Introduction to Sally. Elizabeth von Arnim

Schon an anderer Stelle habe ich Bücher von Elizabeth von Arnim empfohlen. Eine ideale Autorin für warme Sommertage, wenn das Monumentalwerk zur Geschichte der europäischen Scholastik unter besonderer Berücksichtigung des Einflusses von Duns Scotus und Johannes Scotus Eriugena nicht das richtige ist.

„Introduction to Sally“, erschienen 1926, ist nicht mein Favorit unter von Arnims Romanen, aber ein gutes und gut lesbares Buch ist es allemal. Und da sollte man sich vom Einband der Erstausgabe nicht abschrecken lassen.

Die Titelheldin ist schön. Und schöne Frauen haben es nicht leicht.
Das hat schon Apuleius in der Antike gewusst und im Märchen von Amor und Psyche thematisiert. 1911, also etwas dichter am Erscheinungsjahr von Sally, hat Max Beerbohm in Zuleika Dobson die tragikomischen Aspekte in seinem einzigen Roman verarbeitet – eine Verbindung, die schon in einem anderem Blog aufgegriffen wurde. Und Shaws Pygmalion ist auch nicht weit weg.

Die Titelheldin ist schön. Und schöne Frauen können es weit bringen.
Dafür gibt es mehr Belege, als dass es nötig wäre, Beispiele zu nennen.

In Kombination ergibt das eine klassische Spannungskurve mit Exposition, Katharsis und Peripetie, vor allem aber mit einem Happy End – rechtzeitig zum Sommerabend, wenn dann der Cocktail neben einem steht. Die „dei ex machinis“ sind dabei ein englischer Duke und seine Tochter; seine „machina“ ein Rolls Royce, ihre ein englischer Zug in der ersten Klasse.

Immer wieder beeindruckend sind die witzig-weisen Formulierungen und Charakterisierungen von Arnims, zum Beispiel:
„Mr. Pinner was a God-fearing man, who was afraid of everything, except respectability. He married Mrs. Pinner when they were both twenty, and by the time they were both thirty if he had had to do it again he wouldn’t have. For Mrs. Pinner had several drabacks. One was, she quarrelled; and Mr. Pinner, who prized peace, was obliged to quarrel too. Another was, she appeared to be unable to have children; and Mr. Pinner, who was fond of children, accordingly couldn’t have them either. And another, which while it lasted was in some ways the worst, was that she was excessively pretty.“

The Colloquy with the Ancients. Übersetzt von Standish Hayes O’Grady

Das Hauptwerk des irischen Finn-Zyklus – ein weiterer Beitrag zu einem obskuren, aber dadurch nicht weniger interessanten Werk der irischen Literatur.

Der Finn-Zyklus ist neben dem Ulster-Zyklus – zu dem die schon besprochene Táin Bó Cúailnge gehört – der zweite Hauptkreis von frühen, im Kern vorchristlichen Sagen Irlands. Im Mittelpunkt steht Finn mac Cumail,  der eine Truppe von mehr oder weniger gesetzlosen Jäger-Kriegern, die Fianna (daher auch der Name einer politischen Partei Irlands, der Fianna Fáil) anführt, eine Art Robin Hood also. Finn hat – wie sich das für eine mythische Person gehört – übermenschliche Kräfte. So verfügt er auch über einen Zahn der Weisheit: Wenn man seinen Daumen daranhält, erschließt sich einem die Wirklichkeit. Um welchen Zahn im Gebiss es sich dabei handelt, ist allerdings – zum Leidwesen aller dontologisch Interessierten – leider nicht überliefert.

Zwei der Hauptbegleiter von Finn sind Oisín und Caílte mac Rónáin. Der erstgenannte mag den einen oder anderen Leser – und zwar völlig zurecht! – an Ossian erinnern, den Helden der Sagen des Nachdichters Macpherson.

So viel zum Drumherum.

