An unsuitable job for a woman. P.D. James

Eine Liebeserklärung für Cambridge. Nicht das Normalste der Welt für jemanden, dessen Leben 1920 in Oxford beginnt und 2014 dort endet.

Eine Krimi, der in Cambridge und Umgebung spielt. Auch eher selten, wenn man an die lange Reihe gewaltsamer Tode der Inspector Morse, Inspector Lewis, Inspector….-Krimis denkt – alle spielen in Oxford.

Eine Detektivin als Heldin. Daran hat man sich natürlich mittlerweile einigermaßen gewöhnt. Aber – wie der Buchtitel schon sagt – ob das wirklich so der richtige Job ist für eine Frau?

P.D. James ist hinreichend bekannt. Auch dieser Blog hat schon ein Buch von ihr besprochen: „Shroud for a nightingale„.

Dieser Krimi, Anfang der 70er Jahre geschrieben, hat, im Unterschied zu denen mit Inspector Dalgliesh, den Vorteil einer sympathischen Hauptperson. Unerfahren, aber keinesfalls unbedarft. Nett, aber nicht leicht über den Tisch zu ziehen. Ehrlich, aber überhaupt nicht naiv. Unverdrossen, auch wenn das Leben nicht nur gut mit ihr umspringt. „Resilient“ ist wahrscheinlich heute der relevante Begriff aus der Managementliteratur.

Spannend ist er sowieso. Da kann man sich auf James verlassen. Literarisch recht ambitioniert auch. Der Plot vielleicht einen Hauch zu sorgfältig komponiert. Hier merkt man einen leichten Hang zum Mikromanagement. Überflüssig das Aufeinandertreffen der neuen Detektin mit dem Inspector aller vorherigen James-Krimis, Dalgliesh. Und dass alle irgendwie etwas zu verbergen haben oder gar Dreck am Stecken klebt…, und dass dieser Dreck umso klebriger wird und umso schlechter riecht, je weiter oben auf der sozialen Skala sich die relevante Person befindet – vielleicht ist das so in England?

Ein Klassiker der britischen Kriminalliteratur. Und das durchaus zurecht.

Silberschön. Simone Schiffner-Backhaus

Dieses Buch war überfällig. Es geht um die wichtigen Fragen im Leben, beantwortet für und von Frauen über 60: Was macht mich aus – welche Bedeutung haben Kleidung und Schönheit – wie gehe ich mit dem Älter-Werden um – was sind meine Pläne für den nächsten Lebensabschnitt?

Silberschön: Inspirierende Ideen zu Mode, Kreativität und Perspektiven von Frauen über 60

Buchundsofa.de hat dieses Projekt von Anfang an begleitet. Wir sind gespannt, wie die Resonanz bei den Leserinnen und Lesern ist.

Mehr als 20 biographische Kurzporträts unterschiedlicher, sehr beeindruckender Frauen: eine Juristin, eine Schamanin, eine Modedesignerin, eine Tanzlehrerin, eine Politikerin, eine Hausfrau und Mutter und viele andere.

Mehr als 100 Fotos nicht nur der porträtierten Frauen von einer professionellen Fotografin, ganz ohne Glamour – und dadurch umso faszinierender. Dazu anregende Artikel rund um Mode, Älter-Werden und Weiblichkeit.

Eine abwechslungsreiche, inspirierende Mischung, die die Thematik aus unterschiedlichen Perspektiven in ihren vielfältigen Facetten ausleuchtet. Präsentiert auf ruhige, zugewandte Weise, die den Personen und Themen des Buchs Raum gibt und den Leserinnen (und Lesern!) Zeit zum Nachdenken.

Besonders nett: die ausgewählten Lebensweisheiten der porträtierten Frauen.

Ein Buch nicht nur für Frauen über 60.

The first ladies of Rome. Annelise Freisenbruch

Wer zum Jahreswechsel noch eine Portion Geschichte braucht und auch seine jährliche Dosis der Gala oder anderer Königs nahe stehender Publikationen noch nicht zu sich genommen hat, findet mit den Frauen im Kaiserhaus des alten Rom von Annelise Freisenbruch etwas, das beide Grundbedürfnisse des Menschen aufs Beste abdeckt.

