Bellissima – Feminine Beauty and the Idea of Italy. Stephen Gundle

Die Schönheit italienischer Frauen: hier ist das Spektrum der Assoziationen weit. Von den leichtbekleideten Frauen im italienischen Fernsehen über Sophia Loren bis hin zu den Frauengesichtern des Quattrocentro. Was immer das Herz begehrt… Aber, schöne Frauen UND die Idee von Italien? Das ist ein ungewöhnlich interessanter Ansatz.

Stephen Gundle beschreibt in seinem Buch, wie das Ideal der schönen Italienerin im Lauf der Jahrhunderte für ganz unterschiedliche Zwecke derer genutzt wurde, die es propagierten: politische Einheit, Tradition, Wohlstand nach Kriegsjahren, Modernität, Marketing, Sex. Er skizziert sowohl die inner-italienischen Trends wie auch den Blick nordeuropäischer Reisender und des westlichen Filmpublikums der 50er und 60er Jahre.

Gesamtpaket: Schönes Italien, schöne Italienerinnen

Die Idee von speziell italienischer, weiblicher Schönheit hat nach seinen Ausführungen im wesentlichen eine integrative Funktion.  Im Zusammendenken von Italien, Kultur, Kunst und weiblicher Schönheit spendete letztere auch Trost in einer als unübersichtlicher und komplexer wahrgenommenen Welt: „One of the most striking features of Italian feminine beauty is continuity or (…) the semblance of continuity. A crucial part of the appeal of this cultural configuration lies in the fact that the beautiful Italian woman is considered to be timeless (…). From the time of the Grand Tour, northern Europeans looked to the peninsula and its women, hoping to find there a sense of the wholeness that they were convinced had disappeared from their own countries.“

Schönheitswettbewerbe als Praxistest für Ideale

Besonders interessant ist Gundles Ansatz, über die Veranstaltung, Verdammung und mediale Verwertung von Schönheitswettbewerben seit den 30er Jahren die widersprüchlichen Anforderungen an das Ideal der italienischen Schönheit innerhalb der Gesellschaft zu zeigen. Alleine das Bildmaterial hierzu ist faszinierend.

Verbüffend, doch ebenso interessant wie nachvollziehbar sind seine Ausführungen zur beliebtesten italienischen Porn-Queen, Moana Pozzi, die nach ihrem frühen Tod eine Art säkulare Heilige wurde…

Kapitel von „Bellissima“

  • Italy, the Land of Beauty
  • The Blonde Aura of Queen Margherita
  • The Rise of the Professional Beauty
  • Fascism and the Allure of the Female Image
  • Beauty and National Identity after the Second World War
  • Catholics, Communists and Beauty Contests
  • The Female Film Stars of the 1950s
  • Mass Consumption and Ideals of Beauty
  • Emancipation, Eroticism and Nostalgia
  • Beauty and Ethnicity in the Era of Globalisation
  • The Return of the „Bella Italiana“

Schönheitsideal und Kulturgeschichte

Good Reads zu „Bellissima“: Feminine beauty has been more associated with national cultural identity in Italy than in any other country. From the time of Dante and Petrarch, ideals of beauty have informed artists’ work. This intriguing and gloriously illustrated book investigates the many debates this topic has provoked in modern Italy.“

Der Autor thematisiert explizit das Ideal weiblicher, italienischer Schönheit als Wunschvorstellung von Männern. Auch sprachlich berücksichtigt er diesen Aspekt: konsequent formuliert er mit großer Sensibilität, dass sich der männliche Blick auf den weiblichen Körper richtet. Dort, wo Frauen selbst die Initiative zur Selbstdarstellung und Selbstreflexion nutzten, berücksichtigt er diese Belege. Erstaunlicherweise – oder auch eben nicht – entdeckte die katholische Kirche alleine sehr schnell, dass der unbekleidete weibliche Körper, der für Marketingzwecke eingesetzt wird, nicht unbedingt eine Wertschätzung von Frauen ausdrückt.

„Bellissima“ ist reichbebildert und verfügt über eine umfangreiche Bibliografie.

No-Theater: Kissing the Mask – Beauty, Understatement and Femininity in Japanese Noh Theater. William T. Vollmann

Dieses Buch über das japanische No-Theater ist eine breit angelegte Suche nach der weiblichen Schönheit. So trägt es zunächst unerwartet, jedoch folgerichtig den weiteren Untertitel „With some thoughts on muses (especially Helga Testorf), transgender women, Kabuki goddesses, porn queens, poets, housewives, makeup artists, Geishas, Valkyries and Venus figurines.

Japanisches No-Theater

Vollmann beschreibt die stilisierte Darstellungsform in dieser alten Theater-Tradition, die auf das 14. Jahrhundert zurückgeht. Das abstrakte Niveau der Themen, Gesten, Andeutungen, Masken war eine Unterhaltungsform für den Adel. Heute, so Vollmann, ist es nur Spezialisten ein Genuss und selbst diese sind auf Erklärungen angewiesen. Der Autor charakterisiert No als die mysteriöse Verbindung des Ewigen mit dem Vorübergehenden: „The old man transforming himself into the young female, the stillness that frames passion and delusion and violence, the constant endeavor to neutralize opposites.“

Worin besteht weibliche Schönheit, Grazie?

Im No tragen Schauspieler geschnitzte Masken, alle Frauen-Rollen werden durch männliche Schauspieler dargestellt. Wie kann es sein, dass eine Frauen-Figur auf der Bühne als wunderschön, als weiblich wahrgenommen wird, obwohl ein Mann hinter ihr steckt, der in seiner Männer-Stimme spricht und singt, dessen Hände, Hals und Füße als „männlich“ zu erkennen sind? Die Antwort des Autors, eine seiner Antworten, lautet, Schönheit zu erleben und zu erfahren, ist immer ein andauernder Prozess. Nach der Empfehlung Zeamis, eines No-Theoretikers aus der Entstehungszeit, soll der Zuschauer die Details des Stücks vergessen, damit er das Ganze wahrnehmen kann. Daraufhin soll er das Stück selbst vergessen und sich auf den Schauspieler konzentrieren, dann diesen vergessen und seinen Geist studieren. Zu guter Letzt soll er dessen Geist vergessen und übrig bleibt die Essenz des No. Vollmann überträgt dies in dieser Weise: „I propose to forget face, body and clothes in order to take in the entire impression that the woman makes. Next, forget her impression and consider its maker: her. Now forget her, and perhaps you may find a way to see her soul. At the last, forget even that, and then you will know her grace.“

Ausgehend von der Wirkung des No untersucht der Autor die Wirkung von weiß geschminkten Geisha-Gesichtern, Schminke, Körperhaltung und Kleidung bei transgender Frauen, Transvestiten und biologischen Frauen. Kapitel in diesem erstaunlichen und wunderbaren Buch heißen: Perfect Faces, A  Curtain of Mist, There is no Ugly Lady Face, Snow in a Silver Bowl, The Decay of the Angel, The Moon Maiden goes Home, Behind the Rainbow Curtain…

 Gelesen habe ich die Ausgabe von 2010.