Acallam na senórach, „Das Gespräch der alten Männer“, ist erstmalig in Handschriften von um 1200 überliefert. Keine der Handschriften – auch nicht die jüngeren aus dem 13. bis 16. Jahrhundert – macht recht glücklich, da der Text jeweils arg mitgenommen ist. Da muss man sich das Werk im guten Zustand halt vorstellen.

Oisín und Caílte mac Rónáin, die alten Männer des Titels, sind mittlerweile steinalt. Alle anderen Mitglieder der Fianna sind längst verstorben. Dafür ist das Christentum in Gestalt des heiligen Patrick eingetroffen. Womit wir die drei Hauptteilnehmer des titelgebenden Gesprächs beieinander haben.

Interessant ist der Text wegen seiner Struktur aus Rahmenhandlung – das Gespräch zwischen den drei Männern – und eingebetteten Geschichten aus der Blütezeit der Fianna. Interessant auch wegen dieser Geschichten selbst, die zum großen Teil sonst nirgends überliefert sind und auch wieder spätere Werke der irischen Literatur beeinflusst haben (zum Beispiel hat Flann O’Brien für seinen Roman „In Schwimmen-zwei-Vögel“ einen Ortsnamen verwendet, der hier zuerst erwähnt wird – dieses Buch wiederum hat James Joyce beeindruckt).
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Vor allem fasziniert aber, wie in diesem Werk eine vorchristliche, also zutiefst heidnische Vergangenheit in das Christentum eingemeindet wird:

„There they were until the morrow’s morning came, when Patrick robed himself and emerged upon the green; together with his three score priests, three score psalmodists, and holy bishops three score as well, that with him disseminated faith and piety throughout Ireland. Patrick’s two guardian angels came to him now: Aibellan and Solusbrethach, of whom he enquired whether in God’s sight it were convenient for him to be listening to stories of the Fianna.“

Und so wird auch das Aufschreiben unzivilisierten Sagen zur guten christlichen Pflicht gemacht:

„‚Success and benediction!‘ said Patrick: ‚a good story it is that thou hast told us there; and where is Brogan the scribe?‘ Brogan answered: ‚here, holy Cleric.‘ ‚Be that tale written by thee‘; and Brogan performed it on the spot.“
So ähnlich wird jede Geschichte beendet, die von Caílte oder Oisín erzählt wird.

Bemerkenswert ist, wie weit entfernt die Gedankenwelt von unserer heutigen ist. Dies wird besonders frappierend, wenn es um Verwandtschaftsbeziehungen und Ortsnamen geht. Bezeichnungen von Orten waren den Kelten grundsätzlich sehr wichtig:

„Then Patrick set out, and the way that he took was into Feeguile; into Drumcree, which at this time is called ‚Kildare‘; across the sruithlinn in Durrow, and over the Barrow; over tOchar Leighe, i.e. ‘the stone causeway of Cuarneit’s daughter Liagh,’ where Liagh perished; into ‘the old Plain of Dian mac Dilenn’s daughter Roichet, now called ‘Moyrua of Rechet;’ into (….)” und so weiter über viele Zeilen.

Die Übersetzung von Standish Hayes O’Grady (1832-1915) stammt zwar aus dem Jahr 1892, ist aber ein echter Klassiker und vermittelt ein gutes Sprachgefühl des irischen Originals.

Krähengekrächz. Monika Maron

Krähengekrächz, ein Buch über Menschen und Krähen. Und ihre jahrhundertelange Beziehung zueinander.

Krähengekrächz

Haben Sie schon einmal den Krähen zugeschaut? Nachdenklich oder verwundert oder fasziniert? Wenn ja, dann ist dieses Buch von Monika Maron das richtige. Haben Sie sich in der letzten Zeit außerdem dabei ertappt, über den Unterschied oder das Verbindende von Mensch und Tier nachzusinnen? Dann erst recht.

Maron beschreibt in diesem kurzen Text – nur 51 Seiten hat er – wie die Ich-Erzählerin während der Recherchen zu einem Buch buchstäblich auf die Krähe kam. Und nicht mehr davon ablassen konnte.