Freisenbruch, Jahrgang 1977, klassische Philologin aus Cambridge, hat aus ihrer Doktorarbeit ein erstaunliches Buch gemacht. Sie beschäftigt sich mit den Frauen hinter den römischen Kaisern. Dabei deckt sie das gesamte Kaiserreich von Augustus bis zum Untergang des weströmischen Reichs im 5. Jahrhundert mit ihren wesentlichen Persönlichkeiten ab. Hauptpersonen sind z.B. Julia (Ehefrau von Augustus), Agrippina die Jüngere (Ehefrau von Claudius), Julia Domna (Ehefrau von Severus), Helena (Mutter von Konstantin) und viele mehr. Die jeweils relevanten Männer spielen in diesem Buch tatsächlich nur die Nebenrolle.

Damit gelingt Freisenbruch eine Sozialgeschichte der Frauen im Kaiserhaus mit vielen Details aus deren täglichen Leben, den Erwartungen der Öffentlichkeit, den Zwängen (und Freiheiten) ihrer Rolle. Obwohl die Kaiserfrauen in der antiken Geschichtsschreibung meist nur untergeordnet vorkommen und obendrein propagandistisch in sehr positives oder – häufiger – sehr negatives Licht gerückt werden, gelingt es der Autorin, jeweils ein gut ausbalanciertes, lebensrundes Porträt zu zeichnen. Gut ausgewählte Illustrationen leisten ebenfalls einen Beitrag, sich eine gute Vorstellung der handelnden Personen (und ihrer Frisuren) machen zu können.

Neben diesen inhaltlichen Aspekten ist bemerkenswert, wie gut Freisenbruch schreibt. Spannend, anschaulich, aber nie reißerisch. Sachlich, auch wissenschaftlich, aber nie langweilig.

Um eine Klippe kommt auch sie allerdings nicht herum. Vielleicht geht das auch gar nicht. Irgendwie scheinen in den einzelnen Kaiserdynastien immer alle recht ähnlich Namen zu haben, sind mit allen anderen auf vielfältige Art und Weise verwandt, verwitwet, geschieden, verheiratet… Gelegentlich schwirrt dem Leser (und möglicherweise auch der Leserin) da ganz schön der Kopf.  Und wie bei einer größeren Sylvesterfeier: je später am Abend (= in der Geschichte des Kaiserreichs), desto mehr. Im Kapitel über Galla Placidia (Mutter von Theodosius; hat ein berühmtes Mausoleum in Ravenna) habe ich jeweils den Überblick über die Kaiser- und Verwandtschaftsabfolge verloren. Vielleicht hätte ich in die Stammbäume blicken sollen, die Freisenbruch sehr hilfreich ganz an den Anfang stellt, dann wüßte man wahrscheinlich besser, auf welchem Ast man sich gerade befindet.

Aber wie gesagt, dieses Problem liegt in der Natur der Sache. Und ändert überhaupt nichts daran, dass Freisenbruch ein hochinteressantes, substantielles, lesbares und lesenswertes Buch gelungen ist, dem ein breiteres Publikum zu wünschen ist.

Wer mehr erfahren möchte: Ein anderes Buch über Livia, Gattin von Kaiser Augustus, wurde ebenfalls in diesem Blog (positiv!) besprochen.

Die Triffids. John Wyndham

Bei meinem Beitrag über die „Midwich Cuckoos“ –  auch von John Wyndham – wurde ich gefragt, ob man ein sehr ausgeprägter Science Fiction-Fan sein müsse, um das Buch gut zu finden. Dieselbe Frage stellt sich auch bei den Triffids, dem wahrscheinlich bekanntesten Roman dieses Autoren. Auch in diesem Fall taucht Science Fiction als Romankategorie auf.

Die Antwort: Nein.

Eigentlich sind die Romane von John Wyndham eher groß geratene Novellen. Warum Novelle? Weil es jeweils ein unerhörtes Ereignis gibt, eines der Haupterkennungsmale einer Novelle. Warum groß geraten? Weil Wyndhams Bücher mit deutlich über 100 Seiten schon eher Romanumfang haben. Novellen sind in der Regel im zweistelligen Bereich oder sogar darunter.

Das unerhörte Ereignis – soviel Science Fiction muss sein – kommt bei Wyndham gerne irgendwo aus dem All. Bei den Midwich Cuckoos könnte es ein UFO gewesen sein. Bei den Triffids ist es vielleicht ein Meteoritenschauer. So genau kann man das nicht sagen. Auf jeden Fall erblinden alle, die das Himmelsspektakel mit eigenen Augen angeschaut haben. Der Rest des Romans sind die Folgen. Logisch abgeleitet.

