Silberschön. Simone Schiffner-Backhaus

Dieses Buch war überfällig. Es geht um die wichtigen Fragen im Leben, beantwortet für und von Frauen über 60: Was macht mich aus – welche Bedeutung haben Kleidung und Schönheit – wie gehe ich mit dem Älter-Werden um – was sind meine Pläne für den nächsten Lebensabschnitt?

Silberschön: Inspirierende Ideen zu Mode, Kreativität und Perspektiven von Frauen über 60

Buchundsofa.de hat dieses Projekt von Anfang an begleitet. Wir sind gespannt, wie die Resonanz bei den Leserinnen und Lesern ist.

Mehr als 20 biographische Kurzporträts unterschiedlicher, sehr beeindruckender Frauen: eine Juristin, eine Schamanin, eine Modedesignerin, eine Tanzlehrerin, eine Politikerin, eine Hausfrau und Mutter und viele andere.

Mehr als 100 Fotos nicht nur der porträtierten Frauen von einer professionellen Fotografin, ganz ohne Glamour – und dadurch umso faszinierender. Dazu anregende Artikel rund um Mode, Älter-Werden und Weiblichkeit.

Eine abwechslungsreiche, inspirierende Mischung, die die Thematik aus unterschiedlichen Perspektiven in ihren vielfältigen Facetten ausleuchtet. Präsentiert auf ruhige, zugewandte Weise, die den Personen und Themen des Buchs Raum gibt und den Leserinnen (und Lesern!) Zeit zum Nachdenken.

Besonders nett: die ausgewählten Lebensweisheiten der porträtierten Frauen.

Ein Buch nicht nur für Frauen über 60.

The first ladies of Rome. Annelise Freisenbruch

Wer zum Jahreswechsel noch eine Portion Geschichte braucht und auch seine jährliche Dosis der Gala oder anderer Königs nahe stehender Publikationen noch nicht zu sich genommen hat, findet mit den Frauen im Kaiserhaus des alten Rom von Annelise Freisenbruch etwas, das beide Grundbedürfnisse des Menschen aufs Beste abdeckt.

Freisenbruch, Jahrgang 1977, klassische Philologin aus Cambridge, hat aus ihrer Doktorarbeit ein erstaunliches Buch gemacht. Sie beschäftigt sich mit den Frauen hinter den römischen Kaisern. Dabei deckt sie das gesamte Kaiserreich von Augustus bis zum Untergang des weströmischen Reichs im 5. Jahrhundert mit ihren wesentlichen Persönlichkeiten ab. Hauptpersonen sind z.B. Julia (Ehefrau von Augustus), Agrippina die Jüngere (Ehefrau von Claudius), Julia Domna (Ehefrau von Severus), Helena (Mutter von Konstantin) und viele mehr. Die jeweils relevanten Männer spielen in diesem Buch tatsächlich nur die Nebenrolle.

Damit gelingt Freisenbruch eine Sozialgeschichte der Frauen im Kaiserhaus mit vielen Details aus deren täglichen Leben, den Erwartungen der Öffentlichkeit, den Zwängen (und Freiheiten) ihrer Rolle. Obwohl die Kaiserfrauen in der antiken Geschichtsschreibung meist nur untergeordnet vorkommen und obendrein propagandistisch in sehr positives oder – häufiger – sehr negatives Licht gerückt werden, gelingt es der Autorin, jeweils ein gut ausbalanciertes, lebensrundes Porträt zu zeichnen. Gut ausgewählte Illustrationen leisten ebenfalls einen Beitrag, sich eine gute Vorstellung der handelnden Personen (und ihrer Frisuren) machen zu können.

Neben diesen inhaltlichen Aspekten ist bemerkenswert, wie gut Freisenbruch schreibt. Spannend, anschaulich, aber nie reißerisch. Sachlich, auch wissenschaftlich, aber nie langweilig.

Um eine Klippe kommt auch sie allerdings nicht herum. Vielleicht geht das auch gar nicht. Irgendwie scheinen in den einzelnen Kaiserdynastien immer alle recht ähnlich Namen zu haben, sind mit allen anderen auf vielfältige Art und Weise verwandt, verwitwet, geschieden, verheiratet… Gelegentlich schwirrt dem Leser (und möglicherweise auch der Leserin) da ganz schön der Kopf.  Und wie bei einer größeren Sylvesterfeier: je später am Abend (= in der Geschichte des Kaiserreichs), desto mehr. Im Kapitel über Galla Placidia (Mutter von Theodosius; hat ein berühmtes Mausoleum in Ravenna) habe ich jeweils den Überblick über die Kaiser- und Verwandtschaftsabfolge verloren. Vielleicht hätte ich in die Stammbäume blicken sollen, die Freisenbruch sehr hilfreich ganz an den Anfang stellt, dann wüßte man wahrscheinlich besser, auf welchem Ast man sich gerade befindet.

