Während ich die ersten Seiten über ihre Kindheit las, habe ich gedacht, doch so eine Biografie aus dem politischen Establishment, die zu viele Menschen gegengelesen haben, um alles auszumerzen, was irgendjemanden stören könnte…. und um noch einzufügen, was für irgendeinen potitischen Zweck noch fehlen könnte…
Ist auch so, aber auch doch nicht: Im Nachhinein fand ich den ersten Teil genau richtig und hilfreich, um diese First Lady der USA besser zu verstehen: die schwarze Frau des ersten schwarzen Präsidenten, eine berufstätige Mutter, eine hochintelligente, Harvard-studierte Anwältin mit eigenen Ansichten.
Die Biografie ist in drei Teile aufgeteilt
- Becoming, über Elternhaus, Kindheit, Schulzeit und Studium bis hin zur ersten lukrativen Stelle als Anwältin
- Becoming us, über die Entstehung der Beziehung zu Barack Obama, die Ehe, die beiden Töchter, Einstieg Barack Obamas in die Politik und Michelle Obamas Versuch, einen sinnstiftenden Beruf zu finden und damit auch Geld zu verdienen
- Becoming more, über den Einzug der Familie Obama in das Weiße Haus, nachdem Barack Obama die Präsidentschaftswahl gewonnen hatte, das Leben als First Lady, als Familie im Weißen Haus bis zum Auszug daraus, nachdem die zweite Amtszeit zu Ende gegangen war und Donald Trump die Wahl gewonnen hatte.
Im Fokus die Themen Erziehung, Bildung und Kinder
Vielleicht kein Wunder, die Botschaft: prinzipiell hat jedes Kind es in sich, mehr aus sich zu machen, es zu schaffen, aus Armut und beengenden Verhältnissen herauszukommen, wenn, wenn, wenn es die notwendige Förderung und Ermutigung erhält.
Eine Stimme finden
Immer wieder auch Reflexionen darüber, was sie als prominente schwarze Frau, später als First Lady auslöst: Abwehr, Verachtung, aber auch Ängste vor der „aggressiven“ schwarzen Frau. Deshalb sieht Michelle Obama „Becoming“ auch als eine Geschichte darüber, wie eine schwarze Frau aus armen Verhältnissen und einer schlechten Wohngegend ihre Stimme findet. Den Mut zu sprechen, auch wenn sie oft die einzige Frau im Raum voller weißer Amerikaner ist, die einzige schwarze Frau. Wer ihr auf diesem Weg Mut gegeben und Selbstbewußtsein vermittelt hat, erzählt sie packend und anschaulich. Die vielen Menschen, die unterstützend waren – unter anderem Mutter und Vater – erhalten Raum in dieser Geschichte. Wie sie sagt: sie und ihr Mann waren unter den 44 Paaren, die das Weiße Haus bewohnten, unter den 11, die dies für eine zweite Amtszeit taten und – das einzige schwarze Präsidenten-Paar.
Michelle Obama als aktive Wahlkämpferin für ihren Mann
„I was a child of the mainstream, and this was an asset. Barack sometimes referred to me as “Joe Public”, asking me to weigh in on campaign slogans and strategies, knowing that I kept myself happily steeped in popular culture. (…) All of this is to say that I saw ways to connect with Americans that Barack and his West Wing advisers didn´t fully recognize, at least initially. Rather than doing interviews with big newspapers or cable news outlets, I began sitting down with influential “mommy bloggers” who reached an enormous and dialed-in audience of women.”
Im dritten Teil erklärt „Becoming“ die Funktion Michelle Obamas während der Wahlkämpfe um das Präsidentenamt und berichtet vom Alltagsleben im Weißen Haus. Sie selbst hat ihre Rolle als First Lady dazu genutzt, die Medien, welche sie auf Schritt und Tritt verfolgten, mit Vorsatz an diejenigen Orte zu führen, die ihr wichtig waren: arme Vororte, Schulen, Krankenhäusen für Kriegsveteranen. So hat sie sozialen Themen durch die eigene Person zu einer medialen Aufmerksamkeit verschafft, die sonst unmöglich gewesen wäre.
“When the weather was nice (in einer unterprivilegierten Gegend), the gangs got more active and the shooting got worse. (…) Sometimes, they (die Schulkinder aus diesem Gebiet) told me, taking the safest path home meant walking right down the middle of the street as cars sped past them on both sides. Doing so gave them a better view of any escalating fights or possible shooters. And it gave them more time to run. (…) America is not a simple place. Its contradictions set me spinning. I’d found myself at Democratic fund-raisers held in vast Manhattan penthouses, sipping wine with wealthy women who would claim to be passionate about education and children’s issues and then lean in conspiratorially to tell me that their Wall Street husbands would never vote for anyone who even thought about raising their taxes.”
Mein Fazit: unbedingt lesenswert, nicht nur für Frauen, für Politikinteressierte, für Amerika-Enttäuschte.