Ein anderes Science Fiction-Element gibt es auch noch. Die Triffids, die dem Roman seinen Namen gegeben haben, sind das Ergebnis von Experimenten der Menschen mit Genmutation. Sie sind Pflanzen. Allerdings sind sie Pflanzen, die sich fortbewegen können. Und kommunizieren. Und Fleisch fressen.

Mobile Pflanze mit interessanter Speisekarte plus Menschen, die nicht sehen können und obendrein gerade etwas panisch drauf sind, ergibt keine friedliche Koexistenz. Auch hier gilt: Der Rest des Romans sind die Folgen. Logisch abgeleitet.

Ein Gruselschocker ist der Roman aber wirklich nicht, auch wenn der eine oder die andere das jetzt vielleicht erwartet und mancher Bucheinband das erwarten läßt. Er ist sehr gut lesbar, auch für zartere Gemüter leicht zu verkraften, intelligent geschrieben. Wichtig auch: Es gibt eine Liebesgeschichte. Und er geht gut aus – soweit das halt unter den Rahmenbedingungen (siehe oben) logisch möglich ist.

You only live twice. Ian Fleming

Immerhin der zweite James Bond, der in diesem Blog besprochen wird. Thunderball war der erste Roman von Ian Fleming, bereits vor deutlich längerer Zeit (Juli 2016!) – Fazit damals: besser als der Film, aber jeglicher Ambitionen anspruchsvoller Literatur unverdächtig.
Heute nun der inhaltlich auf „Thunderball“ nachfolgende Ian Fleming: „You only live twice„, erschienen 1964. Erste deutsche Übersetzung unter dem beeindruckend dämlichen Titel „James Bond reitet den Tiger“.
Auch „You only live twice“ erhebt keine hochkulturellen Ansprüche. Das belegen schon die Bucheinbände:

Und das Filmplakat hält problemlos mit:

Fiesling der Wahl erneut Ernst Stavro Blofeld gemeinsam mit seiner KZ-Aufseherinnen-Ehefrau Irma Bunt. Wie immer ein exotischer Ort der Handlung: Japan. Alle Japan-Klischees kommen im Roman mindestens einmal vor.

Blofeldpleasance67.jpg

Das Buch ist deutlich anders als der gleichnamige Film, kein Vulkan, kein Weltraumbahnhof, auch Sean Connery: Fehlanzeige. Schade eigentlich.

Auch wenn das Ian Flemings Buch anders ist als der Film: Das ändert nichts daran, dass der Roman ebenfalls ausgesprochen flach ausfällt. Ein Plot der einfachsten Sorte. Fast alle Märchen und Sagen nach dem klassischen „Quest“-Prinzip, dem auch dieser James Bond wieder folgt, sind komplexer gestaltet. Dazu passen die Charaktere. Sex & Crime & a Hero. Der Held überlebt (Blofeld dagegen nicht). Ein Happy End wird’s dennoch nicht, da muss man auf den nächsten Bond warten. Fortsetzung folgt. Aber wahrscheinlich nicht in diesem Blog. Wir verzichten auf die Übertragungsrechte.

The little Girls. Elisabeth Bowen

„The little Girls“ von Elisabth Bowen gehört zu den Büchern, die ich immer wieder lese. Warum? Da ist die interessante Geschichte, die mich berührt: Alte Frau versucht, Gegenstände für die Zukunft zu retten, die die individuelle Persönlichkeit ihrer Besitzer in sich tragen. Gleiche alte Frau nimmt Kontakt zu ihren beiden engsten Schulkameradinnen auf, da die drei zusammen ein Geheimnis haben. Vergraben natürlich. So wie sich das für Geheimnisse und Schätze gehört.

The Little Girls als eBook

Da ist außerdem die subtile Art Bowens, Konflikte, Wünsche, Verdecktes unter Deckmänteln zu thematisieren. Stil und Sprache sprechen mich an, da durch sie scheinbar Banales unheimlich oder bezaubernd wird.

