Galileo: watcher of the skies. David Wootton

Galileo Galilei: Inquisition, der schiefe Turm von Pisa, vor Newton der Gigant der Naturwissenschaften. Ein tolles Thema.
Die Anfänge der Festigkeitslehre bei Galilei › momentum › Historie

David Wootton: wie es heißt, einer der großen Intellektuellen unserer Zeit, äußerst bewandert in der Geschichte der Naturwissenschaften vom 16. bis 18. Jahrhundert. Eine tolle Kombination.

Leider jedoch schreibt Wootton anscheinend abwechselnd wirklich ausgezeichnete und dann eher mäßige Bücher. Wenn man das weiß, kann man entsprechend auswählen und jedes zweite seiner Bücher weglassen. Wusste ich aber nicht…

Und daher war mein Leseglück mit Wootton recht unbeständig.
„The invention of science: an new history of the scientific revolution“, erschienen 2016, fand ich sehr gut, anregend und überzeugend.  „Power, pleasure and profit: insatiable appetites from Machiavelli to Madison“ dagegen, Erscheinungsjahr 2018, wirkte etwas patchwork-artig aus Vorlesungen zusammengenäht, wenn auch mit wirklich guten einzelnen Highlights. Dann „Bad medicine: doctors doing harm since Hippocrates“, erschienen 2006, wieder in der Genuß-Kategorie.

Woottons Biographie über Galileo Galilei erschien 2010. Das konnte – rückblickend, in Kenntnis der Reihe – natürlich nichts werden.

So war es dann auch. Der Fairness halber muss ich aber auch wieder eingestehen, dass ich das Buch nicht ganz gelesen habe. Vielleicht wäre es noch besser geworden. Allerdings habe ich deutlich mehr als ein Drittel geschafft, also für die mathematisch Bewanderten unter uns (und andere interessieren sich ja wahrscheinlich nicht für Galileo): fast 50%.
Lunar Archives: Galileo's Sidereus Nuncius 3rd Edition

Mein Fazit bis dahin: Kenntnisreich, belesen auf der Habenseite. Besserwisserisch (ich hab’s zuerst entdeckt!), detailverliebt und linienlos, uninspiriert und langweilig beim Soll. Ich bin mit großem Interesse an Galileo gestartet, aber bereits vor seinem Prozess mit der Inquisition etwas schläfrig ausgestiegen.

Schade, denn Galileo war bestimmt eine faszinierende Persönlichkeit. Aber kein Grund zu verzweifeln: Denn wer mehr über ihn wissen möchte, ist bei Wikipedia ganz gut aufgehoben – dort wird Woottons Biographie übrigens nicht erwähnt, auch nicht in der englischen Version. Das hätte mich warnen können….
Galileo's Leaning Tower of Pisa experiment Pisa International ...

Erasmus, man of letters: The construction of charisma in print. Lisa Jardine

Erasmus von Rotterdam (* um 1467, † 1536) zählt auch heute noch zu den bekanntesten Persönlichkeiten der nordeuropäischen Renaissance und des europäischen Humanismus. Er ist das Paradebeispiel eines Gelehrten, uneigennützig, rein an der Sache orientiert, immer auf der Suche nach Wahrheit. Trotz seines Namensanhängsels „von Rotterdam“ ist er einer der ersten Europäer (während sein Zeitgenosse Luther klar als Deutscher einsortiert werden würde). Ein europäisches Studentenaustauschprogramm ist nach ihm benannt. Auch Universitäten und viele Schulen tragen seinen Namen. Und damit sind alle Häuser, Brücken, Straßen, Plätze, U-Bahn-Linien, ICEs …. noch nicht einmal erwähnt.
Erasmusbrücke

Das Buch von Lisa Jardine, ehemals Professorin für Renaissance-Studien in Großbritannien, aber leider im Jahr 2015 verstorben, geht der Frage nach, wie Erasmus eigentlich zu seinem guten Ruf gekommen ist.
Lisa Jardine: Tributes after renowned historian dies - BBC News

PR-Profi des Humanismus

Ihre Erkenntnis: Erasmus hat sich offenbar sehr bewusst darum gekümmert, genau den Ruf aufzubauen, den er heute hat. Modern formuliert: Erasmus war ein ausgeprägter PR-Profi in eigener Sache.

