2016 erschienen. Ein mutiges Buch. Überfällig. Gelungen. David Olusogas Geschichte über das Verhältnis zwischen Großbritannien und seiner nicht-weißhäutigen Bevölkerung ursprünglich afrikanischer Abstammung, auf Englisch: den „black British people“.
Beginnen möchte ich mit Ratlosigkeit: Wie nennt man diese Bevölkerungsgruppe eigentlich auf deutsch, ohne in irgendeiner Ecke zu landen? Da ich hierfür keine Antwort habe und finde, behelfe ich mich mit der (relativ) anerkannten englisch-sprachigen Variante. Apropos: Genau unter „Black British“ findet sich bei Wikipedia ein ausgezeichneter Beitrag, vielleicht sogar auch von David Olusoga.
Unbedingt lesenswert übrigens auch, bevor man mit dem Buch startet: ein Interview mit Olusoga im Guardian.
Warum schätze ich dieses Buch von Olusoga?
Ein weiter historischer Bogen
Olusoga beginnt in der Antike und endet im frühen 21. Jahrhundert. Alleine der Hinweis, dass es bereits zum Beispiel in der Römerzeit „Black British“-Personen in Großbritannien gegeben hat, erweitert das Blickfeld. Das Thema ist nicht neu.
Alle Seiten werden gehört
Typischerweise lässt Olusoga bei wichtigen Weichenstellungen der Geschichte alle Parteien zu Wort kommen. Das hilft den Lesern sehr dabei, eine eigene Haltung entwickeln zu können. Gut auch: Olusoga hält mit seiner eigenen Einschätzung nicht hinter dem Berg, ohne sie missionierend oder dogmatisch zu verfechten.
Keine Berührungsängste
Olusoga schildert auch Ereignisse, Meinungen, Denkmuster, die auch heute noch bestimmt für viele Briten unangenehm sind (wie sie das wahrscheinlich auch für viele Deutsche wären, wenn man sie mit ihrer ebenfalls wenig ruhmreichen Geschichte in Berührung bringt). Er tut dies betont sachlich, kenntnisreich, ausgewogen. Er sucht keine billigen Effekte.
Gute Mischung aus Überblick und Details
Für mich als Leser gelingt Olusoga eine gute Balance. Ich habe den Eindruck, gut informiert zu werden. Die Details überlasten nicht. Der gebotene Überblick hat die nötige Tiefe.
Neuland
Zwar gab es natürlich schon eine ganze Reihe wissenschaftlicher Abhandlungen zu Einzelthemen vor diesem Buch von Olusoga. So weit ich weiß, ist dieses Buch aber die erste substanzielle populärwissenschaftliche Gesamtdarstellung. Also ein bahnbrechender aktueller Klassiker.
Erhellend
Mir war nicht bewusst, wie systematisch die britische Geschichtsschreibung um das Verhältnis zu den Black British bereinigt wurde und wird. Dass die Plantagen im britischen Nordamerika und in der Karibik ihren wirtschaftlichen Erfolg der Sklavenarbeit verdankten, wurde in weiten Teilen z.B. der Literatur nicht angesprochen (siehe Jane Austens „Mansfield Park“!). Dass im ersten Weltkrieg viele Black British Soldaten mitkämpften, konnte man auf der Siegesparade nicht erkennen: Sie durften nicht mit dabei sein.
Die Resistenz der Vorurteile
Nicht zuletzt bringt Olusoga bedrückend viele Belege dafür, dass die Menschheit nicht recht lernt. Wenn es um den eigenen Vorteil geht oder einfach nur eng wird, kommt dem Menschen jede Minderheit immer gerade recht. Wenn diese Minderheit dann auch noch wegen ihrer Hautfarbe auffällig ist, hat sie erst recht Pech gehabt. Und Vorteile können gar nicht so dumm, so böswillig und so widerlegt sein, als dass sie nicht weiter Verwendung und Zustimmung finden.
Ein gutes Buch für Menschen, die mehr wissen wollen und Aufklärung schätzen.
Hut ab übrigens vor Großbritannien: Die BBC hat sogar eine Fernsehserie zu diesem Buch gedreht. Allerdings: Auf DVD gibt es sie leider nicht.