Empress of Rome: the life of Livia. Matthew Dennison

Livia, mit vollem Namen Livia Drusilla, Mitglied des römisch-republikanischen Uradels der Claudier, war die dritte Ehefrau von Augustus. Sie war eine der mächtigsten Frauen der römischen Welt.

Für damalige Verhältnisse lebte sie sehr lange, von 58 vor bis 29 nach unserer Zeitrechnung. Sie und Augustus scheint eine sehr enge und sehr vertrauensvolle Beziehung  verbunden zu haben: Obwohl aus ihrer Verbindung nicht der erwünschte Sohn hervorging, blieben sie 52 Jahre miteinander verheiratet. Für heutige Zeiten ungewohnt: In seinem Testament adoptierte Augustus nicht nur seinen Stiefsohn Tiberius als Sohn, sondern auch seine Ehefrau  als Tochter.
Die Nachfolger von Augustus als Kaiser von Rom – Tiberius, Claudius, Nero – sind also Livias leiblicher Sohn, Enkel und Urenkel.

Matthew Dennison hat eine – soweit ich weiß: die erste – Biographie über diese faszinierende Frau geschrieben.

Der Klappentext gibt einen guten Überblick:
„Empress of Rome is the fascinating biography of one of the most perplexing and powerful figures of the ancient world: the empress Livia. (…) Livia has been vilified by posterity (most notably by Tacitus and Robert Graves) as the quintessence of the scheming Roman matriarch, poisoning her relatives one by one to smooth her son’s path to the imperial throne.
In this elegant and rigorously researched biography, Matthew Dennison rescues the historical Livia from this crudely drawn caricature of the popular imagination. He depicts a complex, courageous and richly gifted woman whose true crime was not murder but the exercise of power, and who, in a male-dominated society, had the energy to create for herself both a prominent public profile and a significant sphere of political influence.“

Bestimmt war es nicht einfach, dieses Buch zu schreiben:

  • Livia spielt in den historischen Quellen selten die Hauptrolle. Fast immer wird sie in ein bestimmtes, meist ungünstiges Licht gerückt. Mit dieser schwierigen Quellenlage geht Dennison umsichtig und sensibel um. Er überinterpretiert nicht und macht deutlich, worauf seine eigenen Schlussfolgerungen basieren.
  • Die Rolle der Frau hat sich in den vergangenen zwei Jahrtausenden stark verändert. Vieles, was damals selbstverständlich war, ist uns heute komplett fremd. Hier gibt Dennison wichtige und anschauliche Informationen, so dass der Leser das Verhalten der Hauptpersonen gut einordnen kann.

Andererseits hat es bestimmt enormen Spaß gemacht, sich mit der Geschichte des iulisch-claudischen Herrscherhauses, seiner Angehörigen und ihres Umfelds zu beschäftigen. Cäsar, Augustus, Livia, Messalina, Nero, Kleopatra, um nur einige zu nennen, sind allesamt hochinteressante, oft auch hochintelligente, jedenfalls vielschichtige und bunt schillernde Persönlichkeiten.

Aber abgesehen davon, dass Dennison seinen Lesern das Leben Livias insgesamt nahebringt: Wie er das tägliche Leben einer Frau in den höchsten Kreisen des antiken Roms veranschaulicht, ist vielleicht der Aspekt, der dieses Buch am lohnendsten macht. Man erfährt viel über Kleidung, Eheschließung, Scheidung, Geburt der Kinder, Erziehung, Häuserkauf und -einrichtung, die Rolle der Frau in der Öffentlichkeit und andere Themen. Hierbei hilft natürlich auch, das zwei Wohnhäuser Livias, ihre eigene Villa in Prima Porta und ihr Haus auf dem Palatin, teilweise erhalten geblieben sind.

Einige Zitate zum Leben einer Frau in Rom, die vielleicht auch dazu dienen, einen Eindruck dieses gelungenen Buches zu vermitteln:

  • „Latin does not contain a word specifically for baby. While this should not be interpreted as proof that individual Romans were uninterested  in their Infant offspring, it is indicative of a broader detachment.“
  • „As with so many aspects of Roman women’s lives, our picture of daughters‘ education in the late Republic is a moth-picked patchwork. (…) women required at least basic literacy. In many upper-class families, among whom education was held in high esteem, women’s accomplishments extended far beyond the rudimentary. (…) Although traditionally Roman education for girls had emphasized moral virtues and skills that were predominantly domestic over academic accomplishments, by the end of the Republic, bilingualism was increasingly prevalent in senatorial nurseries. (…) Girls as well as boys learned both Greek and Latin.“

Auf italienisch und niederländisch gibt es Übersetzungen. Diese – oder das englische Original – sollte man nutzen. Es lohnt sich.

