Silberschön. Simone Schiffner-Backhaus

Dieses Buch war überfällig. Es geht um die wichtigen Fragen im Leben, beantwortet für und von Frauen über 60: Was macht mich aus – welche Bedeutung haben Kleidung und Schönheit – wie gehe ich mit dem Älter-Werden um – was sind meine Pläne für den nächsten Lebensabschnitt?

Silberschön: Inspirierende Ideen zu Mode, Kreativität und Perspektiven von Frauen über 60

Buchundsofa.de hat dieses Projekt von Anfang an begleitet. Wir sind gespannt, wie die Resonanz bei den Leserinnen und Lesern ist.

Mehr als 20 biographische Kurzporträts unterschiedlicher, sehr beeindruckender Frauen: eine Juristin, eine Schamanin, eine Modedesignerin, eine Tanzlehrerin, eine Politikerin, eine Hausfrau und Mutter und viele andere.

Mehr als 100 Fotos nicht nur der porträtierten Frauen von einer professionellen Fotografin, ganz ohne Glamour – und dadurch umso faszinierender. Dazu anregende Artikel rund um Mode, Älter-Werden und Weiblichkeit.

Eine abwechslungsreiche, inspirierende Mischung, die die Thematik aus unterschiedlichen Perspektiven in ihren vielfältigen Facetten ausleuchtet. Präsentiert auf ruhige, zugewandte Weise, die den Personen und Themen des Buchs Raum gibt und den Leserinnen (und Lesern!) Zeit zum Nachdenken.

Besonders nett: die ausgewählten Lebensweisheiten der porträtierten Frauen.

Ein Buch nicht nur für Frauen über 60.

The first ladies of Rome. Annelise Freisenbruch

Wer zum Jahreswechsel noch eine Portion Geschichte braucht und auch seine jährliche Dosis der Gala oder anderer Königs nahe stehender Publikationen noch nicht zu sich genommen hat, findet mit den Frauen im Kaiserhaus des alten Rom von Annelise Freisenbruch etwas, das beide Grundbedürfnisse des Menschen aufs Beste abdeckt.

Freisenbruch, Jahrgang 1977, klassische Philologin aus Cambridge, hat aus ihrer Doktorarbeit ein erstaunliches Buch gemacht. Sie beschäftigt sich mit den Frauen hinter den römischen Kaisern. Dabei deckt sie das gesamte Kaiserreich von Augustus bis zum Untergang des weströmischen Reichs im 5. Jahrhundert mit ihren wesentlichen Persönlichkeiten ab. Hauptpersonen sind z.B. Julia (Ehefrau von Augustus), Agrippina die Jüngere (Ehefrau von Claudius), Julia Domna (Ehefrau von Severus), Helena (Mutter von Konstantin) und viele mehr. Die jeweils relevanten Männer spielen in diesem Buch tatsächlich nur die Nebenrolle.

Damit gelingt Freisenbruch eine Sozialgeschichte der Frauen im Kaiserhaus mit vielen Details aus deren täglichen Leben, den Erwartungen der Öffentlichkeit, den Zwängen (und Freiheiten) ihrer Rolle. Obwohl die Kaiserfrauen in der antiken Geschichtsschreibung meist nur untergeordnet vorkommen und obendrein propagandistisch in sehr positives oder – häufiger – sehr negatives Licht gerückt werden, gelingt es der Autorin, jeweils ein gut ausbalanciertes, lebensrundes Porträt zu zeichnen. Gut ausgewählte Illustrationen leisten ebenfalls einen Beitrag, sich eine gute Vorstellung der handelnden Personen (und ihrer Frisuren) machen zu können.

Neben diesen inhaltlichen Aspekten ist bemerkenswert, wie gut Freisenbruch schreibt. Spannend, anschaulich, aber nie reißerisch. Sachlich, auch wissenschaftlich, aber nie langweilig.