„Aber erst als ich las, dass die Krähen den Menschen seit Anbeginn begleiten, dass sie seine ersten Schritte im aufrechten Gang gesehen, seine ersten artikulierten Laute gehört haben, alle seine Kriege erlebt und von seinen Leichenfeldern gelebt haben, dass sie Toten- und Galgenvögel genannt wurden, weil sie überall auftauchten, wo die Menschen ihre Opfer hinterlassen, erst als ich mir das vorstellte, begannen sich die Krähen aus meiner Straße in mein nächsten Buch zu drängen.“

„Krähengekrächz“ kommt so leicht, so leichtflügelig und einfach daher. Dennoch ist es ein weiser Text, in dem viele große Fragen angesprochen werden. Es ist ein Text für einen Nachmittag und ein Buch für viele Jahre.

„Was ist das, was mich nur um die Tiere weinen läßt, da mich Qual und Tod von Menschen doch nicht weniger erschüttern, nur anders, härter, Intellekt und Logik ausgeliefert. (…) Dann weinst du um das Tier in dir, sagte mein Freund Michael, mein zuverlässigster Gesprächspartner, wenn es um Mensch und Tier geht. So wird es wohl sein, da wir mir jedem Tod, den wir betrauern, immer auch den eigenen meinen. Und ich, wenn mein Freund recht hat, beweine dann den Tod meines unschuldigsten und wehrlosesten Teils.“

Monika Maron wurde 1941 geboren. Sie lebte von 1951 bis 1988 in der DDR. Ihr erster Roman „Flugasche“ ist eine der ersten literarischen Auseinandersetzungen mit Umweltverschmutzung in der DDR. Deshalb durfte er dort nicht erscheinen. Maron hat mehr als zehn Romane sowie andere Werke mit Essays und Erzählungen verfasst. Besonders erfolgreich ist der Roman „Animal triste“ von 1996. Monika Maron erhielt unter anderen Auszeichnungen auch den Kleist-Preis.

Alone of all Her Sex. Marina Warner

„Alone of all Her Sex“ von Marina Warner ist ein umfassendes Buch über die Jungfrau Maria. Es deckt die verschiedenen Aspekte ihrer Verehrung auf und berücksichtigt dabei kirchliche Doktrin ebenso wie die Vorstellungen der Gläubigen. Warner zeigt auf diese Weise die moralischen, sozialen und emotionalen Implikationen der Marienverehrung durch die Jahrhunderte. Entsprechend lautet der Untertitel des Buchs „The Myth and the Cult of the Virgin Mary“.

Wie häufig wird Maria in den vier Evangelien genannt? So gut wie nie. Und sie wird auch nicht immer „Maria“ genannt. Das ist überraschend, geht man von der außerordentlichen Bedeutung Marias aus, die unzählige Bilder und Statuen, Lieder, Gedichte und hochkomplizierte theologische Ausführungen belegen. Welchen Sehnsüchten und Zwecken diente die Figur der Maria?

Maria ist einzig unter den Frauen, denn nur sie hat – so Warner über die christlich-katholische Theologie – ohne Sünde (ohne sexuellen Kontakt) ein Kind empfangen und dieses jungfräulich geboren. Während und nach der Geburt ist sie Jungfrau geblieben: „The unchanged womb of the virgin, that „closed gate“, that „enclosed garden“, which experiencing alteration is yet unaltered, is the mirror image of the unchanged body of the virgin, which experiences death and does not decay. (…) In a precise and literal way, the Virgin embodies the Christian ideals of homogeneity and independence“

Im 5. und 6. Jahrhundert wurde Maria als Mutter des göttlichen Herrschers ein zentrales Symbol der Macht (z.B. S. Apollinare Nuovo in Ravenna oder S. Maria in Trastevere in Rom). Maria als Regina wurde dargestellt mit vertrauten bildlichen Elementen der Herrscherdarstellungen. So wurde sie zu einem religiösen Symbol, das sich nutzen ließ, die (weltliche) Macht der Kirche zu sichern.

