Abhandlung über das erste Prinzip. Johannes Duns Scotus

Kölner Lokalpatriotismus ist heute an der Reihe. Angedroht hatte ich ihn unauffällig schon an anderer Stelle. Thema also: Ein Hauptwerk von Johannes Duns Scotus, seine „Abhandlung über das erste Prinzip“, auf Latein „Tractatus de primo principio“.

Johannes Duns Scotus lebte in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Geboren in Schottland wurde er Franziskaner, starb mit etwa 40 Jahren und fand seine letzte Ruhestätte in Köln. Simple Quizfrage also für Kölner und Franziskaner: In welcher Kirche befindet sich sein Grabmal? Natürlich in der Minoritenkirche!

Leicht hatte er es also nicht immer, der Duns Scotus…

Andererseits hat er es seinen Lesern auch nicht leicht gemacht. Nicht nur sind seine Werke wegen der wohl auch für ihn überraschenden Kürze seines Lebens alle unvollständig und unfertig geblieben. Auch sollte man Logik, Metaphysik und Scholastik schon mögen, um jede Feinheit richtig goutieren zu können.

Für Einsteiger beschränke ich mich in Anbetracht der Außentemperaturen von aktuell über 30° auf zwei Aspekte. Der eine wird Unternehmensberater vor allem von McKinsey und deren Kunden interessieren. Der andere ist von allgemeinem Interesse und kann auch beim Hühnchen-Grillen im Freundes- und Familienkreis bedenkenlos zum Besten gegeben werden.

Wer McKinsey kennt, kennt MECE: „mutually exclusive, collectively exhaustive“. Das braucht man, um komplexe Themen trennscharf und vollständig in ihre Bestandteile zu zerlegen, die man dann anschließend der Reihe nach bearbeitet. Duns Scotus hat das zwar nur von Aristoteles gelernt, aber prägnant formuliert:
„Manifestatio vero divisionis tot requirit: primo, ut dividentia notificentur et sic ostendantur contineri sub diviso; secundo, ut dividentium repugnantia declaretur; et tertio, ut probetur dividentia evacuare divisum.“
Man merkt schon hier: Duns Scotus hat drei Kriterien, McKinsey nur zwei – da ist den Kollegen die Unterteilung nicht vollständig gelungen, also nicht MECE…
Auf deutsch in der Übersetzung von Wolfgang Kluxen (dessen Ausgabe ich – allerdings nur in Teilen – gelesen habe), die allerdings weniger klar ist als das Original:
„Die Darlegung einer Einteilung erfordert nun folgendes: Erstens, die Einteilungsglieder sind (begrifflich) zu bestimmen und von daher ist zu zeigen, daß sie im Eingeteilten enthalten sind; zweitens, es ist darzutun, daß die Einteilungsglieder sich ausschließen; und drittens, es ist nachzuweisen, daß die Einteilungsglieder das Eingeteilte ausschöpfen.“

Jetzt zum allgemein Interessanten: Was war zuerst, die Henne oder das Ei?
Als Scholastiker kann man diese Frage tatsächlich schlüssig beantworten, und zwar unabhängig davon, welche „ordo“, also welche Ordnung man verwendet, die des Vorranges oder die der Abhängigkeit (für die Grillparty: „ordo eminentiae“ oder ordo dependentiae“). Nach der Ordnung des Vorranges kommt die Henne zuerst, denn „was immer dem Wesen nach vollkommener und vorzüglicher ist, ist in diesem Sinne früher.“ Nach der Ordnung der Abhängigkeit gewinnt ebenfalls die Henne, denn ohne Henne wird aus dem Ei kein Huhn schlüpfen (zumindest nicht im relevanten Damals, als es noch keine Brutautomaten gab): Das Ei ist vom Huhn abhängig, nicht umgekehrt. Auf scholastisch:
„Prius secundum naturam et essentiam est quod contingit esse sine posteriori, non e converso.“ Oder: „Der Natur und dem Wesen nach früher ist, was wohl ohne das Spätere sein kann, nicht aber umgekehrt.“

So dass wir das jetzt auch endlich geklärt haben.

Alone of all Her Sex. Marina Warner

„Alone of all Her Sex“ von Marina Warner ist ein umfassendes Buch über die Jungfrau Maria. Es deckt die verschiedenen Aspekte ihrer Verehrung auf und berücksichtigt dabei kirchliche Doktrin ebenso wie die Vorstellungen der Gläubigen. Warner zeigt auf diese Weise die moralischen, sozialen und emotionalen Implikationen der Marienverehrung durch die Jahrhunderte. Entsprechend lautet der Untertitel des Buchs „The Myth and the Cult of the Virgin Mary“.