Einige Aspekte von Jardines Buch sind zum Glück recht gut nachvollziehbar, auch ohne Experte zu sein, Latein zu beherrschen und ihr Buch zu lesen.

Die Porträts: Erasmus als neuer Hieronymus

Jardine macht überzeugend deutlich, dass nicht der jeweilige Künstler – Metsys, Holbein oder Dürer – entschieden hat, in welcher Pose, mit welchen Gegenständen, vor welchem Hintergrund und mit wem Erasmus abgebildet wird, sondern Erasmus selbst. Besonders auffällig dabei ist, wie sehr die Porträts sich an der Ikonographie des Heiligen Hieronymus orientieren (wobei Erasmus – siehe seine Kleidung – schon mehr Wert auf teure Kleidung legt als sein Vorbild, dafür aber auf Totenkopf und Löwen verzichtet….)
Erasmus von Rotterdam – WikipediaHieronymus oder die Kunst des Übersetzens | Gymnasium Leoninum Handrup

Hieronymus war nicht nur ein christlicher Kirchenvater und Asket, sondern durch seine Übersetzung der Bibel ins Lateinische – die Vulgata – auch ein Gelehrter. Er beherrschte Latein, Griechisch und Hebräisch. Außerdem hat er intensiv Textkritik betrieben und versucht, dem ursprünglichen Bibeltext möglichst nahe zu kommen. Und nicht zuletzt ist Hieronymus für seine Briefe berühmt.

Durch die Porträts präsentiert sich Erasmus quasi als neuen Hieronymus. Er stellt sich als würdigen, gleichwertigen Nachfolger in eine lange Tradition von christlichen Gelehrten überregionaler Bedeutung, die sich mit der Herausgabe und Übersetzung zentraler Texte der Antike und der christlichen Tradition beschäftigen.

Die Briefe: Das Epizentrum der europäischen Macht- und Geisteswelt

Neben all seinen anderen Schriften und Textausgaben sind die weit über 2000 erhaltenen Briefe von und an Erasmus von überragender Bedeutung. Wer immer während seiner Lebenszeit auch nur ansatzweise VIP-Status hatte, bekam Post (und antwortete anscheinend auch oft). Martin Luther, Heinrich VIII., Papst Leo X. und viele, viele mehr: Sie alle sind mit dabei.

Diese Briefe waren ihm wichtig. Er reagierte allergisch, wenn jemand anderes ohne sein Einverständnis sie veröffentlichte. Gleichzeitig kümmerte er sich selbst akribisch darum, dass die richtigen Briefe in der für ihn richtigen Abfolge erschienen.
La Maison d'Érasme - Portraits d'Erasme

Damit positionierte sich Erasmus als supervernetzt im, Europa des 16. Jahrhunderts. Alle von Rang und Namen finden ihn offenbar toll, alle bitten ihn um Rat, ohne ihn geht praktisch nichts, jedenfalls nichts Wichtiges.

Hübscher Nebeneffekt dabei: Erasmus stellt sich wieder in eine lange Tradition bis in die Antike. Seine Briefe werden in einem Atemzug genannt mit denen von Cicero, Plinius, Libanios und – siehe oben – dem Heiligen Hieronymus.

Das Buch von Jardine: eher für Spezialisten

Für das breite Publikum hat Jardine sicherlich nicht geschrieben. Durchhaltevermögen, Lateinkenntnisse und Spaß an komplexen Nominalkonstruktionen im Englischen sind wichtig. Oder anders formuliert: Stilistisch kommt Jardine bei weitem nicht an Erasmus heran.
Erasmus, Man of Letters: The Construction of Charisma in Print by ...

