Ich, Kaiser von China. Jonathan D. Spence

„Emperor of China: Self-Portrait of K’ang-hsi“ – in der deutschen Übersetzung von 1985 einfach nur „Ich, Kaiser von China“ – ist ein bemerkenswertes Buch.
Die Geschichte von Kaiser Kangxi

Kangxi (so die Schreibweise des Namens dieses Kaisers in der etwas geläufigeren Pinyin-Variante), * 1654, † 1722, war der zweite Kaiser der mandschurischen Qing-Dynastie Chinas, ein Zeitgenosse Ludwigs XIV. also. So lange wie er hat kein anderer Kaiser vor ihm regiert, er schaffte sage und schreibe 61 Jahre. Sogar heute noch gilt er in China als einer der vorbildlichsten Regierungschefs der chinesischen Geschichte. Er vergrößerte das Kaiserreich, sorgte für ein relativ friedliches Miteinander zwischen den Manchu und den Chinesen, war moralisch anscheinend ziemlich integer und kümmerte sich sehr um Kultur und Wissenschaft.
KANXI (ruled 1662–1722) | Facts and Details

Von Kangxi gibt es noch ziemlich viele Originaltexte, unter anderem Gedichte, Briefe und auch ein sogenanntes Abschiedsedikt, das er selbst einige Jahre vor seinem Tod verfasst und kommuniziert hat. Er ist damit einer der wenigen chinesischen Kaiser, von dessen Charakter und Ansichten man sich ein recht unmittelbares Bild machen kann.

Dies nutzt der anglo-amerikanische Sinologe Jonathan Spence, um quasi eine Autobiographie Kangxis zu schreiben. In den meisten Kapiteln setzt er Fragmente von Originaltexten des Kaisers zu verschiedenen Themen zusammen, z.B. „In motion“, „Ruling“, „Thinking“, „Growing old“. Im letzten Kapitel wird das Abschiedsedikt vollständig widergegeben. Alles ist also von Kangxi, redigiert von Spence. Hier das Edikt im handschriftlichen Original (wobei ich gleich auf den Beitrag in diesem Blog zu chinesischer Kalligraphie und die Seite zu China insgesamt hinweisen möchte, wo die hier besprochene Kangxi-Biographie auch schon von uns empfohlen wurde – ich habe sie jetzt zum zweiten Mal gelesen….)

Das Buch bringt einem diesen faszinierenden Menschen recht nah. Man lernt ihn mit seinen Selbstzweifeln kennen; wie er sich mit seiner zunehmenden Gebrechlichkeit auseinandersetzt; mit den Schwierigkeiten seiner Nachfolgeregelung; seinen Gedanken zu Erziehung, Ernährung, Medizin, Familie. Passend zur Zeit – der Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert – könnte man ihn durchaus als Kaiser der Aufklärung verstehen. Das Buch ist sehr poetisch, fast schön. Ein Rezensent hat geschrieben: „A masterpiece: it lifts scholarship to a level of beauty.“ Das würde ich so unterschreiben.
Qing Dynastie: Als Kaiser Kangxi China dem Westen öffnete - WELT

Als Zitat ein Gedicht von Kangxi:
„How many now are left
Of my old court lecturers?
I can only grieve as the decays of age
Reach ruler and minister.
Once I had great ambitions –
But they’ve grown so weak;
Being disillusioned by everything,
I don’t bother to seek the truth.
Shrinking back I look for simple answers,
But everything seems blurred.
Complexities bring me to a halt,
Exhausting my energies.
For years past, now,
I’ve neglected my poetry
And, shamed as I grope for apt phrases,
Find dust on my writing brush.“

Und vielleicht die letzten Zeilen seines Abschiedsedikts:
„I’ve revealed my entrails and shown my guts, there’s nothing left within me to reveal.
I will say no more.“

Chinesische Kalligraphie. Ouyang Zhongshi

Ein Buch wie ein Türstopper. Ein Thema wie eine herunterrauschende Jalousie. Chinesische Kalligraphie. Als ob man sonst nichts zu tun oder zu lesen hätte.
Chinese Calligraphy (The Culture & Civilization of China ...