 

Die Oden. Horaz

Einige Autoren – wie zum Beispiel Haruki Murakami, der Autor des letzten Beitrags – werden hoch gehandelt und sogar für den Literatur-Nobelpreis diskutiert. Würde ich das noch erleben können, wäre ich gespannt, welche Rolle er in 50 Jahren noch spielen wird. Andere Autoren haben den Test der Zeit, sogar der Jahrtausende schon hinter sich, und behaupten sich unverdrossen. Einer hiervon ist sicherlich der römische Dichter Quintus Horatius Flaccus, kurz: Horaz.

Horaz lebte – siehe der fotografische Beleg – von 65 bis 8 vor unserer Zeitrechnung, und ist einer der wichtigsten Dichter der Zeit von Kaiser Augustus.  Seit damals ist Horaz beliebt und gefürchtet als Quelle lateinischer Zitate. Wenig ist vor ihm sicher, und vor wenigem er selbst. Als generelle Lebensmaxime, Name von Unternehmensberatungen sowie von Pflegeshampoos ist sein „carpe diem“ immer noch im Einsatz.

Und sogar Reifen lassen sich mit Horaz anscheinend besser verkaufen.

Neben Satiren und den sogenannten Epoden sind die Oden das Hauptwerk von Horaz. Geschrieben im Jahr 23 sind sie sprachlich am ausgefeiltesten und hatten bis heute den größten Einfluss vor allem auf  die westliche Literatur und Kultur. Sie sind der Inbegriff klassischer Dichtung. Und sie sind so allgemeingültig und so auf den Punkt geschrieben, dass sie auch heutigen Lesern ohne Weiteres zugänglich sind.

Als Beispiel möchte ich die 9. Ode des ersten Buches nehmen, da sie jahreszeitlich besonders gut passt und recht typisch für die Oden ist:


Permitte Divis caetera: qui simul
Stravere ventos aequore fervido
   Deproeliantis, nec cupressi,
       Nec veteres agitantur orni.
Quid sit futurum, fuge quaerere; &
Quem fors dierum cumque dabit, lucro
   Adpone: nec dulcis amores
       Sperne puer, neque tu choreas.
Donec virenti canities abest
Morosa; nunc & campus, & areae,
   Lenesque sub noctem susurri
       Conposita repetantur hora:
Nunc & latentis proditor intimo
Gratus puellae risus ab angulo;
   Pignusque dereptum lacertis,
      Aut digito male pertinaci.

Die „Lateinoase“ (die gibt es! und man kann sich dort ganz gut aufhalten!) übersetzt:
„Siehst du, wie der durch hohen Schnee strahlende Soracte dasteht und wie die sich abmühenden Wälder die Last nicht mehr aushalten und wie die Flüsse von scharfer Kälte erstarrten?
Vertreibe, reichlich Holz auf den Herd legend, den Frost und hole, o Thaliarch, freigiebiger den vier Jahre alten Wein im Sabinerkrug hervor.
Gestatte das andere den Göttern. Sobald sie die kämpfenden Winde auf dem tosenden Meer beruhigt haben, werden weder die Zypressen noch die alten Bergeschen hin- und herbewegt. 
Vermeide es zu fragen, was morgen sein wird, und was das Schicksal dir auch immer an Tagen gewähren wird, nimm es als Gewinn und verachte nicht die süßen Liebschaften, Junge, nicht die Reigentänze, 
solange das launische Greisenalter fern der Jugend ist. Bald mögen Feld, Flächen und leises Geflüster in der Nacht zu geregelter Stunde gesucht werden, 
bald das willkommene Lächeln als Verräter des sich versteckenden Mädchens vom geheimen Winkel und das ihren Armen oder ihrem kaum beharrlichen Finger entrissene Pfand.“