Dennoch, gerade ihre Kapitel über die Porträts und die Briefe sind recht gut zugänglich und sogar mitunter fast spannend geschrieben. Nicht umsonst und zurecht ist das Buch – ursprünglich 1993 erschienen – 2015, kurz vor Jardines Tod, noch einmal neu aufgelegt worden.

The loves of the artists: art and passion in the Renaissance. Jonathan Jones

Gebraucht habe ich dieses Buch gekauft. Es hat offensichtlich alles, was  den Verkauf fördert. Vor allem: unbekleidete Frau auf dem Cover. Außerdem: die Schlagworte „Liebe“, „Künstler“, „Leidenschaft“, „Renaissance“. Erschienen 2013 wurde es direkt im Juni von der Bücherei in Islington gekauft. Ausgeliehen einmal, im März 2014, dann nie wieder, kürzlich ausgemustert und jetzt verramscht. Da hat man es als Buch heutzutage anscheinend nicht leicht, jedenfalls wenn es um Kunst geht, in Islington, dort in der Bücherei.

Der Autor
Jonathan Jones ist der amtierende Kunstkritiker des englischen Guardian, damit durchaus eine Institution des britischen Kunst- und Kulturbetriebs. Aufmerksam auf ihn wurde ich durch die BBC-Serie „Private life of a masterpiece„, in der er durch seine nüchtern-begeisterten, einsichtsvollen und oft überraschenden Kommentare zu bekannten und berühmten Kunstwerken auffiel. Mein Eindruck: Jones schaut sich Kunstwerke sehr, sehr gründlich an, traut sich, sich seine eigene Meinung zu bilden und diese dann auch noch pointiert zu äußern.

Dieser Eindruck passt auch fürs Buch.

Worum geht’s?
Genau um das, was der Buch- und Untertitel verraten – um Künstler, ihre Kunst und ihre (Liebes-)Leidenschaften, vor allem während der Renaissance, wobei Jones großzügig den frühen Barock noch gelten lässt. Pro Kapitel ein Künstler und sein Umfeld, im Fokus dabei eines der relevanten Kunstwerke (nicht nur Gemälde, auch gelegentlich Skulptur oder auch Architektur). Das Gewebe panoramisch mit vielen Anekdoten, viel Einblicken in die Kultur und Zivilisation von Zeit und Ort, biographischen Skizzen, genauem Betrachten der Kunst. Kunstgeschichte also par excellence.

Und mein Eindruck?
Erfreulich, dass Jones nicht nur Italien berücksichtigt, sondern auch nördlichere Breitengrade. Bemerkenswert, dass neben all den üblichen künstlernden Männern doch auch eine Künstlerin, Artemisia Gentileschi, vorkommt.

Man lernt viel und mit viel Vergnügen. Vielleicht schaut man auch anschließend anders auf diese Kunst oder generell auf Kunstwerke, traut sich stärker, selbst zu interpretieren, abseits der normalen, sattsam bekannten Sprachblasen zur Kunst der Renaissance.

Mäkeln kann man natürlich auch: Simon & Schuster hat eindeutig an den Illustrationen gespart. Dusselig von denen bei einem Buch über Kunst. Und für alle, denen das wichtig ist: Komplett jugendfrei ist das Buch natürlich nicht – vielleicht stand es in Islington auch im Giftschrank und keine/r hat’s gefunden?

Renaissance: beste kurze Bücher für den Italien-Urlaub

Jedes Jahr lockt es Horden von Touristen in die Toskana. In Florenz sind etliche Sehenswürdigkeiten nur noch durch im Voraus gebuchte Tickets zu besichtigen. Immer wieder frage ich mich, was diese vielen Touristen denn eigentlich dort suchen und ob sie es wohl finden.