Ab dem 14. Jh. explodierte die Literatur, die die Liebe zu Maria thematisierte. In Kathedralen und Bildern wurde sie als die schönste aller Frauen dargestellt. Die Himmelskönigin wurde – so Warner – zum Gegenmittel gegen die irdische Liebe: „She was feminine perfection personified, and no other woman was in her league.“

Die Kapitel des Buchs orientieren sich an den verschiedenen Rollen die Maria zugeschrieben werden:

  • Teil 1 Virgin: Mary in the gospels, Mary in the apocrypha, Virgin birth, Second Eve, Virgins and martyrs
  • Teil 2 Queen: The assumption, Maria Regina,
  • Teil 3 Bride: The Song of Songs, Troubadours, Madonna, Dante, Beatrice and the Virgin Mary
  • Teil 4 Mother:Let it be, The milk of paradise, Mater Dolorosa, The penitent whore, The immaculate conception, The moon and the stars
  • Teil 5 Intercessor: Growth in everything, Icons and relics, Visions, The rosary and war, The hour of our death

Maria erbte die Eigenschaften von alten Wasser-, Mond/Himmels- (Isis und Diana) und Fruchtbarkeitsgöttinen.  Ihre Assoziation mit Wasser und Mond steht für Ewigkeit. Ihre Rolle als die Schutzpatronin von Frauen während der Geburt beinhaltet Elemente aus Fruchtbarkeitskulten. Auf diese Weise wurde Maria symbolisch die ewige Herrin des Wassers und die Schützerin des Lebens.

Ein plastisches Beispiel wie Elemente heidnischer Vorstellungen mit Maria zusammengedacht wurden, ist das Osterei. Die Assoziationskette geht laut Warner so: Über den Wechsel des Mondes ist das Motiv der Schlange mit Menstruation verbunden; laut Orphischer Mysterienkulte aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten entstand die Welt als die große Göttin in Gestalt einer Schlange sich mit der heiligen Schlange vereinigte;  die Göttin legte daraufhin ein Ei; aus diesem entstand die Welt zurzeit der Tag- und Nachtgleiche des Frühjahrs. Folglich hat die Schlange, welche Maria in vielen Darstellungen zertritt, eine komplexe Symbolik, die deutlich mehr Veränderungen  erfahren hat, als der Mond und die Sterne um Marias Haupt…

Zusammenfassend sieht Warner die Figur der Maria, so wie sie durch kirchliche Doktrin interpretiert wurde, als einen Einflussfaktor, der Frauen in einer gesellschaftlich benachteiligten Position hielt: „The Christian revolutions from earliest times centred on egalitarianism, on the universal application of the Gospel, the welcome offered to all men (…) But in the case of the moral teaching to women, humility, the greatest of the Christian virtues, acquired a different connotation. The two cultures, classical and Judaic, flowed together in the new religion, bearing a heavy burden of long prejudice against women.“

Marina Warner

Marina Warner wurde 1946 in London geboren. Sie wurde in verschiedenen katholischen Schulen erzogen und studierte am Lady Margaret Hall College in Oxford. Unter anderem arbeitete sie für die „Vogue“.

Obwohl „Alone of all Her Sex“ bereits 1976 erschienen ist, stellt es eine systematische, im interdisziplinären Ansatz sehr interessante sowie gut lesbare Zusammenfassung über die Rolle Marias im Christentum dar.

Romantic Irish Homes. Robert O`Byrne

Romantic Irish Homes zeigt Einrichtungsstile in unterschiedlichen historischen Häusern Irlands. Gemeinsam ist allen Häusern, dass sie lange vernachlässigt waren und dann von ihren neuen Besitzern zu Glanz – altem oder ganz neuem – verholfen worden sind.

