Das Lebensende des Peregrinos. Lukian

Lukian ist ein klarer Kandidat für die Kategorie „einflussreicher Unbekannter“. Entsprechend nicken bestimmt weniger Leser weise-wissend mit dem Kopf, wenn sie den Titel „Das Lebensende des Peregrinos“ hören als etwa bei Thomas Manns Buddenbrooks.

Dabei war das alles einmal ganz anders.

Alles, was man über Lukians Leben weiß, weiß man aus seinen Werken. Geboren wurde er anscheinend um 125 unserer Zeitrechnung in Samosata am Oberlauf des Euphrat im Südosten der heutigen Türkei.  Damals gehörte diese Stadt zur römischen Provinz Syrien. Von ihren Ruinen ist nichts mehr zu sehen, da sie vom Atatürk-Stausee zwischenzeitlich überflutet wurde… Er reiste sehr viel und hielt sich unter anderem in Gallien, Italien, Griechenland und Ägypten auf. Beruflich gehörte er in die damals (wie heute) nicht ungewöhnliche Gruppe von Professoren ohne festen Lehrsitz, die auch parallel oder abwechselnd als Schriftsteller tätig sind. Gestorben ist er wohl um 180, man weiß aber nicht, wann genau und wo.

Zwei Zeiten waren wunderbar für das Nachleben Lukians: die Renaissance und die Klassik.

Während der Renaissance war er mit seinen mehr als 70 erhaltenen (eher kürzeren) griechischen Werken eindeutig Star und Liebling der Humanisten. Es gab zum Beispiel mehr lateinische Übersetzungen von ihm als von Platon. Die Textausgaben seit dem späten 15. Jahrhundert sind entsprechend zahlreich und aufwendig gemacht. Erasmus von Rotterdam war ein Fan, Shakespeares „Timon von Athen“ basiert auf ihm, Thomas Mores „Utopia“ gäbe es vielleicht nicht ohne ihn. Auch Botticelli hat verschiedene seiner Gemälde nach ihm gemalt.
In der Klassik gehörte er ebenfalls zum Standard-Kanon antiker Autoren und wurde beispielsweise von Wieland vollständig übersetzt. Goethes „Zauberlehrling“ hat sich ursprünglich Lukian ausgedacht.

Lukian hat gleich mehrere literarische Gattungen erfunden oder auf den Weg gebracht: Er ist mit seinen „Wahren Geschichten“ einer der Erfinder des Romans, mit dem „Ikaromenipp“ hat er die Science Fiction gegründet. Satirisch-pikareske Literatur wie die von Cervantes, Swift, Sterne, Rabelais… sind ohne ihn als Inspiration kaum vorstellbar. Überhaupt ist das Hauptmerkmal in seinen Werken seine grundsätzlich ironisch-sarkastische Grundhaltung gegenüber allem und jedem (inklusive seiner selbst). Nicht von ihm durch den Kakao gezogen worden zu sein, war ein deutliches Zeichen dafür, nicht wichtig zu sein.

Und was ist jetzt mit dem „Lebensende des Peregrinos“ oder im Original „Περὶ τῆς Περεγρίνου τελευτῆς“?

Der „Pereginos“ ist aus zwei Gründen besonders empfehlenswert. Er ist durchaus typisch für den satirischen Schreibstil von Lukian. Man kann mit ihm gut und kurz testen, ob man gerne Lukian liest.
Und er ist ausgesprochen interessant, weil er die erste Darstellung des frühen Christentums aus der Feder eines Nicht-Christen beinhaltet.  Jesus ist darin ein Sophist. Peregrinos hat einige der Bücher des Christentums selbst geschrieben. Und die Christen lassen sich bestens über den Tisch ziehen.

Wer „Das Leben des Brian“ von Monty Python schätzt, ist auch bei Lukian richtig.