„Die Renaissance“ von Peter Burke

Das ist das intelligenteste Buch, dessen Autor zu Sätzen fähig ist, die man in den beiden anderen Büchern niemals finden würde. Zum Beispiel: „Fest steht, dass die Renaissance die Bewegung einer Minderheit gewesen ist. Es war eine städtische und keine ländliche Bewegung, und die Lobreden auf das Landleben entflossen den Federn von Leuten, die ihr Hauptdomizil in der Stadt (…) aufgeschlagen hatten.“ Auf 107 Seiten erklärt Burke, was wir auf wissenschaftlich fundierter Basis heute unter Renaissance verstehen können. Er tut dies unterhaltsam und sehr verständlich. Ein großer Vorteil dieser Darstellung ist es, sämtliche Kunstgattungen zu berücksichtigen und deren wichtigste Werke auch in Abbildungen zu zeigen. Die Kapitel des kleinen Büchleins heißen:

  • Der Mythos der Renaissance
  • Italien: Die Wiederbelebung und Erneuerung der Antike
  • Die Renaissance im Ausland oder: Vom Nutzen und Nachteil Italiens
  • Auflösung der Renaissance
  • Schluß

„The Key to Renaissance Art“ von Josè Fernández Arenas; Bateman/Search Press Pocket Guide

Dieses Taschenbuch ist ein klassischer, bildreicher Kurzführer zu einer Epoche. Hier finden sich alle üblichen Klischees zur Renaissance. Das Buch ist dennoch sehr hilfreich und empfehlenswert, wenn man sich schnell und unkompliziert dem Thema überhaupt erst einmal nähern möchte: Das wichtigste Basiswissen wird gut vermittelt, die wichtigsten Kunstwerke werden vorgestellt und nach 75 Seiten hat man einen ersten guten Überblick gewonnen.

„Architecture of the Renaissance from Brunelleschi to Palladio“ von Bertrand Jestanz; New Horizons

Dieses Buch ist eine prima Ergänzung zu den beiden vorher vorgestellten Büchern. Es ist reichbebildert mit tollen Fotos, zeigt Bauten, Pläne und Modelle. Es enthält ergänzend zu den Bildern knappe, erläuternde Texte. Auch Reisende, die nicht unbedingt leidenschaftlich an Archtektur interessiert sind, können an der Darstellungsweise Vergnügen haben. Der Kern des Buchs umfasst 124 Seiten, danach folgt ein Anhang mit Abschriften der wichtigsten zeitgenössischen Dokumente. Die Kapitel heißen:

  • The Return to Antiquity
  • New Principles
  • New Language
  • New Building Types
  • A New Discipline
  • A New Profession
  • Documents

Außerdem enthält das Buch eine Chronologie sowie weitere Literatur-Empfehlungen.

…und was tun, wenn man gar keine Zeit oder Neigung hat, sich auf das Thema Renaissance einzulassen? Ganz einfach: Aus Peter Burkes „Die Renaissance“ die ersten 50 Seiten lesen. Das reicht. Erst einmal.

Die Wirklichkeit der Bilder – Malerei und Erfahrung im Italien des 15. Jahrhunderts. Michael Baxandall

Was zeigt ein Bild aus der Renaissance? Wie haben die Zeitgenossen das Bild gesehen, wie es interpretiert? In „Die  Wirklichkeit der Bilder“ bietet Michael Baxandall Hilfestellungen für eine Annäherung.

Ein Bild kann nur verstanden werden – so Baxandall – auf der Basis von Konventionen, die dabei helfen, die Formen auf der zweidimensionale Fläche zu entschlüsseln. Kulturelle Konventionen, auch Training und Malerei hängen dabei eng zusammen: „(…) dass nämlich ein Bild sehr empfindlich reagiert auf die verschiedenen Arten der Interpretationskunst – Muster, Kategorien, Schlussfolgerungen und Analogien -, die man an es heranträgt. Die Fähigkeit, eine bestimmte Form oder Formbeziehung zu unterscheiden, wird Folgen haben für die Aufmerksamkeit, die der Betrachter einem Bild entgegenbringt. Wenn er beispielsweise darin geübt ist, auf proportionale Beziehungen zu achten, oder Erfahrung damit hat, komplexe Formen auf Verbindungen einfacher Formen zu reduzieren, (…) können ihm diese Fähigkeiten durchaus dazu verhelfen, seine Erfahrung von Piero della Francescas Verkündigung anders zu strukturieren als Menschen ohne diese Fähigkeiten (…).“  

