Tractatus theologico-politicus. Baruch Spinoza

Seit einiger Zeit schon pirsche ich mich an dieses Buch heran. Erst habe ich in der Philosophiegeschichte von Gottlieb über Spinoza gelesen, dann ein Buch von Nadler speziell über diesen Theologisch-politischen Traktat.

Eines ist offensichtlich: Bei der Wahl seines Buchtitels hat Spinoza entweder keinen Marketing-Experten hinzugezogen, oder er wollte absichtlich vom Lesen abschrecken. Sperriger und unattraktiver geht kaum noch. Erzählen Sie mal auf einer Party, dass Sie gerade einen theologisch-politischen Traktat lesen. Da können Sie dann gleich alleine weiter trinken….

Zum Party-Einsatz also empfehle ich das Buch nicht. Sonst aber in jeder Hinsicht. Meine Gründe dafür?

  • Hilft beim Nachdenken über Gott und die Welt, über Demokratie und Meinungsfreiheit, das Verhältnis von Religion und Staat, über Rechtsstaat und Heiligenglaube
    Viele der wirklich grundlegenden Fragen, mit denen sich nachdenkende Menschen beschäftigen, werden in diesem Buch behandelt und beantwortet. Wer sich gerne einmal sortieren möchte, kann dies mit Spinoza tun.
  • Ist auch für theologische oder philosophische Einsteiger lesbar und verständlich
    Spinoza schreibt sehr klar, sehr schnörkellos, sehr auf den Punkt. Seine Terminologie ist einfach. Er erklärt immer vorweg, was er zu tun beabsichtigt, legt seine Argumente offen und versetzt den Leser so in die Lage, selber zu Schlüssen zu kommen. Spinoza ist damit im allerbesten Sinn ein Autor der Aufklärung und ein Vertreter besten wissenschaftlichen Arbeitens. Es wäre toll, wenn alle Wissenschaftlicher und alle Philosophen heute so transparent und klar schreiben würden.
  • Macht keine faulen Kompromisse
    Es gibt nur wenige Tabus des späten 17. Jahrhunderts (und zum Teil der heutigen Zeit), die Spinoza nicht bricht. Er stellt alles in Frage und schaut, ob es einer nüchternen, logischen Betrachtung standhält. Propheten, Wunder, die Wahrheit der Bibel, Herrscher von Gottes Gnaden und viele(s) mehr werden nicht akzeptiert und als gegeben angenommen, sondern analysiert und hinterfragt. Spinoza räumt Fassaden weg und schaut, ob es eine Substanz gibt und wie sie aussieht.
  • Ist kein Theoretiker, sondern praxisorientiert, mit Umsetzung auch im eigenen Leben
    Spinoza baut keine theoretischen Konstrukte, deren abstrakte Schönheit nur von wenigen Eingeweihten im stillen Kämmerlein gewürdigt werden kann und die keinerlei Relevanz für die Realität haben. Auch Menschen sind für ihn nichts Abstraktes, sondern Lebewesen mit all ihrer Fehlbarkeit, Eitelkeit, Manipulierbarkeit, mit ihrer Hab- und Machtgier, mit ihren intellektuellen Begrenztheiten und der eigenen Selbstüberschätzung. Obendrein hat man Spinoza in seinem Leben zwar sonst alles Mögliche vorgehalten, musste aber – wie ein Kommentator schrieb – einräumen, dass er „not only preached a philosophy of tolerance and benevolence but actually succeeded in living it“. 
  • Ist ein sympathischer Mensch, der mit seinen eigenen Ängsten mutig umgeht
    Spinoza hat gewusst, welche Ablehnung, welche Anfeindung, welchen Hass dieses Buch in der Öffentlichkeit auslösen wird. Ein wenig ist er davor zurückgewichen durch den sperrigen Titel, durch anonyme Veröffentlichung. Aber er hat geschrieben, veröffentlicht und ausgehalten.
    Spinoza weiß, dass er zu den Schlauen gehört. Intellektuelle Arroganz ist ihm nicht fern. Zugleich kann er aber an völlig unerwarteten Stellen witzig sein und sich selbst in Frage stellen. Bertrand Russell ließ sich hinreißen, Spinoza als „the noblest and most lovable of the great philosophers“ zu bezeichnen. Oder – wie Gottlieb schreibt – „The worst anyone found to say about him, religious matters aside, was that he sometimes enjoyed watching spiders chase flies“. In der Tat kann man sich gut vorstellen, dass es ein Vergnügen gewesen wäre, ihn persönlich zu kennen, sich mit ihm zu unterhalten, eventuell sogar auf eine Party zu gehen (siehe oben).
  • Ist sogar im Original für Schul-Lateiner mit ein klein wenig Geduld ohne Weiteres zu verstehen!

