An unsuitable job for a woman. P.D. James

Eine Liebeserklärung für Cambridge. Nicht das Normalste der Welt für jemanden, dessen Leben 1920 in Oxford beginnt und 2014 dort endet.

Eine Krimi, der in Cambridge und Umgebung spielt. Auch eher selten, wenn man an die lange Reihe gewaltsamer Tode der Inspector Morse, Inspector Lewis, Inspector….-Krimis denkt – alle spielen in Oxford.

Eine Detektivin als Heldin. Daran hat man sich natürlich mittlerweile einigermaßen gewöhnt. Aber – wie der Buchtitel schon sagt – ob das wirklich so der richtige Job ist für eine Frau?

P.D. James ist hinreichend bekannt. Auch dieser Blog hat schon ein Buch von ihr besprochen: „Shroud for a nightingale„.

Dieser Krimi, Anfang der 70er Jahre geschrieben, hat, im Unterschied zu denen mit Inspector Dalgliesh, den Vorteil einer sympathischen Hauptperson. Unerfahren, aber keinesfalls unbedarft. Nett, aber nicht leicht über den Tisch zu ziehen. Ehrlich, aber überhaupt nicht naiv. Unverdrossen, auch wenn das Leben nicht nur gut mit ihr umspringt. „Resilient“ ist wahrscheinlich heute der relevante Begriff aus der Managementliteratur.

Spannend ist er sowieso. Da kann man sich auf James verlassen. Literarisch recht ambitioniert auch. Der Plot vielleicht einen Hauch zu sorgfältig komponiert. Hier merkt man einen leichten Hang zum Mikromanagement. Überflüssig das Aufeinandertreffen der neuen Detektin mit dem Inspector aller vorherigen James-Krimis, Dalgliesh. Und dass alle irgendwie etwas zu verbergen haben oder gar Dreck am Stecken klebt…, und dass dieser Dreck umso klebriger wird und umso schlechter riecht, je weiter oben auf der sozialen Skala sich die relevante Person befindet – vielleicht ist das so in England?

Ein Klassiker der britischen Kriminalliteratur. Und das durchaus zurecht.

Die Triffids. John Wyndham

Bei meinem Beitrag über die „Midwich Cuckoos“ –  auch von John Wyndham – wurde ich gefragt, ob man ein sehr ausgeprägter Science Fiction-Fan sein müsse, um das Buch gut zu finden. Dieselbe Frage stellt sich auch bei den Triffids, dem wahrscheinlich bekanntesten Roman dieses Autoren. Auch in diesem Fall taucht Science Fiction als Romankategorie auf.

Die Antwort: Nein.

Eigentlich sind die Romane von John Wyndham eher groß geratene Novellen. Warum Novelle? Weil es jeweils ein unerhörtes Ereignis gibt, eines der Haupterkennungsmale einer Novelle. Warum groß geraten? Weil Wyndhams Bücher mit deutlich über 100 Seiten schon eher Romanumfang haben. Novellen sind in der Regel im zweistelligen Bereich oder sogar darunter.

Das unerhörte Ereignis – soviel Science Fiction muss sein – kommt bei Wyndham gerne irgendwo aus dem All. Bei den Midwich Cuckoos könnte es ein UFO gewesen sein. Bei den Triffids ist es vielleicht ein Meteoritenschauer. So genau kann man das nicht sagen. Auf jeden Fall erblinden alle, die das Himmelsspektakel mit eigenen Augen angeschaut haben. Der Rest des Romans sind die Folgen. Logisch abgeleitet.

Ein anderes Science Fiction-Element gibt es auch noch. Die Triffids, die dem Roman seinen Namen gegeben haben, sind das Ergebnis von Experimenten der Menschen mit Genmutation. Sie sind Pflanzen. Allerdings sind sie Pflanzen, die sich fortbewegen können. Und kommunizieren. Und Fleisch fressen.

Mobile Pflanze mit interessanter Speisekarte plus Menschen, die nicht sehen können und obendrein gerade etwas panisch drauf sind, ergibt keine friedliche Koexistenz. Auch hier gilt: Der Rest des Romans sind die Folgen. Logisch abgeleitet.

