Tongues. Mícheál Ó Siadhail

Seinen frühen Gedichtband „Springnight“ habe ich schon vorher besprochen. Diese Gedichte über Sprache sind auf einem ganz anderen sprachlichen und poetischen Niveau.

Sprache hat für Ó Siadhail eine außerordentlich große Bedeutung: Bevor er Vollzeit-Dichter wurde, hat er als Linguist am Trinity College und am Dublin Institute of Advanced Studies gearbeitet. Er ist extrem polyglott und hat immer gerne in seiner Freizeit neue, gerne auch obskure, Sprachen gelernt. Worte sind für ihn „birds of paradise“.

Vielleicht in der Tradition hellenistischer Lehrgedichte hat er 2010 den Gedichtband „Tongues“ veröffentlicht. In seinem ausgezeichneten Vorwort gibt er einen Einblick in seine Faszination für Sprache. „As a poet I’m utterly intrigued by the rampant imagination of human beings. (…) Languages have infinite ways of looking at one thing. (…) to take an example of an idiom in English, it rains ‚cats and dogs‘ but in French it’s strings (de cordes), in Irish ‚a cobbler’s knives‘ (sceanna gréasaí) and in Welsh ‚old women and sticks‘ (hen wragedd a fyn). There’s just four ways of looking at rain. But of course it’s endless.“

Ungewohnt, aber letztlich überzeugend die Themengruppierungen in diesem Gedichtband: „Wonder“, „Word“, „Grammar“ mit Gedichten unter Titeln wie „Subjunctive“ oder „Pluperfect“, „Under the sign“ mit Gedichten zu japanischen Schriftzeichen, „Adages“ mit Gedichten zu Sprichwörtern in verschiedenen Sprachen und zuletzt „Gratitude“.

Das klingt vielleicht gelehrt und etwas spröde, ist aber: gelehrt, immer wieder sehr berührend, sehr persönlich und weckt die Sensibilität für unsere tagtägliche Sprache mit ihren Bedeutungsnuancen, Absonderlichkeiten und ihrem historischem Gepäck. Es ist schon passend, dass Ó Siadhail erzählt, dass etymologisch „Glamour“ dasselbe Wort ist wie „Grammar“. Und diesen Glanz von Sprachen, dieses Funkeln von Worten, diesen Zauber von Formulierungen bringt er in viele seiner Gedichte.

Es ist lange her, dass ich Gedichte mit soviel Vergnügen gelesen habe.

Zum chinesischen Sprichwort 飲水思源 (yǐn shuǐ sī yuán, If you drink from the stream, remember the spring):
„Hunkering low on a bank
To cup handfuls of water,
Where to begin to thank?

Yellow River of a gene
Received, down-draft
Of words passed between

Generations, slow nurture
Of groves holding earth,
Allowing a scoop and curvature,

A brook’s scrape and groove,
Communities that nourished,
Gradual shapings of love.

Sudden opened floodgate.
Unstoppabe onrush of thanks.
The heart-memory in spate.

This stream takes up everything.
One sweet water.
Drink from a remembered spring.“

Dieser Gedichtband ist auch in Ó Siadhails „Collected Poems“ enthalten.

 

 

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