Baxandall erläutert in seinem Buch, dass in den Reihen der Auftraggeber und des Publikums  Kaufleute waren. Sie waren geübt darin, unregelmäßige Gegenstände in ihren Volumina zu berechnen. Fokus ihrer Ausbildung lag auf Geometrie und Arithmetik. Aus diesem Grund – so die These – hatten sie ein ganz besonders Vergnügen, in den Bildern Formen von dreidimensionalen Körpern zu erkennen, die sie potenziell berechnen konnten. Mehr und mehr seien die Kunstfertigkeit der Maler, ihre Fähigkeit Perspektiven, Verkürzungen zu zeigen, an die Stelle von früher Image-trächtigem Gold oder Lapislazuli getreten.

Als weitere zeitgenössische „Kultur“-Quellen für die Bilder der Renaissance führt er auf:

  • die Figuren des Tanzes, die Gruppierungen der Personen in den Bildern beeinflussten
  • die Gesten, die in Predigten genutzt wurden, um das Gesagte zu unterstützen
  • und die Darstellung von Gefühlen in religiösen Schauspielen.

In der Renaissance war man der Auffassung, dass inneres, emotionales Erleben  seinen unmittelbaren Ausdruck im Äußeren eines Menschen zeigt, in Haltung, Mimik und Gestik. Besonderen Einfluss auf künstlerische Gestaltung differenzierter Gefühle hatte hierbei die Darstellung Marias während der Verkündigung. Fünf deutlich voneinander unterschiedene geistliche und emotionale Phasen Marias sollten erkennbar sein:

  1. Aufregung
  2. Überlegung
  3. Nachfragen
  4. Unterwerfung (unter den Willen Gottes)
  5. Verdienst (mit der Empfängnis).

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Dieses spannende, sehr gut lesbare Buch beruht auf Vorlesungen für Studierende. Deshalb setzt Baxandall kein spezielles Wissen voraus, bietet aber ein Handwerkszeug, um die Bilder der Renaissance neu und anders zu sehen. Man sollte das Buch einfach in den nächsten Toskana-Urlaub mitnehmen und sich in seinen Bann ziehen lassen.

Ein Zusammenfassung des Buchs bietet dieser Artikel der „Zeit“ hier. „Die Sichtweise Baxandalls auf die italienische Kunst des 15. Jahrhunderts stand am Anfang einer ganzen Forschungsrichtung über den Zusammenhang von Kunstwerken und der sie umgebenden sozialgeschichtlichen Realität. Anhand von Verträgen, Briefen und Rechnungen rekonstruiert der Autor im ersten Kapitel die Struktur des damaligen Gemäldehandels und die ökonomische Grundlage für die Anwendung verschiedener malerischer Techniken. Dann erläutert Baxandall, wie sich ganz unterschiedliche Erfahrungsbereiche – darunter das Predigen, das Tanzen und das Ausmessen von Fässern – im Schaffensprozess großer Kunstwerke wiederfinden.“ Zitat aus der Beschreibung des Verlags Klaus Wagenbach.

Michael Baxandall Michael Baxandall Telegraph

Michael Baxandall war ein britischer Kunsthistoriker (1933-2008). Er lehrte an vielen Universitäten der Welt. Seine Bücher zählen heute zu Klassikern der Kunstgeschichte: Giotto and the Orators, Painting and Experience in Fifteenth Century Italy, The Limewood Sculptors of Renaissance Germany, Patterns of Intention, Tiepolo and the Pictorial Intelligence, Shadows and Enlightenment und Words for Pictures. 

