Rex Stout. David R. Anderson

image

Rex Stout war nicht nur eine vielschichtige, reflektierte und charismatische Persönlichkeit mit einem ereignisreichen Leben, sondern auch ein Autor vor allem sehr guter Krimis auf hohem literarischen Niveau. Deshalb ist es lohnend, nicht nur Bücher von ihm, sondern zum Beispiel auch dieses Buch über ihn und seine Nero Wolfe-Krimi Serie zu lesen.

Anderson gibt in diesem gut lesbaren und überschaubaren Buch (124 Seiten Text in der Ausgabe, die ich gelesen habe) zunächst einmal einen verdichteten Überblick über die Biographie Stouts. Anschließend beschreibt er die Entwicklung der Nero Wolfe-Serie anhand exemplarischer Romane, die er drei Phasen zuordnet: Family Tensions: The Early Novels; The Problem of Politics: The Middle Novels und Crack-Up: The Late Novels. Diese Tour d’Horizon über die Romane wird gefolgt von drei Kapiteln über die wesentlichen Charaktere der Romane: Nero Wolfe: The Incurable Romantic; Archie Goodwin: Pragmatic Picador; The Thirty-Fifth Street Irregulars. Abschließend verdichtet er die Erkenntnisse der vorherigen Kapitel in eine Gesamtwürdigung der Leistung Stouts als Krimi-Schriftsteller.

Die Interpretationen Andersons sind sehr gut nachvollziehbar und immer wieder mit einschlägigen Zitaten hinterlegt. Eindrucksvoll ist, wie er die großen Linien der gesamten Serie, die immerhin über einen Zeitraum von 40 Jahren (1933 – 1975) entstanden ist, herausarbeitet, ohne sich in Details zu verlieren.

Besonders bemerkenswert für mich:

  • Mit Wolfe und Goodwin hat Stout ein Paar von Detektiven geschaffen, die auf ihre jeweilige Art völlig gleichwertig sind (anders als zum Beispiel bei Sherlock Holmes und Dr. Watson oder Hercule Poirot und Arthur Hastings) und dabei zwei der großen Krimi-Traditionen kombiniert, die des „hard-boiled detective“ (hier Archie Goodwin; Beispiele sonst vor allem Hammetts Spade und Chandlers Marlowe) und die des „Great Detective“ (hier Nero Wolfe; Beispiele sonst Poes Dupin, Conan Doyles Sherlock Holmes, Christies Hercule Poirot). Stout setzt diese beiden völlig unterschiedlichen in ein gemeinsames Büro und nutzt literarisch das gesamte Potenzial der resultierenden Interaktionen.
  • Krimis wurden oft von reinen Whodunits in Richtung „höherer“ Formen von Literatur weiterentwickelt. Sie wurden dann zum Beispiel zu psychologischen oder soziologischen Romanen. Anderson argumentiert durchaus überzeugend, dass Stout den Krimi zur „novel of manners“ entwickelt hat – einer Romanform mit Jane Austen als zentraler Vertreterin im englisch-sprachigen Raum. „At first glance the crime novel seems an unlikely candidate for the same genre with Jane Austen. Yet Rex Stout consistently reveals in his novels an interest in character, personal relations, and their underlying issues.“
  • Die  Nero Wolfe-Romane zählen zu den amüsantesten Krimis aufgrund ihrer „lightness of tone“. „This light tone saves the Wolfe novels from the two great pitfalls of crime fiction: sentimentalism and pompoisity. (…) No other writer of crime fiction has controlled tone as successfully and consistently as Rex Stout. His novels are serious but not overbearing, light but not frivolous. Their treatment is realistic, their commentary subtle, their tone balanced.“

Gelesen habe ich die nur antiquarisch verfügbare, bisher einzige Auflage von 1984.