Nach dem „Union Act“ mit England von 1801 wurde das Parlament in Dublin aufgelöst. Der Aufenthalt der Reichsten und Einflussreichsten während der Tagungszeit des Parlaments wurde somit überflüssig. Ein Grund, warum besonders repräsentative Häuser in Irlands Hauptstadt unattraktiv wurden. So wurden zum Beispiel die Häuser in Henrietta Street – vorher bewohnt von Earls, Viscount, Lords und Bischöfen – zu Mietshäusern. In diesen lebten pro Haus bis zu 300 Menschen. Die Straße wurde zum berüchtigsten Slum Dublins.

Das Buch enthält die Beschreibung der Geschichte von Bau, Verfall und Rettung der Häuser in Henrietta Street. Zu Haus Nr. 7 gibt auch ein Video einen guten Eindruck.

Ein anderer Grund für den Verfall vieler historischer Häuser war die 200 Jahre andauernde Rezession. Auch deshalb fehlte in allen Gegenden Irlands das Geld, repräsentative Gebäude zu erhalten.

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Das Buch enthält viele schöne Fotos, die durch intelligenten, kenntnisreichen Text ergänzt werden. Ausgezeichnet ist die knappe Einleitung. In drei Kapiteln werden die unterschiedlichen Funktionen und Stilmerkmale der Gebäude herausgearbeitet: Farmhouses, Homes for the Gentry und The Big House.

Die Fotos zeigen Außenansichten der Gebäude und unterschiedlichste Wohnräume: Wohn- und Schlafzimmer, Küchen, Bäder und Flure.

Beschreibung: „Quixotic, often whimsical and definitely quirky, they provide a sanctuary from the Irish climate, which is frequently grey, cold and damp. No wonder, therefore, that over the centuries Ireland’s domestic architecture and interior design have developed a distinctive personality in which colour and vivacity are highly prized. Romantic Irish Homes presents 15 of the finest examples of these traits, each one of them distinctive and yet sharing the same native spirit.“

Romantic Irish Homes ist sehr geeignet für Irland-Urlauber, die etwas mehr wissen wollen über die Architekturen, die sie während ihrer Reise sehen; aber auch für Menschen, die sich für Shabby Chic und das Wohnen in historischen Gebäuden interessieren.

Für Menschen mit Leidenschaften für Georgianische Archtektur ist die Geschichte der irischen Georgian Society ergänzende, bereichernde Lektüre: siehe unseren Beitrag

 

The Irish Georgian Society: A celebration. Robert O’Byrne

Um den Trend von Beiträgen zu irischen Themen fortzusetzen, ist heute ein Buch zu einem Verein an der Reihe, der sich 1958 das Ziel gesetzt hat, irische georgianische Architektur zu bewahren und zu pflegen. Zum 50. Jubiläum erschien das Buch „The Irish Georgian Society: A Celebration“.

Die Irish Georgian Society geht auf eine Initiative von Desmond Guinness zurück, einem Erben der Guinness-Dynastie und der Mitford-Familie. Er und seine erste Frau, Mariga Guinness, haben die Society bis heute sehr geprägt.

Das Verhältnis Irlands zu seiner Geschichte war schon immer recht schwierig. Zumindest die Epoche, als auch die heutige Republik Irland eine Kolonie Englands war, wurde und wird oft negativ gesehen oder ignoriert und Irland eine reine Opferrolle zugedacht. Unter anderem deshalb war es über lange Zeit nicht wichtig, beispielsweise Gebäude aus der georgianischen Zeit zu erhalten. Im Gegenteil war es oft sogar explizites Ziel auch von öffentlichen Institutionen, diese Architektur zu beseitigen. Die Verluste seit dem zweiten Weltkrieg sind immens, zum Beispiel in Dublin:
„(…) since 1960 nearly 40 per cent of the city’s Georgian building stock had been destroyed. (…) The oldest part of the city, the Liberties, which was granted a charter by Henry II in 1170, contained so many derelict or demolished buildings that it was used to represent bombed Berlin in the 1965 film ‚The Spy Who Came in from the Cold‘.“