Aber wie gesagt, dieses Problem liegt in der Natur der Sache. Und ändert überhaupt nichts daran, dass Freisenbruch ein hochinteressantes, substantielles, lesbares und lesenswertes Buch gelungen ist, dem ein breiteres Publikum zu wünschen ist.

Wer mehr erfahren möchte: Ein anderes Buch über Livia, Gattin von Kaiser Augustus, wurde ebenfalls in diesem Blog (positiv!) besprochen.

Kaiserinwitwe Cixi. Jung Chang

Dieses Buch über Cixi, die letzte Herrscherin Chinas vor dem Ende des Kaiserreichs und dem Beginn des Kommunismus, habe ich mit großer Überraschung und viel Vergnügen gelesen.

Meine Erwartung war bereits recht hoch. Hatte ich doch früher schon ein anderes Buch der Autorin, „Wilde Schwäne, Die Frauen meiner Familie“, gelesen, ebenfalls eine Biographie, jedoch in diesem Fall über ihre eigene Familie. Damals fand ich, dass Jung Chang sehr informativ, einfühlsam und flott schreibt, und mir vorgenommen, bei Gelegenheit ein weiteres ihrer Bücher zu lesen.

Das Buch über Cixi, erschienen in englischer Sprache im Jahr 2013 (die deutsche Übersetzung folgte bereits 2014), beschäftigt sich mit einer Frau, die für mich bisher eher negativ besetzt war, die – wie ich dachte  und andernorts gelesen hatte – viel mit dem Scheitern zu tun hatte: Unter ihr ging es richtig bergab mit dem chinesischen Kaiserreich, intrigant, brutal und rücksichtslos, der Tradition verhaftet, eine Feindin jeglicher Modernisierung. Ein echtes Anti-Vorbild. Auch der aktuelle Wikipedia-Beitrag über die Qing-Dynastie widerspricht hier nicht….
Diese Sperrigkeit wurde vielleicht noch verstärkt, da Cixi auf praktisch keinem ihrer Fotos lächelt, und durch ihren Namen, bei dem man in Deutschland nicht so genau weiß, ob „Zicksi“ (?) oder „Kicksi“ (?)  ein schlechter Scherz sein soll oder ernst gemeint ist. Man redet mal besser nicht über sie, bevor man den Namen eventuell falsch ausspricht.

Nach dem Lesen dieses Buchs ist mein Bild Cixis deutlich anders. Nicht erfahren habe ich darin, dass die richtige Aussprache ihres Namens eine andere ist: 慈禧 spricht sich „zöchi“ aus, die erste Silbe mit der Stimme nach oben, die zweite erst tief, dann nach oben gezogen. Klingt ganz interessant. Die beiden Silben ihres Namens bedeuten „barmherzig, freundlich“ und „Glück“ – das wiederum steht auch im Buch.

Sehr überrascht war ich davon, dass Cixi – geboren 1835, gestorben 1908 – tatsächlich sehr viel dafür getan hat, China zu modernisieren. Sie hat vorangetrieben, dass Elektrizität, die Eisenbahn, Telegraphen und andere Erfindungen nach China kamen. Einige der unerfreulichsten körperlichen Strafen wurden von ihr abgeschafft und auch das Binden der Füße bei Frauen beendet. Sie war politisch sehr gewieft, obwohl sie als Frau de iure nicht regieren durfte. Meinungs- und Pressefreiheit wurden von ihr unterstützt und gefördert. Sogar die Umwandlung des Kaiserreichs in eine konstitutionelle Monarchie mit recht weitgehendem Wahlrecht hat sie auf den Weg gebracht – allerdings kam dann ihr Tod und anschließend die chinesische Republik dazwischen.
Eine Heilige war sie damit trotzdem nicht. Sie beging eine Reihe von fatalen Fehlern während des Boxeraufstands. Auch hat sie schon das eine oder andere Leben auf der Gewissen. Sicherlich aber viel weniger, als sonst damals bei Kaisers üblich (auch zum Beispiel bei deutschen Kaisers, die in China nicht gerade zur Imagepflege unterwegs waren….).

