Deutschland in Gefahr: Wie ein schwacher Staat unsere Sicherheit aufs Spiel setzt. Rainer Wendt

Endlich einmal ein Bestseller in diesem Blog! Steht schon auf dem Einband!! Schon die 3. Auflage noch im Erscheinungsjahr!!!
Das Thema: Sicherheit in Deutschland und die Aufgabe des Staats, diese zu gewährleisten. Das Fazit des Autoren Rainer Wendt, Präsident der Deutschen Polizeigewerkschaft: Es steht zunehmend schlechter um die Sicherheit; der sich selbst schwächende deutsche Staat lässt dies zu.

Wendt kommt vom Fach: Er hat Polizei gelernt, war lange aktiv, bevor er in die Polizeigewerkschaft wechselte. Er hat Meinungen und äußert sie offen. Er bietet Reibungsfläche, denn vor eine unbegrenzte Auswahl von Grautönen gestellt, neigt er zu weiß oder schwarz. Wobei die Farbe Weiß in der Regel für die Polizei vorgesehen ist, die verantwortungsbewusst und kompetent trotz widriger Umstände ihr Möglichstes tut. Er adressiert ein aktuelles Thema vor dem Hintergrund von Asylbewerbern und illegaler Immigration, von AfD und Terrorismus, vor einer hoch emotionalen Öffentlichkeit in Deutschland. Dies alles erklärt, warum das Buch ein Bestseller ist. Und es erklärt auch, warum viele Rezensenten sich sehr positiv äußern: Endlich ein Fachmann, der die Dinge beim Namen nennt – sollte Pflichtlektüre für alle Bürger werden. 46 von aktuell 67 Rezensenten bei Amazon geben 5 von 5 Sternen.

Zornig ist Wendt, sarkastisch, besserwisserisch. Polemisch schreibt er, durchaus populistisch, mit so einfachen Sätzen, dass er wirklich für alle zu lesen und zu verstehen ist. In Wikipedia wird er beschrieben als „schillernd, polternd, populistisch, konservativ, medial allgegenwärtig und vor allem polarisierend“.

Sachlich ist er damit nicht und bietet seinen Lesern nie die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung auf Basis solider Fakten und ausgewogener Argumentation zu bilden. Damit klärt Wendt nicht auf, er macht Stimmung. Quellen und Zahlen kommen fast nicht vor. Man kann ihm glauben, aber nur aus dem Bauch heraus – es sei denn, man macht sich die Mühe, selbst zu forschen und zu analysieren. Das hätte doch aber der Fachmann Wendt selber viel leichter leisten können.

Hier einige Beispiele für Darstellungen von Wendt:
„Und diejenigen, die die Polizei jahrzehntelang geschwächt, beschimpft und in ihren Wirkungsmöglichkeiten bekämpft haben, sind jetzt wieder die ersten, die ihr Versagen und Unfähigkeit vorwerfen. Das alte Spiel, durchschaubar, jämmerlich und verantwortunglos.“
„Beispiel Hauptstadt: Mit todernstem Gesicht und staatstragender Miene verkündet der Regierende Bürgermeister, dass man jetzt mehr Personal braucht. (…) Donnerwetter, da ist ja in den vergangenen zwanzig Jahren ein richtig kluger Gedanke gereift. In der Bundespolizei nicht besser. (…) Seit Jahren ein Personalfehl von rund 3000 Stellen. Und jetzt: trara! 3000 neue Stellen beschlossen.“
„Die öffentliche Diskussion um das Zeigen der Deutschlandfahne zur Zeit der Europameisterschaft im Fußball hat die deutsche Diskussionskultur in all ihrer Lächerlichkeit verdeutlicht. (…) Jetzt soll auch die Bevölkerung selbst ihr Land nicht mehr lieben und achten dürfen, wenn sie nicht in die Nähe von Nazis und Rassisten gerückt werden wollen. Das ist gefährliches Absurdistan und das meinen manche richtig ernst.“

Diese fehlende Sachlichkeit ist zu bedauern. Denn viele von Wendts Beobachtungen sind sicherlich richtig und viele seiner Vorschläge sind zumindest überlegenswert, wenn es um Stärkung von Polizei und Justiz geht, um klarere Regeln und Verfahrensweisen bei Zuwanderung und Asyl, die dann auch eingehalten werden. Dabei muss man seiner Anregung, dem angeblichen Mehrheitswillen zu folgen und zukünftig den Bundespräsidenten direkt wählen zu lassen, allerdings vielleicht nicht unbedingt folgen.

The Lonely Londoners. Sam Selvon

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Ein weiteres Buch, das ich – inspiriert von den DVDs „In Their Own Words: British Novelists“ – gekauft habe: Ein Roman über westindische Einwanderer nach London in den 50er Jahren.

Von Sam Selvon (1923-1978) hatte ich vorher nichts gelesen und nichts gehört. Damit bin ich anscheinend nicht allein, denn auch zum Beispiel in der deutschen Wikipedia gibt es keinen Eintrag (zum Glück aber in der englischsprachigen). Und in einer Ausgabe des „Oxford Concise Companion to English Literature“ von 1990 taucht weder der Roman noch Selvon selbst auf.

