A short history of brexit: from brentry to backstop. Kevin O’Rourke

Geschrieben und kommentiert wird viel über den Brexit. Zählt er doch neben der Wahl Donald Trumps zu den überraschendsten und einschneidendsten Ereignissen der letzten Jahre. Und genauso wie bei Trump ist das Ende offen. Zwar kann man auf den Ausgang wetten, rechnen sollte man aber damit, die Wette nicht zu gewinnen.

Die aktuelle Diskussionskultur: eher Meinungsmache

Vieles, was man hört oder liest über den Brexit, bewegt sich auf dem Niveau von Klischees und Parolen. Es wird gewertet, nicht gewürdigt. Brexit in der deutschen Presse geht kaum noch als Einzelbegriff. Statt dessen vermarktet man ihn nur noch komplett im stimmungsmachenden Set als Brexit-Chaos. Britische Politiker sind Witzfiguren, Karikaturen; das britische Parlament ebenfalls eine Lachnummer. Wenn schon das Referendum damals von Populismus und Demagogie geprägt war, danach wurde es nicht besser, auch nicht bei uns.

Seriosität und saubere Analyse ist dagegen das Mittel der Wahl. Wie bei Tacitus, „sine ira et studio“: ohne Tendenziosität, möglichst sachlich und objektiv.

O’Rourke: seriöser Wissenschaftler

Genau das bietet Kevin O’Rourke. Kevin Hjortshøj O’Rourke (nicht erfunden!), Jahrgang 1963, ist Ökonom, Mathematiker, Historiker mit irischem Vater, dänischer Mutter und einem europäischem Lebenslauf. Als Professor und Fellow am All Souls College in Oxford sowie Mitglied der irischen und britischen Akademie der Wissenschaften hat er das Seine getan, um als anerkannter Wissenschaftler ernst genommen zu werden.

Das Buch: viel Aufklärung

Dieses Buch über den Brexit ist in jeder Weise empfehlenswert – sehr gerne schließe ich mich den Rezensenten zum Beispiel der Irish Times oder des Guardian an (habe ich die Rezensionen in deutschen Medien übersehen or don’t we read English hier?).

Einige Aspekte, die mir besonders aufgefallen sind

  • Ich fand frappierend, wie unterschiedlich die Briten und Kontinentaleuropäer der Opfer des ersten Weltkriegs nach 100 Jahren gedenken. In einem Memorandum an David Cameron heißt es: “we must ensure that our commemoration does not give any support to the myth that European integration was the result of the two World Wars”. Édouard Philippe, der französische Premierminister, tat genau das Gegenteil und betonte “a Europe that reminds us of the eternal values that unite us, and the disasters we mourn”. Auch tendieren die Briten dazu, nur ihrer eigenen Toten zu gedenken (die roten Mohnblüten am Revers) – auf dem Kontinent gedenkt man häufiger aller Toten der Weltkriege, gleich welcher Nationalität.
  • Unter den Gründen, die zum Brexit-Votum geführt haben, erwähnt O’Rourke neben anderen als zentral und entscheidend:
    • das Unbehagen Großbritanniens mit ausgeprägten supranationalen Strukturen wie einem EU-Parlament, EU-Kommission ….  (der Commonwealth hat so etwas praktisch nicht; Freihandelsabkommen brauchen das nicht)
    • die Austeritätspolitik der britischen Regierung – für die die EU nichts kann
    • die Einwanderung aus Nicht-EU-Ländern – für die ebenfalls nur die britische Regierung verantwortlich war und ist
    • die Entscheidung von Boris Johnson, sich für den Brexit zu engagieren: O’Rourke vermutet, dass ohne Johnson die Remain-Befürworter gewonnen hätten (mehr über Johnson in diesem Blog über seine Bücher zu London und Rom).
  • Und außerdem macht O’Rourke sehr sehr deutlich, dass viele verantwortliche Politiker zentrale Details zu Freihandelszonen, Zollunion, Mehrwertsteuer – warum auch immer – offensichtlich nicht in ihre Politik integrieren. Sonst hätte es nicht passieren können, dass die Roten Linien von Theresa May in Kombination ein Ding der Unmöglichkeit sind Es gilt, ein Trilemma zu lösen mit den Elementen: 1. Keine harte Grenze in Irland – 2. keine regulatorischen Unterschiede zwischen Nordirland und Britannien – 3. Großbritannien verläßt Single Market und Zollunion
    • 1. und 2. bedeutet: Großbritannien bleibt in Single Market und Zollunion
    • 2. und 3. bedeutet: Es gibt eine harte Grenze in Irland
    • 1. und  3. bedeutet: Freihandelsvertrag zwischen Britannien und EU; Nordirland weiter in Zollunion und Single Market; Grenzkontrollen in den Häfen Nordirlands.
    • 1. und 2. und 3. bedeutet: eine leere Menge.

Die europäische Union: gar nicht schlecht

Bemerkenswert in der Darstellung O’Rourkes ist dabei sicherlich auch, dass bei allem, was in der Europäischen Union immer wieder einmal nicht so gut klappt, diese EU im gesamten Brexit-Prozess anscheinend ausgesprochen gut sortiert und strategisch, klar und transparent, fair und solidarisch aufgetreten ist.

Also lesen!

All das und noch viel mehr wird einem klar, wenn man O’Rourkes Buch liest oder dessen Fortsetzung, die bestimmt kommt, sobald man weiß, wie es ausgegangen ist.