Eine sehr beeindruckende und auch sehr faszinierende Persönlichkeit also. Leider teilte sie lange das Schicksal vieler einflußreicher Frauen. Bereits zu Lebzeiten wollte man ihr viel Übles nachsagen, nicht nur in China. Und für die Chefs der chinesischen Republik und anschließend der heutigen Volksrepublik China musste sie als Feindbild herhalten und wurde nach Kräften schlecht gemacht.

Jung Chang hat sich die Mühe gemacht, umfangreiche Quellenforschung zu betreiben und dieses Bild gerade zu rücken. Das ist ihr gelungen, auch wenn  einige andere Forscher (weniger: Forscherinnen) ihren Schlussfolgerungen widersprechen. Und außerdem hat sie eine sehr vielschichtige, spannende und faszinierende Biographie über eine der einflußreichsten Persönlichkeiten Chinas geschrieben.

Wer mehr über China lesen möchte, kann auch hier schauen.

Alexander McQueen – Savage Beauty. Andrew Bolton

Alexander McQueen Savage Beauty herausgegeben von Andrew Bolton ist der Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Ausstellung von 2011, eröffnet weniger als ein und ein halbes Jahr nach McQueens Freitod. Diese Ausstellung war die zur damaligen Zeit meistbesuchte Mode-Ausstellung des New Yorker Metropolitan Museums. Kurator der Ausstellung, Andrew Bolton, gelang es, sich durch „Savage Beauty“ einen internationalen Namen als Mode-Kurator zu machen.

Mode als Kunst

Der Ausstellungskatalog thematisiert die Frage, wodurch Mode eine Berechtigung erhalten kann,  als „Kunst“ zu gelten.

Dementsprechend ordnen die Texte Kollektionen McQueens in den Kontext der Kunstgeschichte ein: Sie beleuchten die Quellen und die ästhetische Wirkung. Hierdurch arbeiten sie den Schönheitsbegriff McQueen heraus. Alle Texte von „Savage Beauty“ sind anspruchsvoll und sehr lesenswert. Herausragend sind hierbei das Vorwort von Andrew Bolton und die Einführung von Susannah Frankel. Beide Texte gehören zum intelletuell Anspruchsvollsten, was ich über McQueen bisher gelesen habe. Eine gute Ergänzung stellt das Interview von Tim Blanks mit Sarah Burton dar. Burton beschreibt hierin detailliert die Arbeitsweise McQueens, für deren Umsetzung sie mit verantwortlich war.

„The concept of the Sublime underlies the premise of the exhibition „Alexander McQueen Savge Beauty“, which explores McQueen´s profound engagement with Romanticism. For McQueen, the Sublime provided a connection between Romanticism and Postmodernism, principally expressed through the spectacle of his runway presentations and their aspirations to a heightened, unrestrained emotionalism“, so Bolton.

Keine Models sondern Puppen

Alle Fotos zeigen Designer-Stücke auf Puppen. Diese Darstellungsform wirkt zunächst verfremdend. Andererseits steht nicht das Spektakel einer Kollektion im Vordergrund; nichts lenkt mehr ab vom designten Kleidungsstück. Auf diese Weise werden die auch subtilen Varianten mehrere schwarzer Kleidungsstücke besser wahrnehmnbar und können in ihren Details gewürdigt werden. Ein kluges und anspruchsvolles Buch.

Weiter Bücher zu Alexander McQueen

 

H wie Habicht. Helen MacDonald

Die Bestseller und der Blogger

Die Verlage tun einiges, um dieses Buch – „H wie Habicht“ von Helen Macdonald – ramschig zu machen. Die englische Ausgabe prahlt mit „Costa Book of the Year“ auf dem Cover (Costa ist eine britische Coffee-To-Go-Kette). Die deutsche hält da mit: „Spiegel-Bestseller“, werden wir informiert. Für Leser wie mich, bei denen Bestsellerlisten ein skeptisches Lächeln im Gesicht auslösen, ist das natürlich nichts.
Falconer and Author Helen Macdonald on Dialogue - YouTube

Gekauft und gelesen habe ich es aber dann doch, allerdings erst, als es nicht mehr auf den Bestsellerlisten war (und obendrein gebraucht – reduziert das finanzielle Risiko, ein Buch gekauft zu haben, das mir dann wie erwartet nicht gefällt…). Gereizt hat mich das Thema: Mensch schafft sich einen Habicht an, richtet ihn zur Jagd ab und lernt sich dadurch selber besser kennen. Und die Kombination mit dem Bestsellertum: Wie kann so etwas in den Mainstream gelangen?

