wieder abwechseln und wechselseitig beleuchten. Dies verstärkt den Eindruck von Vielschichtigkeit oder Dreidimensionalität. Zugleich vermeidet es Ermüdung.

Eine Leseprobe zur politischen Situation nach dem zweiten Schlesischen Krieg:
„His seizure of Silesia in 1740, and successful defence of his booty in the five years that followed, had alarmed every other major European power.What had been most disturbing? The brutal aggression of the original invasion? The astounding feats of the Prussian army? The speed of decision and execution? The devious diplomacy? The repeated abandoning of allies? The reputation for cynicism and godlessness? Into the staid, slow-moving world of great-power diplomacy (…) there had barged a disruptive intruder, a parvenu upstart with boundless presumption. Louis XV may have thought that the invasion of Silesia was the act of a lunatic, but Frederick had shown that when madness succeeds, it has to be renamed audacity.“

Gelesen habe ich die englischsprachige Erstausgabe von 2015.  Eine deutsche Übersetzung ist noch nicht angekündigt

Als Deutschland noch nicht Deutschland war – Reise in die Goethezeit. Bruno Preisendörfer

Wie haben die Menschen im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert gelebt? Wie sah ihr Alltag aus? Also dasjenige, das oft in der hohen Literatur nicht erzählt wurde? Um es vorweg zu nehmen: Goethe, der Dichterfürst, trug – nach allem, was sich wissen lässt – keine Unterhosen, sondern ein langes Hemd.

Alltag in der Goethezeit

Preisendörfer geht systematisch und gründlich vor. Alle wesentlichen Aspekte des Alltagslebens werden in 10 Kapiteln vorgestellt. So enthält Kapitel 6 „Essen und Trinken“ die folgenden Unterkapitel: Wer isst warum wann was mit wem und womit? – Kurzer Blick in die Küche – Brot und Butter – Die Kartoffel – Fleisch und Geflügel – Gemüse und Obst – Bier, Branntwein, Wein – Etwas über Tabak – Eine Prise Salz – Vom Zucker – Kaffee und Tee – „Colonialwaren“ und ihre Ersatzstoffe – Exkurs über Kochbücher.

In „Vom Zucker“ berichtet uns der Autor, dass Hamburg reich wurde, da dort für die deutschen Kleinstaaten der größte Teil des importierten Zuckerrohrs aus der Karibik in gewaltigen Raffinerien verfeinert wurde. Das habe ich nicht gedacht. Ich bin davon ausgegangen, zumindest Rohzucker wurde an Deutschlands Küste angeliefert.

Medizin in der Goethezeit

„Ein weiteres Ableitungsverfahren war das gezielte Zufügen von Brandwunden. E.T.A. Hoffmann musste die Tortur noch 1822 erleiden (…) „Etwa vier Wochen vor seinem Tode wurde der entsetzliche Versuch gemacht, ob nicht durch das Brennen mit dem glühenden Eisen, an beiden Seiten des Rückgrades herunter, die Lebenskraft wieder zu wecken wäre.““

Das Buch ist eine leicht lesbare Zusammenstellung von wissenswerten Details. Dies ist sein großer Vorteil, wie auch sein Nachteil. Der Stil ist eine Aufzählung des damals vorhandenen, oft kurzweilig und anekdotisch erzählt. Doch neben dem Was wünschte ich mir an vielen Stellen auch eine bessere Einordnung hinsichtlich des Warum und Wodurch.

Goethezeit in Zahlen

Der Anhang verfügt über einen ausgezeichneten Überblick zur Goethezeit in Zahlen: Hier sind Bevölkerungsdaten, Maßeinheiten, Einkommen, Preise usw. detailliert und übersichtlich zusammengestellt.

The Moth Catcher. Ann Cleeves

Eine für mich neue Krimi-Autorin wollte ich testen: Ann Cleeves. Sehr bekannt in England unter anderem wegen vieler Verfilmungen ihrer Romane. Durch viele Übersetzungen auch dem deutschen Publikum kein unbeschriebenes Blatt. Insgesamt in 20 Sprachen übersetzt. Krimi-Vielschreiberin seit Mitte der 80er Jahre.

Gekauft habe ich „The Moth Catcher“, den neuesten ihrer Krimis, erschienen im Herbst 2015 (und noch nicht übersetzt), Teil ihrer beliebten Vera-Stanhope-Serie.