Zwei Zitate zum Abschluss, eines zur Meinungsfreiheit, eines zu Spinoza:

„Gesetzt aber, diese Freiheit könnte unterdrückt und die Menschen könnten  in Schranken gehalten werden, daß sie nicht zu mucken wagten ohne Erlaubnis der höchsten Gewalten, so wird es doch sicherlich niemals dahin kommen, daß sie auch bloß so denken, wie die höchsten Gewalten es wollen. Die notwendige Folge wäre also, daß die Menschen tagaus, tagein anders redeten, als sie dächten, und damit würden Treu und Glaube, die dem Staate doch so nötig sind, aufgehoben (…). Aber weit entfernt, daß alle wirklich nur nach der Vorschrift redeten, würden die Menschen gerade um so hartnäckiger auf der Redefreiheit bestehen, je mehr man sie ihnen zu nehmen trachtete, und zwar nicht die Habgierigen, die Schmeichler und die anderen Menschen von ohnmächtigem Geist, deren größtes Glück es ist, das Geld im Kasten zu betrachten und sich den Bauch zu füllen, sondern gerade diejenigen, die ihre gute Erziehung, die Reinheit ihrer Sitten und die Tugend zu freieren Menschen gemacht haben.“

Und:
„Ich weiß, daß ich ein Mensch bin und daß ich habe irren können.“

Zur Überprüfung, wieweit das Schullatein noch reicht:
„Scio me hominem esse et errare potuisse.“

Gelesen (und zitiert) habe ich die zweisprachige Ausgabe von Gawlick und Niewöhner aus dem Jahr 1979.

The Mystery of the Portland Vase. Robin Brooks

Eine wertvolle Glasvase. In ihrem fast 2000 Jahre alten Leben zweimal in Fragmente zerlegt. Eine solche Vase verliert auch dann nicht ihren Wert: wenn sie die Portland Vase ist.

The Portland Vase: The Extraordinary Odyssey of a Mysterious Roman Treasure by [Brooks, Robin]

Kulturgeschichte eines Objekts

Robin Brooks erzählt die Geschichte der berühmten Vase durch die Geschichten ihrer illustren Besitzer und Besitzerinnen sowie der Künstler, die sie kopiert haben: ein Grabräuber, Kardinäle, Prinzessinnen und Herzoginnen, Diplomaten, Dukes, das British Museum. Auch ein Restaurateur kommt vor, der heimlich Splitter der Vase in einer Schachtel aufhob… Für jede Person, die die Vase besitzen wollte, war sie nicht nur begehrenswert schön. Sie war auch ruinös teuer.

Nachdem die Vase 2000 Jahre überstanden hatte, kam am am 1845 ein junger Ire ins Britische Museum, nahm ein antikes Marmor-Trümmerstück und schleuderte dieses auf die gläserne Vitrine mit der gläsernen Portland Vase. 2000 Jahre nach ihrer Entstehung bestand die Vase aus 200 kleinen Glasstückchen.