Ein Gruselschocker ist der Roman aber wirklich nicht, auch wenn der eine oder die andere das jetzt vielleicht erwartet und mancher Bucheinband das erwarten läßt. Er ist sehr gut lesbar, auch für zartere Gemüter leicht zu verkraften, intelligent geschrieben. Wichtig auch: Es gibt eine Liebesgeschichte. Und er geht gut aus – soweit das halt unter den Rahmenbedingungen (siehe oben) logisch möglich ist.

You only live twice. Ian Fleming

Immerhin der zweite James Bond, der in diesem Blog besprochen wird. Thunderball war der erste Roman von Ian Fleming, bereits vor deutlich längerer Zeit (Juli 2016!) – Fazit damals: besser als der Film, aber jeglicher Ambitionen anspruchsvoller Literatur unverdächtig.
Heute nun der inhaltlich auf „Thunderball“ nachfolgende Ian Fleming: „You only live twice„, erschienen 1964. Erste deutsche Übersetzung unter dem beeindruckend dämlichen Titel „James Bond reitet den Tiger“.
Auch „You only live twice“ erhebt keine hochkulturellen Ansprüche. Das belegen schon die Bucheinbände:

Und das Filmplakat hält problemlos mit:

Fiesling der Wahl erneut Ernst Stavro Blofeld gemeinsam mit seiner KZ-Aufseherinnen-Ehefrau Irma Bunt. Wie immer ein exotischer Ort der Handlung: Japan. Alle Japan-Klischees kommen im Roman mindestens einmal vor.

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Das Buch ist deutlich anders als der gleichnamige Film, kein Vulkan, kein Weltraumbahnhof, auch Sean Connery: Fehlanzeige. Schade eigentlich.

Auch wenn das Ian Flemings Buch anders ist als der Film: Das ändert nichts daran, dass der Roman ebenfalls ausgesprochen flach ausfällt. Ein Plot der einfachsten Sorte. Fast alle Märchen und Sagen nach dem klassischen „Quest“-Prinzip, dem auch dieser James Bond wieder folgt, sind komplexer gestaltet. Dazu passen die Charaktere. Sex & Crime & a Hero. Der Held überlebt (Blofeld dagegen nicht). Ein Happy End wird’s dennoch nicht, da muss man auf den nächsten Bond warten. Fortsetzung folgt. Aber wahrscheinlich nicht in diesem Blog. Wir verzichten auf die Übertragungsrechte.

Die Kuckuckskinder. John Wyndham

„The Midwich Cuckoos“ – so der Titel dieses in den 50er Jahren erschienenen Romans von John Wyndham im englischen Original – ist beunruhigend. Dabei ist Ruhe doch das, was man erwarten könnte in dem ganz und gar überschaubaren, von der Welt vergessenen, traditionellen Dorf Midwich mit seiner Kirche, seinem Pub und seiner kleinen englischen Bevölkerung.

Dabei passiert eigentlich gar nicht soviel. An einem Tag (genau gesagt: in der Nacht vom 26. auf den 27. September) werden alle Leute und Tiere im Dorf bewußtlos, danach sind alle Mädchen und jüngeren Frauen schwanger, dann gibt es eine große Menge von Kindern mit goldenen Augen, zum Schluss sind diese Kinder alle tot. Passend hierzu schreibt John Wyndham: ruhig und besonnen, sachlich und unemotional. Als wäre es keine große Sache, was da vor sich geht.

John Wyndham, geboren 1903, gestorben 1969, hat viel ausprobiert in seinem Leben. Der Klappentext der Penguin-Ausgabe von 1967 schreibt so lakonisch wie Wyndham selbst: „Careers which he has tried include farming, law, commercial art, and advertising.“ Auch beim Schriftstellern wußte er nicht recht, was Seins ist: „He wrote stories of various kinds under different names (…). He has also written detective novels“. Das mit den verschiedenen Namen kann man übrigens leicht nachvollziehen, wenn man weiß, dass John Wyndham von Geburt an John Wyndham Parkes Lucas Beynon Harris hieß…. Das prädestiniert einen für einiges…

Erst später, nach dem zweiten Weltkrieg, fand er das Genre, in dem er zu einem Klassiker wurde: Science Fiction. In dieses Genre gehören auch die Kuckuckskinder, die nicht nur wegen ihrer goldenen Augen etwas ganz Besonderes sind.