„On its own, it is a discreetly tantalizing story, a parabola of time present and past when three women return some fifty years later to a childhood scene. The instigator now, as she was then, is Dinah Delacroix, artlessly attractive, somewhat offhand, even a little fey. The museum she is establishing in a cave as a „clue for posterity“ has its past in Dinah’s. At eleven, she had had a penchant for burying things, and with two friends, Clare and Sheila, had interred some secret belongings in a coffer. Impulsively contacting Clare and Sheila, whom she has not seen since, the reunion, uneasy at best, stirs many memories and latent resentments, and the revenants make their anticipatory-apprehensive return to the chest, which lies buried in a school garden…. A disconcerting, elliptical book of considerable charm.“ Kirkus Review.

„The little Girls“ erschien 1964 und ist eines der späteren Bücher Elisabeth Bowens. Eine Autorin, deren Literatur auch heute noch sehr lesenswert ist. In der deutschen Übersetzung heißt das Buch ganz einfach „Die kleinen Mädchen“.

Die Kuckuckskinder. John Wyndham

„The Midwich Cuckoos“ – so der Titel dieses in den 50er Jahren erschienenen Romans von John Wyndham im englischen Original – ist beunruhigend. Dabei ist Ruhe doch das, was man erwarten könnte in dem ganz und gar überschaubaren, von der Welt vergessenen, traditionellen Dorf Midwich mit seiner Kirche, seinem Pub und seiner kleinen englischen Bevölkerung.

Dabei passiert eigentlich gar nicht soviel. An einem Tag (genau gesagt: in der Nacht vom 26. auf den 27. September) werden alle Leute und Tiere im Dorf bewußtlos, danach sind alle Mädchen und jüngeren Frauen schwanger, dann gibt es eine große Menge von Kindern mit goldenen Augen, zum Schluss sind diese Kinder alle tot. Passend hierzu schreibt John Wyndham: ruhig und besonnen, sachlich und unemotional. Als wäre es keine große Sache, was da vor sich geht.

John Wyndham, geboren 1903, gestorben 1969, hat viel ausprobiert in seinem Leben. Der Klappentext der Penguin-Ausgabe von 1967 schreibt so lakonisch wie Wyndham selbst: „Careers which he has tried include farming, law, commercial art, and advertising.“ Auch beim Schriftstellern wußte er nicht recht, was Seins ist: „He wrote stories of various kinds under different names (…). He has also written detective novels“. Das mit den verschiedenen Namen kann man übrigens leicht nachvollziehen, wenn man weiß, dass John Wyndham von Geburt an John Wyndham Parkes Lucas Beynon Harris hieß…. Das prädestiniert einen für einiges…

Erst später, nach dem zweiten Weltkrieg, fand er das Genre, in dem er zu einem Klassiker wurde: Science Fiction. In dieses Genre gehören auch die Kuckuckskinder, die nicht nur wegen ihrer goldenen Augen etwas ganz Besonderes sind.

Aber das sollte man selber lesen, es lohnt sich. Der Spectator schrieb: „Exciting, unsettling, and technically brilliant.“

Eine Anmerkung zum Schluss: Ich kannte John Wyndham bis vor kurzem gar nicht – aufmerksam wurde ich auf ihn durch die BBC-TV-Serie „In their own words“ über englische Roman-Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, die es auch auf DVD gibt. Diese Serie lohnt sich auch (und wurde natürlich in diesem Blog bereits besprochen!).

Big sister, little sister, red sister. Jung Chang

Gerade vor wenigen Tagen habe ich schon ein Buch von Jung Chang besprochen, ihre Biographie über die chinesische Kaiserinwitwe Cixi. Als ich damit fertig war, sah ich, dass gerade ein neues Buch von Chang erschienen ist. Die Mehrfachbiographie zur Übergangszeit zwischen Qing-Dynastie und kommunistischer Regierung in China hat drei Schwestern der Familie Song, die Song-Schwestern, zum Thema.

Song Ailing, die älteste der Song-Schwestern, wurde zu einer der reichsten Frauen Chinas. Song Qingling, die mittlere Schwester (im Buchtitel die rote Schwester, da Kommunistin), heiratete Sun Yatsen und wurde später unter Mao Vizepräsidentin Chinas. Song Meiling, die jüngste, heiratete Chiang Kaishek und wurde dadurch ebenfalls zu einer First Lady in China. Alle kamen also groß heraus – und alle standen politisch weit voneinander entfernt.

