Nonna. Thomas de Padova

Thomas de Padova war Eingeweihten bisher nur als Wissenschaftsjournalist beim Tagesspiegel und Verfasser lesbar geschriebener Sachbücher insbesondere über astronomische und andere naturwissenschaftliche Themen bekannt.

Jetzt hat er den Sprung in die Literatur und ins Autobiographische gewagt. Auch hier gelingt ihm das Schwimmen aufs Beste.

Der Klappentext verrät über den Inhalt von „Nonna“:
„Jeden Sommer verbrachte Thomas de Padova in einem Dorf am Meer in Apulien, Geburtsort seines Vaters, Großvaters und Urgroßvaters – drei Männer, die irgendwann aus Italien aufbrachen in die Welt. Seine Großmutter blieb. Jahr für Jahr erwartet sie ihn, still auf einem Stuhl sitzend, im Dunkel ihres Zimmers: eine alte, schwarz gekleidete Frau, die ohne Kühlschrank lebt. Warum hat der Großvater seine Frau immer behandelt, als existierte sie nicht? Was hat die beiden vor mehr als einem halben Jahrhundert aneinandergebunden?“

Mich hat das Buch sehr an das 1945 erschienene, ebenfalls autobiographische  Werk „Christus kam nur bis Eboli“ von Carlo Levi erinnert. Beide Bücher leben vom Kontrast zwischen einerseits dem eher Großstädtischen, Weltläufigen, Modernen, aus dem der Erzähler kommt, und dem Ländlich-Dörflichen, Provinziellen und Archaischem auf der anderen, in das er reist/reisen muss. In beiden Fällen wird weder das eine noch das andere als überlegen dargestellt. Der jeweilige Erzähler versucht das für ihn andere und Fremde zu begreifen und zu verstehen, ohne es sich aneignen zu wollen – höchstens vielleicht als Teil der eigenen Geschichte. Gemeinsam ist beiden Büchern auch die sehr ruhige, unprätentiöse Schreibweise, die den Leser in den Bann ziehen kann und die vielleicht auch gut zu dem Ländlich-Archaischen der Umgebung passt.

Eine Empfehlung meinerseits, besonders für sehr warme Sommertage wie in Apulien.

Not entitled. Frank Kermode

Nachdem ich bereits die Autobiographie eines Oxford-Professors für englische Literatur besprochen habe, ist es nur fair und angemessen, auch die eines Cambridge-Professors für englische Literatur aufzugreifen. Geschrieben hat sie Frank Kermode (1919 – 2010).

Bescheiden, selbst-ironisch, humorvoll, neugierig, etwas ziellos, ein Außenseiter und Einzelgänger – dies sind die Eigenschaften, die Kermode in seinen Memoiren auszeichnen. Eine erstaunliche Mischung, wenn man bedenkt, dass er es geschafft hat, auf einige der bedeutendsten Lehrstühle in England berufen und obendrein als Literaturkritiker zum Ritter geschlagen zu werden.

„Not entitled“ ist der Titel, übernommen von der Marine-Praxis, wenn man wegen diverser Strafen keinen Sold bekam, einen „N.E.“-Vermerk in seine Akte zu bekommen, da man Not Entitled für Sold war. Das dazu passende Motto, das er seinen Memoiren voranstellt, entnimmt er aus Shakespeares Coriolanus: „He was a kind of nothing, titleless“.  Und er endet auch damit, wenn er über eine neue Göttinnen-Statue in seinem Garten spricht: „Henceforth she will preside over this garden and the commonplace house in it, and as long as she belongs there, I will belong there also, or be as close to belonging as I am entitled to be, for as long as I am entitled to be.“

Seine Autobiographie ist lesenswert, besonders für die poetisch-spartanische Beschreibung seiner Kindheit und Jugend auf der Isle of Man, der unprätentiösen, ganz und gar nicht glorifizierenden Darstellung seiner Erfahrungen bei der Marine während des zweiten Weltkriegs, seine wunderbar beschriebene wissenschaftliche Lehrzeit beim Ben Jonson-Experten D.J. Gordon an der Universität Reading und seiner Zeit in Cambridge bis zum Rücktritt von seiner Professur. Sie wirkt authentisch und bodenständig, ist eindrucksvoll, berührend, auch inspirierend und ist sicherlich eines der besten Beispiele für nicht-hagiographische Memoiren.

Genauso wie sein Kollege, der Oxford-Professort Carey, steht Kermode dafür, lesbar zu schreiben, auch in der Wissenschaft: “What I do is despised by some younger critics, who want everything to sound extremely technical. I spent a long time developing an intelligible style. But these critics despise people who don’t use unintelligible jargon.”

Ein paar Zitate für einen Eindruck davon, was und wie Kermode schreibt:
„Another thing comes to mind as typical of (William) Golding: he once asked whether I was keeping up my Greek. When I admitted I wasn’t, he asked, ‚But what will you do when you retire if you can’t read Homer?‘ Greek was basic know-how.“

Oder über einen seiner besten Freunde:
„He was often ill, so that his not being quite well seemd almost a matter of course, an understandable hypochondria, another way of being different and alone; but as usual he was saying less than he meant when he said he wasn’t well, and so he died.“

Oder wieder über seinen Garten, dieses Mal mit Kaninchen:
„The other day my garden was invaded by rabbits. I wasn’t in the least terrified, after all I have seen far worse in my time, though I notice that by way of excusing my failure to act I have just said ‚rabbits‘ when in fact I saw only one, and there may have been only one – a large one, however – which nevertheless ran away when challenged by a territorially outraged squirrel. If there had been a plague of rabbits I doubt if I’d have done anything about it except hurry slowly to the telephone. The dripping tap, the puncture, the broken lock, the rat in the yard, even the light bulb that burns out in a fairly inaccessible socket, I take these problems under consideration and do nothing.“

Wer eine Kombination aus dem Alltäglichen und dem Großartigen, dem Poetischen und dem Bodenständigen mag, liegt mit Kermode richtig.

Und wer noch mehr und mehr Details wissen möchte, liegt wieder einmal mit einer Rezension im Guardian ebenfalls richtig, den Kermode übrigens ebenfalls sehr geschätzt hat.

Ebenfalls lesenswert der Nachruf in der New York Times.