Aber das sollte man selber lesen, es lohnt sich. Der Spectator schrieb: „Exciting, unsettling, and technically brilliant.“

Eine Anmerkung zum Schluss: Ich kannte John Wyndham bis vor kurzem gar nicht – aufmerksam wurde ich auf ihn durch die BBC-TV-Serie „In their own words“ über englische Roman-Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, die es auch auf DVD gibt. Diese Serie lohnt sich auch (und wurde natürlich in diesem Blog bereits besprochen!).

The World my Wilderness. Rose Macaulay

„The World my Wilderness“ von Rose Macaulay ist ein Roman, der eine Welt beschreibt, der die zivilisatorischen Werte verloren gegangen sind. Die Handlung spielt in der unmittelbaren Nachkriegszeit, Schauplätze sind Südfrankreich und London.

Protagonisten sind zwei halbwüchsige Kinder, die sich in Frankreich der Widerstandsbewegung gegen die deutschen Besatzer angenähert haben. Sie erleben eine abenteuerliche Welt, Alltag als Abenteuer, voller Gewalt, die jeden immer treffen kann. Diese Welt ist für sie der einzige Standard, den sie für ihr Leben kennen. Als beide Kinder zu unterschiedlichen Familien nach London kommen, interpretieren sie die zerbombten Teile der Stadt als jene Wildnis, die sie aus dem Partisanen-Kampf kennen. Ganz selbstverständlich sehen sie „London“ durch die Brille ihrer Erfahrungen. Lüge, Betrug, Diebstahl, Folter und Mord sind den Kindern nicht fremd.

Was tut der Zerfall von Wertmaßstäben, von zivilisatorischen Spielregeln mit den Menschen? Dieser Frage geht der Roman bei der Darstellung der Jugendlichen nach. Eine weitere Möglichkeit, Spielregeln innerhalb der Zivilgesellschaft zu brechen, statt außerhalb ihrer, zeigt die Figur der Mutter des Mädchens: Sie bricht die Ehe, verliert hohe Geldsummen im Spiel und „entdeckt“ ganz nebenbei alte Provencalische Lieder, die sie dann herausgibt…

Ich mag diesen Roman von Rose Macaulay, da er ruhig und unaufgeregt erzählt wird. Er ist voller starker, gut gezeichneter Figuren. Erzählerisch wechselt die Perspektive: Mal sprechen die Kinder, mal erzählt die Autorin aus der Perspektive der Mutter oder der des Vaters oder der Stiefmutter. Das Geschehen ist hin und wieder dramatisch, seine Darstellung wirkt jedoch nie platt. Das Drama entfaltet sich unterschwellig, da das Wichtigste meist nicht ausgesprochen wird.

Ein sehr guter, schön zu lesender Roman, der eine seltsame Aktualität zu haben scheint, obwohl er Anfang der 1950er Jahre erschien.

Das Land, wo die Zitronen blühen. Helena Attlee

Das Land, wo die Zitronen blühen – ein Goethe-Zitat als Titel. Aber dennoch: Dieses Buch gibt es nur in englischer Sprache. So heißt es also „The land where lemons grow“, geschrieben von Helena Attlee, erschienen 2014.
Früchte, Blüten und Blätter der Orange (Citrus ×sinensis)

Das ideale Buch für die vergangenen Tage in Deutschland mit Temperaturen um die 40°C. Ein Zitronensorbet dazu – oder auch nur eisgekühltes Wasser mit Zitronen- und Orangenscheiben darin – dann noch ein Liegestuhl im Schatten – schon kann’s losgehen.
Zitrusvielfalt – Zitruseinheit – Zitrustage

Helena Attlee ist im englischsprachigen Raum als Spezialistin für Gärten bekannt. Gärten in der Provence, in Japan, in England, in Wales: Hierzu gibt es jeweils ein einschlägiges Buch. Und natürlich auch über Gärten in Italien in gleich mehreren verschiedenen Büchern.
LITERARY FESTIVAL: Helena Attlee - Northcote | Luxury Hotel and ...