Ich habe also entdecker-freudig und ziemlich aufgeräumt mit dem Lesen begonnen. Auch war das Wetter mit Sturm und Nebel und Dunkelheit bestens geeignet für das Lesen mörderischer Krimis. Knarrende Dielen, flackerndes Kerzenlicht. Ich zwischen weichen Kissen und unter warmen Decken mit leckeren Getränken neben mir. Nur die Eulen waren verdächtig still, was mir eine Warnung hätte sein können.
Gestern Abend ist es dann passiert: Ich beschloß, das Experiment zu beenden. Ging nicht mehr. Gehöre wohl nicht zur Zielgruppe von Cleeves. Kommt nicht auf die Liste unserer bevorzugten Krimi-Autoren. Schade.

Warum? Für mich ist die Sprache zu platt und der Stil zu schlecht von Ruth Rendell oder Peter Lovesey kopiert, sind die Charaktere zu durchsichtig auf Effekt konstruiert, ist das Ganze zu stringent in die Kategorie „Wieder ein Bestseller“ hineingeschrieben. Und für einen Krimi vielleicht nicht unwesentlich: Nach deutlich über 100 gelesenen Seiten kam für mich nicht der Hauch von Spannung auf – trotz wie gesagt besten Krimiwetters draußen. Passt aber auch: Schließlich ist Cleeves auch Programming Chair des Theakston’s Old Peculier Crime Novel of the Year Award – und dessen ausgezeichnete Autoren schätze ich eher nicht…

Um ein Beispiel zu geben für das, was ich meine:
„‚Can I get you something to drink, Inspector?‘ ‚I’m on duty.‘ She wondered why she couldn’t be more gracious, why she found the man so intensely irritating. He gave a little laugh. ‚I wasn’t thinking of alcohol. It’s not wine o’clock, even in the Lucas household. And we had a bit of a session here last night. But I could do you a coffee.‘ ‚Thank you,‘ she said. ‚That would be lovely.‘ The man shouted up the polished wooden stairs that twisted from a corner of the room. ‚Lorraine, we’ve got a guest. Are you ready for a break?‘ There was a muffled reply. ‚My wife,‘ he said. ‚She took up watercolours again when we retired, and she’s ever so good (…)'“

Vielleicht wäre das Buch besser geworden auf den verbliebenen 300 Seiten, und ich tue ihm und der Autorin unrecht. Aber ich war verstimmt und verdrossen – und bin zu einem anderen Buch gewechselt!

Old Filth. Jane Gardam

Ein erfreuliches Buch: intelligent, gut geschrieben, präzise, lebensklug, wort-sparsam, leise-humorvoll.  Seit längerer Zeit das erste Mal, dass ich die positiven Zitate aus Rezensionen in englischen Zeitungen, die im Buch mit abgedruckt sind, nicht nur Marketing-Sprech, sondern passend und zutreffend finde. Inhalt: Die Lebensrückschau eines alt gewordenen Richters von seiner Geburt bis zu seinem Lebensende; von Malaysia über Wales und England nach Hongkong und Singapur, zurück nach England und wieder nach Singapur. Auch eine Liebesgeschichte, vielleicht ein wenig auch ein Krimi, jedenfalls ein Buch über das Leben und was es mit einem macht.

Es ist gar nicht so einfach, eine gute Leseprobe zu finden. Alle zu kurz und zu wenig typisch.
„Amazed, as she never ceased to be, about how such a multitude of ideas and images exist alongside one another and how the brain can cope with them, layered like filo pastry in the mind, invisible as data behind the screen, Betty was again in Orange Tree Road, standing with (…) old friends in the warm rain, and all around the leaves falling like painted raindrops. (…) The sense of being part of elastic life, unhurried, timeless, controlled. And in love. (…) Betty’s eyes filled with tears, misting her glasses. Time gone. (…) Trowel in hand, a bit tottery, she turned to look up the garden at Filth.“

Old Filth ist wieder eine Neuerscheinung, die es schon länger gibt. Erschienen in England im Jahr 2004 gibt es das Buch seit August 2015 unter dem piefigen Titel „Ein untadeliger Mann“ auch in deutsch. Aufmerksam geworden bin ich auf das Buch durch eine Rezension in der „Zeit„, in der auch erklärt wird, dass Filth für „failed in London, try Hongkong“ steht. Und dass es sich um den ersten Band einer Trilogie handelt. Und dass man auf die nächsten Bände noch warten müsse. Dem sei hinzugefügt: In englischer Sprache zum Glück nicht.