Um eine Klippe kommt auch sie allerdings nicht herum. Vielleicht geht das auch gar nicht. Irgendwie scheinen in den einzelnen Kaiserdynastien immer alle recht ähnlich Namen zu haben, sind mit allen anderen auf vielfältige Art und Weise verwandt, verwitwet, geschieden, verheiratet… Gelegentlich schwirrt dem Leser (und möglicherweise auch der Leserin) da ganz schön der Kopf.  Und wie bei einer größeren Sylvesterfeier: je später am Abend (= in der Geschichte des Kaiserreichs), desto mehr. Im Kapitel über Galla Placidia (Mutter von Theodosius; hat ein berühmtes Mausoleum in Ravenna) habe ich jeweils den Überblick über die Kaiser- und Verwandtschaftsabfolge verloren. Vielleicht hätte ich in die Stammbäume blicken sollen, die Freisenbruch sehr hilfreich ganz an den Anfang stellt, dann wüßte man wahrscheinlich besser, auf welchem Ast man sich gerade befindet.

Aber wie gesagt, dieses Problem liegt in der Natur der Sache. Und ändert überhaupt nichts daran, dass Freisenbruch ein hochinteressantes, substantielles, lesbares und lesenswertes Buch gelungen ist, dem ein breiteres Publikum zu wünschen ist.

Wer mehr erfahren möchte: Ein anderes Buch über Livia, Gattin von Kaiser Augustus, wurde ebenfalls in diesem Blog (positiv!) besprochen.

Big sister, little sister, red sister. Jung Chang

Gerade vor wenigen Tagen habe ich schon ein Buch von Jung Chang besprochen, ihre Biographie über die chinesische Kaiserinwitwe Cixi. Als ich damit fertig war, sah ich, dass gerade ein neues Buch von Chang erschienen ist. Die Mehrfachbiographie zur Übergangszeit zwischen Qing-Dynastie und kommunistischer Regierung in China hat drei Schwestern der Familie Song, die Song-Schwestern, zum Thema.

Song Ailing, die älteste der Song-Schwestern, wurde zu einer der reichsten Frauen Chinas. Song Qingling, die mittlere Schwester (im Buchtitel die rote Schwester, da Kommunistin), heiratete Sun Yatsen und wurde später unter Mao Vizepräsidentin Chinas. Song Meiling, die jüngste, heiratete Chiang Kaishek und wurde dadurch ebenfalls zu einer First Lady in China. Alle kamen also groß heraus – und alle standen politisch weit voneinander entfernt.

Eingewoben in diese Dreier-Biographie der Song-Schwestern sind noch zwei weitere: über Sun Yatsen und über Chiang Kaishek. Mao wäre wahrscheinlich noch dazu gekommen, aber über den hat Chang gemeinsam mit ihrem Ehemann schon eine separate Biographie geschrieben. Der Gatte der ältesten Schwester dagegen bot offensichtlich nicht genügend Stoff, um ihm deutlich mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Auch in diesem Buch gelingt es Chang, ihre Leser (und Leserinnen) zu fesseln. Sie schreibt unverändert flott, spannend und einfach. Der Gefahr, sich in den Wirren der Zeit und in den sehr unterschiedlichen Charakteren zu verheddern und den Überblick zu verlieren, entgeht sie souverän: Das Buch ist sehr gut und geschickt strukturiert.

Wie schon in der Biographie über Cixi war ich erstaunt, wie wenig ich tatsächlich über diese Zeit wusste und wie stark meine Meinungen durch Meinungsmache (nicht nur seitens Chinas) beeinflusst waren. Allein schon dafür, hier etliches gerade oder zumindest in ein anderes Licht zu rücken, gebührt Chang viel Dank.

Trotz all dieser positiven Aspekte war ich beim Lesen immer wieder etwas genervt und unzufrieden.