Besitzer

19 „Fragmente“ enthält das spannende Buch von Brooks. Jedes Fragment erzählt von einer anderen Phase in der Geschichte der Vase. Durch ihre Besitzer und deren Leidenschaften bekommt sie sozusagen Leben eingehaucht. Sie ist von Hand zu Hand gegangen. Kalt gelassen hat die Vase dabei offenbar selten.

„So the vase changed hands, and continued its journey down the river of history, its course following the currents of the great and the peculiar. It now passed from ist first attested owner (Kardinal Francesco Del Monte) to the second, and the second is one of the very greatest and most peculiar that it would encounter in its long career. In 1627, after the death of Francesco, the vase made a short journey from the Palazzo Madama to the Palazzo Barberini. This particular swirl of the current had at its centre Maffeo Barberini, known to posterity as Urban VIII. The vase’s career as a top-flight status symbol was only just beginning, and far from being used to illuminate the past, it was about to be mixed up in the most excessive social posturing imaginable, not to mention black magic and murder.“

Die berühmteste Kopie

Künstler wie Winckelmann, Keats und William Blake waren von der Portland Vase fasziniert. Am berühmtestes ist jedoch Josiah Wedgwood: Ihm gelang es, einen sensationellen PR-Coup zu landen, indem er die Vase kopierte. Mehr hierzu in unserer Besprechung einer Wedgwood-Biografie.

Herkunft der Vase

Die Portlandvase ist eine römische Amphore aus der Zeit von Augustus. Sie besteht aus dunkelblauem Glas, das mit einer Schicht aus weißem Glas überzogen wurde. In diese weiße Schicht wurden die Figuren hineingeschnitten. Sie ist heute etwa 25 cm hoch. Möglicherweise hatte sie ursprünglich einen höheren Fuß.

Die 200 Fragmente ihrer Zerstörung wurden wieder zusammengeklebt. Bis heute gab es zwei weitere Restaurierungen (1949 und 1989).

Was die abgebildeten Figuren bedeuten sollen, ist bis heute übrigens nicht ganz klar.

The Berlin novels. Christopher Isherwood

Die Berlin-Romane, das sind die autobiographischen Werke „Mr Norris changes train“ und „Goodbye to Berlin“. Geschrieben hat sie – und berühmt geworden ist durch sie – Christopher Isherwood (1904 – 1986), der von 1929 bis 1933 in Berlin lebte. „Mr Norris changes train“ erschien 1935, der zweite Roman vier Jahre später.

Auch wenn einem diese Romantitel wenig sagen, viele kennen das Muscial „Cabaret“, insbesondere als Oscar-gekrönten Film mit Liza Minnelli als Sally Bowles. Die Inspiration hierzu ist „Goodbye to Berlin“.
Original movie poster for Cabaret.jpg

Mit Isherwood hatte ich selbst nicht viel zu tun, schon gar nicht während meiner Schulzeit. Aufmerksam wurde ich auf ihn durch die DVDs „In their own words“ über englische Literatur des 20. Jahrhunderts. Hier fand ich sowohl ein Interview mit Isherwood als auch alles, was über „Mr Norris changes trains“ gesagt wurde, sehr faszinierend und anregend. Später las ich dann in John Careys „Pure pleasure:  a guide to the 20th century’s most enjoyable books“ erneut über Mr Norris. Danach habe ich das Buch bestellt.

Enttäuscht wurde ich nicht, im Gegenteil. Insbesondere in Mr Norris: Eine direkte, umstandslose Sprache – nuancierte, dreidimensionale Charaktere – arglose Beschreibungen verstörender Inhalte – ein spannender Plot, den man bis zum Schluss nicht ganz durchschaut – der Zeitbezug mit den Wirrungen der letzten Jahre der Weimarer Republik – und so gemacht und so gebaut, dass das Denken auf intelligente Weise angeregt wird.

