Murder in the afternoon. Frances Brody

Nachdem ich mich kritisch geäußert habe über die Krimis von Jacqueline Winspear, braucht es positive Abwechslung. Da kommt die Krimiserie von Frances Brody mit der Detektivin Kate Shackleton gerade recht.

Die Literary Review bemerkt: „Kate Shackleton joins Jacqueline Winspear’s Maisie Dobbs in a subgroup of young, female amateur detectives matured by their wartime experiences. They make excellent heroines.“

Damit sind die Gemeinsamkeiten aber auch erschöpfend behandelt. Denn Frances Brody ist die deutlich bessere Krimi-Autorin. Bei ihr haben die Charaktere mehr Tiefe, entsteht echte Spannung. Ihr Schreibstil ist lebhafter, facettenreicher, amüsanter. Man merkt, dass sie auch als  Bühnenautorin erfolgreich ist. Zwischenzeitlich hat sie in der Krimi-Reihe mit Kate Shackleton neun Romane veröffentlicht. Murder in the afternoon, erschienen 2011, ist die Nummer 3.

Der Start der nicht unkomplizierten Handlung wird auf der Rückseite des Einbands gut aufbereitet: „Young Harriet and her brother Austin have always been scared of the quarry where their stone mason father works. So when they find him dead on the cold ground, they scarper quick smart and look for some help. When help arrives, however, the quarry is deserted and there is no sign of the body. Were the children mistaken? Is their father not dead? (…) It seems like another unusual situation requiring the expertise of Kate Shackleton. But for Kate this is one case where surprising family ties make it her most dangerous – and delicate – yet…..“

Mit Zitaten am Anfang des Romans arbeitet Brody übrigens genauso gerne wie Winspear. Ihre passen aber noch viel besser zu dem, was dann folgt:
„Saturday
12 MAY, 1923
Great Applewick

Solomon Grundy,
Born on a Monday,
Christened on Tuesday,
Married on Wednesday,
Took ill on Thursday,
Grew worse on Friday,
Died on Saturday,
Buried on Sunday.
That was the end of Solomon Grundy.

Old rhyme.“

Eine  erfreuliche Entdeckung.

Leaving everything most loved. Jacqueline Winspear

Die Autorin, Jacqueline Winspear, Britin mit Wohnsitz in den USA, hochgelobt. Der Krimi, 2013 erschienen, spielt im England der 1930er Jahre. Die Detektivin, Maisie Dobbs, gefeiert als „a revelation“. Das Delikt, Mord an zwei Inderinnen in London, bietet das Potenzial, farbenfroh zu werden.

Da kann ja nicht mehr viel schiefgehen.

Neu-klassisch startet Winspear mit Zitaten, eines von Dante, eines von Kipling. Das dritte, von Beryl Markham, schafft gleich etwas Atmosphäre: „I have learnt that if you must leave a place that you have lived in and loved and where all your yesteryears are buried deep, leave it any way except a slow way, leave it the fastest way you can.“

Dann eine kurze Szene, eine Inderin geht an einem Geschäft vorbei in einer Gegend, wo normalerweise keine Inder zu finden sind. Die Engländer, die sie sehen, runzeln die Stirn.

Anschließend ist die Inderin tot, erschossen, aufgefunden treibend in einem Kanal von einer Gruppe spielender Kinder.

Gar nicht schlecht gemacht, Interesse wird geweckt, Spannung aufgebaut, ein Netz für einen guten Plot gewebt. Die historischen Details für die 30er Jahre sind da, nicht zu viele, nicht zu aufdringlich. Kein Kostümschinken.

Bemerkenswert, dass Winspear Versehrtheit zeigt. Viele der Charaktere leiden unter dem vergangenen ersten Weltkrieg. Einige sind psychisch angeschlagen, viele auch körperlich mit Narben, fehlenden Gliedmaßen, humpelnd. Vielleicht abgeschaut bei der australischen Phryne Fisher-Serie, vielleicht natürlich aber auch selbst erfunden.

Andererseits entsteht – bei mir – keine rechte Begeisterung, die Spannung flacht schnell ab, das Interesse an den Charakteren erlahmt, die Lösung ist nicht mehr lang erwartet. Vieles wirkt zu lang, besonders der Schluss, wo über Seiten hinweg auch der letzte lose Faden noch verwebt und verknotet wird.

