Ein Buch wie ein Türstopper. Ein Thema wie eine herunterrauschende Jalousie. Chinesische Kalligraphie. Als ob man sonst nichts zu tun oder zu lesen hätte.
Gekauft und gelesen (!) habe ich es trotzdem – und bin ganz zufrieden damit.
Früher, wenn ich in einem Museum für ostasiatische Kunst mit chinesischer Kalligraphie konfrontiert war, kam ich nicht über ein „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“ hinaus. Das ist natürlich auch eine Art der Auseinandersetzung. Andererseits aber ziemlich flach, wenn man bedenkt, dass Kalligraphie gemeinsam mit Tuschezeichnung ganz oben in der Rangfolge traditioneller chinesischer Kunst steht, und zwar seit mehr als zweitausend Jahren.
Chinesische Kalligraphie
Schrift und Kultur gehören in China zueinander. Und vielleicht lässt sich chinesische Kultur ohne Verständnis der Schrift daher nicht recht nachvollziehen. Eine ganze Reihe chinesischer Kaiser hielten es für gut und richtig, nicht nur besonders gute Kalligraphien zu sammeln, sondern auch selbst diese Kunst zu beherrschen. Mao setzte diese Reihe dann in einer anderen Regierungsform fort, dito Deng, vermutlich auch Xi Jinping. Dieses Beispiel hier ist vom Song-Kaiser Huizong (* 1082, † 1132):
Die Handschrift einiger besonders früher Kalligraphen ist dadurch erhalten, dass man sie später mühe- und kunstvoll auf Steinstelen übertrug, von denen dann noch später ein Abklatsch auf Papier genommen wurde, der zum Glück erhalten blieb. Zum Vergleich: Von antiken römischen oder griechischen Autoren haben wir nichts (also: gar nichts) in deren Handschrift. Kalligraphie wurde fast durchgehend, über alle Dynastien der chinesischen Geschichte praktiziert, gesammelt, wertgeschätzt, kopiert, weiterentwickelt.
Zwei Beispiele, zunächst vom vielleicht wichtigsten Kalligraphen überhaupt, Wang Xizhi (* 307, † 365):
… und dies von einem anderen, fast so wichtigen, Zhao Mengfu (* 1254 ,† 1322), mit einer seiner Tuschzeichnungen:
Das Buch
Verstanden, Kalligraphie in China ist etwas Besonderes. Aber hilft einem das Buch dabei, mit ihr etwas anfangen zu können?
Durchaus. Wobei ich empfehlen würde, es in anderer Reihenfolge zu lesen, als es gedruckt wurde. Erst Kapitel 1 über „The evolution and artistry of Chinese characters„, dann Nr. 9 „An overview of ancient calligraphic theories“, danach Nr. 10 „Chinese calligraphy meets the west“. Die anderen Kapitel vielleicht durchblättern und all das lesen, woran man hängen bleibt – die sind chronologisch sortiert mit einer Fülle historischer Informationen und bedeutender Kalligraphen und guter Illustrationen.
Das Kapitel 9 ist wirklich sehr gelungen und macht die Verschnörkelungen der chinesischen Theorien tatsächlich recht gut verständlich und nachvollziehbar. Das habe ich noch in keinem anderen Buch so gefunden.
Und wie geht’s dem Leser danach in einem Museum für ostasiatische Kunst? Er (oder sie) erkennt einige Namen von Kalligraphen wieder, kann die verschiedenen Schriftarten unterscheiden, kann selbst einzelne Kalligraphien Epochen zuordnen und – vor allem – begründen, warum ihm/ihr etwas gefällt oder auch nicht. Das ist, finde ich, eine ganze Menge mehr als vorher.
Und als Türstopper funktioniert das Buch ja sowieso.
Nebenbei bemerkt: Wer über China insgesamt mehr erfahren möchte, findet in diesem Blog eine Extraseite mit vielen Literaturtipps.