Großes Kino also. Ab Szene 1, in dem der Ich-Erzähler im Zug das erste Mal Mr Norris trifft:
„My first impression was that the stranger’s eyes were of an unusually light blue. (…) They were the eyes of a schoolboy surprised in the act of breaking one of the rules. (…) he seemed not to have heard or seen me cross the compartment from my corner to his own, for he started violently at the sound of my voice (…). Smiling, anxious to reassure him, I repeated my question:
‚I wonder, sir, if you could let me have a match?‘
Even now, he didn’t answer at once. He appeared to be engaged in some sort of rapid mental calculation, while his fingers, nervously active, sketched a number of flurried gestures round his waistcoat. For all they conveyed, he might equally have been going to undress, to draw a revolver, or merely make sure that I hadn’t stolen his money. Then the moment of agitation passed from his gaze like a little cloud, leaving a clear blue sky. At last he had understood what it was that I wanted:
‚Yes, yes. Er – certainly. Of course.‘
As he spoke he touched his left temple delicately with his fingertips, coughed, and suddenly smiled. His smile had a great charm. It disclosed the ugliest teeth I had ever seen. They were like broken rocks.“

Careys letzter Satz in seinem Essay über „Mr Norris changes trains“:
„He prompts the thought that the face of evil is not monstrous or diabolic, but weak, self-seeking and a bit pathetic – not so very unlike our own.

Beide Romane gibt es auf deutsch: „Mr Norris steigt um“ und „Leb wohl, Berlin“.

The world of S J Perelman

John Careys beste Bücher des 20. Jahrhunderts hatten mich – wärmstens empfehlend! – auf Perelman aufmerksam gemacht: Einer der witzigsten Autoren überhaupt sei er!! Also habe ich mir diesen Band zugelegt als Best-of. Das Cover hätte mich warnen sollen: „Introduction by Woody Allen“…

Sidney Joseph Perelman (1904 – 1979) schrieb als Humorist viel für den New Yorker und wurde auch als Drehbuchautor der Marx-Brothers bekannt.

Der von mir zum Teil gelesene Sammelband bietet einen Überblick über seine gesamte literarische Schaffensperiode ab den 30er Jahren, allerdings jeweils ohne das Erscheinungsdatum zu nennen. Warum dies weg gelassen wurde, erschließt sich mir nicht.

Alle Erzählungen, Kurzgeschichten, Sketche zeugen von großer Intelligenz, ausgezeichnetem Sprachgefühl und noch größerer Fähigkeit zu Selbstironie. Gelungen sind sie schon irgendwie. Nur witzig finde ich die meisten nicht. Das kann aber auch an mir liegen…

Am Besten gefallen mir seine Beiträge, in der er sich mit Formulierungen der Werbung beschäftigt, indem er sie in echte, erfundene Dialoge einbaut:
(Scene: The combination cellar and playroom of the Bradley home in Pelham Manor. Mr. and Mrs. Bradley and their two children, Bobby and Susie, are grouped about their new automatic oil burner (…))
BOBBY – Oh, Moms, I’m so glad you and Dads decided to install a Genfeedco automatic oil burner and air conditioner with the new self-ventilating screen flaps plus finger control! It is noiseless, cuts down heating bills, and makes the air we breathe richer in vita-ray particles!
SUSIE – Think of it! Actual experiments performed by trained engineers under filtered water prove that certain injurious poisons formerly found in cellars are actually cut down to thirty-four percent by switching to Genfeedco!
MR. BRADLEY (tonelessly) – Well, I suppose anything’s better than a heap of slag at this end of the cellar.
MRS. BRADLEY – Yes, and thanks to Buckleboard, the new triple-ply, satin-smooth, dirt-resisting wall plastic, we now have an ugly little playroom where we can sit and loathe each other in the evening.“

Aber wie gesagt, ganz holt mich das alles nicht ab…

Murder on a Midsummer Night – A Phryne Fisher Mystery. Kerry Greenwood

Jung, reich, sexy und dann auch noch Detektivin. Das ist Phryne Fisher. Von ihrem Vater versehentlich statt nach einer Muse nach einer Hetäre benannt.

