Gaudy night. Dorothy L. Sayers

Ein Novum in diesem Blog, passend zum Beginn eines neuen Jahres: Das erste Mal, dass wir ein Buch das zweite Mal besprechen. „Gaudy night“ von Dorothy L. Sayers ist allerdings auch ein Roman – oder vielleicht doch nur ein Krimi? -, der diese Aufmerksamkeit rechtfertigt.

Vorweg
Ich bin bestimmt kein eingefleischter Fan von Sayers. In der Tendenz finde ich

  • ihre Romane zu lang für den Plot
  • die Autorin zu sehr darauf erpicht, deutlich zu machen, wie gebildet sie ist
  • und die Zitate, die sie gerne an den Kapitelanfang stellt, irgendwie erstaunlich ungeeignet.

Alles trifft auch auf „Gaudy night“ zu.

Aber dennoch
… ertappe ich mich dann doch immer wieder dabei, einen dieser Romane zu lesen. Mir gefällt schon, dass die Autorin sehr gut mit Sprache umgehen kann und dies offenkundig genießt. Auch sind ihre Charaktere erfreulich mehrschichtig, tiefgründig, vieldimensional. Zusätzlich geht Sayers so emanzipiert mit allen traditionellen Krimi-Rezepten um, dass sie ganz neue Perspektiven für diese damals (und heute) als un-literarisch verrufene Gattung auftut.

Vor allem unterstellt Sayers ihren Leserinnen und Lesern, dass sie mit komplexer Sprache, komplexen Gesprächen und Überlegungen, komplexer Handlung und komplexen Personen umgehen wollen und können. Sayers unterstellt eine intelligente und aufgeklärte Leserschaft. Und das schmeichelt einem dann ja doch ein wenig, wenn man sich ins erste Kapitel stürzt.

Und „Gaudy night“ an sich?
Ein Krimi ist dieser Roman wirklich nur am Rande und zwischendurch. Viel eher handelt es sich um eine Liebesgeschichte. Oder alternativ ein differenziertes, nuanciertes Werk darüber, ob akademische Bildung und ein akademischer Beruf etwas für Frauen sind.

Darin enthalten auch Dichtung, genau in der Mitte des Romans ein kurzes Sonett:
„Here, then, at home, by no more storms distrest,
Folding laborious hands we sit, wings furled;
Here in close perfume lies the rose-leaf curled,
Here the sun stands and knows not east nor west,
Here no tide runs; we have come, last and best,
From the wide zone through dizzying circles hurled,
To that still centre where the spinning world
Sleeps on its axis, to the heart of rest.“

Und Abhandlungen, zum Beispiel über die männliche Hemdbrust traditionellen Stils:
„‚Hard-boiled or soft-boiled?‘
‚Hard, I think.‘
This question had no reference to Dr. Threep’s politics or economics, but only to his shirt-front. Harriet and the Dean had begun to collect shirt-fronts. Miss Chilperic’s ‚young man‘ had started the collection. He was extremely tall and thin and rather hollow-chested; by way of emphasising this latter defect, he always wore a soft pleated dress-shirt, which made him look (…) like the scooped-out rind of a melon. By way of contrast, there had been an eminent and ample professor of chemistry (…) who had turned up in a front of extreme rigidity, which stood out before him like the chest of a pouter pigeon (…). A third variety of shirt fairly common among the learned was that which escaped from the centre stud and gaped in the middle; and one never-to-be-forgotten happy day a popular poet had arrived (…) whereby, at every gesticulation (and he had used a great many) his waistcoat had leapt in the air allowing a line of shirt, adorned with a little tab, to peep out, rabbit-like, over the waistline of the confining trouser. On this occasion, Harriet and the Dean had disgraced themselves badly.“

Insgesamt
… sollte man dieses Buch tatsächlich gelesen haben, und sei’s in Übersetzung.

Murder must advertise. Dorothy L. Sayers

Nach „Gaudy Night“ also gleich wieder ein Detektivroman von Dorothy L. Sayers. Ort der Handlung: Kein College in Oxford, sondern eine Werbeagentur in London. Ein echter Krimi, also inklusive Mord, sogar mehrfach. Wermutstropfen: So gut wie kein ‚romantic interest‘.

Als Detektivroman ist „Murder must advertise“ bestimmt nicht toll. Die Auflösung des Falls kommt zu kurz, auch hat der Sayers-Standard-Detektiv Wimsey oft mehr Glück als Verstand, und so richtig kann man als Leser nicht auf den Täter kommen. ‚Not very sporting‘ also. Obendrein ist Wimsey etwas zu penetrant: Er kann alles, er weiß alles, alle sind begeistert, wenn sie ihn kennenlernen dürfen. Gutaussehend ist er natürlich auch…

Sehr lesenswert ist der Krimi wegen seiner sehr gelungenen Beschreibung  von Pym’s Publicity, der Londoner Werbeagentur mit ihren Klienten, mit den Textern, Graphikern, Produzenten inklusive der klassischen Teeversorgung im Büro. Das ist interessant und flott geschrieben, sogar amüsant.

Und „Murder must advertise“ ist ein Cricket-Roman zur Freude der England-Klischee-beladenen deutschen Leser. Ein ganzes Kapitel (in dem zum Schluss Wimsey sogar verhaftet wird) ist dem Cricket gewidmet und bietet Sayers eine wunderbare Gelegenheit, mit den relevanten Fachtermini dicke zu tun. Ein Beispiel für den Cricket-Kenner oder alternativ für hart gesottene Leser (und Leserinnen):
„The next ball was another of Simmonds‘ murderous short-pitched bumpers, and Lord Peter Wimsey, opening up wrathful shoulders, strode out of his crease like the spirit of vengeance and whacked it to the wide. The next he clouted to leg for three, nearly braining square-leg and so flummoxing deepfield that he flung it back wildly to the wrong end, giving the Pymmites a fourth for an overthrow. Mr Simmonds‘ last ball he treated with the contempt it deserved, snicking it as it whizzed past half a yard wide to leg and running a single.“

Wer endlich mehr über Cricket und dessen obskure Regeln wissen möchte, wird fündig für die einfache Variante bei Wikipedia in deutsch, für die anspruchsvollere bei Wikipedia in Englisch, und für das Komplettpaket inklusive Sahne (doppelt) beim Marylebone Cricket Club, der offiziell für die Laws (immer mit großem L!) of Cricket zuständig ist. Hier gibt’s auch eine passende App für den technisch arrivierten Cricket-Aficionado.

Also: „Murder must advertise“, vielleicht kein toller Krimi, aber allemal ein sehr gutes und interessantes Buch für all diejenigen, die mehr wissen wollen.
Als Verfilmung sehr dicht an der Vorlage die Version mit Ian Carmichael von 1973, nicht mehr taufrisch, aber als Klassiker immer noch zu haben