Durch viel ehrenamtlichen Einsatz, Wagemut, gute Verbindungen und auch Geld ist es unter anderem der Irish Georgian Society zu verdanken, dass etliche Gebäude doch noch da sind und irische georgianische Architektur (und die anderer Zeiten) mittlerweile eine passable Wichtigkeit hat. Beispiel sind Henrietta Street (siehe Foto) und Mountjoy Square in Dublin, Castletown, Roundwood, Vernon Mount, Ledwithstown House im Landesinneren.

Das Jubiläumsbuch fällt aus der Reihe ähnlicher Schriften: Es ist nicht selbst-beweihräuchernd, sondern an vielen Stellen voller Humor, voll erfrischender Selbstkritik und gut geschrieben (und illustriert). Es gibt einen guten Einblick in die georgianische Architekturgeschichte, neuere irische Sozialgeschichte und die Herausforderungen, mit denen unmoderne und unpopuläre NGOs zu kämpfen haben können.

Lebendig wird das Buch auch durch zahlreiche Anekdoten. Die Society scheint vielen Leuten oft sehr viel Spaß gemacht zu haben:
„An abiding trait of trips undertaken by the Society and ist members was that they included lunchtime picnics (…). Everyone was meant to contribute something to the meal, usually taken in the shadow of some gaunt ruin and regularly eaten sitting on damp grass in a persistent drizzle. But even in the gloomiest weather conditions, warmth was provided both by the stimulating company and conversation and, just as importantly, by the consumption of alcohol (…). Desmond and Mariga ‚developed the habit of bringing large quantities of vin rosé with them, and of creating a party more or less wherever they went. ‚Vin rosé,‘ said Mariga quite truthfully, ’nourishes the Georgian Society.'“

Tongues. Mícheál Ó Siadhail

Seinen frühen Gedichtband „Springnight“ habe ich schon vorher besprochen. Diese Gedichte über Sprache sind auf einem ganz anderen sprachlichen und poetischen Niveau.

Sprache hat für Ó Siadhail eine außerordentlich große Bedeutung: Bevor er Vollzeit-Dichter wurde, hat er als Linguist am Trinity College und am Dublin Institute of Advanced Studies gearbeitet. Er ist extrem polyglott und hat immer gerne in seiner Freizeit neue, gerne auch obskure, Sprachen gelernt. Worte sind für ihn „birds of paradise“.

Vielleicht in der Tradition hellenistischer Lehrgedichte hat er 2010 den Gedichtband „Tongues“ veröffentlicht. In seinem ausgezeichneten Vorwort gibt er einen Einblick in seine Faszination für Sprache. „As a poet I’m utterly intrigued by the rampant imagination of human beings. (…) Languages have infinite ways of looking at one thing. (…) to take an example of an idiom in English, it rains ‚cats and dogs‘ but in French it’s strings (de cordes), in Irish ‚a cobbler’s knives‘ (sceanna gréasaí) and in Welsh ‚old women and sticks‘ (hen wragedd a fyn). There’s just four ways of looking at rain. But of course it’s endless.“

Ungewohnt, aber letztlich überzeugend die Themengruppierungen in diesem Gedichtband: „Wonder“, „Word“, „Grammar“ mit Gedichten unter Titeln wie „Subjunctive“ oder „Pluperfect“, „Under the sign“ mit Gedichten zu japanischen Schriftzeichen, „Adages“ mit Gedichten zu Sprichwörtern in verschiedenen Sprachen und zuletzt „Gratitude“.

Das klingt vielleicht gelehrt und etwas spröde, ist aber: gelehrt, immer wieder sehr berührend, sehr persönlich und weckt die Sensibilität für unsere tagtägliche Sprache mit ihren Bedeutungsnuancen, Absonderlichkeiten und ihrem historischem Gepäck. Es ist schon passend, dass Ó Siadhail erzählt, dass etymologisch „Glamour“ dasselbe Wort ist wie „Grammar“. Und diesen Glanz von Sprachen, dieses Funkeln von Worten, diesen Zauber von Formulierungen bringt er in viele seiner Gedichte.

