Detektivgeschichte – Geduldsproben – Abenteuer – etwas für Tüftler – Eldorado der Sprachwissenschaft – Entdeckung fremder Welten. Vieles geht einem durch den Kopf, wenn man an die Entzifferung unbekannter Schriften und verlorener Sprachen denkt.
Andrew Robinsons Buch über Champollion und die Entzifferung der Hieroglyphen hatte ich schon früher besprochen: vor allem eine klassische Biographie, aber auch mit Wissenswertem zu den Hieroglyphen und der Technik ihrer Entzifferung.
Dieses Buch ist umgedreht: vor allem zu den Schriften sowie zur Technik und Geschichte ihrer Entzifferung mit einigen Informationen zu ihren Entzifferern. Es geht um Sprachen, Schriften und Decodierung. Hochfaszinierend, aber im einzelnen schon gelegentlich auch hoch-fachsimpelnd.
Unbedingt lesenswert ist die Einleitung von Robinson, die lesbar einen sehr guten Überblick bietet und die Begeisterung für das Geheimnisvolle unbekannter Schriften weckt. Auch werden die Grundbegriffe der Struktur von Sprachen und Schriften gut verständlich dargestellt. Ein kurzes Zitat:
„Writing is among the greatest inventions in human history, perhaps the greatest invention, since it made history possible. Yet it is a skill most writers take for granted. (…) Few of us have any clear recollection of how we learnt to write.
A page of text in a foreign script such as Arabic or Japanese, totally incomprehensible to us, reminds us forcibly of the nature of our achievement. An extinct script, such as Egyptian hieroglyphs or one of the undeciphered scripts in this book, may strike us as little short of miraculous.“
Anschließend gibt es zwei große Blöcke in diesem Buch.
Im ersten Teil werden drei erfolgreiche Entzifferungen dargestellt: die ägyptischen Hieroglyphen (v.a. durch Champollion entziffert), das minoische Linear B (Michael Ventris) und die Schrift der Maya (Yuri Knorozov). Auch nach dem Lesen ist es mir immer noch quasi unbegreiflich, wie es gelingen konnte, die Maya-Schrift tatsächlich zu entziffern….
Der zweite Teil zeigt, dass es noch einiges zu tun gibt, wenn man seinen Namen der Nachwelt hinterlassen möchte. Meroitisch, Etruskisch, Linear A, Proto-Elamitisch, Rongorongo und einige weitere harren noch der Lösung. Nach Meinung von Robinson wird das in den meisten Fällen allerdings auch ewig so bleiben. Es sei denn, es gelingt einem, das Gegenteil zu beweisen! Entscheidend für den Erfolg nach Ventris:
„Prerequisites are that the material should be large enough for the analysts to yield usable results, and (in the case of an unreadable script without bilinguals or identifiable proper names) that the concealed language should be related to one which we already know.“
Erstaunlich, aber logisch die drei Kategorien der unentzifferten Beispiele. Einige Schriften sind tatsächlich entziffert, sie lassen sich lesen – aber man versteht die Sprache nicht. Hierzu gehört z.B. Etruskisch.
Dann gibt es Schriften, bei denen man glaubt zu wissen, welche Sprache abgebildet ist – aber man kann sie nicht lesen. Hierzu gehört z.B. Rongorongo, die Schrift der Osterinsel.
Und schließlich gibt es noch die aktuell ganz hoffnungslosen Fälle – Schrift nicht lesbar, keine Ahnung, welche Sprache. Hierzu gehört die Schrift auf der sogenannten Phaistos-Scheibe aus Kreta.
Ein tolles Buch, sehr lehrreich, viel Sport für die kleinen grauen Zellen, aber sicher nichts für die ganz heißen Tage im Sommer. Ach so, das Buch gibt’s nur auf Englisch. Ein wenig entziffern muss man also schon.