Eingewoben in diese Dreier-Biographie der Song-Schwestern sind noch zwei weitere: über Sun Yatsen und über Chiang Kaishek. Mao wäre wahrscheinlich noch dazu gekommen, aber über den hat Chang gemeinsam mit ihrem Ehemann schon eine separate Biographie geschrieben. Der Gatte der ältesten Schwester dagegen bot offensichtlich nicht genügend Stoff, um ihm deutlich mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Auch in diesem Buch gelingt es Chang, ihre Leser (und Leserinnen) zu fesseln. Sie schreibt unverändert flott, spannend und einfach. Der Gefahr, sich in den Wirren der Zeit und in den sehr unterschiedlichen Charakteren zu verheddern und den Überblick zu verlieren, entgeht sie souverän: Das Buch ist sehr gut und geschickt strukturiert.

Wie schon in der Biographie über Cixi war ich erstaunt, wie wenig ich tatsächlich über diese Zeit wusste und wie stark meine Meinungen durch Meinungsmache (nicht nur seitens Chinas) beeinflusst waren. Allein schon dafür, hier etliches gerade oder zumindest in ein anderes Licht zu rücken, gebührt Chang viel Dank.

Trotz all dieser positiven Aspekte war ich beim Lesen immer wieder etwas genervt und unzufrieden.

  • Mich hat gestört, dass Chang mit mehr als einem Hauch von Selbstzufriedenheit immer wieder auf ihre eigene Biographie über Mao verweist.
  • Und ich hatte den Eindruck, dass Chang gelegentlich einem Hang zu Klischees erliegt, dass sie eine Neigung dazu hat, ihre Hauptpersonen zu stilisieren. Ich bin mir zum Beispiel sicher, dass sie Sun Yatsen nicht schätzt – aber weiß nicht, ob er wirklich so ausschließlich egoistisch und opportunistisch war, wie sie ihn darstellt. Auch ist mir nicht klar, ob Chang die Meinung hat, Frauen sind nur als Mütter glücklich, und so den Kummer der Kinderlosigkeit in die mittlere und jüngste Schwester hineininterpretiert – oder ob dieser Kummer tatsächlich durch Quellen belegbar ist. Jedenfalls zwischenmenschelt es in diesem Buch überraschend häufig.
  • Außerdem erzählt Chang so, als ob es praktisch keine Zweifel gäbe. So, wie sie es erzählt, muss es gewesen sein. Für sie ist die Quellenlage immer eindeutig. Und das stimmt einen ein wenig skeptisch.

Dennoch, in Summe einen lohnendes und spannendes Buch. Aber vielleicht sollte man auch noch einen anderen Autoren zum Vergleich lesen.

Kaiserinwitwe Cixi. Jung Chang

Dieses Buch über Cixi, die letzte Herrscherin Chinas vor dem Ende des Kaiserreichs und dem Beginn des Kommunismus, habe ich mit großer Überraschung und viel Vergnügen gelesen.

Meine Erwartung war bereits recht hoch. Hatte ich doch früher schon ein anderes Buch der Autorin, „Wilde Schwäne, Die Frauen meiner Familie“, gelesen, ebenfalls eine Biographie, jedoch in diesem Fall über ihre eigene Familie. Damals fand ich, dass Jung Chang sehr informativ, einfühlsam und flott schreibt, und mir vorgenommen, bei Gelegenheit ein weiteres ihrer Bücher zu lesen.

Das Buch über Cixi, erschienen in englischer Sprache im Jahr 2013 (die deutsche Übersetzung folgte bereits 2014), beschäftigt sich mit einer Frau, die für mich bisher eher negativ besetzt war, die – wie ich dachte  und andernorts gelesen hatte – viel mit dem Scheitern zu tun hatte: Unter ihr ging es richtig bergab mit dem chinesischen Kaiserreich, intrigant, brutal und rücksichtslos, der Tradition verhaftet, eine Feindin jeglicher Modernisierung. Ein echtes Anti-Vorbild. Auch der aktuelle Wikipedia-Beitrag über die Qing-Dynastie widerspricht hier nicht….
Diese Sperrigkeit wurde vielleicht noch verstärkt, da Cixi auf praktisch keinem ihrer Fotos lächelt, und durch ihren Namen, bei dem man in Deutschland nicht so genau weiß, ob „Zicksi“ (?) oder „Kicksi“ (?)  ein schlechter Scherz sein soll oder ernst gemeint ist. Man redet mal besser nicht über sie, bevor man den Namen eventuell falsch ausspricht.