„The Lonely Londoners“ zählt mittlerweile zu den „Modern Classics“. Diesem Anspruch wird der Roman des in Trinidad geborenen Schriftstellers gerecht. Thema sind die Erlebnisse, Gespräche und Gedanken von Menschen aus der britischen Karibik, die in den 50er Jahren nach London ausgewandert sind, rund um den etwas heimweh-kranken und leicht pessimistischen Protagonisten Moses Aloetta. Leicht hatten sie es nicht – nicht nur wegen der gelegentlichen klimatisch-bedingten Nässe und Kälte Englands. Denn obwohl sie als Bürger des Britischen Imperium auch britische Staatsbürger waren, hätten viele weiße Briten diese ihre Mitbürger viel lieber weiter in der Karibik gesehen.

Trotz des schweren Themas und der oft bedrückenden Erlebnisse bei Wohnungs- oder Arbeitssuche („sorry, no vacancy„), die er beschreibt, schreibt Selvon humoristisch und sehr leicht, ohne jemals seicht, platt oder undifferenziert zu werden.

Sehr unmittelbar und authentisch wirkt der Roman, der durchgängig in Dialogen wie im Erzählpart im englischen Dialekt der westindischen Einwanderer geschrieben ist. Dieser Dialekt ist im Übrigen für Leser mit nicht so ausgefeilten Englischkenntnissen sehr gut zu verstehen.

Der Roman macht auch Mut, da sich die westindischen Einwanderer nicht unterkriegen lassen, sondern immer wieder aufstehen und weitermachen. Und weil es irgendwie auch klappt, wenn auch langsam, mit dem Zusammenleben.

Als Leseprobe zwei Passagen:
„When Moses sit down and pay his fare he take out a white handkerchief and blow his nose. The handkerchief turn black and Moses watch it and curse the fog. He wasn’t in a good mood and the fog wasn’t doing anything to help the situation. He had was to get up from a nice warm bed and dress and come out in this nasty weather to go and meet a fellar that he didn’t even know.“

„Things does have a way of fixing themselves, whether you worry or not. If you hustle, it will happen, if you don’t hustle, it will still happen. Everybody living to dead, no matter what they doing while they living, in the end everybody dead.“

Gelesen habe ich eine englischsprachige Ausgabe von 2006. Für  Leser der deutschen Sprache gibt es leider nichts im Angebot…

 

Bloody Foreigners: The Story of Immigration to Britain. Robert Winder

imageOffensichtlich ein Buch, das gut für die heutige Zeit passt, auch wenn es bereits im Jahr 2004 erschienen ist. Darüber hinaus ein wohltuendes und empfehlenswertes Buch: Winder behandelt Immigration nicht als „Problem“; er versucht konsequent, weder eine xenophobe noch eine xenophile Haltung einzunehmen; er berichtet und erzählt sine ira et studio. Und all dies in bester britischer liberaler Tradition.
Neben den immer wieder hochinteressanten Details, die sich in der Jahrtausende-alten Geschichte der Immigration nach Britannien finden, zeigt Winder vor allem in den ausgezeichneten Acknowledgements und der Einleitung auch große Linien und findet einsichtsvolle Perspektiven:

  • Es gibt keine englische oder britische Kultur ohne Immigration. Das, was wird heute als englische Kultur wahrnehmen, ist durch dauernde Immigration entstanden. Winder zitiert in diesem Zusammenhang ein Gedicht von Daniel Defoe von 1700:
    A true born Englishman’s a Contradiction
    In Speech an Irony, in Fact a Fiction.
  • Identität und Identifizierung ist erstaunlich flexibel: A man or a woman can cheer for England at the World Cup, Britain at the Olympics, Europe at the Ryder Cup, Scotland against Wales, Sussex in the Country Championship, and the West Indies in Test matches. Our loyalties can be fluid and overlapping.
  • Die Perspektive auf Immigranten kann sich deutlich verändern, wenn man sie um 180° dreht und dieselben Personen als Emigranten betrachtet: There is a built-in tendency to to present immigrants as passive or problematic second-tier characters, as guests or mere visitors with certain obligations of deference and gratitude towards their ‚host‘. Emigrants are much more dashing – adventurous, eager, intrepid, fun. (…) Migrants ceased to be the feeble, dependent figures of so much cartoon myth-making, and became plucky explorers on the sharp, often painful edge of social progress.
  • Immigration an sich ist nicht „gut“ oder „schlecht“. Es kommt darauf an. Vor allem kommt es darauf an, was man daraus macht: I now find it pointless even to brood on whether it can be described as a ‚good‘ or a ‚bad‘ thing. It is like wondering whether it is good or bad to grow old. Nor can immigration be conceived of as a single experience. For the man who meets the woman of his dreams, or makes his fortune, it is a happy process; for the boy knifed at a bus stop by a gang of violent bigots, it is a catastrophe.