The dream of reason: A history of Western philosophy from the Greeks to the Renaissance. Anthony Gottlieb

Lesbar und verständlich, überhaupt nicht flach, voller Einsichten, macht Spaß. Sieht nach ziemlich voller Punktzahl aus für den ersten Teil der Philosophiegeschichte von Anthony Gottlieb, der den Zeitraum von der griechischen Antike bis zur Renaissance umfasst.

Gottlieb denkt gerne selbst, hat Humor und kann schreiben. Das hat ihm schon dabei geholfen, Executive Editor des Economist und Gast-Fellow in Harvard und Oxford zu werden/zu sein. Das hilft dem Leser und der Leserin, sich mit  Anaxagoras, Sextus Empiricus, Duns Scotus und Pico della Mirandola genussvoll zu beschäftigen.

Beeindruckend, wie Gottlieb den Überblick behält zwischen den verschiedenen Philosophenschulen, ihren Spielarten, Vertretern, Nachfolgern, Gegnern, wie er Entwicklungslinien bis in die Gegenwart aufzeigt und nicht zuletzt, wie er immer wieder die Relevanz von Philosophie für die Naturwissenschaften, für die Technik, für das heutige Leben aufzeigt.

Das Vergnügen beginnt schon mit der Einleitung und dort im ersten Absatz: „The last thing I expected to find when I began work on this book, many years ago, is that there is no such thing as philosophy. Yet that, more or less, is what I did find, and it explained a lot. Determined to forget what I thought I knew, I set out to look at the writings of those from the past 2,600 years who are regarded as the great philosophers of the West. My aim (politely described by friends as ‚ambitious‘ when they often meant ‚mad‘) was to approach the story of philosophy as a journalist ought to: to rely only on primary sources, wherever they still existed; to question everything that had become conventional wisdom; and, above all, to try and explain it all as clearly as I could.“

Aristoteles fand ich persönlich immer etwas sperrig und spröde und abschreckend. Noch nie habe ich einen so guten Überblick über ihn bekommen wie in diesem Buch. Gottlieb hat es geschafft, dass ich fast (aber nur fast) einmal wieder etwas von ihm im Original lesen möchte.
Für über 1600 Jahre war er nicht nur in Philosophie und Logik – for better, for worse – das Maß der Dinge. Gottlieb:
„If Aristotle had never existed, it would be pointless to try to invent him. Nobody would believe that there could have been such a man, and quite right too. (…) his surviving works run to almost one and a half million words. There is good reason to think that this is no more than a quarter of what he wrote; all of his works that were polished for publication have been lost (…). Any credible description of the impressiveness of his work would be an Understatement. (…) The surviving works (…) include books dealing with ethics, political theory, rhetoric, poetry, constitutional history, zoology, meteorology, astronomy, physics, chemistry, scientific method, anatomy, the foundations of mathematics, language, formal logic, techniques of reasoning, fallacies, and other subjects (…)“

Unter den Philosophiegeschichten definitiv ganz weit vorne dieses Buch. Und auch der Folgeband scheint gelungen, wenn man den Rezensionen Glauben schenkt.

 

 

 

Das vollkommene Haus: Eine Reise mit dem italienischen Renaissance-Baumeister Andrea Palladio. Witold Rybczynski

Wenn ich „Das vollkommene Haus“ von Witold Rybczynski im Zusammenhang mit Andrea Palladio schon empfehle, dann kann ich das natürlich auch etwas ausführlicher tun.