„Das Land, wo die Zitronen blühen“ fällt dabei etwas aus dem Rahmen. Zwar geht es natürlich auch um Gärten, denn dort wachsen die entsprechenden Zitrusbäume. Viel mehr geht es aber um Botanik, Kulturgeschichte, Olfaktorik. Außerdem ums Reisen in Italien. Und ganz besonders um Küche. Abgerundet mit etwas Geschichte: politisch, medizinisch, kriminologisch, sprachlich. Einem Hauch Literatur. Und einer Prise Autobiographie.
Citron | Leonardi, Vincenzo | V&A Search the Collections

Alles aufs angenehmste durchmischt. Kein Aspekt wird zuviel (ganz sicher nicht zu viel: die Illustrationen – keine einzige!!!! bei diesem Thema!!!! das gleichen wir in diesem Blog mal schnell aus!!!!!). Die Autorin gönnt sich den Luxus, eine klare Struktur zu haben und ihr nicht zu folgen. Ein Buch also erfrischend ohne jede Pedanterie. Eher spielerisch. Jedenfalls genießend. Immer mit dem Duft von Zitrusblüten.
Bergamot - MasterLin

Jetzt weiß ich, was es mit Bergamotte auf sich hat. Mir ist vertraut, wie ein Campari Orange richtig auf italienisch heißt und warum dieses Getränk einen doppelten Bezug zu Zitrusfrüchten hat. Ich könnte (theoretisch) Zitronat herstellen. Ich weiß Bescheid über die Ursprünge der Mafia auf Sizilien. Ich kenne mich mit Chinotto aus. Ich kann erklären, warum welche Zitrusfrucht für das jüdische Sukkothfest verwendet wird und welche Konsequenzen das für ihre Ernte hat. Mir ist bekannt, wo die besten handgemachten Zitrusmarmeladen hergestellt werden. Ich kann erklären, warum die Äpfel der Hesperiden gar keine Äpfel waren. Und mir ist nicht verborgen, dass all die vielen Zitruspflanzen nicht aus Europa stammen, sondern aus Asien.
Chinotto Sparkling Soda Bottles by Niasca Portofino (pack of 4 ...

Ein anregendes Buch also, mit Vergnügen zu lesen. Und danach: ab nach Italien!
wo die Zitronen blühen? - Goethe | werbung | Reiseposter, Italien ...

H wie Habicht. Helen MacDonald

Die Bestseller und der Blogger

Die Verlage tun einiges, um dieses Buch – „H wie Habicht“ von Helen Macdonald – ramschig zu machen. Die englische Ausgabe prahlt mit „Costa Book of the Year“ auf dem Cover (Costa ist eine britische Coffee-To-Go-Kette). Die deutsche hält da mit: „Spiegel-Bestseller“, werden wir informiert. Für Leser wie mich, bei denen Bestsellerlisten ein skeptisches Lächeln im Gesicht auslösen, ist das natürlich nichts.
Falconer and Author Helen Macdonald on Dialogue - YouTube

Gekauft und gelesen habe ich es aber dann doch, allerdings erst, als es nicht mehr auf den Bestsellerlisten war (und obendrein gebraucht – reduziert das finanzielle Risiko, ein Buch gekauft zu haben, das mir dann wie erwartet nicht gefällt…). Gereizt hat mich das Thema: Mensch schafft sich einen Habicht an, richtet ihn zur Jagd ab und lernt sich dadurch selber besser kennen. Und die Kombination mit dem Bestsellertum: Wie kann so etwas in den Mainstream gelangen?

Helen Macdonald: Schreiberin von Naturthemen

Helen Macdonald, Jahrgang 1970, ist Wissenschaftshistorikerin an der Universität Cambridge und schreibt offensichtlich gerne über Naturthemen, insbesondere Greifvögel. Vor ihrem Habichtbuch, erschienen 2014, hat sie bereits eines über Falken geschrieben.
Helen Macdonald on What Falconry Can Teach Us About Our ...