Nach dem Lesen dieses Buchs ist mein Bild Cixis deutlich anders. Nicht erfahren habe ich darin, dass die richtige Aussprache ihres Namens eine andere ist: 慈禧 spricht sich „zöchi“ aus, die erste Silbe mit der Stimme nach oben, die zweite erst tief, dann nach oben gezogen. Klingt ganz interessant. Die beiden Silben ihres Namens bedeuten „barmherzig, freundlich“ und „Glück“ – das wiederum steht auch im Buch.

Sehr überrascht war ich davon, dass Cixi – geboren 1835, gestorben 1908 – tatsächlich sehr viel dafür getan hat, China zu modernisieren. Sie hat vorangetrieben, dass Elektrizität, die Eisenbahn, Telegraphen und andere Erfindungen nach China kamen. Einige der unerfreulichsten körperlichen Strafen wurden von ihr abgeschafft und auch das Binden der Füße bei Frauen beendet. Sie war politisch sehr gewieft, obwohl sie als Frau de iure nicht regieren durfte. Meinungs- und Pressefreiheit wurden von ihr unterstützt und gefördert. Sogar die Umwandlung des Kaiserreichs in eine konstitutionelle Monarchie mit recht weitgehendem Wahlrecht hat sie auf den Weg gebracht – allerdings kam dann ihr Tod und anschließend die chinesische Republik dazwischen.
Eine Heilige war sie damit trotzdem nicht. Sie beging eine Reihe von fatalen Fehlern während des Boxeraufstands. Auch hat sie schon das eine oder andere Leben auf der Gewissen. Sicherlich aber viel weniger, als sonst damals bei Kaisers üblich (auch zum Beispiel bei deutschen Kaisers, die in China nicht gerade zur Imagepflege unterwegs waren….).

Eine sehr beeindruckende und auch sehr faszinierende Persönlichkeit also. Leider teilte sie lange das Schicksal vieler einflußreicher Frauen. Bereits zu Lebzeiten wollte man ihr viel Übles nachsagen, nicht nur in China. Und für die Chefs der chinesischen Republik und anschließend der heutigen Volksrepublik China musste sie als Feindbild herhalten und wurde nach Kräften schlecht gemacht.

Jung Chang hat sich die Mühe gemacht, umfangreiche Quellenforschung zu betreiben und dieses Bild gerade zu rücken. Das ist ihr gelungen, auch wenn  einige andere Forscher (weniger: Forscherinnen) ihren Schlussfolgerungen widersprechen. Und außerdem hat sie eine sehr vielschichtige, spannende und faszinierende Biographie über eine der einflußreichsten Persönlichkeiten Chinas geschrieben.

Wer mehr über China lesen möchte, kann auch hier schauen.

Abraham trifft Ibrahîm: Streifzüge durch Bibel und Koran, Sibylle Lewitscharoff und Najem Wali

Um es vorweg zu nehmen: Dass ich dieses Buch gelesen habe, war ein Fehler meinerseits.

Eigentlich war ich auf der Suche nach vielversprechenden Neuerscheinungen. Dafür war ich in ein Buchgeschäft gegangen. Und richtig: Es gab eine eigene Auslage mit Neuerscheinungen! Ich habe mich in Ruhe umgeschaut, in diverse Bücher hineingelesen. Meine Wahl: Abraham und Ibrahîm.

Warum gerade dieses Buch? Von Sibylle Lewitscharoff hatte ich zwar noch nichts gelesen, aber Gutes gehört. Immerhin hat sie 2013 den Büchnerpreis erhalten. Außerdem – dachte ich – schadet es bestimmt nicht, etwas mehr über den Koran zu wissen. Mitreden kann man zwar immer. Aber das fundiert zu tun, schien mir der überlegene Ansatz. Auch war der Einband nicht abschreckend, sondern machte einen gebildeten Eindruck. Genau das Richtige für mich.

Zwischenzeitlich habe ich das Buch gelesen und weiß, was ich falsch gemacht habe. Nach der Titelseite gibt es ja immer die Seite mit dem Kleingedruckten. Dort hätte ich sehen können, wann das Buch das erste Mal mit einem fröhlichen Schrei das Licht der Buchläden gesehen hat. 2018 steht da. Sogar im Frühjahr. Neuerscheinung also natürlich schon, aber nicht des Jahres 2019, dumm gelaufen…. Zumindest kann man dem Buchladen, in dem ich es gekauft habe, nicht nachsagen, allzu schnell den neuesten Trends hinterher zu hecheln und die Neuauflagen-Auslage zu aktualisieren. Hoffentlich lagen Abraham und Ibrahîm da nicht noch, weil sie keiner kaufen wollte….