Helen Macdonald: Schreiberin von Naturthemen

Helen Macdonald, Jahrgang 1970, ist Wissenschaftshistorikerin an der Universität Cambridge und schreibt offensichtlich gerne über Naturthemen, insbesondere Greifvögel. Vor ihrem Habichtbuch, erschienen 2014, hat sie bereits eines über Falken geschrieben.
Helen Macdonald on What Falconry Can Teach Us About Our ...

„H wie Habicht“ ist, wie ich finde, ein sehr seltsames und äußerst bemerkenswertes Buch.

Autobiographie und Biographie und Kulturgeschichte und Ornithologie und….

  • Es ist ganz offensichtlich autobiographisch: Es geht um die Autorin selbst in dem Jahr nach dem Tod ihres Vaters, der eine große Rolle in ihrem Leben gespielt hat. Zusätzlich ist es auch fremd-biographisch: In diese Autobiographie eingewoben ist die Lebengeschichte von T.H. White, der heute am meisten  durch seine Bücher über die Artussage bekannt ist, ebenfalls einen Habicht abrichtete und darüber auch ein Buch geschrieben hat, welches Macdonald schon in jungen Jahren erstmalig las. White wird von Macdonald als psychisch schwer angeschlagen, fast pathologisch geschildert, eine weitere Parallele zu ihrer eigenen Verfassung nach dem Tod ihres Vaters. Beide werden außerdem  grundsätzlich als Menschen beschrieben, die eher für sich sind, keine Herdentiere.
  • Ornithologisch ist das Buch: Man erfährt viel über Habichte. Und kulturgeschichtlich , denn man lernt auch eine Menge über Falknerei in der Geschichte und in verschiedenen Kulturkreisen.

Die Autorin und der Habicht: eine gelungene Koexistenz

  • Das Buch kommt mit wenig aus. Zwei Hauptpersonen: Macdonald und White. Jeweils dazu: ein Habicht. Andere Menschen tauchen auf, aber immer nur vorübergehend, unwesentlich, Statisten. Auch der Plot ist einfachst: Vater gestorben – jungen Habicht gekauft und abgerichtet – gemeinsame Jagderlebnisse – vorübergehende Abgabe des Habichts zur Mauser.
  • Macdonald entgeht jeglicher Gefahr, den Habicht zu vermenschlichen. Ja, er (genauer: sie, mit Namen Mabel) ist ihr Gegenüber, ihre Partnerin in diesem Buch. Aber der Habicht ist eine Persönlichkeit für sich, definitiv kein Mensch, ganz anders, ganz Habicht. Diesen Greifvogel für sich zu lassen, ihn nicht zu vereinnahmen, ist vielleicht die größte Leistung von Macdonald in diesem Buch.

Schwebende Intensität

  • Getragen wird alles durch die Intensität, mit der Macdonald schreibt. Alles ist sehr real, unmittelbar. Man sieht den Habicht quasi vor sich, spürt sein Gewicht, seine Kraft, sieht seine Augen, seinen Schnabel, seine Klauen. Ebenso real sind erstaunlicherweise die Gedanken von Macdonald, ihre Gefühle, ihr Verhältnis zum Habicht, ihr Nachdenken über sich, das Leben, die Umwelt, ihren Vater.
  • So real dies alles ist, so schwebend, so atmosphärisch bleibt es gleichzeitig. Alles ist wie in einem Morgennebel im Herbst im Fenland um Cambridge, wenn man mit sich und seinem Habicht allein ist, es riecht nach Holzfeuer und feuchtem Laub.

Ach so, fast vergessen, Empfehlung natürlich. Ist doch klar. Sonst hätte das Buch doch nicht den Samuel-Johnson-Preis gewonnen.

How to Train Your Raptor | The New Yorker

Alexander McQueen – The Life & the Legacy. Judith Watt

Laut Economist das beste Buch über den Mode-Designer Alexander McQueen. „Alexander McQueen – The Life & the Legacy“ von Judith Watt, Ersterscheinung 2012,  bietet einen guten Überblick über das Leben, die Inspirationsquellen und die Mode von McQueen.