„H wie Habicht“ ist, wie ich finde, ein sehr seltsames und äußerst bemerkenswertes Buch.

Autobiographie und Biographie und Kulturgeschichte und Ornithologie und….

  • Es ist ganz offensichtlich autobiographisch: Es geht um die Autorin selbst in dem Jahr nach dem Tod ihres Vaters, der eine große Rolle in ihrem Leben gespielt hat. Zusätzlich ist es auch fremd-biographisch: In diese Autobiographie eingewoben ist die Lebengeschichte von T.H. White, der heute am meisten  durch seine Bücher über die Artussage bekannt ist, ebenfalls einen Habicht abrichtete und darüber auch ein Buch geschrieben hat, welches Macdonald schon in jungen Jahren erstmalig las. White wird von Macdonald als psychisch schwer angeschlagen, fast pathologisch geschildert, eine weitere Parallele zu ihrer eigenen Verfassung nach dem Tod ihres Vaters. Beide werden außerdem  grundsätzlich als Menschen beschrieben, die eher für sich sind, keine Herdentiere.
  • Ornithologisch ist das Buch: Man erfährt viel über Habichte. Und kulturgeschichtlich , denn man lernt auch eine Menge über Falknerei in der Geschichte und in verschiedenen Kulturkreisen.

Die Autorin und der Habicht: eine gelungene Koexistenz

  • Das Buch kommt mit wenig aus. Zwei Hauptpersonen: Macdonald und White. Jeweils dazu: ein Habicht. Andere Menschen tauchen auf, aber immer nur vorübergehend, unwesentlich, Statisten. Auch der Plot ist einfachst: Vater gestorben – jungen Habicht gekauft und abgerichtet – gemeinsame Jagderlebnisse – vorübergehende Abgabe des Habichts zur Mauser.
  • Macdonald entgeht jeglicher Gefahr, den Habicht zu vermenschlichen. Ja, er (genauer: sie, mit Namen Mabel) ist ihr Gegenüber, ihre Partnerin in diesem Buch. Aber der Habicht ist eine Persönlichkeit für sich, definitiv kein Mensch, ganz anders, ganz Habicht. Diesen Greifvogel für sich zu lassen, ihn nicht zu vereinnahmen, ist vielleicht die größte Leistung von Macdonald in diesem Buch.

Schwebende Intensität

  • Getragen wird alles durch die Intensität, mit der Macdonald schreibt. Alles ist sehr real, unmittelbar. Man sieht den Habicht quasi vor sich, spürt sein Gewicht, seine Kraft, sieht seine Augen, seinen Schnabel, seine Klauen. Ebenso real sind erstaunlicherweise die Gedanken von Macdonald, ihre Gefühle, ihr Verhältnis zum Habicht, ihr Nachdenken über sich, das Leben, die Umwelt, ihren Vater.
  • So real dies alles ist, so schwebend, so atmosphärisch bleibt es gleichzeitig. Alles ist wie in einem Morgennebel im Herbst im Fenland um Cambridge, wenn man mit sich und seinem Habicht allein ist, es riecht nach Holzfeuer und feuchtem Laub.

Ach so, fast vergessen, Empfehlung natürlich. Ist doch klar. Sonst hätte das Buch doch nicht den Samuel-Johnson-Preis gewonnen.

How to Train Your Raptor | The New Yorker

Verlobung in Luzern. Elizabeth von Arnim

„The pastor’s wife“, also: Die Frau Pastor, heißt dieser Roman von Elizabeth von Arnim eigentlich, erschienen 1914. Elizabeth von Arnim ist keine Unbekannte in diesem Blog. Bereits besprochen haben wir: „All the dogs of my life“, „In the mountains“, „The caravaners“, „Love“, „Introduction to Sally“, „The solitary summer“. Auch bei unserer Liste der Bücher des Jahres 2017 war sie mit den Caravaners dabei.
August | 2018 | The Captive Reader

Alle Bücher von Arnims kommen unscheinbar daher. Es passiert nicht viel, auch nicht auf 300 Seiten. Das Personal ist sehr überschaubar, selten mehr, fast immer weniger als eine Handvoll Hauptfiguren. Eher Kammerspiel also als Roman. Große Kunst, die Aufmerksamkeit und Spannung mit so wenig so durchgehend aufrecht zu halten.
April Read: Elizabeth von Arnim | Virago Modern Classics ...