Soviel zu meinem Geständnis.

Jetzt zum Buch. Und das ist tatsächlich ganz interessant.

Worum es nicht geht?
Eine allumfassende Darstellung von Koran und Bibel. Oder um eine theologisch tiefkompetente Analyse.

Statt dessen:
Ein Vergleich der Darstellung gemeinsamer Personen in diesen beiden heiligen Schriften, insgesamt neun. Und zwar: Eva/Hawwâ – Abraham/Ibrahîm – Moses/Mûsa – Lot/Lût – Hiob/Ayyûb – Jona/Yûnus – König Salomo/Sailamân – Maria/Maryam – Der Teufel/Schaitan oder Iblîs.

Offensichtlich und vielleicht überraschend nicht dabei: Jesus/Îsa bin Maryam.

Najem Wali, ein in Deutschland lebender irakischer Schriftsteller, stellt den Koranpart jeweils sehr sorgfältig und nah am Text vor. Er geht – vielleicht zurecht – davon aus, dass die Leserinnen und Leser mit dem Koran weniger vertraut sind. Auch arbeitet er jeweils die Unterschiede zur Bibel, die ja einige Jahrhunderte älter ist als der Koran, am sorgfältigsten heraus. Wali ist auch verantwortlich für die Einleitung, die allein schon lesenswert ist, weil sie auf angenehm klare und undogmatische Art und Weise grundlegende Kenntnisse zum Koran vermittelt. Man könnte sagen, Wali stellt den Koran vor.

Sibylle Lewitscharoff macht das anders. Sie setzt eine gewisse Bibelkenntnis voraus und schreibt viel freier, viel essayistischer, viel literarischer. Man könnte sagen, Lewitscharoff stellt ihre Schreibkunst anhand biblischer Themen vor.

Das macht das Buch abwechslungsreich und gut lesbar.

Zwei Beispiele. Von Wali aus der Einleitung:

„Dem Koran zufolge gab es, von Âdam bis Muhammad, insgesamt fünfundzwanzig Propheten (arabisch: Anbîya, Singular: Nabi). Manche von ihnen werden auch als Rasûl (‚Gesandter‘) betitelt (…). Folgen wir der Argumentation, dass ein Prophet bei einer bestimmten Gruppe von Menschen eine göttliche Mission erfüllt, während die Aufgabe der Gesandten weiter reicht – er soll die gesamte Menschheit zur Umkehr bewegen -, kommen wir auf fünf Gesandte. (…) Jeder Gesandte ist also zugleich auch Prophet, umgekehrt gilt dies jedoch nicht.“

Von Lewitscharoff aus Abraham:

„Was für eine Koinzidenz – man höre und staune! Als im Winter des Jahres 1841 Sören Kierkegaard ‚Furcht und Zittern‘ schrieb, hatte er einige schlaflose Nächte. Genauer gesagt waren es von brüchigem Schlaf durhsetzte Nächte, in deren Löchern Unruhe, Schweißausbrüche, Verzweiflung, Kopfschmerz (auch Magendrücken) sich meldeten und ihn im Bett von der einen auf die andere Seite warfen. Schier endlos ging das hin und wieder her, von rechts nach links, von links nach rechts.“

Ich denke, der Unterschied in der Schreib- und Herangehensweise wird klar.

Noch einige Worte zu den Unterschieden zwischen Koran und Bibel. Viele Geschichten in der Bibel haben einen ausgeprägten Sinn für ungelöste Konflikte. Diese werden im Koran oft aufgelöst: Gott hatte nie den Plan, dass Abraham seinen Sohn opfert. Hiob verzweifelt nicht an Gott , sondern ist vorbildlich geduldig. Maria hatte nie einen Ehemann. Jesus ist nicht am Kreuz gestorben.

Um all dies zu erfahren, gibt es zwei Möglichkeiten: (noch einmal?) die Bibel und (erstmals?) den Koran lesen – oder dieses Buch.

Wie gesagt:
Es ist zugänglich, weil lesbar. Und lesenswert, weil wissenswert.