Gekauft und gelesen (!) habe ich es trotzdem – und bin ganz zufrieden damit.

Früher, wenn ich in einem Museum für ostasiatische Kunst mit chinesischer Kalligraphie konfrontiert war, kam ich nicht über ein „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“ hinaus. Das ist natürlich auch eine Art der Auseinandersetzung. Andererseits aber ziemlich flach, wenn man bedenkt, dass Kalligraphie gemeinsam mit Tuschezeichnung ganz oben in der Rangfolge traditioneller chinesischer Kunst steht, und zwar seit mehr als zweitausend Jahren.

Chinesische Kalligraphie
Schrift und Kultur gehören in China zueinander. Und vielleicht lässt sich chinesische Kultur ohne Verständnis der Schrift daher nicht recht nachvollziehen. Eine ganze Reihe chinesischer Kaiser hielten es für gut und richtig, nicht nur besonders gute Kalligraphien zu sammeln, sondern auch selbst diese Kunst zu beherrschen. Mao setzte diese Reihe dann in einer anderen Regierungsform fort, dito Deng, vermutlich auch Xi Jinping. Dieses Beispiel hier ist vom Song-Kaiser Huizong (* 1082, † 1132):
Emperor Huizong: Chinese Calligrapher

Die Handschrift einiger besonders früher Kalligraphen ist dadurch erhalten, dass man sie später mühe- und kunstvoll auf Steinstelen übertrug, von denen dann noch später ein Abklatsch auf Papier genommen wurde, der zum Glück erhalten blieb. Zum Vergleich: Von antiken römischen oder griechischen Autoren haben wir nichts (also: gar nichts) in deren Handschrift. Kalligraphie wurde fast durchgehend, über alle Dynastien der chinesischen Geschichte praktiziert, gesammelt, wertgeschätzt, kopiert, weiterentwickelt.
Zwei Beispiele, zunächst vom vielleicht wichtigsten Kalligraphen überhaupt, Wang Xizhi (* 307, † 365):
Culture insider: 10 famous works by Chinese master calligraphers[1 ...

… und dies von einem anderen, fast so wichtigen, Zhao Mengfu (* 1254 ,† 1322), mit einer seiner Tuschzeichnungen:
Zhao Mengfu - Wikipedia

Das Buch
Verstanden, Kalligraphie in China ist etwas Besonderes. Aber hilft einem das Buch dabei, mit ihr etwas anfangen zu können?

Durchaus. Wobei ich empfehlen würde, es in anderer Reihenfolge zu lesen, als es gedruckt wurde. Erst Kapitel 1 über „The evolution and artistry of Chinese characters„, dann Nr. 9 „An overview of ancient calligraphic theories“, danach Nr. 10 „Chinese calligraphy meets the west“. Die anderen Kapitel vielleicht durchblättern und all das lesen, woran man hängen bleibt – die sind chronologisch sortiert mit einer Fülle historischer Informationen und bedeutender Kalligraphen und guter Illustrationen.

Das Kapitel 9 ist wirklich sehr gelungen und macht die Verschnörkelungen der chinesischen Theorien tatsächlich recht gut verständlich und nachvollziehbar. Das habe ich noch in keinem anderen Buch so gefunden.

Und wie geht’s dem Leser danach in einem Museum für ostasiatische Kunst? Er (oder sie) erkennt einige Namen von Kalligraphen wieder, kann die verschiedenen Schriftarten unterscheiden, kann selbst einzelne Kalligraphien Epochen zuordnen und – vor allem – begründen, warum ihm/ihr etwas gefällt oder auch nicht. Das ist, finde ich, eine ganze Menge mehr als vorher.

Und als Türstopper funktioniert das Buch ja sowieso.

Nebenbei bemerkt: Wer über China insgesamt mehr erfahren möchte, findet in diesem Blog eine Extraseite mit vielen Literaturtipps.