„The pastor’s wife“ ist da keine Ausnahme. Der Inhalt aus der Zusammenfassung der deutschen Übersetzung:
„Empörung im Haus des Bischofs – die wohlbehütete Tochter hat sich verlobt! Mit einem deutschen Pastor! Und dieser erscheint unvermittelt, um seine Verlobte in ihr zukünftiges Zuhause in Kökensee im fernen Ostpreußen zu bringen. Doch die Freuden des Ehelebens werden bald getrübt. Der Pastor spricht seiner jungen Frau von der heiligen Mutterpflicht, er, der es ansonsten mit seinem göttlichen Auftrag nicht sonderlich genau nimmt. Durch die sonntäglichen Predigten fühlt er sich bloß gestört in seiner eigentlichen Arbeit, der Entwicklung neuer Düngemittel. Und Ingeborg – eher wie ein Blatt im Wind wird sie durch ihr eigenes Leben geweht und stößt immer wieder an die harten Mauern der Konvention.“

Elizabeth von Arnim ist immer heiter, ironisch, boshaft. Sie erweckt oft den oberflächlichen Eindruck von heiler Welt und Süßlichkeit, bietet aber das genaue Gegenteil: Glück geht nur trotzdem. Man muss es sich erkämpfen. Die Welt hilft einem zwar nicht, jedenfalls nicht die menschliche. Aber irgendwie geht es doch?

In dieser Hinsicht ist „The pastor’s wife“ graduell verschieden: Der Grundton ist anders. Bitterkeit. Kombiniert mit Auswegloskeit, mit Vergeblichkeit, mit Verzweiflung. Es weht ein kalter Wind in Ostpreußen.
Die Hauptperson, Ingeborg, ist zwar wie bei von Arnim üblich irgendwie unverdrossen, findet immer wieder zum Positiven zurück, trägt viel Heiterkeit und Stärke in sich.
Aber das muss sie auch.
Schreckliche Schwangerschaften, noch schlimmere Geburten. In steter Folge. Niemand, wirklich keiner hilft ihr in diesem Roman. Schon gar nicht die Männer, die so sind, wie sie sind. Auch nicht die Frauen, die das patriarchalische Modell klassisch verstärken. Nicht einmal ihre Kinder, auf die doch sonst in von Arnimschen Romanen Verlass ist. Sogar eine Reise nach Italien, die doch sonst so sicher für Licht und Heiterkeit und Hoffnung sorgt, auch sie hilft nicht. Nichts und niemand, weit und breit.

Und ob die Unverdrossenheit der Heldin das düstere Happy End übersteht?
The Pastor's Wife – Elizabeth von Arnim | The Captive Reader

Alles zerfällt. Chinua Achebe

„Things fall apart“, der erste Roman von Chinua Achebe, erschien 1958. Mit mehr als 60 Jahren Verspätung habe ich ihn jetzt endlich auch gelesen.
On Things Fall Apart and Things Falling Apart: Simon van Schalkwyk ...

Albert Chinualumogu Achebe, *1930 in Nigeria, † 2013 in den USA, gilt als einer der Väter der modernen afrikanischen Literatur – woran auch immer man das festmacht. Jedenfalls war er sehr erfolgreich als Schriftsteller und wurde in mehr als 50 Sprachen übersetzt. Eine Übersetzung ins Englische war dabei nicht erforderlich, da Chinua Achebe bereits auf Englisch schrieb.
Vielleicht hat das dabei geholfen, einer dieser Väter zu werden (Literaturen haben übrigens eigentlich immer nur Väter, sind also ein biologisches Phänomen – oder kennt jemand z.B. eine der Mütter der modernen afrikanischen Literatur?), denn sonst hätte man ihn im Westen eventuell gar nicht oder erst viel später kennengelernt.
Chinua Achebe | The Dorothy & Lillian Gish Prize

