Geschichte des Peloponnesischen Kriegs. Thukydides

Neben aller Sekundärliteratur macht es immer wieder Spaß, einige Quellen unmittelbar zu lesen. Für historisch Interessierte setzt die Geschichte des Peloponnesischen Krieges von Thukydides (460-397 v.Chr.) dabei einen Maßstab der Geschichtsschreibung, der vorher nie und auch später nicht oft erreicht wurde. Für alle ist er ein Geschichtsschreiber, der mit aller methodischen Akribie immer wieder höchst spannend und fesselnd, mit ausgezeichnetem Gespür für die relevanten Machtfaktoren einen Konflikt nachzeichnet, zu dem sich leicht Parallelen in der heutigen Zeit finden lassen.

Thukydides geht es in seiner Beschreibung des Kriegs zwischen Athen (in Koalition mit dem Attischen Seebund) und Sparta (ebenfalls mit zahlreichen Verbündeten) neben der eigentlichen historischen Arbeit am von ihm selbst miterlebten Krieg vor allem um zwei Ziele. Zum Einen distanziert er sich von seinem berühmten Vorfahren Herodot, den er für naiv, subjektiv, zu wenig interessiert an der historischen Wahrheit hält. Zum Anderen versucht er nachzuweisen, dass der Peloponnesische Krieg größer und bedeutender war als alle Vorhergehenden, insbesondere die vom genannten Herodot beschriebenen Perserkriege. Diese Ziele verfolgt er so konsequent, dass zumindest beim Nachweis der Bedeutung des Kriegs auch die Wahrheit ein wenig leidet. Denn zumindest die Perserkriege waren in ihrer Dimension wahrscheinlich größer. Otto Lendle, ein Althistoriker, schrieb zur Situation, in der Thukydides seine Arbeit begann: „damals waren nämlich plötzlich die Perserkriege in aller Munde – dank Herodot, dessen Werk sich inzwischen verbreitete und die glorreiche Erinnerung an den heroischen Abwehrkampf der Griechen gegen die persische Invasion wieder hatte lebendig werden lassen. Gemessen an den dramatischen Vorgängen ein Menschenalter früher, als das Schicksal Griechenlands wahrhaftig auf Messers Schneide stand, konnte der (peloponnesische) Krieg (…) in der Tat als ein Ereignis zweiten Ranges erscheinen. Diese allgemeine Einschätzung bedeutete für Thukydides natürlich eine schwere Belastung. Es blieb ihm al Schriftsteller gar keine andere Möglichkeit, als im Interesse seines Gegenstandes gegen Herodot, den Mann der Stunde, und sein alles überstrahlendes Hauptthema, die Perserkriege, anzutreten (…).“

Sollte dieser Abgrenzungsversuch gegen Herodot die völlig neuartige, geradezu modernen methodische Qualität von Thukydides mit ihrem Fokus auf der historischen Wahrheit und auf den Beweggründen der Akteure hervorgebracht haben, so hat er sich gelohnt. Ein Zitat aus dem sogenannten Methodenkapitel: „Καὶ ὅσα μὲν λόγῳ εἶπον ἕκαστοι ἢ μέλλοντες πολεμήσειν ἢ ἐν αὐτῷ ἤδη ὄντες, χαλεπὸν τὴν ἀκρίβειαν αὐτὴν τῶν λεχθέντων διαμνημονεῦσαι ἦν ἐμοί τε ὧν αὐτὸς ἤκουσα καὶ τοῖς ἄλλοθέν ποθεν ἐμοὶ ἀπαγγέλλουσιν· ὡς δ‘ ἂν ἐδόκουν ἐμοὶ ἕκαστοι περὶ τῶν αἰεὶ παρόντων τὰ δέοντα μάλιστ‘ εἰπεῖν, ἐχομένῳ ὅτι ἐγγύτατα τῆς ξυμπάσης γνώμης τῶν ἀληθῶς λεχθέντων, οὕτως εἴρηται. τὰ δ‘ ἔργα τῶν πραχθέντων ἐν τῷ πολέμῳ οὐκ ἐκ τοῦ παρατυχόντος πυνθανόμενος ἠξίωσα γράφειν, οὐδ‘ ὡς ἐμοὶ ἐδόκει, ἀλλ‘ οἷς τε αὐτὸς παρῆν καὶ παρὰ τῶν ἄλλων ὅσον δυνατὸν ἀκριβείᾳ περὶ ἑκάστου ἐπεξελθών. ἐπιπόνως δὲ ηὑρίσκετο, διότι οἱ παρόντες τοῖς ἔργοις ἑκάστοις οὐ ταὐτὰ περὶ τῶν αὐτῶν ἔλεγον, ἀλλ‘ ὡς ἑκατέρων τις εὐνοίας ἢ μνήμης ἔχοι. καὶ ἐς μὲν ἀκρόασιν ἴσως τὸ μὴ μυθῶδες αὐτῶν ἀτερπέστερον φανεῖται· ὅσοι δὲ βουλήσονται τῶν τε γενομένων τὸ σαφὲς σκοπεῖν καὶ τῶν μελλόντων ποτὲ αὖθις κατὰ τὸ ἀνθρώπινον τοιούτων καὶ παραπλησίων ἔσεσθαι, ὠφέλιμα κρίνειν αὐτὰ ἀρκούντως ἕξει. κτῆμά τε ἐς αἰεὶ μᾶλλον ἢ ἀγώνισμα ἐς τὸ παραχρῆμα ἀκούειν ξύγκειται.“
Auf deutsch in der Übersetzung von Landmann:
„Was nun in Reden hüben und drüben vorgebracht wurde, während sie sich zum Krieg anschickten, und als sie schon drin waren, davon die wörtliche Genauigkeit wiederzugeben war schwierig sowohl für mich, wo ich selber zuhörte, wie auch für meine Gewährsleute von anderwärts; nur wie meiner Meinung nach ein jeder in seiner Lage etwa sprechen mußte, so stehn die Reden da, in möglichst engem Anschluß an den Gesamtsinn des in Wirklichkeit Gesagten. Was aber tatsächlich geschah in dem Kriege, erlaubte ich mir nicht nach Auskünften der ersten besten aufzuschreiben, auch nicht ’nach meinem Dafürhalten‘, sondern bin Selbsterlebtem und Nachrichten von andern mit aller erreichbaren Genauigkeit bis ins einzelne nachgegangen. Mühsam war diese Forschung, weil die Zeugen der einzelnen Ereignisse nicht dasselbe über dasselbe aussagten, sondern je nach Gunst oder Gedächtnis. Zum Zuhören wird vielleicht diese undichterische Darstellung minder ergötzlich scheinen; wer aber das Gewesene klar erkennen will und damit auch das Künftige, das wieder einmal, nach der menschlichen Natur, gleich oder ähnlich sein wird, der mag sie so für nützlich halten, und das soll mir genug sein: zum dauernden Besitz, nicht als Prunkstück fürs einmalige Hören ist sie verfaßt.“

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Gelesen habe ich in der Ausgabe von Duker, die 1731 bei Wetsten und Smith erschienen ist. Neuere Ausgaben sind natürlich zu haben.