  • Mich hat gestört, dass Chang mit mehr als einem Hauch von Selbstzufriedenheit immer wieder auf ihre eigene Biographie über Mao verweist.
  • Und ich hatte den Eindruck, dass Chang gelegentlich einem Hang zu Klischees erliegt, dass sie eine Neigung dazu hat, ihre Hauptpersonen zu stilisieren. Ich bin mir zum Beispiel sicher, dass sie Sun Yatsen nicht schätzt – aber weiß nicht, ob er wirklich so ausschließlich egoistisch und opportunistisch war, wie sie ihn darstellt. Auch ist mir nicht klar, ob Chang die Meinung hat, Frauen sind nur als Mütter glücklich, und so den Kummer der Kinderlosigkeit in die mittlere und jüngste Schwester hineininterpretiert – oder ob dieser Kummer tatsächlich durch Quellen belegbar ist. Jedenfalls zwischenmenschelt es in diesem Buch überraschend häufig.
  • Außerdem erzählt Chang so, als ob es praktisch keine Zweifel gäbe. So, wie sie es erzählt, muss es gewesen sein. Für sie ist die Quellenlage immer eindeutig. Und das stimmt einen ein wenig skeptisch.

Dennoch, in Summe einen lohnendes und spannendes Buch. Aber vielleicht sollte man auch noch einen anderen Autoren zum Vergleich lesen.

Frauen im Mittelalter. Edith Ennen

Frauen im Mittelalter ist Thema und Titel des Buchs von Edith Ennen.

Die Autorin beschreibt darin den Alltag von Frauen in Klöstern und Stiften, sie rekonstruiert ihr Leben in Stadt und auf dem Land als Adelige, als Kauffrauen oder als Bäuerinnen. Detailliert geht sie der Frage nach, welche rechtliche Stellung Frauen hatten. Hierfür beschreibt sie regional und zeitlich unterschiedliche Konzepte zum Erbrecht und dazu, wieweit Frauen eigenständig als Personen ohne einen männlichen Vertreter handeln konnten.

„In besonderem Maß waren die Frauenklöster aber doch Stätten der Bildung. Der Anteil von Frauen am geistigen Leben ist im frühen Mittelalter sehr hoch, ja er übertrifft mitunter den männlichen.“

Bildergebnis für Frauen im Mittelalter

Frühes, mittleres und spätes Mittelalter

„Frauen im Mittelalter“ ist in die Zeiten frühes, hohes und spätes Mittelalter geteilt.  Einen Schwerpunkt, der sich durch alle drei Zeitabschnitte zieht, bilden die Frömmigkeitsbewegungen von Frauen im Mittelalter und die jeweilige rechtliche Position von Frauen.

„Die besondere städtische Entwicklung müssen wir auch im Rahmen der allgemeinen Fortbildung der Familien- und Eherechtes sehen. Bis zum 12. Jahrhundert hat sich in Mitteleuropa die Konsensehe durchgesetzt. In Randzonen, in Nordeuropa z. B., hält sich noch älterer Rechtsbrauch. Das norwegische Birkinselrecht – Marktrecht – kennt noch den vom Bräutigam zu zahlenden „mundr“ als Ablösung der Rechtsvertretung, die von Verheirater auf den Bräutigam übergeht.“

Umfangreiche Einleitung in das Mittelalter

Das Buch ist bereits etwas in die Jahre gekommen; die zweite Auflage erschien 1985. Die Wortwahl ist an einigen Stellen angestaubt, der Satzbau oft kompliziert, wodurch das Lesen stellenweise eher mühsam ist. Die Mühe lohnt sich jedoch, durch die gut herausgearbeiteten Inhalte. Sehr hilfreich für die historische Einordnung ist die umfangreiche Einleitung. Also: eine Empfehlung für Leserinnen und Leser, die am Thema Frauen im Mittelalter sehr interessiert sind.