 

 

 

Dafydd ap Gwilym: A Selection of Poems. Hrsg. von Rachel Bromwich

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Um den Eindruck zu vermeiden, eventuell zu stark auf englische oder zumindest englisch-sprachige Literatur oder gar auf eine Art „Mainstream“ ausgerichtet zu sein, heute ein Beitrag zu einem der vielleicht besten walisischen Dichter: Dafydd ap Gwilym, der im 14. Jahrhundert gelebt hat.

Immer wieder neu aufgelegt wird ein Buch, das zuerst 1982 erschienen ist und dessen immerhin 3. Auflage von 2003 ich gelesen habe. „Immerhin“, denn das Buch macht auf seinen rechten Seiten für die meisten Leser einen eher sperrigen, deutlich konsonantigen, man möchte fast sagen: abschreckenden Eindruck – auf dieser Seite steht jeweils das walisisch-sprachige Original.

Warum erfreut sich Dafydd ap Gwilym also offensichtlich einer wahrnehmbaren Popularität? Und ist seine Lyrik auch etwas für Nicht-Waliser?

Dafydd ap Gwilym ist schon besonders:

  • Ungefähr zeitgleich mit Geoffrey Chaucer lebend, hat er fast im Alleingang eine Verbindung geschaffen zwischen der walisischen bardischen Tradition des frühen Mittelalters und der Troubadour- und Minnelyrik insbesondere des französischsprachigen Raums, die auch dank der Normannen in England und Wales eine Rolle gespielt hat.
  • Außer dieser innovativen Weiterentwicklung hat er – auch wieder quasi im Alleingang – die eigene Person deutlich stärker ins Zentrum seiner Gedichte gerückt als in der walisischen Tradition üblich. Dies macht seine Gedichte recht zugänglich.
  • Ein Innovator ist er auch, da er die walisische Sprache um zahlreiche Worte – auch um Lehnworte vom Kontinent – erweitert hat, die er als Neuschöpfung in seinen Gedichten verwendet.
  • Vor allem aber ist er herausragend aufgrund seiner poetischen Meisterschaft. Die Anforderungen der walisischen Poetik zur Form von Strophe und Vers, Silbenzahl, Reimformen, Alliterationen, anderen Lautharmonien sind so vielfältig, dass es fast ein Wunder ist, hierbei auch noch inhaltlich zu glänzen. Und dies tut Dafydd ap Gwilym.

Für all diejenigen, die mit Walisisch nichts anfangen können, geht aber leider viel verloren. Denn gerade walisische Dichtung beeindruckt (und soll beeindrucken) viel stärker durch ihre akustische Wirkung als durch die Inhalte. Und die akustische Ästhetik lässt sich auch vom besten Übersetzer nicht einmal ansatzweise nachschaffen.

Bromwich als Übersetzerin und Herausgeberin dieses Buchs tut viel, um die Lücke zum Walisischen zu überbrücken. Ihre Einleitung bringt einem den Dichter, die walisische Bardentradition und auch die poetischen Anforderungen näher. Die Anmerkungen zu den Gedichten sind umfassend und erleichtern das Verständnis. Schade vielleicht, dass die Übersetzungen doch eher auf den inhaltlichen Sinn fokussieren, als dass sie hohe poetische Anforderungen erfüllen wollen. Persönlich wäre mir eine andere Balance lieber gewesen.

Das Buch ist sicherlich nichts für jeden Leser. Aber für alle, die sich mit mittelalterlicher Lyrik befassen, ist es ein Gewinn. Und für Freunde keltische oder speziell walisischer  Literatur und Kultur sowieso.