Wikipedia fasst „Things fall apart“ zusammen: „Darin erzählt Achebe die Geschichte der nigerianischen Igbo in den 1890er Jahren. Der Bildungsroman schildert in realistischer Erzählweise im ersten Teil Wirtschaft, Kultur, Traditionen, Religion und Geschlechterverhältnisse einer Dorfgemeinschaft. In einem zweiten und dritten Teil werden die Auswirkungen der neuen christlichen und kolonialistischen Einflüsse auf das Dorfleben dargestellt.“

Das klingt ordentlich trocken. Eher wie eine akademische, anthropologische Abhandlung. Oder wie das Werk, das der britische District Commissioner als Krönung seines administrativen Lebenswerks zu schreiben gedenkt, sein Arbeitstitel: „The Pacification of the Primitive Tribes of the Lower Niger“.
„One must be firm in cutting out details.“

Ruhig und unaufgeregt, sachlich und ohne offensichtliche Wertungen, einfach und unprätentiös schreibt Chinua Achebe. Er läßt seinen Lesern Zeit nachzudenken. Sie können zu eigenen Einschätzungen und Wertungen kommen. Zugleich weiß man bereits nach der ersten Seite, dass man das Buch auf jeden Fall zu Ende lesen wird.

Vor der Ankunft der Missionare und Kolonialherren wird das Dorf als  Gemeinschaft geschildert. Es gibt Zusammenhalt, Solidarität, verbindliche gemeinsame Regeln. Wahrlich nicht alles ist einfach – Zwillinge zum Beispiel werden getötet, da sie als unheilvoll gelten -, aber es ist eine tatsächlich funktionierende, gemeinsam getragene Gemeinschaft.
Origin of Igbo tribe in Nigeria ▷ Legit.ng

Diese Basis wird von den christlichen Missionaren und Kolonisatoren untergraben. Der traditionellen Gemeinschaft gelingt es nicht, erfolgreich Widerstand zu leisten. Sie wird letztlich durch ihre eigenen Mechanismen zerstört. Es ist Sache der Götter, sich gegen eine andere, neue Religion zu wehren. Sobald die ersten Dorfbewohner zum Christentum übergetreten sind, kann man die Christen nicht mehr angreifen: Man kämpft nicht gegen Mitglieder der eigenen Familie. Und außerdem bietet die koloniale Zeit mehr Möglichkeiten, zu Wohlstand zu kommen – und Eigennutz war noch immer der Feind von Gemeinschaft.
Igbo People Language, Culture, Tribe, Religion, Women, Food, Masks

Die Hauptfigur des Romans, Okonkwo, der größte Krieger seines Dorfs, wohlhabend und sehr anerkannt in seiner Gemeinschaft, möchte die Kolonisatoren vernichten oder vertreiben, zur Not allein. Er sieht, dass sie die Gemeinschaft und alles, was ihm wichtig ist, zerstören. Als es darauf ankommt, macht sein Dorf aber nicht mit. Und gegen oder ohne seine Gemeinschaft  kann und möchte er dann doch nicht. Okonkwo kämpft nicht, er erhängt sich. Wie seine Gemeinschaft im übertragenen Sinne auch.

Erstaunliche Ironie dabei: Nur die Fremden können ihn abhängen und bestatten – seine Dorfgemeinschaft lässt ihn, der sie retten wollte, auch hier allein. Man braucht die Soldaten des District Commissioners. „It is against our custom. (…) It is an abomination for a man to take his own life. It is an offence against the Earth, and a man who commits it will not be buried by his clansmen. His body is evil, and only strangers may touch it. That is why we ask your people to bring him down, because you are strangers.“

Ein seltsames, fremdes Buch über uns.

Schöne neue Welt. Aldous Huxley

Als Epsilon Minus, die unterste Kategorie der Menschheit, seine Flasche zu verlassen, ist bestimmt kein Vergnügen. Und dabei ist doch alles aufs Glück ausgerichtet in der Welt in diesem Klassiker von Aldous Huxley, seinem Roman „Schöne neue Welt“.
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Aldous Huxley gehört zu einer Familie, die in Großbritannien eine große Rolle spielt (und gespielt hat), sowohl in Intellektuellen-Kreisen als auch im öffentlichen Sektor. Ein Nobelpreisträger, der erste Direktor der Unesco, diverse Schriftsteller gehören dazu. Die Huxley-Familie ist auch durch Heirat mit der Familie der Darwins verbunden. Als Huxley gehört man zum britischen Establishment.