Becoming. Michelle Obama

Während ich die ersten Seiten über ihre Kindheit las, habe ich gedacht, doch so eine Biografie aus dem politischen Establishment, die zu viele Menschen gegengelesen haben, um alles auszumerzen, was irgendjemanden stören könnte…. und um noch einzufügen, was für irgendeinen potitischen Zweck noch fehlen könnte…

BECOMING - Obama, Michelle

Ist auch so, aber auch doch nicht: Im Nachhinein fand ich den ersten Teil genau richtig und hilfreich, um diese First Lady der USA besser zu verstehen: die schwarze Frau des ersten schwarzen Präsidenten, eine berufstätige Mutter, eine hochintelligente, Harvard-studierte Anwältin mit eigenen Ansichten.

Die Biografie ist in drei Teile aufgeteilt

  • Becoming, über Elternhaus, Kindheit, Schulzeit und Studium bis hin zur ersten lukrativen Stelle als Anwältin
  • Becoming us, über die Entstehung der Beziehung zu Barack Obama, die Ehe, die beiden Töchter, Einstieg Barack Obamas in die Politik und Michelle Obamas Versuch, einen sinnstiftenden Beruf zu finden und damit auch Geld zu verdienen
  • Becoming more, über den Einzug der Familie Obama in das Weiße Haus, nachdem Barack Obama die Präsidentschaftswahl gewonnen hatte, das Leben als First Lady, als Familie im Weißen Haus bis zum Auszug daraus, nachdem die zweite Amtszeit zu Ende gegangen war und Donald Trump die Wahl gewonnen hatte.

Im Fokus die Themen Erziehung, Bildung und Kinder

Vielleicht kein Wunder, die Botschaft: prinzipiell hat  jedes Kind es in sich, mehr aus sich zu machen, es zu schaffen, aus Armut und beengenden Verhältnissen herauszukommen, wenn, wenn, wenn es die notwendige Förderung und Ermutigung erhält.

BECOMING! Michelle Obama's Memoir to arrive in November - WuzupNigeria

Eine Stimme finden

Immer wieder auch Reflexionen darüber, was sie als prominente schwarze Frau, später als First Lady auslöst: Abwehr, Verachtung, aber auch Ängste vor der „aggressiven“ schwarzen Frau. Deshalb sieht Michelle Obama „Becoming“ auch als eine Geschichte darüber, wie eine schwarze Frau aus armen Verhältnissen und einer schlechten Wohngegend ihre Stimme findet. Den Mut zu sprechen, auch wenn sie oft die einzige Frau im Raum voller weißer Amerikaner ist, die einzige schwarze Frau. Wer ihr auf diesem Weg Mut gegeben und Selbstbewußtsein vermittelt hat, erzählt sie packend und anschaulich. Die vielen Menschen, die unterstützend waren – unter anderem Mutter und Vater – erhalten Raum in dieser Geschichte. Wie sie sagt: sie und ihr Mann waren unter den 44 Paaren, die das Weiße Haus bewohnten, unter den 11, die dies für eine zweite Amtszeit taten und – das einzige schwarze Präsidenten-Paar.

Michelle Obama als aktive Wahlkämpferin für ihren Mann

„I was a child of the mainstream, and this was an asset. Barack sometimes referred to me as “Joe Public”, asking me to weigh in on campaign slogans and strategies, knowing that I kept myself happily steeped in popular culture. (…) All of this is to say that I saw ways to connect with Americans that Barack and his West Wing advisers didn´t fully recognize, at least initially. Rather than doing interviews with big newspapers or cable news outlets, I began sitting down with influential “mommy bloggers” who reached an enormous and dialed-in audience of women.”

Didn't think about Barack Obama as someone I'd want to date ...