Als Leseprobe der Auszug eines der bekanntesten Gedichte von Dafydd ap Gwilym, in dem er Naturdichtung – über den Wind – mit Liebesdichtung – der Wind als Liebesbote an seine Geliebte Morfudd – miteinander verbindet:

„Yr wybrwynt helynt hylaw
Agwrdd drwst a gerdda draw,
Gŵr eres wyd garw ei sain,
Drud byd heb droed heb adain. „

Bromwich übersetzt:
„Sky wind of impetuous course
who travels yonder with your mighty shout,
you are a strange being, with a blustering voice,
most reckless in the world, though without foot or wing.“

Eine etwas poetischere Übersetzung des Gedichts von Gwyneth Lewis, durchaus dichter hinsichtlich der Klangeffekte am Original,  findet sich hier auf der Website der Poetry Foundation.

Und wer es genau wissen will, kann sich auch den walisischen Originalton anhören (man muss dann noch Gedicht 47 „Y Gwynt“ aussuchen und anschließend auf Audio klicken), da das Welsh Department der University of Swansea eine ganze Website den Gedichten von Dafydd ap Gwilym gewidmet hat.

Occidentalism: The West in the Eyes of Its Enemies. Ian Buruma und Avishai Margalit

Schon im Jahr 2004 erschienen, ist dieses Buch über den sogenannten Okzidentalismus von Buruma und Margalit vor dem Hintergrund von islamistischem Terror, Selbstmordattentätern, populistischen/reaktionären Regierungen in Teilen Europas …. fortgesetzt und zunehmend relevant. Aber nicht nur die Aktualität des Themas, sondern auch die Qualität machen dieses Buch sehr empfehlenswert.

Der Begriff „Okzidentalismus“ ist – anders als Orientalismus – nicht etabliert und sprachlich leider auch nicht glücklich gewählt. Die Autoren definieren ihn so: „The dehumanizing picture of the West painted by ist enemies is what we have called Occidentalism.“  Eigentlich müsste man also wohl von „Anti-Okzidentalismus“ sprechen. Ziel der Autoren ist es, die Vorurteilscluster des Okzidentalismus herauszuarbeiten und seine historischen Wurzeln nachzuzeichnen. Der „Westen“ ist dabei definiert als die liberalen Demokratien weltweit, also auch zum Beispiel Indonesien und die Philippinen.

Frappierend, wie gut es den Autoren gelingt, deutlich zu machen, dass diese Wurzeln nicht im Islam liegen oder in Regionen weit weg von uns. Sie finden die Wurzeln hier in Europa; von hier wurde er exportiert, aufgegriffen und vielfältig entwickelt.

Ebenfalls frappierend die historischen Beispiele. Nicht nur der heutige Islamismus gehört dazu, sondern auch der Nationalsozialismus in Deutschland; Entwicklungen in Russland fallen in die Kategorie; Personen wie Wagner und Marx zeigen deutliche Symptome.

Das Buch ist nach wesentlichen Gruppierungen von Ideen des Okzidentalismus gegliedert: „The Occidental City“, „Heroes and Merchants“, „Mind of the West“, „Wrath of God“ and „Seeds of Revolution“. Hierbei ist es jeweils sehr hilfreich, dass Personen, die die jeweils relevante Erscheinungsform der okzidentalistischen Ideologie stark geprägt haben – für den Islamismus zum Beispiel Osama bin Laden oder Sayyid Qutb, auch in Originalzitaten zu Wort kommen.

Buruma und Margalit schreiben in erster Linie journalistisch, in zweiter als Historiker und Ideengeschichtler. Das macht ihr Buch sehr gut lesbar und gewährleistet – wenn auch gelegentlich etwas zugespitzt und vereinfachend – Substanz.

Eine Leseprobe aus dem Kapitel über „The Occidental City“:
„By the time the Khmer Rouge had done their work and left Phnom Penh a ghost town (…) more than two million people had been murdered or worked to death. (…) Like the Al Qaeda raid on New York’s twin towers, it was an actual as well as a symbolic revenge. Phnom Penh, to the Khmer Rouge, was evil, inauthentic, capitalist, ethnically mixed, Westernized, degenerate, and compromised by colonialism. City people did not have to be treated with humanity, since they had already lost their souls. (…) by smashing the wicked city, the Khmer Rouge would restore purity and virtue to the ancient land.“

Gelesen habe ich die erste Auflage von 2004. Das Buch erschien 2005 auch in deutscher Übersetzung. Der deutsche Klappentext beschreibt es zutreffend als „Ein provokatives Buch, in bester aufklärerischer Tradition.“