Das Versehens des Vaters hatte im Nachhinein seine Berechtigung, beschreibt eine Nebenfigur doch Phryne Fisher als eine Nymphomanin mit außergewöhnlicher Toleranz bei der Wahl ihrer Partner. Allerdings ist Pikanterie nicht alleiniges Merkmal der Fisher-Krimis. Es ist eher die Funktion eines Epos Australiens in Krimi-Form. Alle wesentlichen Themen der 1920er Jahre kommen vor in historisch korrekt recherchierter Weise: Tennis, Autorennen, Kleinflugzeuge, illegale Abtreibungen, Zirkus, Boxen, Varieté, Haute Couture, Frauenzeitschriften, Folgen des 1. Weltkriegs, Stummfilm ….

Trotz oder eher parallel zu diesen Themen bringt Greenwood die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen und -schichten in ihren Detektivgeschichten zusammen: Einwanderer aus China, Italien und Russland, jüdische Gemeinden, Aborigines, adelige Briten, schwarze Amerikaner, Lords, Küchenmädchen, Taxifahrer, Ladenbesitzer, Nonnen und und und.

Es entsteht das Bild vom Schmelztiegel Australien. Australien als Land, das vielen unterschiedlichen Menschen zur Heimat wurde und diese Vielfalt als Reichtum erlebt. Berühungsängste oder Standesdünkel hat Phryne Fisher nie. Ihre Erschafferin zeichnet sie als eine wahrhaft demokratische Figur.

Seit der außerordentlich erfolgreichen Verfilmung der Phryne Fisher-Romane sind auch die Unterschiede zwischen Büchern und Filmepisoden interessant. Die Phryne Fisher der Filme ist sexuell zurückhaltender, der wichigste Polizist, Detective Inspector Jack Robinson, wird aufgewertet zu einer passablen zweiten Hauptfigur, so dass eine Liebesgeschichte möglich ist. Die Bücher sind narrativ vielschichtiger und beleuchten oft in großer Detailtiefe Aspekte der historischen Entwicklung Australiens.

Nur als Beispiel möchte ich aus der Cover-Beschreibung von „Murder on a Midsummer Night“ zitieren: „Melbourne, 1929. The year starts off for glamorous private investigator Phryne Fisher with a rather trying heat wave and more mysteries than you could prod a parasol at. (…) „I must say Jack, I have been in some awful company before – I have dined with torturers and Apaches and strict Plymouth Brethren and politicians – but I never met such vile company as those people. Each in his or her own way, they were frightful.““

Beide, Filme und Bücher, sind ein Vergnügen.

Hier gibt es weitere Anregungen zu den besten unbekannten Krimis.

Empress of Rome: the life of Livia. Matthew Dennison

Livia, mit vollem Namen Livia Drusilla, Mitglied des römisch-republikanischen Uradels der Claudier, war die dritte Ehefrau von Augustus. Sie war eine der mächtigsten Frauen der römischen Welt.

Für damalige Verhältnisse lebte sie sehr lange, von 58 vor bis 29 nach unserer Zeitrechnung. Sie und Augustus scheint eine sehr enge und sehr vertrauensvolle Beziehung  verbunden zu haben: Obwohl aus ihrer Verbindung nicht der erwünschte Sohn hervorging, blieben sie 52 Jahre miteinander verheiratet. Für heutige Zeiten ungewohnt: In seinem Testament adoptierte Augustus nicht nur seinen Stiefsohn Tiberius als Sohn, sondern auch seine Ehefrau  als Tochter.
Die Nachfolger von Augustus als Kaiser von Rom – Tiberius, Claudius, Nero – sind also Livias leiblicher Sohn, Enkel und Urenkel.