Im dritten Teil erklärt „Becoming“ die Funktion Michelle Obamas während der Wahlkämpfe um das Präsidentenamt und berichtet vom Alltagsleben im Weißen Haus. Sie selbst hat ihre Rolle als First Lady dazu genutzt, die Medien, welche sie auf Schritt und Tritt verfolgten, mit Vorsatz an diejenigen Orte zu führen, die ihr wichtig waren: arme Vororte, Schulen, Krankenhäusen für Kriegsveteranen. So hat sie sozialen Themen durch die eigene Person zu einer medialen Aufmerksamkeit verschafft, die sonst unmöglich gewesen wäre.

“When the weather was nice (in einer unterprivilegierten Gegend), the gangs got more active and the shooting got worse. (…) Sometimes, they (die Schulkinder aus diesem Gebiet) told me, taking the safest path home meant walking right down the middle of the street as cars sped past them on both sides. Doing so gave them a better view of any escalating fights or possible shooters. And it gave them more time to run. (…) America is not a simple place. Its contradictions set me spinning. I’d found myself at Democratic fund-raisers held in vast Manhattan penthouses, sipping wine with wealthy women who would claim to be passionate about education and children’s issues and then lean in conspiratorially to tell me that their Wall Street husbands would never vote for anyone who even thought about raising their taxes.”

Mein Fazit: unbedingt lesenswert, nicht nur für Frauen, für Politikinteressierte, für Amerika-Enttäuschte.

Ida. Katharina Adler

“Ida” von Katherina Adler ist in diesem Herbst herausgekommen. In dieser Roman-Biografie geht es um eine junge Frau, die Sigmund Freud „um die Befriedigung (brachte), sie weit gründlicher von ihrem Leiden zu befreien.“

Bildergebnis für Ida. Katharina Adler

Gut lesbar plus gewichtiger Kontext

Der Roman verbindet eine schön lesbare Geschichte mit gewichtigen Themen. In der Familiengeschichte der Hauptfigur gibt es Ehebruch und versuchten Kindesmissbrauch. Ida wehrt sich dagegen, dass Freud all ihre Beschwerden auf sexuelle Wunschträume zurückführt. Der Roman folgt von seiner Hauptfigur durch ihr Leben, gibt immer wieder Rückblenden. Spannend bleibt er durch den inneren Monolog Idas, der sie als oft unliebenswürdige, im Alter bittere Frau zeigt.

Bildergebnis für Ida. Katharina Adler

Historische Fakten

Der Roman basiert auf historischen Fakten. Das jüdische Mädchen Ida, Patientin „Dora“, wurde von ihrem Vater zur Behandlung verschiedener Beschwerden zu Sigmund Freud gebracht. Dieser diagnostizierte eine „kleine Hysterie“. Freud verwendete mit Sprechkur und Traumdeutung neue Behandlungsmethoden. Sie brach eigenständig nach drei Monaten ihre Behandlung ab. Die Autorin Katharina Adler ist die Urenkelin von Ida Adler.

Ida war Patientin Sigmund Freuds

Ida war laut Freuds Akten eine widerspenstige Patientin. Im Roman „Ida“ wird dies ebenso erzählt. Das interessante Kunststück der Autorin besteht darin, uns als Leser und Leserin mit der Perspektive Idas allein zu lassen. Wir erfahren nicht, ob es für Ida besser gewesen wäre, sich behandeln zu lassen, oder ob die entscheidende Erfahrung in Idas Leben genau dies eine war: die Behandlung abzubrechen. Der Erzähler weiß nicht mehr als Ida und wir Lesenden auch nicht.

Bildergebnis für Ida. Katharina Adler

Diagnose Hysterie

Die Diagnose Hysterie war im ausgehenden 19, Jahrhundert nicht ungewöhnlich für junge Frauen. Freud hatte zusammen mit Josef Breuer 1895 „Studien über Hysterie“ als Aufsatzsammlung veröffentlicht. Er entwickelte auf dieser Basis ein Konzept, das unbewusste Prozesse als hysterische Vorgänge definierte. Er meinte, der größte Teil neurotischer Erkrankungen sei auf sexuelle Erfahrungen zurückzuführen. Traditionell wurde in der Medizin die Hysterie als vielfältige Sammlung unterschiedlichster Beschwerden verstanden, die keine organische Grundlage haben. Problematisch ist der Begriff „Hysterie“, da er geschlechtsspezifisch verwendet wurde: Die Hysterie wurde als körperliche und psychische Störung verstanden, die von einer Erkrankung der Gebärmutter ausging.

