Das vollkommene Haus: Eine Reise mit dem italienischen Renaissance-Baumeister Andrea Palladio. Witold Rybczynski

Wenn ich „Das vollkommene Haus“ von Witold Rybczynski im Zusammenhang mit Andrea Palladio schon empfehle, dann kann ich das natürlich auch etwas ausführlicher tun.

Bas Buch verspricht „eine Reise mit dem italienischen Renaissance-Baumeister Andrea Palladio“. Das ist eine kolossale Untertreibung: Es sind in Wahrheit ganz viele sehr unterschiedliche Reisen, die Rybczynski kunstvoll miteinander verbindet, um ein sehr mehrdimensionaler Bild der Villen von Palladio entstehen zu lassen. Da gibt es die physische Reise, die den Autoren tatsächlich nach Norditalien geführt hat. Eine Reise durch die Entwicklung von Palladios Architektur verbunden mit dessen Biographie ist außerdem dabei, denn er beginnt mit einer der frühesten Villen, der Villa Godi, und endet mit der spätesten, der Villa Rotonda (eine Coda über die Villa Saraceno nicht mitgerechnet…). Nebenbei berührt er dabei auch die anderen Gebäudetypen, die Palladio errichtet hat. Nicht zu vergessen eine Fahrt durch die Architekturgeschichte von der Antike bis zu den Echos Palladios in der zeitgenössischen Architektur, die zugleich eine Weltreise ist. Ach so, ein sozialgeschichtliches Panorama wird nebenbei auch noch aufgespannt. Und vielleicht ist noch eine autobiographische Reise ist mit dabei.

Auf all diese Reisen begibt sich Rybczynski mit schlenderndem Gang, genüsslich schweifendem Blick, mußevoller Reflexion, humorvoll-plauderndem Ton und viel Sensibilität. Es reist sich leicht mit ihm.

Ebenso intuitiv wie überraschend ist der Ansatz Rybczynkis, dass die Villen Palladios ganz wesentlich zum Bewohnen gebaut wurden. Dieser Bewohnbarkeit von Gebäuden mit teils fast 10 Meter Deckenhöhe, palastartigen Portikus und anderen eher Distanz auslösenden Elementen spürt er nach. Daher betritt er auch Untergeschosse, die als Wirtschaftsräume genutzt wurden, klettert ins Obergeschoss, das als Getreidespeicher genutzt wurde und entdeckt, dass auf dem Bauplan einer Villa auch Toilettenräume eingezeichnet sind. Er vermisst die Proportionen der Räume, der Säulenstellungen, der Gebäude. Er lässt Raumfolgen auf sich wirken. Er bewohnt für mehrere Tage eine Villa mit Freunden. Sein Fazit ist der Buchtitel. Villen Palladios lassen sich für ihn beschreiben als „das vollkommene Haus“.

Es ist ein Gewinn, dass Rybczynski mit Sprache umgehen kann und auch abstraktere, technische Überlegungen  und Beschreibungen sehr plastisch werden lässt (und verdaubar macht). Ein Beispiel  zur Basilica in Vicenza:

„Goethe bezeichnete die Architektur als verstummte Tonkunst, was dieses außergewöhnliche Bauwerk gut beschreibt. Ich weiß nicht, welche Art von Musik Goethe hörte, als er die Basilika sah, aber ich höre Percussion – den großen Jazz-Drummer Philly Joe Jones, mein Jugendidol. Die hohen Halbsäulen bilden den stetigen Rhythmus der bass drum, den Palladio betont, indem er das extrem breite Kranzgesims durchbricht und über jedem Kapitell verkröpft. Die Statuen, die jede Halbsäule in Attikahöhe bekrönen, setzen einen hohen Beckenschlag. Die beiden Arkadengeschosse weisen leicht unterschiedliche Rhythmen auf, das römisch-dorische Untergeschoss ist mit seinem stakkatoartigen Fries stärker artikuliert, während das ionische Obergeschoss zarter und glatter wirkt. Am Ende des neunjochigen Gebäudes markiert ein Bündel aus drei Halbsäulen (bekrönt von drei Statuen) eine Pause – einen Trommelwirbel -, bevor sich der Rhythmus hinter der Ecke fortsetzt. Die Serlianabögen flechten einen gewundenen Backbeat, durchbrochen vom doppelten Tom-tom-Schlag der Oculi und den Rimshots der Schlusssteine in Markenform oder mascheroni.“

Von allen Büchern über Palladio, die ich bisher in der Hand hatte, hat dieses meine Wahrnehmung  am meisten verändert und am besten beschrieben.

