Dieses neue Buch von Jonathan Jones kommt so frisch von der Druckerpresse, dass man beim Lesen aufpassen muss, keine Druckerschwärze an die Finger zu bekommen: „Sensationen“. Das Cover passt zum Titel, ein springendes Pferd wie im Zirkus, es schaut im Sprung nach rechts und blickt dem Leser (oder natürlich der Leserin) direkt in die Augen.
Jonathan Jones ist nicht neu in diesem Blog. Sein Buch über das Liebesleben von Künstlern der Renaissance und dessen Auswirkungen auf deren Kunst haben wir schon besprochen.
In diesem Buch wagt er sich an ein erheblich größeres Thema, eine Geschichte der britischen Kunst seit Hogarth. Da braucht man neben fundierter Kenntnis auch einen langen Atem; darf sich nicht in Details verlieren, aber gleichzeitig auch nicht zu sehr an der Oberfläche verharren. Auch andere (und bekanntere) Autoren haben sich daran schon verhoben. Der einzige, den ich kenne, der dies bisher geschafft hat, war ein deutsch-britischer Kunsthistoriker, Nikolaus Pevsner, mit seinem Buch „The Englishness of English art“.
Vermutlich um sich nicht zu verirren, konzentriert sich Jones darauf, eine Hypothese zu verfolgen:
„In this book I will argue that the greatest British art, from Stubbs to Freud, expresses this empirical and sensationalist theory of knowledge. All the greatest artists in the story that follows – with one brilliantly provocative exception – made it their business to look with open eyes at raw fact.“
Eine zweite Hypothese folgt daraus: Vor der wissenschaftlichen Revolution in England kann es keine große britische Kunst gegeben haben. Jones:
„(Zur Zeit von Hogarth) there was no British art worlds to move up in. There were barely any British artists in the modern sense of the world – and no famous ones, let alone geniuses whose works live in history. How many people can name a British-born artist who worked before the 1700s? Art, for the British upper classes, was essentially something that came from abroad.“
Im großen und ganzen gelingt es Jones, seine Hypothesen zu bestätigen. Außerdem sind sie allemal interessant und anregend genug, um über die eigenen Kenntnisse britischer Kunst nachzudenken. Jones‘ Highlights der britischen Kunst: Hogarth, Gillray, Wright of Derby, Constable, Turner, Bacon, Freud. Wenn diese sieben Namen eine Hügelkette bilden, dann sind Hogarth, Turner und Bacon ihre höchsten Erhebungen. Richtig schlecht wegkommen: die Präraffaeliten und die Young British Artists, wie sie von Saatchi popularisiert worden sind.
Jones ist immer stark, wenn es darum geht, einzelne Werke in Ruhe und bei eingeschaltetem Verstand anzuschauen und auf sich wirken zu lassen. Seine Bildbeschreibungen sind sorgfältig und ausgesprochen sensibel. Er bringt Bilder völlig nachvollziehbar und geradezu intuitiv auf einen Punkt, auf den man selber nicht gekommen wäre. Wirklich große Klasse.
Die britische Kunstgeschichte gelingt Jones bis Francis Bacon. Danach reißt der Faden etwas ab. Vielleicht weil die Gegenwart immer zu präsent und vielteilig ist? Oder weil ihm die Zeit ausging? Oder weil er einen großen Teil der zeitgenössischen britischen Kunst für wenig gelungen hält? Auf jeden Fall wird Jones zum Schluss eilig und hektisch, hetzt von Namen zu Namen, verliert sich im Beliebigen. Das ist nicht Seins, er braucht die Ruhe und die Distanz.
Aber alles bis Francis Bacon sollte man lesen. Dann bekommt man einen neuen, etwas anderen Blick auf die britische Kunst.
„What have a pickled shark, a painted horse and a giant louse got in common?“
Dieses Buch gibt die Antwort.