Insgesamt ist „Ida“ ein gut lesbarer Roman, der seine gewichtigen Themen mit leichter Hand streift. Mehr zum Hintergrund…

All the Dogs of My Life. Elisabeth von Arnim

“All the Dogs of My Life” ist eine Art Autobiografie einer Frau, die nicht Elisabeth hieß. Als das Buch erschien, wurde statt eines Namens „By the author of Elisabeth and her German Garden“ angegeben.

All the Dogs of My Life

„I would like, to begin with, to say that though parents, husbands, children, lovers and friends are all very well, they are not dogs. (…) Once (dogs) love, they love steadily, unchangingly, till their last breath. That is how I like to be loved. Therefore I will write of dogs. ”

Lebensstationen anhand von 14 Hunden

Das Buch, erschienen 1936 , erzählt die Lebensgeschichte der Erzählerin anhand der Hunde, die sie auf ihrem Lebensweg begleiteten. Den ersten Hund erhielt sie im Alter von fünf Jahren vom Verlobten ihrer älteren Schwester, musste ihn jedoch bald wieder abgeben. Die letzten Hunde umgaben sie in ihrem amerikanischen Exil vor Ausbruch des 2. Weltkriegs.

„In the afternoons, having come back to the house much more slowly than we left it, Cornelia (eine Dackel-Dame) and I drove out. We took the air in an open basketwork carriage with scarlet wheels, known as the Viersitzer and drawn by a pair of roughcoated, stout horses who looked, I thought, very like carthorses. It was driven by the ancient family coachman, and in winter he was dressed like a penwiper.”

Heiter bis ernst

Hunde begleiteten die Erzählerin durch die Jugend, durch zwei schwierige Ehen, durch einen Weltkrieg und die Vorboten eines zweiten, in unterschiedliche Länder und durch die Anforderungen des Alters. Von den 14 Hunden ihres Lebens waren fast alle freundlich, einige intelligent, viele charmant, ein paar dumm und einer aggressiv.

„There was no doubt about it: she did snuggle, and she was the first of my dogs to do so. Great Danes, in the nature of things, can´t snuggle, and all the others – except Bijou, who does not count, had been grown up. Of couse I was enchanted.”

Diese Hunde stehen im Fokus, so werden schmerzliche, persönliche Erfahrungen der Erzählerin relativiert. Das Buch ist im Tenor äußerst vergnüglich, jedoch nicht spaßig. Schwierige Lebensentscheidungen und der Tod sind ebenfalls Themen des Buchs. Diese werden nicht überzuckert, nur aus einer anderen Perspektive erzählt.

Nicht „Elisabeth“: Gräfin und Countess

Elisabeth von Arnim ist eine britische Schriftstellerin, die 1866 als Mary Annette Beauchamp in Australien geboren wurde. Sie war eine der erfolgreichsten Autorinnen ihrer Zeit. Durch ihre erste Ehe wurde sie zur Gräfin von Arnim-Schlagenthin, durch die zweite zur Countess Russell. „Elisabeth“ wurde durch den Bestseller „Elisabeth and her German Garden“ zu ihrem adoptierten Vornamen. Sie starb 1941 in Charleston, USA. Sehr empfehlenswert ist die schon etwas ältere Biografie von Karen Usborne „Elisabeth – The Author of Elisabeth and her German Garden“.

Von Arnims Bücher sind heute noch amüsant und gut lesbar. Sie alle sind ins Deutsche übersetzt.