Rybczynski, geboren 1943, ist ein kanadisch-amerikanisch-polnischer Architekt und Professor für Urbanistik. Sein Hauptthema: Wohnen.

Andrea Palladio: The architect in his time. Bruce Boucher

Andrea Palladio – so lässt sich argumentieren – ist der einflussreichste Architekt der westlichen Welt. Mit dieser Aussage startet Bruce Boucher sein Buch über einen Menschen, der von 1508 – 1589 gelebt hat, und dessen Werk.

Erstaunlich und erfreulich viele Gebäude von Palladio sind noch im Veneto und in Venedig erhalten. Vielen ging es die meiste Zeit ihres Bestehens sehr gut, da sie immer wertgeschätzt wurden. Hierzu gehören seine Kirchen in Venedig, die Basilica in Vicenza oder auch die sehr berühmte Villa Rotonda. Etliche – wie die Villa Poiana und die Villa Saraceno – haben sehr von seinem 500. Geburtstag vor acht Jahren profitiert, wurden wieder in einen guten Zustand versetzt und sind nun auch der Öffentlichkeit zugänglich. Einige allerdings warten noch auf Geld und Zuwendung und trotzen tapfer Verfall und Erosion.

Palladio hat sehr substanziell gearbeitet: Seinen Beruf hat er richtig gelernt und mit einer Ausbildung zum Steinmetz begonnen. Die Architektur der Antike hat er studiert sowohl in der Literatur durch Vitruv, aber auch vor allem in der Realität durch Aufenthalte vor allem in Rom, Tivoli, Palestrina. Die Werke seiner Zeitgenossen und unmittelbaren Vorgänger hat er besucht. Er hat sich ein exzellentes Netzwerk an Kontakten zu allen, die Rang und Namen im Veneto hatten, aufgebaut und gepflegt. Seine Gebäude sind sehr sorgfältig und haltbar gebaut. Und er hat seine „Quattro libri“ publiziert.

Dann kam auch noch Glück in Gestalt von Inigo Jones dazu, der die Quattro Libri nach England brachte und damit den internationalen Palladianismus startete.

Einige Gebäude sind auf den ersten Blick beeindruckend. Ikonen der Architektur sind sicherlich die schon genannte Villa Rotonda, die Villa Malcontenta oder auch die Villa Cornaro. Andere Gebäude wirken von außen eher spröde, fast spartanisch, ja sogar erschreckend modern – man betrachte nur die Villa Poiana. Aber spätestens, wenn man in seine Räume hineingeht, ist man beeindruckt von den Proportionen, der einfachen Raffiniertheit seiner Konstruktionen, der offenkundigen Bewohnbarkeit selbst von palastartigen Gebäuden.

Bouchers Buch, erschienen in einer aktualisierten und transportablen Version im Jahr 1998, ist eine Bereicherung. Es ist überaus fundiert biographisch, sozialgeschichtlich, historisch wie architekturhistorisch. Die zahlreichen Fotografien sind spezifisch für dieses Buch entstanden. Und er kann schreiben, so dass auch komplexe Sachverhalte nachvollziehbar werden und sich recht flott lesen. Ein Beispiel:
„Palladio’s contact with classical architecture in the 1540s left him dissatisfied with hand-me-down copies, and even with his first publication, L‘Antichità di Roma, he explained his wish to ‘see with my own eyes and measure everything with my own hands.’ (…) Early evidence of this critical stance can be seen in three drawings of capitals and entablatures from Roman triumphal arches (…). All three were copied from earlier sources and show the capital with its entablature moldings rendered in perspective. Obviously the capitals did not please Palladio because in each case he covered the received version with a second piece of paper on which a more accurate capital has been drawn. In other cases, like a beautiful study of three antique bases, the original ink drawing is supplemented by further measurements and sketches made by the architect some years later.”

Für diejenigen, die sich noch auf andere Art mit Palladio beschäftigen wollen, möchte ich noch ein Buch von Witold Rybczynski empfehlen:

Am besten jedoch macht man sich auf ins Veneto, um die Gebäude von Palladio dort zu sehen und zu erfahren. Vielleicht mit dem Buch von Boucher – in Englisch oder in Deutsch – im Handgepäck.