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Mode – schön und schrecklich

Hochgejubelte Mode-Designer hatten mich bisher nicht heftig interessiert…

Bis ich ein Foto sah, das ein Model in unförmigem schwarzen Federkleid zeigte, der Mund rot überschminkt zu einem großen Oval. Die Wirkung des Fotos: schrecklich schön. Dieses Foto ist nicht das einzige, das eine faszinierende, verstörende Wirkung auslöst. Die Themen der Kollektionen spiegeln dies wieder, wie zum Beispiel:

  • Jack the Ripper stalks his victims
  • Nihilism
  • The hunger
  • It´s only a game
  • Widows of Culloden
  • Plato´s Atlantis

Judith Watt teilt die einzelnen Kollektionen in Phasen ein und bietet auch jeweils eine knappe Deutung der Kollektionen an. Die Kombination aus Fotos der Stücke plus Ansätzen zu ihrer Interpretation hat mich überzeugt.

Bildergebnis für Alexander McQueen

Alexander McQueens  Geheimnis

Da ist etwas bei McQueen, was weit über konventionelle Schönheit hinausgeht. Etwas, das Lebenslust und Düsterkeit, Schönheit und Vergänglichkeit zusammenbringt. Etwas, das zwingt, bisherige Vorstellungen über das „Schöne“ zu überdenken. Das somit auch den Balance-Akt visuell verdeutlicht, immer wieder außergewöhnliche, nie dagewesene Ideen zu präsentieren und – einen Markt zu bedienen. Deshalb faszinierend. Nur wiedergeben kann ich die immer wieder gemachte Äußerung von Mode-Experten, dass McQueen seine außerordentlich kreativen Ideen mit ebenso außerordentlicher Schneider-Kunst kombinieren konnte.

Bildergebnis für Alexander McQueen

Aufbau von „Alexander McQueen – The Life & the Legacy“

Das Buch ist chronologisch aufgebaut, Leitplanken sind biografische Meilensteine und Shows, jeweils zusammengefasst zu einem übergreifenden Thema wie zum Beispiel „From Savile Row to Central Saint Martin’s“ oder „The Gucci Years“. Weiterhin gibt es zu jedem Kapitel Bilder der Kollektionen, Fotos von McQueen und Freunden sowie einen kurzen Text. Außerdem bieten das Vorwort von Daphne Guinness, ein zweites Vorwort der Autorin und  eine Einleitung einen unkomplizierten, jedoch sachkundigen Einstieg in „McQueen“.

Weitere Bücher zum Thema

Mode

Galliano und McQueen

Galileo: watcher of the skies. David Wootton

Galileo Galilei: Inquisition, der schiefe Turm von Pisa, vor Newton der Gigant der Naturwissenschaften. Ein tolles Thema.
Die Anfänge der Festigkeitslehre bei Galilei › momentum › Historie

David Wootton: wie es heißt, einer der großen Intellektuellen unserer Zeit, äußerst bewandert in der Geschichte der Naturwissenschaften vom 16. bis 18. Jahrhundert. Eine tolle Kombination.

Leider jedoch schreibt Wootton anscheinend abwechselnd wirklich ausgezeichnete und dann eher mäßige Bücher. Wenn man das weiß, kann man entsprechend auswählen und jedes zweite seiner Bücher weglassen. Wusste ich aber nicht…

Und daher war mein Leseglück mit Wootton recht unbeständig.
„The invention of science: an new history of the scientific revolution“, erschienen 2016, fand ich sehr gut, anregend und überzeugend.  „Power, pleasure and profit: insatiable appetites from Machiavelli to Madison“ dagegen, Erscheinungsjahr 2018, wirkte etwas patchwork-artig aus Vorlesungen zusammengenäht, wenn auch mit wirklich guten einzelnen Highlights. Dann „Bad medicine: doctors doing harm since Hippocrates“, erschienen 2006, wieder in der Genuß-Kategorie.

Woottons Biographie über Galileo Galilei erschien 2010. Das konnte – rückblickend, in Kenntnis der Reihe – natürlich nichts werden.

So war es dann auch. Der Fairness halber muss ich aber auch wieder eingestehen, dass ich das Buch nicht ganz gelesen habe. Vielleicht wäre es noch besser geworden. Allerdings habe ich deutlich mehr als ein Drittel geschafft, also für die mathematisch Bewanderten unter uns (und andere interessieren sich ja wahrscheinlich nicht für Galileo): fast 50%.
Lunar Archives: Galileo's Sidereus Nuncius 3rd Edition

Mein Fazit bis dahin: Kenntnisreich, belesen auf der Habenseite. Besserwisserisch (ich hab’s zuerst entdeckt!), detailverliebt und linienlos, uninspiriert und langweilig beim Soll. Ich bin mit großem Interesse an Galileo gestartet, aber bereits vor seinem Prozess mit der Inquisition etwas schläfrig ausgestiegen.

