Als wir Waisen waren. Kazuo Ishiguro

Dass dieser Roman von Kazuo Ishiguro besser und spannender ist als ein Roman von John le Carré, habe ich selbst getestet und in meinem vorherigen Beitrag schon geschrieben. Allerdings hatte ich da gerade erst begonnen, „When we were orphans“ zu lesen, und wusste noch nicht, wie relevant der Vergleich tatsächlich sein würde.

Wenn Ishiguro je einen Krimi geschrieben hat, dann dieses Buch. Und da internationale Politik mit ihren teils unschönen Verflechtungen eine wesentliche Rolle spielt, ist eine strukturelle Ähnlichkeit zu Spionageromanen nicht von der Hand zu weisen.

Der Vergleich mit le Carré ist also statthaft. Ishiguro gewinnt um Längen.

Der Inhalt, wie häufig bei mir direkt übernommen vom deutschen Klappentext, um nicht zu viel, schon gar nicht alles zu verraten:
„England in den Dreißigerjahren: Ganz London schwärmt von Christopher Banks und seinen Erfolgen. Es gibt nur einen Fall, den der Meisterdetektiv bisher nicht aufklären konnte: Das mysteriöse Verschwinden seiner Eltern in Shanghai, der Stadt seiner Kindheit. Beide waren in den Opiumhandel verstrickt: der Vater als Profiteur, die Mutter als erklärte Gegnerin. Als die Erinnerungen an die Zeit, als er Waise wurde, Banks immer häufiger quälen, beschließt er, sich auf den Weg nach Shanghai zu machen, um endlich das größte Rätsel seines Lebens zu lösen.“

Wie immer bei Ishiguro: ein sprachliches und strukturelles Kunstwerk von beeindruckender Zugänglichkeit und Einfachheit. Wieder verwendet er einen Ich-Erzähler, der Rechenschaft ablegt und sich penibel um Wahrheit, Ehrlichkeit, Offenheit bemüht, auch wenn er dabei wirklich nicht immer gut aussieht.

Wieder werden auch Hauptmotive bereits im ersten Absatz vorbereitet:
„(…) I took great pleasure in my own company.“
Der Ich-Erzähler,  Christopher Banks, eine Waise, ist und bleibt allein. Wie schon der Butler in „The remains of the day“ hat er eine Aufgabe, eine Mission, eine Pflicht, da muss das eigene Leben und das eigene Glück halt zurücktreten. Im vorletzten Absatz des Romans heißt es: „There is nothing for it but to try and see through our missions to the end, as best we can, for until we do so, we will be permitted no calm.“

Und später: „(…), pausing once in a while to admire how here in England (…) creepers and ivy are to be found clinging to the front of fine houses.“
Die feine Fassade Englands, während es China mit Opium überschwemmte – die distinguierte Abgehobenheit und Unbeteiligtheit im Internationalen Viertel Shanghais, während darum herum der Krieg zwischen Japan und China, zwischen Kommunisten und Nationalisten tobt: Bigotterie, verbrecherisch, arrogant, für Banks sogar ekelerregend.

Der beste Roman von Ishiguro ist dies allerdings aus meiner Sicht nicht. Es gibt da eine kleine Reihe von Implausibilitäten im Plot, die er sich sonst nicht leistet. Und eine Szene, in der Banks unter Bombenhagel und Maschinengewehrgefeuer durch zerstörte Häuser klettert, auf der Suche nach seinen Eltern, die er in einem bestimmten Haus gefangen glaubt. Irgendwie zu schnell, zu aufmerksamkeits-heischend für den sonst so zurückhaltenden Stil von Ishiguro. Etwas zu sehr gewollt, etwas zu konstruiert, etwas zu viel Handlung.

Interessanterweise sahen das viele Rezensenten aus unterschiedlichen Gründen wohl ähnlich, wenn man sich einen Überblick der Rezensionen anschaut. Ausgezeichnet übrigens die Rezension aus dem Jahr 2000 von Susanne Mayer in der Wochenzeitung Die Zeit:
„Dies ist das große Thema aller Bücher Ishiguros. Es sind psychologische Studien über Menschen in kontrollierter Verzweiflung. Aber auf einer philosophischen Ebene fragen sie wieder und wieder, was es denn bedeute, wenn alle Tugenden, Ehrlichkeit, Hingabe, Pflichtgefühl, uns nur in die Irre führten. Immer geht es auch um die Frage der Schuld. Um die Frage, ob jemand, der schuldlos schuldig wurde, vor sich und den Augen der Welt zu retten ist.“
Und weiter:
„Am Ende wird beinahe nichts wieder gut. Darauf ist man gefasst, in all diesen Büchern bleiben wir gefangen unter der Schädeldecke des Helden, durch die von der Welt nur ein Rauschen dringt. Christopher, so scheint es, hat sich vorgenommen, noch einmal zu versuchen, es mit dieser Welt aufzunehmen. Aber es ist keine Aussicht, die das Gefühl von Herbstlichkeit vertreibt, mit dem man das Buch beiseite legt.“

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