Matthew Dennison hat eine – soweit ich weiß: die erste – Biographie über diese faszinierende Frau geschrieben.

Der Klappentext gibt einen guten Überblick:
„Empress of Rome is the fascinating biography of one of the most perplexing and powerful figures of the ancient world: the empress Livia. (…) Livia has been vilified by posterity (most notably by Tacitus and Robert Graves) as the quintessence of the scheming Roman matriarch, poisoning her relatives one by one to smooth her son’s path to the imperial throne.
In this elegant and rigorously researched biography, Matthew Dennison rescues the historical Livia from this crudely drawn caricature of the popular imagination. He depicts a complex, courageous and richly gifted woman whose true crime was not murder but the exercise of power, and who, in a male-dominated society, had the energy to create for herself both a prominent public profile and a significant sphere of political influence.“

Bestimmt war es nicht einfach, dieses Buch zu schreiben:

  • Livia spielt in den historischen Quellen selten die Hauptrolle. Fast immer wird sie in ein bestimmtes, meist ungünstiges Licht gerückt. Mit dieser schwierigen Quellenlage geht Dennison umsichtig und sensibel um. Er überinterpretiert nicht und macht deutlich, worauf seine eigenen Schlussfolgerungen basieren.
  • Die Rolle der Frau hat sich in den vergangenen zwei Jahrtausenden stark verändert. Vieles, was damals selbstverständlich war, ist uns heute komplett fremd. Hier gibt Dennison wichtige und anschauliche Informationen, so dass der Leser das Verhalten der Hauptpersonen gut einordnen kann.

Andererseits hat es bestimmt enormen Spaß gemacht, sich mit der Geschichte des iulisch-claudischen Herrscherhauses, seiner Angehörigen und ihres Umfelds zu beschäftigen. Cäsar, Augustus, Livia, Messalina, Nero, Kleopatra, um nur einige zu nennen, sind allesamt hochinteressante, oft auch hochintelligente, jedenfalls vielschichtige und bunt schillernde Persönlichkeiten.

Aber abgesehen davon, dass Dennison seinen Lesern das Leben Livias insgesamt nahebringt: Wie er das tägliche Leben einer Frau in den höchsten Kreisen des antiken Roms veranschaulicht, ist vielleicht der Aspekt, der dieses Buch am lohnendsten macht. Man erfährt viel über Kleidung, Eheschließung, Scheidung, Geburt der Kinder, Erziehung, Häuserkauf und -einrichtung, die Rolle der Frau in der Öffentlichkeit und andere Themen. Hierbei hilft natürlich auch, das zwei Wohnhäuser Livias, ihre eigene Villa in Prima Porta und ihr Haus auf dem Palatin, teilweise erhalten geblieben sind.

Einige Zitate zum Leben einer Frau in Rom, die vielleicht auch dazu dienen, einen Eindruck dieses gelungenen Buches zu vermitteln:

  • „Latin does not contain a word specifically for baby. While this should not be interpreted as proof that individual Romans were uninterested  in their Infant offspring, it is indicative of a broader detachment.“
  • „As with so many aspects of Roman women’s lives, our picture of daughters‘ education in the late Republic is a moth-picked patchwork. (…) women required at least basic literacy. In many upper-class families, among whom education was held in high esteem, women’s accomplishments extended far beyond the rudimentary. (…) Although traditionally Roman education for girls had emphasized moral virtues and skills that were predominantly domestic over academic accomplishments, by the end of the Republic, bilingualism was increasingly prevalent in senatorial nurseries. (…) Girls as well as boys learned both Greek and Latin.“

Auf italienisch und niederländisch gibt es Übersetzungen. Diese – oder das englische Original – sollte man nutzen. Es lohnt sich.

 

My name is book: an autobiography. John Agard

Ein erfreuliches Buch: leicht und flockig, voll kreativer Ideen und mit wunderbaren Illustrationen, inhaltsreich, ohne bedeutungsschwer zu werden, motivierend und amüsierend, nicht belehrend. Es macht – nicht nur Kinder und Jugendliche! – neugierig darauf, mehr über das Buch und seine Lebensgeschichte zu erfahren.