Bas Buch verspricht „eine Reise mit dem italienischen Renaissance-Baumeister Andrea Palladio“. Das ist eine kolossale Untertreibung: Es sind in Wahrheit ganz viele sehr unterschiedliche Reisen, die Rybczynski kunstvoll miteinander verbindet, um ein sehr mehrdimensionaler Bild der Villen von Palladio entstehen zu lassen. Da gibt es die physische Reise, die den Autoren tatsächlich nach Norditalien geführt hat. Eine Reise durch die Entwicklung von Palladios Architektur verbunden mit dessen Biographie ist außerdem dabei, denn er beginnt mit einer der frühesten Villen, der Villa Godi, und endet mit der spätesten, der Villa Rotonda (eine Coda über die Villa Saraceno nicht mitgerechnet…). Nebenbei berührt er dabei auch die anderen Gebäudetypen, die Palladio errichtet hat. Nicht zu vergessen eine Fahrt durch die Architekturgeschichte von der Antike bis zu den Echos Palladios in der zeitgenössischen Architektur, die zugleich eine Weltreise ist. Ach so, ein sozialgeschichtliches Panorama wird nebenbei auch noch aufgespannt. Und vielleicht ist noch eine autobiographische Reise ist mit dabei.

Auf all diese Reisen begibt sich Rybczynski mit schlenderndem Gang, genüsslich schweifendem Blick, mußevoller Reflexion, humorvoll-plauderndem Ton und viel Sensibilität. Es reist sich leicht mit ihm.

Ebenso intuitiv wie überraschend ist der Ansatz Rybczynkis, dass die Villen Palladios ganz wesentlich zum Bewohnen gebaut wurden. Dieser Bewohnbarkeit von Gebäuden mit teils fast 10 Meter Deckenhöhe, palastartigen Portikus und anderen eher Distanz auslösenden Elementen spürt er nach. Daher betritt er auch Untergeschosse, die als Wirtschaftsräume genutzt wurden, klettert ins Obergeschoss, das als Getreidespeicher genutzt wurde und entdeckt, dass auf dem Bauplan einer Villa auch Toilettenräume eingezeichnet sind. Er vermisst die Proportionen der Räume, der Säulenstellungen, der Gebäude. Er lässt Raumfolgen auf sich wirken. Er bewohnt für mehrere Tage eine Villa mit Freunden. Sein Fazit ist der Buchtitel. Villen Palladios lassen sich für ihn beschreiben als „das vollkommene Haus“.

Es ist ein Gewinn, dass Rybczynski mit Sprache umgehen kann und auch abstraktere, technische Überlegungen  und Beschreibungen sehr plastisch werden lässt (und verdaubar macht). Ein Beispiel  zur Basilica in Vicenza:

„Goethe bezeichnete die Architektur als verstummte Tonkunst, was dieses außergewöhnliche Bauwerk gut beschreibt. Ich weiß nicht, welche Art von Musik Goethe hörte, als er die Basilika sah, aber ich höre Percussion – den großen Jazz-Drummer Philly Joe Jones, mein Jugendidol. Die hohen Halbsäulen bilden den stetigen Rhythmus der bass drum, den Palladio betont, indem er das extrem breite Kranzgesims durchbricht und über jedem Kapitell verkröpft. Die Statuen, die jede Halbsäule in Attikahöhe bekrönen, setzen einen hohen Beckenschlag. Die beiden Arkadengeschosse weisen leicht unterschiedliche Rhythmen auf, das römisch-dorische Untergeschoss ist mit seinem stakkatoartigen Fries stärker artikuliert, während das ionische Obergeschoss zarter und glatter wirkt. Am Ende des neunjochigen Gebäudes markiert ein Bündel aus drei Halbsäulen (bekrönt von drei Statuen) eine Pause – einen Trommelwirbel -, bevor sich der Rhythmus hinter der Ecke fortsetzt. Die Serlianabögen flechten einen gewundenen Backbeat, durchbrochen vom doppelten Tom-tom-Schlag der Oculi und den Rimshots der Schlusssteine in Markenform oder mascheroni.“

Von allen Büchern über Palladio, die ich bisher in der Hand hatte, hat dieses meine Wahrnehmung  am meisten verändert und am besten beschrieben.

Rybczynski, geboren 1943, ist ein kanadisch-amerikanisch-polnischer Architekt und Professor für Urbanistik. Sein Hauptthema: Wohnen.