Schade, denn Galileo war bestimmt eine faszinierende Persönlichkeit. Aber kein Grund zu verzweifeln: Denn wer mehr über ihn wissen möchte, ist bei Wikipedia ganz gut aufgehoben – dort wird Woottons Biographie übrigens nicht erwähnt, auch nicht in der englischen Version. Das hätte mich warnen können….
Galileo's Leaning Tower of Pisa experiment Pisa International ...

Chanel – Couture and Industry. Amy de la Haye

Chanel – Couture and Industry von Amy de la Haye bietet den guten Überblick zu Coco Chanel, den man von einer Professorin für Dress History am Londoner College of Fashion erwarten würde. Geschrieben hat sie das Buch für das Victoria and Albert Museum.

Chanel: Couture and Industry

Der Inhalt

„Chanel“ ist eine kurze Zusammenfassung über Leben und Werk von Gabrielle Chanel (1883-1971) sowie ein Abriss zur Marke Chanel. Das Buch liest sich kurzweilig, ist informativ und schön passend bebildert. Viele inhaltlich Aspekte waren neu für mich.

Die Vorteile

„Chanel“ ist chronologisch gegliedert, die Aufmachung ist übersichtlich. Es berücksichtigt viele Aspekte und stellt dabei auch die Quellenlage gebührend dar: fast keine Eigenzeugnisse, aber viele Menschen die über Chanel geschrieben haben, sie gemalt und fotografiert haben. Viele der beeindruckenden Fotos sind im Buch abgebildet zum Beispiel von Horst P. Horst.

Das Buch zeigt ihre Art, Business zu betreiben, Lippenstift und Parfüm dafür zu nutzen, zusätzliche Einnahmen und Markenbekanntheit zu generieren. Es skizziert den ungeheuren finanziellen Erfolg einer Frau, der nicht in die Wiege gelegt worden war, die Mächtigen und Reichen nicht nur zu kennen, sondern anzuziehen.

Das Nicht-so-Vorteilhafte

Das Buch von de la Haye enthält kaum übergreifende Einordnungen in den historischen Kontext. Es konzentriert sich auf die Person Chanel, deshalb kommt Kontext eher am Rande vor, sogar bei der Modegeschichte. Warum Chanel derart erfolgreich war, bleibt deshalb etwas abgekapselt für sich stehen; Beweise für den phänomenalen Erfolg bietet es, doch wenige Gründe. Die Weltgeschichte, die anderen Designer, die Konsequenzen der wachsenden Modeindustrie bleiben blass. Das letzte Kapitel zu Chanel nach Chanel wirkt wie ein Werbeprospekt für Karl Lagerfeld…

Dennoch ist es ein gutes und vergnügliches Einsteiger-Buch.

Johnson’s life of London. Boris Johnson

Boris Johnson ist aktuell einer der Politiker, über die viel gesprochen und viel geschrieben wird. Die Wettbüros handeln ihn mit deutlichem Abstand als Favoriten für die Position des Partei- und Regierungschefs der Konservativen in Großbritannien. Er hat ganz ausgeprägte Fans und ganz ausgeprägte Gegner. Nur kalt lassen tut er anscheinend wenige. Hier bei uns in Deutschland scheint mir die veröffentlichte Meinung überwiegend kritisch oder negativ. Er sei zwar kein Donald Trump, gehöre aber in dieselbe Schublade populistischer, verantwortungsloser, gefährlicher Politiker. Ihm gehe es nicht um Großbritannien, auch nicht um seine Partei, sondern zu allererst um sich selbst.
Brexit: Hardliner Boris Johnson will Zahlung an die EU zurückhaltenMay's Brexit deal has reached the end of the road: Boris Johnson ...Thank Fucking God Boris Johnson Is NOT Going To Run For Prime ...

Da ich zufällig ein bereits gelesenes (immerhin!) Buch von ihm entdeckt habe, wollte ich mir selbst ein Urteil bilden. Sein Thema: London. Erschienen: 2011. Damals war Boris Johnson Bürgermeister dieser Stadt. Gestern habe ich die letzte Seite dieses Buchs über London und Menschen, die diese Stadt geprägt haben, fertig gelesen. Heute also mein Beitrag.

Zunächst – wer sich intensiv mit Boris Johnson beschäftigt, wird’s ahnen – eine Ungeschicklichkeit meinerseits: Dieser Beitrag erscheint etwas zu früh.