Es ist lange her, dass ich Gedichte mit soviel Vergnügen gelesen habe.

Zum chinesischen Sprichwort 飲水思源 (yǐn shuǐ sī yuán, If you drink from the stream, remember the spring):
„Hunkering low on a bank
To cup handfuls of water,
Where to begin to thank?

Yellow River of a gene
Received, down-draft
Of words passed between

Generations, slow nurture
Of groves holding earth,
Allowing a scoop and curvature,

A brook’s scrape and groove,
Communities that nourished,
Gradual shapings of love.

Sudden opened floodgate.
Unstoppabe onrush of thanks.
The heart-memory in spate.

This stream takes up everything.
One sweet water.
Drink from a remembered spring.“

Dieser Gedichtband ist auch in Ó Siadhails „Collected Poems“ enthalten.

 

 

Brick: A world history. James W.P. Campbell, Will Pryce

Eine Geschichte des Backsteins und der Backsteinarchitektur: Warum nicht… Die Weltgeschichte der Bibliothek war schließlich auch sehr gut….

Nach dem Lesen des Buchs und Betrachten der Illustrationen: Man kann tolle Sachen machen mit Backstein – unter Anderem ein solches Buch produzieren!

James Campbell, Architekt und Architekturhistoriker am Queens‘ College in Cambridge (England), und der Fotograf Will Pryce, spezialisiert auf Architekturfotografie, sind ein durchaus maßloses Projekt angegangen, eine Weltgeschichte des Backsteins, maßlos wie die Zahl bisher verbauter Backsteine.
Dr. James W.P. Campbell, MA DipArch PhD (Cantab) RIBA IHBC FSA

Komplett gelungen ist ihnen das natürlich nicht, dafür ist die Geschichte zu lang, die Welt zu groß und der Backstein zu allgegenwärtig.

Ein beeindruckendes, abgerundetes, umfassendes und anregendes Buch haben sie geschrieben. Es ist chronologisch aufgebaut, beginnend ca. 10.000 v.Chr., mit Ausblick in die Zukunft, mit Architekturbeispielen aus Asien, Afrika, Nordamerika und Europa. Herstellung und Zusammensetzung von Backsteinen und Mörteln im Zeitverlauf werden adressiert, die Technik des Backsteinbaus, sozialgeschichtliche Aspekte dieser Handwerke und vor allem natürlich die Architekturen, die sich aus Backsteinen haben bauen lassen.

Die gewählten Beispiele sind gut und nachvollziehbar. Hierzu gehören Bauwerke wie die Zigurats in Mesopotamien, die große Mauer in China, das Rathaus in Siena, die Tempel von Pagan, die Kathedrale von Evry, die Kuppel des Doms in Florenz, Backsteingotik der Hanse, der Spaarndammerbuurt-Komplex in Amsterdam, das Chrysler Building in New York.

Die Illustrationen sind durchweg ausgezeichnet.
Die Texte geben einen recht guten Überblick über Epochen und einzelne Beispiele, reißen wichtige und spannende Themen an, zeigen Entwicklungslinien und -brüche auf. Zugleich sind sie die Achillesferse des Buchs. In der Kürze erschließt sich nicht jeder Absatz. Und das Lektorat hat bestimmt nicht alles gelesen (oder es ist ein seltener Fan gelegentlicher anakoluthischer Syntax….).


Dieser kleine Mangel wird aber wieder locker ausgeglichen durch die bibliographischen Hinweise, die ein weiteres gezieltes Tieferlesen ermöglichen.

In Summe: Sehr zu empfehlen, erst recht für den überschaubaren Preis, der für die gerade erschienene Ausgabe in Kompaktformat bei Thames & Hudson verlangt wird.