Der unbekannte Berühmte (neudeutsch: „hidden champion“, oder so ähnlich)
Samuel Johnson ist in Deutschland eher weniger bekannt. Dabei ist er, wie Wikipedia bemerkt, nach William Shakespeare der meistzitierte englische Autor überhaupt.
Schaut man in die deutschen Bücherverzeichnisse, so finden sich zwei Einträge. Von Johnson selbst: „Reisen nach den westlichen Inseln bei Schottland“, passend zur Schottland-Reise-Begeisterung der Deutschen und zu Mendelssohn Bartholdy (3. Symphonie: Die Schottische; Hebriden-Ouvertüre). Und die Biographie über Johnson von James Boswell. Ansonsten Fehlanzeige.
Woran liegt’s?
Vielleicht daran, dass Johnson sich aufs Englische an sich konzentriert hat. Neben seinem erwähnten Werk über die Schottlandreise ist er (in Großbritannien) berühmt für sein Wörterbuch des Englischen und für seine Kurzbiographien über englische Dichter. Das muss einen, wenn man nicht gerade Anglistik zu seinem Fach gemacht hat, nicht hinter dem Ofen vorholen. Und seine Essays für diverse Zeitschriften wie den „Rambler“ oder „Gentleman’s Magazine“ schaffen das dann auch nicht.
Auch reisend hat er nicht viel mit dem europäischen Kontinent zu schaffen gehabt. Nach Frankreich ist er einmal gekommen und war nicht begeistert.
Warum sollte sich das jetzt ändern?
Nein, auch ich finde, man muss das Wörterbuch nicht haben oder gar lesen. Auch lege ich mich nicht für seine Kurzbiographien ins Zeug.
Andererseits ist Johnson nicht zu unrecht vor allem durch Biographien über ihn, wie die von Boswell (siehe oben), berühmt. Und da ist er beeindruckend vielschichtig, selbst-reflektiert, voller Komplexe, völlig unheroisch menschlich, erfrischend exzentrisch, zitierfähig pointiert. Wichtig dabei: Nicht, was er getan hat, zeichnet ihn aus (und er war eher faul; sein Leben nicht sehr ereignisreich), sondern das, was er gedacht und gesagt hat. Ein intellektueller Normalmensch, ein Mensch der Rationalität, der mit seinem Unterbewussten, seinen Gewohnheiten, seinen sozialen Schwächen Probleme hatte und nicht recht klar kam. Jedes Jahr mindestens zweimal (Silvester und Ostern) nahm er sich vor, früh aufzustehen, nicht zu trödeln und ein anständiger Mensch zu werden. Gebracht hat das nichts. Fand er auch.
Und die Biographie von Nokes?
Ist gut, lesenswert, aktuell, da veröffentlicht in 2009. Sehr sensibel für die Nuancen von Johnsons Charakter, nicht zu detailverliebt, genügend zeitgeschichtlicher Hintergrund, eher flott geschrieben, sicherlich nicht reißerisch oder klatschsüchtig. Also sehr anders als Boswell. Und damit eine gute Ergänzung oder eine gute Alternative.
Nokes, der auch im Jahr 2009 starb (sehr lesenswerter Nachruf im Guardian!), war ein sehr einflussreicher Anglist: „his interest in people, in verse forms, in literary friendships and the influence of human forces demonstrated critical tact that was sensitive to historical conditions, in part because he refused to follow fashion. The clarity of his own prose accommodated touches of wit and elegance, but his foremost concern, in his biographies and his numerous lucid reviews, was to do justice to his subject, without egotism.“
Beispiele für den zitierfähigen Johnson?
Johnson war kein Freund der Sklaverei (er hinterließ auch einen Großteil seines Vermögens einem ehemaligen Sklaven) und auch sonst kein Fan von Hierarchien oder Macht insgesamt. Ein sehr britisch-ironisches Zitat von Johnson:
„(…) as we have not only animals for food, but choose some for our diversion, the same privilege may be allowed to some beings above us, who may deceive, torment, or destroy us for the ends only of their own pleasure or utility…. Some of them, perhaps, are virtuosi, and delight in the operations of an asthma, as a human philosopher in the effects of an air pump. To swell a man with a tympany is as good a sport as to blow a frog.“
Oder eine Passage über die sogenannten metaphysischen Dichter, zu denen Dichter wie Donne oder Cowley gezählt wurden:
„The metaphysical poets were men of learning, and to shew their learning was their whole endeavour; but, unluckily resolving to shew it in rhyme, instead of writing poetry, they wrote verses, and very often such verses as stood the trial of the finger better than of the ear; for the modulation was so imperfect, that they were only found to be verses by counting the syllables.
(…) Their thoughts are often new, bat seldom natural; they are not obvious, but neither are they just; and the reader, far from wondering that he missed them, wonders more frequently by what perverseness of industry they were ever found (…) The most heterogeneous ideas are yoked by violence together; nature and art are ransacked for illustrations, comparisons, and allusions; their learning instructs, and their subtility surprises; but the reader commonly thinks his improvement dearly bought, and, though he sometimes admires, is seldom pleased.“
Womit deutlich wird, dass es kein Lebensziel von Johnson war, möglichst viele Freunde zu haben, sondern zu sagen, was er denkt.