Wie häufig wird Maria in den vier Evangelien genannt? So gut wie nie. Und sie wird auch nicht immer „Maria“ genannt. Das ist überraschend, geht man von der außerordentlichen Bedeutung Marias aus, die unzählige Bilder und Statuen, Lieder, Gedichte und hochkomplizierte theologische Ausführungen belegen. Welchen Sehnsüchten und Zwecken diente die Figur der Maria?

Maria ist einzig unter den Frauen, denn nur sie hat – so Warner über die christlich-katholische Theologie – ohne Sünde (ohne sexuellen Kontakt) ein Kind empfangen und dieses jungfräulich geboren. Während und nach der Geburt ist sie Jungfrau geblieben: „The unchanged womb of the virgin, that „closed gate“, that „enclosed garden“, which experiencing alteration is yet unaltered, is the mirror image of the unchanged body of the virgin, which experiences death and does not decay. (…) In a precise and literal way, the Virgin embodies the Christian ideals of homogeneity and independence“

Im 5. und 6. Jahrhundert wurde Maria als Mutter des göttlichen Herrschers ein zentrales Symbol der Macht (z.B. S. Apollinare Nuovo in Ravenna oder S. Maria in Trastevere in Rom). Maria als Regina wurde dargestellt mit vertrauten bildlichen Elementen der Herrscherdarstellungen. So wurde sie zu einem religiösen Symbol, das sich nutzen ließ, die (weltliche) Macht der Kirche zu sichern.

Ab dem 14. Jh. explodierte die Literatur, die die Liebe zu Maria thematisierte. In Kathedralen und Bildern wurde sie als die schönste aller Frauen dargestellt. Die Himmelskönigin wurde – so Warner – zum Gegenmittel gegen die irdische Liebe: „She was feminine perfection personified, and no other woman was in her league.“

Die Kapitel des Buchs orientieren sich an den verschiedenen Rollen die Maria zugeschrieben werden:

  • Teil 1 Virgin: Mary in the gospels, Mary in the apocrypha, Virgin birth, Second Eve, Virgins and martyrs
  • Teil 2 Queen: The assumption, Maria Regina,
  • Teil 3 Bride: The Song of Songs, Troubadours, Madonna, Dante, Beatrice and the Virgin Mary
  • Teil 4 Mother:Let it be, The milk of paradise, Mater Dolorosa, The penitent whore, The immaculate conception, The moon and the stars
  • Teil 5 Intercessor: Growth in everything, Icons and relics, Visions, The rosary and war, The hour of our death

Maria erbte die Eigenschaften von alten Wasser-, Mond/Himmels- (Isis und Diana) und Fruchtbarkeitsgöttinen.  Ihre Assoziation mit Wasser und Mond steht für Ewigkeit. Ihre Rolle als die Schutzpatronin von Frauen während der Geburt beinhaltet Elemente aus Fruchtbarkeitskulten. Auf diese Weise wurde Maria symbolisch die ewige Herrin des Wassers und die Schützerin des Lebens.

Ein plastisches Beispiel wie Elemente heidnischer Vorstellungen mit Maria zusammengedacht wurden, ist das Osterei. Die Assoziationskette geht laut Warner so: Über den Wechsel des Mondes ist das Motiv der Schlange mit Menstruation verbunden; laut Orphischer Mysterienkulte aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten entstand die Welt als die große Göttin in Gestalt einer Schlange sich mit der heiligen Schlange vereinigte;  die Göttin legte daraufhin ein Ei; aus diesem entstand die Welt zurzeit der Tag- und Nachtgleiche des Frühjahrs. Folglich hat die Schlange, welche Maria in vielen Darstellungen zertritt, eine komplexe Symbolik, die deutlich mehr Veränderungen  erfahren hat, als der Mond und die Sterne um Marias Haupt…

Zusammenfassend sieht Warner die Figur der Maria, so wie sie durch kirchliche Doktrin interpretiert wurde, als einen Einflussfaktor, der Frauen in einer gesellschaftlich benachteiligten Position hielt: „The Christian revolutions from earliest times centred on egalitarianism, on the universal application of the Gospel, the welcome offered to all men (…) But in the case of the moral teaching to women, humility, the greatest of the Christian virtues, acquired a different connotation. The two cultures, classical and Judaic, flowed together in the new religion, bearing a heavy burden of long prejudice against women.“

Marina Warner

Marina Warner wurde 1946 in London geboren. Sie wurde in verschiedenen katholischen Schulen erzogen und studierte am Lady Margaret Hall College in Oxford. Unter anderem arbeitete sie für die „Vogue“.

Obwohl „Alone of all Her Sex“ bereits 1976 erschienen ist, stellt es eine systematische, im interdisziplinären Ansatz sehr interessante sowie gut lesbare Zusammenfassung über die Rolle Marias im Christentum dar.