Wer zum Jahreswechsel noch eine Portion Geschichte braucht und auch seine jährliche Dosis der Gala oder anderer Königs nahe stehender Publikationen noch nicht zu sich genommen hat, findet mit den Frauen im Kaiserhaus des alten Rom von Annelise Freisenbruch etwas, das beide Grundbedürfnisse des Menschen aufs Beste abdeckt.
Freisenbruch, Jahrgang 1977, klassische Philologin aus Cambridge, hat aus ihrer Doktorarbeit ein erstaunliches Buch gemacht. Sie beschäftigt sich mit den Frauen hinter den römischen Kaisern. Dabei deckt sie das gesamte Kaiserreich von Augustus bis zum Untergang des weströmischen Reichs im 5. Jahrhundert mit ihren wesentlichen Persönlichkeiten ab. Hauptpersonen sind z.B. Julia (Ehefrau von Augustus), Agrippina die Jüngere (Ehefrau von Claudius), Julia Domna (Ehefrau von Severus), Helena (Mutter von Konstantin) und viele mehr. Die jeweils relevanten Männer spielen in diesem Buch tatsächlich nur die Nebenrolle.
Damit gelingt Freisenbruch eine Sozialgeschichte der Frauen im Kaiserhaus mit vielen Details aus deren täglichen Leben, den Erwartungen der Öffentlichkeit, den Zwängen (und Freiheiten) ihrer Rolle. Obwohl die Kaiserfrauen in der antiken Geschichtsschreibung meist nur untergeordnet vorkommen und obendrein propagandistisch in sehr positives oder – häufiger – sehr negatives Licht gerückt werden, gelingt es der Autorin, jeweils ein gut ausbalanciertes, lebensrundes Porträt zu zeichnen. Gut ausgewählte Illustrationen leisten ebenfalls einen Beitrag, sich eine gute Vorstellung der handelnden Personen (und ihrer Frisuren) machen zu können.
Neben diesen inhaltlichen Aspekten ist bemerkenswert, wie gut Freisenbruch schreibt. Spannend, anschaulich, aber nie reißerisch. Sachlich, auch wissenschaftlich, aber nie langweilig.
Um eine Klippe kommt auch sie allerdings nicht herum. Vielleicht geht das auch gar nicht. Irgendwie scheinen in den einzelnen Kaiserdynastien immer alle recht ähnlich Namen zu haben, sind mit allen anderen auf vielfältige Art und Weise verwandt, verwitwet, geschieden, verheiratet… Gelegentlich schwirrt dem Leser (und möglicherweise auch der Leserin) da ganz schön der Kopf. Und wie bei einer größeren Sylvesterfeier: je später am Abend (= in der Geschichte des Kaiserreichs), desto mehr. Im Kapitel über Galla Placidia (Mutter von Theodosius; hat ein berühmtes Mausoleum in Ravenna) habe ich jeweils den Überblick über die Kaiser- und Verwandtschaftsabfolge verloren. Vielleicht hätte ich in die Stammbäume blicken sollen, die Freisenbruch sehr hilfreich ganz an den Anfang stellt, dann wüßte man wahrscheinlich besser, auf welchem Ast man sich gerade befindet.
Aber wie gesagt, dieses Problem liegt in der Natur der Sache. Und ändert überhaupt nichts daran, dass Freisenbruch ein hochinteressantes, substantielles, lesbares und lesenswertes Buch gelungen ist, dem ein breiteres Publikum zu wünschen ist.
Wer mehr erfahren möchte: Ein anderes Buch über Livia, Gattin von Kaiser Augustus, wurde ebenfalls in diesem Blog (positiv!) besprochen.