 

Bilderbuch der Wüste – Maria Reiche und die Bodenzeichnungen von Nasca. Dietrich Schulze und Viola Zetzsche

Die Biografie ist lesenswert, da die Person Maria Reiche so interessant ist. Der Erzählstil ist sehr konventionell, chronologischer Bericht, wenig zeitgenössischer Kontext.

Von Dresden nach Peru

„Maria Reiche nutzte für ihre Arbeit die Morgenstunden kurz nach Sonnenaufgang. Licht und Schatten der schräg einfallenden Sonnenstrahlen zeichneten scharfe Konturen auf den Boden, die in den Mittagsstunden in hell gleißendem Grau verschwammen – für die Augen unangenehm und äußerst ermüdend.“

Reiche wurde 1903 in Dresden geboren, starb 1998 in Peru. Sie war akademisch ausgebildet und hatte ein großes Talent für Mathematik und Geometrie. Sie kam aus einer angesehenen bürgerlichen Familie. Den Sinn ihres Lebens hatte Maria Reiche gefunden, nachdem sie aus Deutschland fortgegangen war, in Peru heimisch wurde und ihr Leben der Erforschung sowie dem Erhalt der Nasca-Figuren mit Leidenschaft widmete. Hierfür nahm sie lebenslange Armut in Kauf.

Figuren in der Wüste

Brief an die Schwester vom Mai 1971 Maria Reiche: „ Ich habe nun den endgültigen Beweis für den Schlüssel zu Entzifferung der Pampa. Bei zwei Figuren habe ich die Maßeinheit, den Fuß, bis auf 2 Dezimale bestimmen können. (…) Für jede Figur muss ich die Maßeinheit erst feststellen, da sie von einer zur anderen variiert, aber dieselbe ist in einer Figur. (…) Die Bedeutung der ganzen Sache liegt darin, dass man mit einem Fuß einen Tag darstellte und so lange Kalenderzyklen in Form von Figuren aufgezeichnet hat.“

Artefakte der Nasca – keine Landebahnen Außerirdischer

Die „Bilder“ in der Wüste, eine Art Geoglyphen sind Artefakte der Nasca. Diese Bevölkerungsgruppe hat in der Wüste Perus auf über 250 Quadratkilometern riesige Figuren entwickelt. Sie sind nur aus der Höhe erkennbar und bestehen aus riesigen Pflanzen und Tierfiguren, Netzwerken von Linien und geometrischen Formen. Auf der Basis von Grabbeigaben der Umgebung werden die Figuren auf die Zeit von 800 v. Chr. bis 600 n. Chr. datiert.

Reiche hat deren Zerstörung verhindert; heute sind sie UNESCO-Weltkulturerbe.

The Lady in the Van. Alan Bennett

„The Lady in the Van“ von Alan Bennett ist die Geschichte über eine obdachlose Frau, die mehrere Jahre auf dem Grundstück Bennetts in ihrem schrottreifen Auto lebte. Sie beruht auf wahren Begebenheiten, und der schmale Band besteht aus Auszügen des Tagebuchs von Alan Bennett.

The Lady in the Van

Miss Shepherd, die dickköpfige, exzentrische Obdachlose ist hierbei alles andere als eine freundliche Mitbewohnerin. Dennoch lebte sie nach der initialen Einladung Bennetts 15 Jahre lang bis zu ihrem Tod auf seinem Grundstück in London.

The Lady in the Van: A BBC Radio 4 adaptation

Wunderbar ist der lakonische Erzählstil; alles hat hierin Platz: die Wut über die Mitbewohnerin, das Mitleid mit ihr, das Amüsement. Distanz und Nähe. Letztlich der immerwährende Versuch, Antworten auf die Frage zu finden, welche Haltung gegenüber einem obdachlosen Menschen angemessen ist. Alle Antwortversuche beinhalten dabei implizit auch die Frage nach der Angemessenheit der Kriterien. Kleidung, Ordnungsliebe, Sauberkeit, Freundlichkeit, Unterhaltungswert… welche ziehen wir heran? Und welche Meßskala?

