Ein Autor für Literaturkritiker und Preisverleiher ist Eduardo Mendoza Garriga. Richtig los ging alles mit seinem Roman „Die Stadt der Wunder“ – im spanischen Orginal „La ciudad de los prodigios“. Premio Ciudad de Barcelona, Roman des Jahres 1988 in Frankreich, Franz Kafka-Preis, im vergangenen Jahr sogar der Premio Cervantes…. Mendoza wird wahlweise mit Marcel Proust, James Joyce, Alexandre Dumas verglichen .
In der Stadt der Wunder geht es um zwei Protagonisten. Zunächst und vor allem ist dies das Barcelona der Zeit von der Weltausstellung des Jahres 1888 bis zu der von 1929. In dieser Zeit wurde Barcelona das, was Touristen heute lieben, die Stadt des Architekten Gaudí, der Boulevards, der großzügigen Stadtviertel. Die Erlebnisse dieser Stadt bilden den einen Erzählstrang: Wie sie sich städtebaulich entwickelt, ihr regionales Umfeld, ihr Charakter mit allen Stärken und Schwächen, ihre schwierige Beziehung zu Madrid, die großen Personen in ihrem Leben – ein historisch-urbanes Panorama.
Der zweite Protagonist heißt Onofre Bouvila, ein Zugereister, der mit viel Entschlossenheit, Kreativität und Skrupellosigkeit seine verbrecherische Karriere vom mittellosen Hungerleider zum reichsten Mann Spaniens vorantreibt. Seine Erlebnisse bilden den zweiten Erzählstrang.
Beide Stränge sind vom ersten Satz an miteinander verwoben und aufeinander angewiesen, denn ohne einander wäre der Roman vielleicht nicht erwähnenswert:
„El año en que Onofre Bouvila llegó a Barcelona la ciudad estaba en plena fiebre de renovación.“ In der (nicht ganz überzeugenden) deutschen Übersetzung von Peter Schwaar: In dem Jahr, in dem Onofre Bouvila nach Barcelona kam, befand sich die Stadt im Zustand fieberhafter Erregung.“
Mendoza geht in seinem Roman sogar noch weiter und sagt im letzten Satz, dass es mit Barcelona ohne Bouvila nur noch bergab ging/gehen konnte:
„Später, als man Geschichte schrieb, war man der Ansicht, in dem Jahr, in dem Onofre Bouvila aus Barcelona verschwand, sei die Stadt in offene Dekadenz verfallen.“ Und Bouvila war, als er aus Barcelona verschwand, sogar wie vom Erdboden verschwunden, also ohne Barcelona gar nicht mehr vorhanden.
Mendoza kann erzählen und beschreiben und glänzt immer wieder mit reizvollen oder auch skurrilen Details. So gleich am Anfang, wenn er kurz die Stadtgeschichte erzählt:
„A los fenicios siguieron los griegos y los layetanos. Los primeros dejaron de su paso residuos artesanales; a los segundos debemos dos rasgos distintivos de la raza, según los etnólogos: la tendencia de los catalanes a ladear la cabeza hacia la izquierda cuando hacen como que escuchan y la propensión de los hombres a criar pelos largos en los orificios nasales.“
„Nach den Phöniziern kamen die Griechen und die Layetaner. Jene hinterließen Reste handwerklicher Tätigkeit; diesen verdanken wir, wenn man den Ethnologen glauben darf, zwei typische Charakterzüge unserer Rasse: die Tendenz der Katalanen, den Kopf nach links zu neigen, wenn sie so tun, als hörten sie zu, und den Hang der Männer, in den Nasenlöchern lange Haare sprießen zu lassen.“
Was Mendoza – zumindest in diesem Roman und zumindest nach meiner Meinung – nicht kann oder nicht zeigen möchte, ist, Spannungsbögen und wirkliches Interesse an den Romancharakteren aufzubauen. Alles ist irgendwie auf der gleichen Ebene, wird irgendwie gleichartig-wortreich erzählt und berührt einen/mich letztlich wenig. Das Leben und Sterben, Erleben und Erleiden löst nichts aus, keine Sympathie, Freude, Trauer, Erleichterung. Vielleicht mit Absicht? Als Kritik an der damaligen oder heutigen Zeit?
Der Roman ist gut genug, um mich erfolgreich (aber etwas ermattet) die Seite 503 in der deutschen Übersetzung erreichen zu lassen. Er rechtfertigt nicht die großen Worte, die über ihn verloren werden. Dies sehen andere Leser (die nicht Literaturkritiker sind) anscheinend ähnlich. So schreibt ein Rezensent in einem Blog: „(…) reconozco que sí, que esta es una señora novela, aunque también tengo que decir que personalmente no me ha maravillado hasta el punto de considerarla una obra maestra.“ Oder auch: „‚La ciudad de los prodigios‘ (…) me parecía un poco aburrido y previsible.“
Aber lesen, gerade wenn man Barcelona mag, kann man ihn schon. Daher ja auch der Premio Ciudad de Barcelona.