Bei diesem Buch über die Biogeographie von Inseln – also über ein Sonderanwendungsfeld der Evolution – bin ich noch unschlüssig, wie gut es mir gefallen hat. Vielleicht ist es daher am Besten, meine zu heterogenen Eindrücke zu schildern.
Der Autor
David Quammen, Jahrgang 1948, ist ein typischer amerikanischer Vielschreiber, spezialisiert auf Themen der Naturgeschichte. Hierfür hat er zahlreiche Preise bekommen und wurde unter anderem als „one of the most eloquent and intelligent writers on natural history at work today“ bezeichnet.
Das Thema seines Buches
Wie wirken sich Inseln auf Artenreichtum, Evolution, Artensterben aus? Außerdem: Wenn man die Fragmente von Lebensräumen auf dem Festland auch als Inseln begreift (und sie zeigen alle Symptome von Inseln), was heißt das eigentlich für die Perspektive des Lebens global?
Quammens Beispiele reichen von Mauritius mit dem Dodo und dem Mauritiusfalken über Madagaskar mit seinen Lemuren, gefolgt von Indonesien und Neuguinea mit Komodo-Waranen und Paradiesvögeln, danach Galapagos mit Schildkröten und Finken bis zu Wasserschlangen im Süden der Vereinigten Staaten.
Seine Schlussfolgerung: Allein schon durch die fortschreitende Fragmentierung von Lebensräumen ist gesichert, dass wir ein Artensterben befördern, wie es das seit dem Aussterben der Dinosaurier nicht mehr gegeben hat.
Stärken von Buch und Autor
Quammens Buch beeindruckt durch eine ganze Reihe von Aspekten:
- Quammen hat wissenschaftlich eine Menge Tiefgang. Er hat sehr viel über sein Thema gelesen, auch ältere Forschungsliteratur. Damit qualifiziert er sich nicht nur als natur-, sondern auch als wissenschaftsgeschichtlicher Autor.
- Quammen reist gerne. Viele Orte (in diesem Fall: viele Inseln), die biogeographisch besonders relevant sind, hat er für dieses Buch selbst bereist. Das hilft ihm dabei, sehr lebendig und auch autobiographisch zu schreiben. In Teilen liest sich Der Gesang des Dodo wie ein erweiterter Reisebericht.
- Quammen kann gut schreiben und strukturieren. Locker, spannend, flüssig, mitreißend – Der Gesang des Dodo ist extrem lesefreundlich geschrieben. Zugleich schafft es Quammen, den grundsätzlich chronologischen Aufbau des Buchs von der Forschung Darwins und Wallaces bis hin zur Gegenwart multidimensional aufzulockern: die Orte wechseln, mal führt er ein Interview mit einem Wissenschaftlicher, mal gibt es einen ereignisreichen Reisepart, dann rezipiert er die Denkrichtung der Forschung.
- Quammen kann Inhalte vermitteln. Nach dem Lesen des Buchs hat man als Leser schon den Eindruck, substanziell viel über Biogeographie, Evolution, Artensterben gelernt zu haben, und das mit einigem Genuss.
- Quammen nimmt sich die Zeit und den Platz, Sachverhalte ausführlich zu erklären und mit Beispielen zu hinterlegen.
Nicht ganz so überzeugend
Auf der anderen Seite drängen sich zwei Punkte auf:
- Immer wieder einmal kam mir der Gedanke, dass man dasselbe nicht schlechter auch kürzer hätte schreiben können. Die englische Taschenbuchausgabe kommt auf 700 Seiten, die deutsche Übersetzung sogar auf 900. Das ist schon ein fast bibelartiges Format….
- Und dann noch typisch amerikanisch: Abgesehen von Darwin und Wallace, den beiden Briten, um die man beim Thema Evolution wirklich nicht herum kommt, kommen ausschließlich amerikanische Wissenschaftler vor. Es ist sicherlich gut, dass es all diese Wissenschaftler gibt und bestimmt leisten sie Großes, andererseits ist hochklassige Wissenschaft nicht auf die USA und Menschen mit amerikanischer Staatsbürgerschaft beschränkt. Da liest sich Quammens Buch gelegentlich etwas scheuklappig oder gar provinziell.
Macht unter dem Strich
Lesen und dabei Zeit mitbringen.