Durch Mauern gehen. Marina Abramovic

Wer bisher nicht zu den begeisterten Anhängern der  Performance-Kunst gehört, sollte dieses Buch unbedingt lesen. Danach wird das Verständnis größer sein, sich vielleicht Faszination vermittelt haben und vielleicht Bedauern entstanden sein, Abramovic nicht in einer ihrer Performances gesehen zu haben.

 

„Durch Mauern gehen“ ist die Autobiografie der Künstlerin Marina Abramovic. Welch eine erstaunlich beeindruckende Frau! Mich überzeugt die Konsequenz der Künstlerin, Kunstwerke zu entwickeln, die die Menschen unmittelbar emotional erreichen. Packen. Erkenntnisse vermitteln, die das Selbst verändern. Eine Kunst zu entwickeln, die nicht über den Kopf, nicht über Rationalität, sondern statt dessen über unmittelbares Erleben funktioniert.

Und hierbei schont sich die Künstlerin nicht

In ihren Performances fließt ihr eigenes Blut, hungert sie, sitzt für Stunden bewegungslos, liegt auf Eis, wäscht blutige Knochen, lässt sie sich durch ihr Publikum mit 72 Gegenständen beschädigen. Einen kleinen Eindruck bietet dieser Film-Clip.

Besonders beeindruckt haben mich diese Arbeiten

Die Serie „8 Lessons on Emptiness with a Happy End“ von 2008:

Marina Abramovic

Die Performance „Balkan Baroque“ von 1997, die die Gewalt auf dem Boden des ehemaligen Jougoslawiens nach Titos Tod thematisert:

Verwandtes Bildergebnis

 

Die Performance „The Artist Is Present“ von 2010: Hier haben sich über 1500 Menschen gegenüber Abramovic in einem New Yorker Museum hingesetzt. Einige nur für Minuten, andere für Stunden. Hierzu aus „Durch Mauern gehen“: „Sehr schnell spürte ich, dass die Leute, sobald sie mir gegenüber Platz genommen hatten, unglaublich bewegt waren. Einigen kamen die  Tränen – und mir ebenfalls. War ich ein Spiegel? Es fühlte sich an, als wäre ich mehr als das. Ich konnte den Schmerz der Menschen sehen und spüren. Ich glaube, die Leute wurden überrascht von dem Schmerz, der in ihnen hochkam. (…) Sie hatten stundenlang darauf gewartet, um mir gegenüber sitzen zu dürfen. Und dann saßen sie auf einmal vor mir. Wurden vom Publikum beobachtet. Wurden gefilmt und fotografiert. Wurden von mir beobachtet. Sie konnten nirgendwohin außer in ihr Inneres. Und genau darum ging es.“

Sehr wohltuend ihr eigener Kommentar über die später siebziger Jahre, in denen Performance-Kunst derart „in“ gewesen war, dass jemand nur auf den Boden spucken und es Performance nennen brauchte…

Vielleicht den besten Eindruck geben die Videos der ins Absurde überzeichneten Tragödie von Bob Wilson „The Life and Death of Marina Abramovic“. Natürlich mit Marina Abramovic. Zwischen zwei Beerdigungen thematisiert das Stück Schmerzen und selbstzugefügte Verletzungen der Titelheldin. Besonders berührend sind die Songs „Why must you hurt yourself“ und „When will I turn to cut the world“.

Zum Hintergrund gibt es unter der Überschrift „Vom Brüllen zum Schweigen“ einen guten Artikel in der Zeit von 2014.

Gelesen habe ich die deutsche Übersetzung der amerikanischen Original-Ausgabe. Die Sprache wirkte auf mich wie umgangssprachlich diktierter Text, der dann in der Übersetzung noch flacher wurde. Anfangs hat mich dies gestört. Während des Lesens ist dies immer unwichtiger geworden, weil mich die Künstlerin mit der Beschreibung ihrer Kunst in den Bann gezogen hat.

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