John Agard, geboren 1949 in Guyana, kann viel.

Er ist Dichter, Illustrator, Sachbuchautor. Die Liste der Veröffentlichungen von ihm oder mit seiner Beteiligung ist lang. Die seiner Auszeichnungen auch. In Deutschland ist er nicht unbekannt, da die Autobiographie des Buchs auch in deutscher Übersetzung (mit allen Illustrationen!) erschienen ist.

Als Beispiel ein Auszug aus dem Kapitel über Bibliotheken, überschrieben „The house of memory“:
„Well, as you know, there was and still is a place where you can borrow me for free and take me home, though if you Keep me too Long you have to pay what’s called overdues.
Such a place was called the ‚house of memory‘ by the Sumerians, ‚the healing place of the soul‘ by the Egyptians, and ‚an ocean of gems‘ by the Tibetans.
I’m talking about a library, of course.
As far back as I can remember, there were libraries. they grew as writing grew. Ges ago a librarian was known as the ‚keeper of tablets‘ and a library as the ‚house of tablets‘. takes me back to the days of writing on clay. One Assyrian king I knew then was such a keen collector of clay tablets, he even had had his own library with a built-in kiln for baking them. Talk about hot off the press!“

Dringende Empfehlung für alle Bibliotheken, dieses Buch. Und für die, die noch kein Bücher-Fan sind. Und für alle, die schon dazu gehören.

A Charming Place – Bath in the Life and Novels of Jane Austen. Maggie Lane

Jane Austen und Bath. Da kommen alle Klischee-Vorstellungen von vergangener Eleganz, von Reichtum und seiner Verschwendung. Allerdings, wer heute durch Bath schlendert hat Schwierigkeiten, in Mitten der Touristen-Ströme und Schnellrestaurants etwas zu finden, woran die eigenen Wunschvorstellungen sich halten können. Das muss nicht sein.

Das kleine Buch von Maggie Lane leistet Abhilfe: auf nur 100 Seiten bietet alles, was das Austen-Fan-Herz begehrt. Die Verbindung von Austens Aufenthalten in Bath wird dargestellt, die Szenen ihrer relevanten Romane nachvollzogen. Für uns moderne Touristen bietet das Büchlein noch zusätzlich Hilfreiches durch vier Karten der Innenstadt von Bath, in die auch heute verlorene Gebäude eingezeichnet sind, ein Register und schöne Illustrationen von Bridget Sudworth.

Bath spielt eine wichtige Rolle im Leben und im Werk von Jane Austen. Nach mehreren kurzen Besuchen, lebte sie dort von 1801 bis 1806. In zweien ihrer Romane – „Northanger Abbey“ und „Persuation“ – bietet Bath den Protagonistinnen das Setting zur Überprüfung ihrer Wertvorstellungen (Catherine Morland und Anne Elliot). Auch in weiteren Werken verweist die Autorin auf die Stadt.

Im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts wurde Bath als Termalbad und Kurort attraktiv bei „people of fashion and expense“. Die zweite Hälfte des Jahrhunderts war dann geprägt von einem wahren Bauboom. Allein zwischen 1780 und 1793 (das Jahr einer Finanzkrise, ausgelöste durch den Krieg mit Frankreich) wuchs die Stadt derart, dass die Anzahl von Häusern um 45% zunahm. Ab 1800 wurde weiter gebaut.  Die wichtigsten Archtekten waren die beiden John Wood, Vater und Sohn. Bath zeigt deshalb auch heute noch ein Stadtbild voller eleganter georgianischer Gebäude.

Warum nicht nächste Woche nach Bath reisen und – mit „A Charming Place“ in der Hand – auf den Spuren von Jane Austen wandeln?