Etliches ist mir auch zu platt psychologisierend; vor Allem in den Partien, in denen die Detektivin ihr kleines Team führt. Da wird das kleine Einmaleins der klassischen Führung à l‘ Anglaise lang ausgebreitet: Alle Entscheidungen beim Chef, die aber verständnisvoll darüber nachdenkt, was gerade in ihren Mitarbeitern vorgeht.

Vielleicht auch ein Faktor, dass Winspear zu viele Erzählhaltungen im Wechsel einnimmt, insbesondere den allwissenden Erzähler, der bis in die Seelen schaut, aber auch Ich-Erzählung, die allerdings seltsam in der dritten Person abgewickelt wird.

Ein verhaltenes „Kann man lesen“, mehr wird’s bei mir nicht. Und das Buch an Oxfam weitergegeben. Was irgendwie auch schade ist, denn da wäre mehr drin gewesen.

Martin Luther: Rebell in einer Zeit des Umbruchs. Heinz Schilling

Wie zwischenzeitlich fast jeder in Deutschland mitbekommen hat, feiert die Reformation in diesem Jahr einen runden Geburtstag, und zwar Nummer 500.

Diejenigen, die nicht in Thüringen wohnen und an denen dies bisher vorüberging, haben Ende Oktober die Chance, es auch noch zu merken: Auch in den anderen Bundesländern ist der Reformationstag dieses Mal gesetzlicher Feiertag. Über Martin Luther zu sprechen, ist also aktuell.

Das Buch, das ich heute bespreche, ist dagegen nicht mehr ganz taufrisch. Seine erste Auflage hat es bereits 2012 erlebt. Der Autor ist damit unverdächtig, aus dem Jubiläum Kapital schlagen zu wollen. Vielversprechend.

Gute Sachbücher kann man oft an der Anzahl der Auflagen erkennen. Vier bis zum Jubeljahr. Und die Jubel-Sonderausgabe 2017 auch schon in zweiter Auflage. Aktueller Amazon-Bestseller-Rang: Platz 5049. Sehr achtsam.

Der Autor Heinz Schilling ist ein Fachmann, Historiker mit kirchengeschichtlichen Interessen, zuletzt Professor an der Humboldt-Universität in Berlin. Ein Autor also, der weiß, wovon er schreibt. Sehr schön.

Das Drumherum des Buchs räumt also summa summarum die volle Punktzahl ab.

Und das Buch selbst?

644 Seiten. Die Schrift – Martin Luther profitierte ja von der neuen Möglichkeiten des Buchdrucks – in Schriftart und –größe gut lesbar.

Gut lesbar ist auch der Stil, den Schilling verwendet. Seine Sätze haben eine vernünftige, handhabbare Länge. Fremdworte kommen natürlich vor, aber er kommt auch ohne aus. Schilling muss nicht beweisen, dass er ein toller Wissenschaftler ist. Er möchte anscheinend lieber verstanden werden.

Das legt den Verdacht nahe, Schilling könnte vielleicht gerne die Dinge vereinfachen. Tut er aber nicht. Im Gegenteil, es ist Schilling offensichtlich ein großes Vergnügen, Sachverhalte in ihrer Vielschichtigkeit und Komplexität zu betrachten und nuanciert verständlich zu machen. Große Historiker-Kunst, die er sehr gut beherrscht. Dies fand im Übrigen auch die FAZ in ihrer Rezension von 2012: „(…) der Autor zeigt, wie komplex damals das Feld der unterschiedlichen Kraftvektoren war, der Überlagerungen und überraschenden Verstärkungen, der konkurrierenden Persönlichkeiten, der Strukturen und religiösen Mentalitäten, die dann letztlich zu einem historischen Umbruch namens Reformation geführt haben.“

Damit ist es geradezu selbstverständlich, dass Schilling nicht nur Luthers Biographie, sondern auch seine Epoche beschreibt, politisch, kulturell, religionsgeschichtlich. Auch der Person Luthers gönnt er ihre Vielschichtigkeit, ihre Brüche.