The Lady in the Van

„June 1977. On this day of the Jubilee, Miss S. has stuck a paper Union Jack in the cracked back-window of the van. It is the only one in the Crescent. Yesterday she was wearing a headscarf and pinned across the front of it a blue Spontex sponge fastened at each side with a large safety pin, the sponge meant to form some kind of peak against the (very watery) sun. It looked like a favour worn by a medieval knight, or a fillet to ward off evil spirits. Still, it was better than last week’s effort, an Afrika Korps cap from Lawrence Corner: Miss Shepherd – Desert Fox.”

The Lady in the Van. Movie Tie-In: And Other Stories

Das Buch wurde 1989 veröffentlicht, dann für die Bühne umgeschrieben und 1999 als Theater-Stück uraufgeführt. Theaterstück wie die Film-Adaption zeig(t)en die sensationelle Maggie Smith in der Rolle von Miss Shepherd.

Vivienne Westwood. Vivienne Westwood & Ian Kelly

“Vivienne Westwood” ist eine klassische Biografie, die nachzeichnet, wie Vivienne Westwood zu einer der berühmtesten und berüchtigtsten Mode-Designerinnen der Welt wurde. Eigentlich wollte ich das Buch, als es vor vier Jahren erschien, nicht kaufen, weil mir der Preis zu hoch erschien. Eigentlich hatte ich gedacht, dass dies wieder einmal eine jener unerträglichen Ergüsse über eine bekannte Person sein würde. Billig gemacht, flach, vom bekannten Namen zehrend. War alles falsch…

Vivienne Westwood - Vivienne Westwood, Ian Kelly

Das Buch ist gut gemacht, inhaltlich interessant, da es die Hauptakteurin sowie die Modeszene der vergangenen Jahrzehnte darstellt. Kurzweilig lesbar ist es auch. Deshalb bin ich froh, es mit vier Jahren Verspätung nun doch gekauft zu haben.

Die Miterfinderin von Punk

Punk im London der 1970er Jahre entstand durch die Kombination von Kleidung und Musik. Das Zusammenwirken schuf Punk. Und Westwood war DIE Designerin des Punk. Die verschiedenen Namen ihres Ladens in der King’s Road 430 bringen auf den Punkt, worum es ging:

  • Let It Rock
  • Too Fast to Live, Too Young to Die
  • SEX
  • Seditionaries

“”Fashion is alive”, says Vivienne, “because it has to relate to the limited; the limits that are the human body”. (…) But clothes and fashion, even at their angriest and most polemic, were always bound to loop back to pleasure and to sensuality: as Vivienne says, no one enjoys looking crap or looking at crap. The shocking in fashion had to be shocking and attractive to be worn.”

Die Aktivistin

Für mich war es spannend zu erfahren, dass Westwood sich heute mit über 70 Jahren für den Erhalt der Arktis und der Umwelt einsetzt. Zu diesem Zweck verwendet sie große Summen ihres Unternehmenserfolgs, nutzt aber auch das Engagement berühmter Models für ihre Kampagnen. Diesem Thema widmet sich das letzte Buchkapitel.

„Vivienne cares a lot about the planet, but she cares a lot about human rights as well (…) She’s looking to the future.” So Shami Chakrabarti von Liberty.

Biografie und Autobiografie in einem

Das Buch kombiniert biografische und autobiografische Textpassagen: Ian Kelly beschreibt und fasst Wesentliches zusammen, dazwischen kommen Statements von Westwood. Gespickt sind die insgesamt fast 450 Seiten mit vielen Abbildungen und Kommentaren von Freunden sowie Kollegen aus der Modebranche. Ein schönes Buch. Auch für diejenigen, die tot umfallen würden, sollten sie – zwangsweise – zu einem gesellschaftlichen Anlass in einem Vivien Westwood Outfit gehen…