Aldous Huxley selbst (1894 – 1963) ist heute in Deutschland vor allem durch diesen Roman bekannt, der im Jahr 1932 erschien. „Schöne neue Welt“ wird in diversen Listen zu den wichtigsten Romanen des 20. Jahrhunderts gezählt.

Man kann sich trefflich darüber streiten, ob es sich bei dieser schönen neuen Welt um eine Dystopie handelt oder nicht. Immerhin ist in ihr das Wohlbefinden, die „Happiness“ der Menschheit insgesamt optimiert – was will man mehr? Genau das, was man heute an Bhutan so bewundert, dass Glück zum Staatsziel wird, hier ist es realisiert! Spätestens seit Hume ist genau dieses Wohlbefinden schließlich das Lebensziel des Menschen – siehe den Blogbeitrag zu „Power, pleasure and profit“.

Klar, dass dabei nicht zugleich das Glück jedes Individuums auch maximal gesteigert werden kann, irgendwo braucht es Kompromisse. Aber alle haben das, was die meisten wollen: Es wird gearbeitet (zu wenig Arbeit ist nicht günstig für das Glücklichsein), alle körperlichen Bedürfnisse sind immer befriedigt, Krankheiten sind passé, auch das Altern ist vorbei (auch wenn man mit ca. 60 Jahren stirbt). Und für die Seele gibt es Feelys, Violent Passion Surrogates und mit Soma sogar eine Droge ohne Reue. Damit kein Beziehungsstress aufkommt, sind intensive Beziehungen nicht vorgesehen – also gibt es auch keinen Liebeskummer. Alles bestens also. Mehr Glück geht nicht.

Und doch, letztlich argumentiert Huxley gegen diesen Lebensentwurf.

Glück kann nicht der Lebenszweck an sich sein. Man kann und darf nicht zu seinem Glück gezwungen werden. Einer seiner Romanhelden, der sogenannte „Wilde“ John, ist da ganz klar:
„‚But I don’t want comfort. I want God, I want poetry, I want real danger, I want freedom, I want goodness, I want sin.‘
‚In fact,‘ said Mustapha Mond, ‚you’re claiming the right to be unhappy.‘
‚All right, then,‘ said the Savage defiantly, ‚I’m claiming the right to be unhappy.‘
‚Not to mention the right to grow old and ugly and impotent; the right to have syphilis and cancer; the right to have too little to eat; the right to be lousy; the right to live in constant apprehension of what may happen tomorrow; the right to catch typhoid; the right to be tortured by unspeakable pains of every kind.‘
There was a long silence.
‚I claim them all,‘ said the Savage at last.
Mustapha Mond shrugged his shoulders. ‚You’re welcome,‘ he said.

Sehr bezeichnend, dass Huxley, um überhaupt einen Roman über diese neue Welt schreiben zu können, Personen braucht, bei denen bei ihrer Konditionierung etwas schief gegangen ist oder die als Weltcontroller letztlich die Macht haben. Seine Hauptpersonen sind durchweg Individuen, Menschen mit eigener Persönlichkeit und eigenem Wollen. Über und mit Retortenmenschen lässt sich kein Roman schreiben. Alles langweilig:
„Actual happiness always looks pretty squalid in comparison with the over-compensations for misery. And, of course, stability isn’t nearly so spectacular as instability. And being contented has none of the glamour of a good fight against misfortune, none of the picturesqueness of a struggle with temptation, or a fatal overthrow by passion or doubt. Happiness is never grand.“

Aber auch für solche Individuen, denen das Glück nicht reicht oder bei denen etwas schiefgegangen ist, ist vorgesorgt: Sie dürfen auf eine Insel, mit den anderen ihresgleichen.

Aber dann wird’s da doch ziemlich eng, oder?

„It’s lucky,‘ he added, after a pause, ‚that there are such a lot of islands in the world.“

Also doch keine Dystopie!?!