Wenn ich noch bis zum 19. Juni hätte warten wollen, wäre es ein Geburtstagsbeitrag geworden, denn an diesem Tag des Jahres 1964 wurde Alexander Boris de Pfeffel Johnson in Manhattan/New York geboren. Dass er damit auch die amerikanische Staatsbürgerschaft hat, war mir neu. Ebenfalls neu für mich, dass er nicht nur in Eton zur Schule und in Oxford zur Universität ging, sondern auch die European School in Brüssel besucht hat. Insgesamt war sein Leben bisher in etwa so wild wie seine Frisur ungekämmt.

Buchtitel und Einband haben zunächst einmal meine durch die Medien geprägten Vorurteile bestätigt (gelesen habe ich die Nummer drei).
Johnson's Life Of London: The People Who Made The City That Made ...Johnson's Life of London: The People Who Made the City that Made ...Johnson's Life of London..., by Boris Johnson - review | London ...

  • Mit dem Titel „Johnson’s life of London“ rückt sich Johnson in die Tradition von James Boswell und Samuel Johnson (Boswell schrieb „Boswell’s life of Johnson“). Bescheiden ist das nicht, denn Samuel Johnson ist eine der intellektuellen und kulturellen Größen der englischen Vergangenheit.
  • Abgebildet auf dem Einband ein Fahrrad mit 16 Sitzen und 15 Fahrradfahrern: Im Buch beschäftigt sich Boris Johnson mit mehr als 14 Personen, nicht alle haben es also aufs Fahrrad geschafft – die Nummer 15 ist er selbst, natürlich ganz vorne. Hier lenkt der Chef, mit grünen Socken, lila Krawatte und dazu passendem Jacket-Innenfutter. Auch hier also keine übertriebene Zurückhaltung Johnsons.

Das Buch selbst hat mich aber dann doch überrascht. Ich habe es sehr gerne und mit Genuß gelesen. Die Gründe?

  • Die Auswahl der Personen kombiniert die üblichen Verdächtigen wie Chaucer, Shakespeare oder Churchill mit überraschenden Namen wie Keith Richards, William Turner oder William Stead (schon einmal etwas über ihn gehört?).
  • Johnson schreibt wohl-recherchiert. An der einen oder anderen Stelle meinte ich, ihn bei falschen Fakten ertappen zu können. Leider hatte er jeweils recht, ich nicht.
  • Nicht umsonst war Johnson Präsident der Oxford Union. Er kann zweifellos schreiben, flüssig, intelligent, spannend, lebendig, anregend, charmant und humorvoll. Sowohl aufgeblasen wie unprätentiös. Sein Englisch-Buch kennt viele Worte, für die man im Oxford English Dictionary nicht viele Belege findet.
  • Die Eitelkeit Johnsons wird schon immer wieder deutlich, aber letztlich viel weniger als erwartet, eher als „ich war dabei“ statt „ich hab’s geleistet“. Auch Belege für Rassismus oder Antisemitismus, die ihm gelegentlich vorgeworfen werden, habe ich nicht gefunden, auch wenn er sicherlich den einen oder anderen Vorbehalt zum Beispiel gegenüber Deutschland zu haben scheint.

Zwei Aspekte zusätzlich: Johnson und der Populismus – und natürlich Johnson und der Brexit.
I cannot stress too much that Britain is part of Europe – and ...

Zuerst der Populismus, anhand einer Passage zu John Wilkes, einem ebenfalls unter Populismus-Verdacht stehenden Briten des 18. Jahrhunderts:
„I have a terrible feeling that as a fifteen-year old I wrote a pompous essay on Wilkes (…). Thankfully the document has been lost, but the gist was that Wilkes was a berk, a second-rate chancer, an opportunist, an unprincipled demagogue who floated like a glittering bubble on a wave of popular sentiment that he did not really share. It may be that in some places that is still the conventional opinion.
If so, it is wrong. It is not just that I have come to admire Wilkes for his courage and his dynamism and his boundless animal spirits. Any sober assessment of his work confirms that he really was as his adoring crowds saw him – the father of civil liberty. He not only secured the right of newspapers to report the proceedings of the House of Commons, he was the first man to stand up in Parliament and urge explicitly that all adult males – rich or poor – should be allowed to vote.“

Und Brexit? Hierzu eine Passage aus dem Shakespeare-Kapitel zur Schlacht zwischen England und Frankreich bei Agincourt unter Heinrich V. und zur spanischen Armada:
„If the Spanish tried to invade again, they would find a nation prepared to defeat overwhelmingly more numerous foes – just as the English had done at Agincourt. ‚We few, we happy few! We band of brothers!‘ says the king on the eve of the battle, setting up an English idea of the heroic ratio – few against many – that was to serve England well through the Napoleonic period and into the Second World War.“