Und da wird zum Beispiel sehr schnell deutlich, wie verwurzelt in der spätmittelalterlichen Kirche  Luther gewesen ist. Ein Zitat:

„Wie seine Zeitgenossen war er davon überzeugt, dass sich das ewige Seelenheil durch aktive Leistungen des Menschen gewinnen ließe – durch gute Werke oder strenge, wie man meinte, gottgefällige Lebensweise in gebet, Buße, Selbstgeißelung. Mit seinem Eintritt ins Kloster vertraute auch er sich dieser verbreiteten Leistungsfrömmigkeit an. Indem er als Mönch wie kaum ein zweiter Leistung auf Leistung häufte und dennoch seines Heils nicht gewiss werden konnte, legte er selbst den Boden für jenen weltgeschichtlichen Paradigmenwechsel in der Anthropologie der Frömmigkeit, die von der mittelalterlichen Leistungs- zur Gnadenfrömmigkeit des neuzeitlichen Protestantismus führte.“

Und weiter: „… so war der Reformator Martin Luther zu Beginn seines religiösen Lebens nicht Kritiker, sondern besonders pflichtbewusstes Glied der spätmittelalterlichen Kirche. Ihre Leistungsfrömmigkeit und Heiligenverehrung war ihm ebenso wenig Stein des Anstoßes wie das Papsttum und die weit verästelte Hierarchie, über die der römische Pontifex in einem monarchistischen Absolutismus herrschte. Im Gegenteil, sein Problem war, dass er die vielen Leistungsangebote dieser Kirche besonders ernst nahm und daher umso tiefer verzweifelte, wenn sie ihm nicht die existentiell verlangte Errettung brachten und allenfalls wie Trostpflästerchen wirkten.“

Bemerkenswert, wie Schilling auch diplomatischen Finessen ins rechte Licht rückt. Vielleicht hat sich der eine oder andere gefragt, warum Luther trotz der Reichs-Acht, unter der er durch das Wormser Edikt stand – er war damit ja vogelfrei, quasi zum Abschuss freigegeben – nach seinem Aufenthalt auf der Wartburg in Sachsen so munter aktiv sein konnte.

Dazu Schilling: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass es zwischen der Habsburgerregierung und Kursachsen eine geheime oder doch stillschweigende Übereinkunft gab, das Äußerste zu verhindern. Jedenfalls wurde das Edikt dem sächsischen Kurfürsten nie offiziell zugestellt und besaß demzufolge in seinen Territorien keine Reichskraft.“

Und dann ist da noch die Sache mit den Namen. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass Luther das Wort „lutherisch“ nicht mochte, da er nicht zu einer Art Heiligem werden wollte. Schilling: „Seine Haltung ist emphatisch universell: ‚Ich bin und will kein Meister sein. Ich habe mit der Gemeinde die einzige, allgemeine Lehre Christi, der allein unser Meister ist.‘ Das war auch eine Abwehr gegen die bereits von Eck aufgebrachte abwertende Charakterisierung der evangelischen Bewegung als „lutherisch“, so wie die verwandte Vorgängerbewegung in Böhmen als „hussitisch“ deklassiert worden war. Die Vertreter der evangelischen Kirchen sind dem Reformator gefolgt und haben stets die Selbstbezeichnung als „Lutheraner“ abgelehnt – bis im Zuge der Konfessionalisierung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die in der Konkordienformel 1577 geeinte Orthodoxie sich stolz „lutherisch“ nannte, um damit den Besitz der nunmehr gesicherten reinen Lehre des Reformators anzuzeigen.“

Und ich hatte nicht gewusst, dass Luther sich erst seit 1512 oder 1517 „Luther“ nannte. Vorher unterschrieb er immer als Martin Luder. Wobei ich vermute, dass sich an der Aussprache des Nachnamens im Kursächsischen dadurch nichts änderte.

Heißt alles in allem?

  • Wer sich so ein dickes Buch zutraut,
  • Wer sich für Luther und die Zeit der Reformation interessiert
  • Nicht nur einfache Scherenschnitt-Meinungen schätzt
  • Und gut schreibende Autoren mag

… liegt mit diesem Buch richtig.