The country house library. Mark Purcell

Das richtige Buch zu Weihnachten. Ideal für den Sofatisch. So stabil, man kann auch Sachen darauf abstellen. So wie eine Bibliothek: Sieht gut aus, auf den Inhalt kommt’s nicht an. Das sieht Mark Purcell, der Autor dieses Buchs über die Geschichte der „country house library“ anders.

Purcell ist Experte: Bereits beim englischen National Trust war er für die zahlreichen Bibliotheken zuständig, die in dessen Besitz sind; aktuell ist er Deputy Director der Universitätsbibliothek in Cambridge. Mit etwas Glück kann man zu einem seiner Vorträge kommen.

Erstaunlich findet er, dass die Bücher fast nie eine Rolle spielten. Der National Trust fand Architektur, Möbel, Gemälde, Porzellan immer viel wichtiger. Häufig wurden die Bibliotheken in den National Trust-Häusern auch gar nicht gezeigt, die Bücher nicht katalogisiert und nur mäßig konserviert. Bestenfalls waren sie Staffage: Gemütlich, heimelig, schön fürs Wohnzimmer (mittlerweile gibt es ja auch Büchertapeten: praktisch für den Umzug).

Purcell schafft Abhilfe. Er bietet eine Geschichte der Bibliothek in Privathäusern wohlhabender Kreise in Großbritannien und Irland bis fast zur Gegenwart. Besonderen Fokus legt er dabei auf den Inhalt, auf die Bücher selbst – welche Bücher? wo gekauft? wie gebunden? von wem gelesen? wann weiterverkauft? wo gelandet?….
Eine überraschende Erkenntnis, die vielen Vorurteilen widerspricht: Die meisten Bücher in diesen Bibliotheken wurden tatsächlich und auch intensiv gelesen!
Käufe alter Bücher mit attraktiven Einbänden am laufenden Meter sind ein eher neues Phänomen.

Das Buch ist schön mit vielen gelungenen und relevanten Abbildungen. Es ist sehr informativ, da der Autor sich wie gesagt wirklich mit der Materie auskennt. Eine Schwäche hat es aber dennoch. Purcell ist eher ein Mensch des Details, von denen er viele geschickt aneinanderreihen kann (und noch viel mehr in der ausgezeichneten Bibliographie versteckt!). Entwicklungslinien, Muster, Einordnungen in den größeren kulturellen Kontext sind da nicht ganz so seine Stärke, oder er wollte es in diesem Buch nicht so zeigen. Ein kleiner Mangel in einem großen Buch.

Mehr über Bibliotheken und Bücher findet sich in diesem Blog auch hier.

Library: An Unquiet History. Matthew Battles

Viele interessante Geschichten und Anekdoten zur Geschichte der Bibliothek und Bedeutung von Büchern, die ich noch nicht kannte – auch durchaus interessant und unterhaltsam geschrieben – dennoch kein enthusiastisches „Das Buch sollte man gelesen haben“.

Zunächst die guten Seiten:
Gleich als Leseprobe eine Partie zu den Büchern, die mittelalterliche Bibliotheken in Europa im Fundus hatten:
„Augustine’s works make up the bulk of the typical medieval library – after the Bible, of course. (…) The preponderance of Augustine’s books (…) strikes the modern reader as fairly preposterous: (…) observes that ‚the library of Lorsch in the tenth century had 98 volumes of Augustine out of a total of 590 (…), and the monastery of St. Maurice at Naumburg at the same period had 98 manuscipts of Augustine out of 184 in the Library.'“

Andere Beispiele faszinierendern Geschichten: Die Bedeutung von Robert Bentley oder auch Melvil Dewey für die Entwicklung der Rolle von Bibliothek und Bibliothekar; die Zerstörung der Bibliothek von Löwen durch die deutsche Armee im ersten und zweiten Weltkrieg; eine Blütezeit der Universitäten während der muslimischen Umayyaden und Abbasiden. Hierzu auch ein kurzes Zitat:
„According to the historian Ibn al-Abar, the catalog of al-Hakim’s library (Anmerkung: in Cordoba) ran to forty-four volumes, and the books themselves numbered between 400,000 and 600,000 – two or three books for every house in the city, and a stunning achievement at a time when even the largest European libraries numbered in the mere hundreds of volumes.“

Und auf der kritischen Seite?

Vielleicht bin ich nicht enthusiastisch, weil manche Geschichte zu lang erzählt wird, wie zum Beispiel die über den „Kampf der Bücher“ bei Jonathan Swift/William Temple. Oder es hat damit zu tun, dass – wie in vielen anderen amerikanischen Büchern – quasi ausschließlich amerikanische Wissenschaftler der heutigen Zeit zu Wort kommen. Oder Battles bleibt zu stark im Anekdotischen zu Lasten der großen Linien und Entwicklungen.

Dennoch, ein guter Schmöker für zwischendurch ist das Buch allemal, auch als Ergänzung zum an anderer Stelle empfohlenen Buch über die Architektur von Bibliotheken. Und Battles ist selbst auch nicht der Meinung, durch dieses Buch für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen werden zu müssen, wenn er es in die „Z class“ einsortiert, „which holds the following: ‚Books (General). Writing.P aleography. Book industries and trade. Libraries. Bibliography.'“ Und weiter: „The Z class and its neighbors are among those least frequently visited by readers, and the sound of my footfalls on the marble is joined only by the nearly subliminal buzz of the lighting above.“

Gelesen habe ich die Taschenbuchausgabe von 2004. Eine deutsche Übersetzung gibt es nicht.