Unterschätzen sollte man Johnson nicht. Wer sein Kapitel über Winston Churchill liest, kennt sein politisches Vorbild. Gut, wenn er das Richtige will, denn er kennt viele Mittel für seine Zwecke. Und immer gut für einen Scherz und das passende Foto. Mit Theresa May nicht zu vergleichen.
Life's Work: An Interview with Boris Johnson

Gods and Kings – The Rise and Fall of Alexander McQueen and John Galliano. Dana Thomas

Gods and Kings von Dana Thomas: Inhalt dieses flott geschriebenen, spannenden Buchs von Dana Thomas? Auf den Punkt gebracht ist das Thema, wie die heutige Mode-Industrie wurde, wie sie ist. Wer die Player waren, was diese wollten. Und welcher Leistungen von herausragenden Designern sie sich bedienten, um ihre Ziele zu erreichen.

Gods and Kings. Dana Thomas,. Taschenbuch - Buch

John Galliano und Alexander McQueen

Am Beispiel von John Galliano und Alexander McQueen, zweien der berühmtesten Mode-Designern der späten 80er und 90er Jahre, zeichnet Dana Thomas die Rahmenbedingungen für den Aufstieg zu „Kings“ des Mode-Designs nach und dann den Fall aus ganz größer Höhe.

Bildergebnis für Dana Thomas gods and kings

Mode – vom Familien-Unternehmen zum Mischkonzern

In den 80er Jahren begann Bernand Arnault damit, sich ein Luxus-Konglomerat zusammenzukaufen: LVMH, Louis Vuitton, Moet & Chandon sowie unter anderem Guerlain, Givenchy und Dior. Den Modehäusern Dior und Givenchy ging es wirtschaftlich nicht besonders gut; althergebrachte, traditionelle Leitfiguren der Häuser wurden älter… Arnault schien dies der günstige Moment, in das Luxus-Mode-Segment einzusteigen. Kaum getan, verfolgte er die Strategie Wachstum plus Gewinn-Maximierung. Haute Couture war zuvor immer noch eine stark handwerkliche Profession, die Qualitätsarbeit für eine kleine Kunden-Gruppe lieferte. Arnault ging es darum, Marken aufzubauen, dafür brauchte er Aufmerksamkeit. Diese allein konnte sicherstellen, einen Massenmarkt mit Handtaschen, Parfüm und Lippenstiften zu erreichen. Also? Er stellte die schrägsten, umstrittensten, skandalträchtigsten, begabtesten Talente des Mode-Designs ein: Galliano für Dior, McQueen für Givenchy.  Die Rechnung ging auf. Es wurde viel Geld verdient. Arnault war der „Gott“.

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Geld, Gestaltungsfreiraum und – Pakt mit dem Teufel?

Den beiden Designern war bewusst, wieweit sie benutzt wurden. Nach einer Kollektion ließ Galliano einen Mitarbeiter auftreten, der eine Marionette mit Gallianos Aussehen an der Hand führte. Die Puppe verbeugte sich und nahm den Applaus entgegen. Späte Kollektionen McQueens trugen zum Beispiel Titel wie „Merry-go-round“ oder „Out there is a jungle“ oder „Widows of Culloden“, mit Verletzbarkeit und Tod als düsteren Themen.

Aufstieg zu ungeheurer Berühmtheit, Leben in Luxus als die „Kings“ der internationalen Mode-Szene, allerdings mit dem Druck, teilweise über 20, in einigen Jahren 32 Kollektionen im Jahr entwickeln zu müssen. Alkohol- und Drogen-Exzesse waren die Folge. „Alexander McQueen is unquestionably the most gifted, influential and innovative fashion designer this country has produced since John Galliano“, so die Mode-Redakteurin des britischen Guardian, Alix Shakey.

Bildergebnis für alexander mcqueen savage beauty

2010 erhängte sich Alexander McQueen im Schrank seiner Londoner Wohnung. Galliano wurde 2011 als Chefdesigner von Dior gefeuert, nachdem er im Zustand völliger Betrunkenheit öffentlich anti-jüdische Äußerungen von sich gegeben hatte und dabei gefilmt worden war.

Bildergebnis für Dana Thomas gods and kings

Ein unbedingt lesenswertes Buch für alle, die verstehen wollen, wie es zur heutigen Fast-Fashion Massenmode kam. Ein Muß deshalb nicht nur für Mode-Fans.

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