A history of Christianity: The first three thousand years. Diarmaid MacCulloch

Sollte irgendjemand sich gefragt haben, warum es in der letzten Zeit so wenige Beiträge von mir gibt, hier ist die Antwort: Ich habe mir etwas Monumentales gegönnt und mich an die Geschichte des Christentums gewagt – immerhin deutlich mehr als 1000 Seiten.

Damit ist auch bereits Wesentliches über das Buch gesagt: Rechnerisch entfallen mehr als drei Jahre auf jede Seite für die weltweite Geschichte des Christentums. Alles ist recht dicht gedrängt, auch der Schriftsatz…. Allerdings muss man auch gleich hinzufügen, nichts Vergleichbares und schon gar nichts vergleichbar Gutes gibt es aktuell in nur einem einzigen Band, weder in englischer noch in deutscher Sprache.

Mit dem kürzlich von mir besprochenen Tim Blanning, der sich ebenfalls nicht scheut, unübersehbare Themen anzugehen, kann Diarmaid MacCulloch allerdings nicht ganz mithalten. MacCulloch, Kirchenhistoriker an der Universität Oxford, beherrscht das Thema. Er schreibt gut, auch mitunter bissig-humorvoll. Vor allem bewahrt er bei aller Expertise eine sehr gesunde Distanz zu seinem Thema (er bezeichnet sich selbst lediglich als wohlwollenden Unterstützer des Christentums, obwohl oder weil er aus einer englischen Pastorenfamilie stammt). Allerdings ist er nicht ganz so elegant im Herausarbeiten der großen Linien bei gleichzeitigem Herausgreifen einschlägiger Details, nicht so homogen wie Blanning. Vielleicht ist damit die Latte aber auch wirklich extrem, also unangemessen hoch gelegt. Auch ist die Geschichte des Christentum schon ein wenig unhandlich….

Empfehlenswert ist das Buch jedenfalls für jeden, dem dieses Thema wichtig ist. Dies allein schon deshalb, weil MacCulloch sehr gut die vielen verschiedenen Gesteinsformationen und Schichten, die zahllosen Brüche und Verwerfungen darstellt, die die Entwicklung des Christentums ausmachen und dazu beitragen, dass es wahrlich kein Monolith ist – vielleicht noch nicht einmal damals, als Christus seine Kirche auf den Fels Petrus gebaut hat. Ein weiterer Grund zum Lesen: MacCulloch fokussiert nicht nur auf die westliche christliche Kirche, sondern gibt auch den anderen Kirchen recht ausbalanciert ihren Raum.

Eine Leseprobe über Säulenheilige in Syrien:
„Over the next seven centuries, around 120 people imitated Simeon’s initiative in Syria and Asia Minor. They were like living ladders to Heaven, and even if hermits, they were far from remote. St Simeon himself had chosen one of the most elevated sites in his portion of northern Syria next to a major raod, dominating the view for scores of miles, and preaching twice a day. Stylites often became Major players in Church politics, shouting down their theological pronouncements from their little elevated balconies to the expectant crowds below, or giving personalized advice to those favoured enough to climb the ladder and join them on their platform. There was little love lost between some rival pillars of different theological persuasions. Simeon the younger Stylite (521-97) is rather implausibly said to have insisted on spending his infancy on a junior pillar, but there is no doubt that he eventually graduated to a full-scale pillar near Antioch (…).“

Solche pointierten Passagen finden sich immer wieder. Wer zum Beispiel wissen möchte, wie es gekommen ist, dass aus Buddha ein christlicher Heiliger wurde, sollte nicht zögern, es nachzulesen!

Bisher bis zur Hälfte gelesen (ich werde weiterlesen!) habe ich die englische Taschenbuchausgabe bei Penguin von 2009. Auch zu empfehlen ist die DVD-Reihe zur Geschichte des Christentums, die parallel zum Buch erschienen ist.
Wenn ich es durchgelesen habe, schreibe ich den Folgebeitrag!