Die Übersetzung ist sehr wörtlich und gymnasial hinreichend mindestens für ein „gut“. Sie gibt sich Mühe. Gute Dichtung ist sie nicht. Aber das ist vielleicht eines der Haupthemmnisse für Horaz: Er lässt sich nicht wirklich überzeugend übersetzen (ähnlich wie klassische chinesische Gedichte). Zu viel geht verloren. Das Versmaß mit seinen Längen und Kürzen in Kombination und Reibung zur normalen Betonung der Worte, das im Deutschen immer als Hebungen und Senkungen im Einklang mit der Wortbetonung widergegeben wird: fad und platt und plump mit seinem dammda-dammdada-dammda-damm. Die freie und damit absichtsvolle Stellung der Worte, die die Bestandteile eines Satzes kunstvoll und nuancenreich ineinander verweben kann, funktioniert im Original problemlos, lässt sich jedoch im Deutschen überhaupt nicht nachbauen, ohne gestelzt, vollständig obskur oder beginnend verrückt zu wirken (wer so etwas einmal lesen möchte, ist mit der Horaz-Übersetzung von Bernhard Kytzler bei Reclam bestens bedient). Und wenn man das Gedicht anders, freier nachdichtet? Dann ist es nicht mehr von, sondern nach Horaz.

Ein guter Grund also, die Lateinkenntnisse wieder auszugraben (oder neu anzulegen?) – der ästhetische Genuss ist es wert. Nicht nur zu Weihnachten oder wenn Schnee liegt.

Cleopatra’s needles: The lost obelisks of Egypt. Bob Brier

Für jeden etwas dabei in diesem Buch über die bewegte Geschichte der ägyptischen Obelisken: Das alte Ägypten und Kleopatra, das alte Rom mit Cäsar und Augustus, die Kirche mit ihren Päpsten, Bernini und Elefanten, Napoleon und seine Abenteuer im Orient, die Ingenieursmeisterleistungen und -Katastrophen der Italiener, Franzosen, Engländer und Amerikaner, die bürokratischen Freuden Ägyptens. Alles umrahmt, beschattet, gestützt von Obelisken und illustriert mit vielen guten Bildern.

Bob Brier ist Ägyptologe in den Vereinigten Staaten und ein echter Vielschreiber. Er schreibt gut lesbar, spannend, journalistisch. Vor allem hat er immer den Blick auf Stoffe, die sich gut verkaufen: Pyramiden, Mumien, Tutankhamun. Ab und zu – wie in seinem Buch über Tutankhamun – triumphiert die Liebe zur Sensationsgeschichte dann auch einmal über die wissenschaftliche Seriosität.

Die Geschichte der Obelisken erzählt Brier mit vielen interessanten Anekdoten und – nachvollziehbar – einem starken Fokus auf die Ingenieurskunst, die über die Jahrtausende eingesetzt wurde, um die riesigen, mehrere Hundert Tonnen schweren Obelisken zu meißeln, bewegen, transportieren und aufzurichten. Dabei ist es sehr faszinierend zu lesen, dass die Ägypter ihre Obelisken einfach vertikal auf Podeste gesetzt haben, ohne Mörtel, ohne alles, mit Stabilität über Tausende von Jahren. Danach hat sich das keiner mehr getraut. Auch beeindruckend: In der frühen Neuzeit sind die Ingenieure um Haaresbreite an dem gescheitert, was die Ägypter und Römer per Routine geschafft haben…

Etwas dünn wird Brier, wenn es darum geht zu erklären, was denn eigentlich die Bedeutung der Obelisken ausmachte – eigentlich erstaunlich bei einem Ägyptologen. Bei diesem Thema kann beispielsweise „Landscape and Memory“ von Simon Schama im Kapitel „Streams of Consciousness“ aushelfen (überhaupt ein erheblich substanzielleres und mindestens genauso gut geschriebenes Buch wie das von Brier…): „(…) that the obelisks were objects of religious adoration for the Egyptians, rays of the sun symbolized by pointed columns of stone.“

Als Leseprobe eine Passage über den Obelisken vom Luxor-Tempel, den die Franzosen nach Paris zur Place de la Concorde gebracht haben: „When the obelisk reached the center of gravity of the pivot point the restraining system was activated to slow ist descent. (…). Fifteen minutes later, it was safely resting on a platform built to receive it. With the obelisk down, Lebas, for the first time, could see the top of the pedestal and made a wonderful discovery. Pharaohs frequently chiseled out the names of previous owners on monuments they wanted to claim as their own, and Ramses was one of the most enthusiastic practitioners, so he knew it could happen to him. Before he erected his pair of obelisks in front of the Luxor Temple, he carved his name on the tops of the pedestals so that when the obelisks rested on the pedestal they covered the names and no one could get to them. It worked.“

Gelesen habe ich die noch nicht übersetzte Erstausgabe von 2016.