Andrea Palladio: The architect in his time. Bruce Boucher

Andrea Palladio – so lässt sich argumentieren – ist der einflussreichste Architekt der westlichen Welt. Mit dieser Aussage startet Bruce Boucher sein Buch über einen Menschen, der von 1508 – 1589 gelebt hat, und dessen Werk.

Erstaunlich und erfreulich viele Gebäude von Palladio sind noch im Veneto und in Venedig erhalten. Vielen ging es die meiste Zeit ihres Bestehens sehr gut, da sie immer wertgeschätzt wurden. Hierzu gehören seine Kirchen in Venedig, die Basilica in Vicenza oder auch die sehr berühmte Villa Rotonda. Etliche – wie die Villa Poiana und die Villa Saraceno – haben sehr von seinem 500. Geburtstag vor acht Jahren profitiert, wurden wieder in einen guten Zustand versetzt und sind nun auch der Öffentlichkeit zugänglich. Einige allerdings warten noch auf Geld und Zuwendung und trotzen tapfer Verfall und Erosion.

Palladio hat sehr substanziell gearbeitet: Seinen Beruf hat er richtig gelernt und mit einer Ausbildung zum Steinmetz begonnen. Die Architektur der Antike hat er studiert sowohl in der Literatur durch Vitruv, aber auch vor allem in der Realität durch Aufenthalte vor allem in Rom, Tivoli, Palestrina. Die Werke seiner Zeitgenossen und unmittelbaren Vorgänger hat er besucht. Er hat sich ein exzellentes Netzwerk an Kontakten zu allen, die Rang und Namen im Veneto hatten, aufgebaut und gepflegt. Seine Gebäude sind sehr sorgfältig und haltbar gebaut. Und er hat seine „Quattro libri“ publiziert.

Dann kam auch noch Glück in Gestalt von Inigo Jones dazu, der die Quattro Libri nach England brachte und damit den internationalen Palladianismus startete.

Einige Gebäude sind auf den ersten Blick beeindruckend. Ikonen der Architektur sind sicherlich die schon genannte Villa Rotonda, die Villa Malcontenta oder auch die Villa Cornaro. Andere Gebäude wirken von außen eher spröde, fast spartanisch, ja sogar erschreckend modern – man betrachte nur die Villa Poiana. Aber spätestens, wenn man in seine Räume hineingeht, ist man beeindruckt von den Proportionen, der einfachen Raffiniertheit seiner Konstruktionen, der offenkundigen Bewohnbarkeit selbst von palastartigen Gebäuden.

Bouchers Buch, erschienen in einer aktualisierten und transportablen Version im Jahr 1998, ist eine Bereicherung. Es ist überaus fundiert biographisch, sozialgeschichtlich, historisch wie architekturhistorisch. Die zahlreichen Fotografien sind spezifisch für dieses Buch entstanden. Und er kann schreiben, so dass auch komplexe Sachverhalte nachvollziehbar werden und sich recht flott lesen. Ein Beispiel:
„Palladio’s contact with classical architecture in the 1540s left him dissatisfied with hand-me-down copies, and even with his first publication, L‘Antichità di Roma, he explained his wish to ‘see with my own eyes and measure everything with my own hands.’ (…) Early evidence of this critical stance can be seen in three drawings of capitals and entablatures from Roman triumphal arches (…). All three were copied from earlier sources and show the capital with its entablature moldings rendered in perspective. Obviously the capitals did not please Palladio because in each case he covered the received version with a second piece of paper on which a more accurate capital has been drawn. In other cases, like a beautiful study of three antique bases, the original ink drawing is supplemented by further measurements and sketches made by the architect some years later.”

Für diejenigen, die sich noch auf andere Art mit Palladio beschäftigen wollen, möchte ich noch ein Buch von Witold Rybczynski empfehlen:

Am besten jedoch macht man sich auf ins Veneto, um die Gebäude von Palladio dort zu sehen und zu erfahren. Vielleicht mit dem Buch von Boucher – in Englisch oder in Deutsch – im Handgepäck.