Aeneis. Vergil

Vergil!

Gefürchtet in Latein-Leistungskursen. Ein Star der Weltliteratur. Einflussreich überall in der westlichen Literatur, man denke nur an Vergil als Führer in Dantes Inferno. Die Bedeutung war so groß, dass Vergil es sogar zum Apotheker in Wales brachte. Wie es dazu kam, später in diesem Beitrag.

Zur Erinnerung:
Publius Vergilius Maro lebte von 70 – 19 vor unserer Zeitrechnung. Er war der staatstragende Dichter an sich unter Augustus. Bekannt ist er durch drei Werke: Die Georgica befassen sich mit Landwirtschaft. Die Eklogen sind bukolische Gedichte. In der Aeneis, seinem mit Abstand längsten Werk, schafft Vergil den Gründungsmythos Roms und wird Chefpropagandist von Augustus.

Für heute geeignet?
Sein Landwirtschaftswerk ist schon ein wenig sperrig. Aber die Aeneis ist spannend. Sie ist voller Abenteuer (Flucht aus dem brennenden Troja, Stürme, Schiffsbrüche!), Krieg (in Troja, in Italien…), Liebesgeschichten (Dido und Aeneas!). Sogar die Götter sind involviert (Juno ist gegen Aeneas).

Und das alles auf sprachlich hohem Niveau. Vergil wurde ja nicht als Propagandist berühmt, sondern als wirklich ausgezeichneter Schriftsteller!

Allerdings: Auf Hexameter muss man sich schon einlassen – der Sprachfluss im Deutschen ist nicht Prosa, sondern ein nervenzerrüttendes Ram-tata Ram-tata, egal ob das zur normalen Betonung der Worte passt oder nicht….
Im lateinischen Original ist das besser, hier wurden die Worte auch im Hexameter auf den Silben betont, die man auch beim normalen Sprechen betont hat. Der Hexameter richtet sich nach der Länge der Silben (Lang-kurzkurz….), nicht nach ihrer Betonung. Gelesen ergibt das eine wunderbare Spannung und einen beeindruckenden Rhythmus, der einen in den Bann ziehen kann, statt einen reif für eine Psychotherapie zu machen.

Ein Beispiel gleich vom Anfang, wo in Kürze dargestellt wird, worum es eigentlich geht:
„Arma virumque cano, Troiae qui primus ab oris
Italiam fato profugus Laviniaque venit
Litora, multum ille et terris iactatus et alto
Vi superum saevae memorem Iunonis ob iram,
Multa quoque et bello passus, dum conderet urbem
Inferretque deos Latio, genus unde Latinum
Albanique patres atque altae moenia Romae.

Auf deutsch, ohne Hexameter und Ram-tata:
Die Kämpfe und den Mann besinge ich, der als erster von Troja, durchs Schicksal ein Flüchtling, nach Italien kam und zur Küste Laviniums, viel über Lande geworfen und die hohe See durch die Gewalt der Götter wegen des nachtragenden Zorns der wütenden Iuno, viel auch im Krieg erleidend, bis er die Stadt (= Rom) gründete und die Götter nach Latium brachte, woher das latinische Geschlecht und die Väter Albas und die Mauern des hochragenden Roms (stammte).“

Zunächst einmal der Anspruch Vergils, der gleichzeitig auf Ilias („die Kämpfe“) und Odyssee („den Mann“, „Flüchtling“, „erleidend“) anspielt: Vergil als verdoppelter Homer. Dann der Inhalt: Es geht um eine noch nicht benannte Person, die als Kriegsflüchtling nach Italien kommt, um dort Rom zu gründen, zwischendrin alle möglichen Verwirrungen zu Lande und zu Wasser, auch erneut Krieg. Und das alles religiös aufgeladen: Die Götterwelt, vor allem Iuno, ist gegen ihn, aber es ihm vorbestimmt, Rom zu gründen und die eigenen Götter, die Götter Troias und seiner Ahnen, in Latium und Rom neu heimisch zu machen.
Alles kunstvoll verwoben in nur sieben Hexameter.  Nicht schlecht als Anfang.

Erklärt aber nicht, wie Vergil zum Apotheker wurde.

Da eine von Vergils Eklogen schon im ersten oder zweiten Jahrhundert so gedeutet wurde, als habe er Christi Geburt vorhergesagt, wurden ihm auch passend magische Qualitäten zugesprochen. Ab dem 12. Jahrhundert wurde er in einigen Gegenden sogar weniger als Dichter, sondern hauptsächlich als Zauberer und Wahrsager rezipiert. Diese Tradition schwappte auch nach Wales. Dort heißt Vergil in einer von zwei Varianten „Fferyll“: „Roedd Publius Vergilius Maro, Fyrsil neu Fferyll yn Gymraeg“. Diese walisische Version seines Namens wurde erst ein Synonym für Zauberer/Magier/Wunderheiler allgemein und dann als „fferyllydd“ das heutige Wort für „Apotheker“. Quod erat demonstrandum!

Und welche Übersetzung der Aeneis bietet sich an?
Prosaübersetzungen sind mir nicht bekannt, also in deutschen Hexametern. Und dann am Besten die klassische Übertragung von Johann Heinrich Voß, auch wenn oder weil diese von um 1800 stammt (Goethe fand die Übersetzungen von Voß toll). Vielleicht etwas freier übersetzt als neuere Versuche, aber sprachlich erheblich beeindruckender und dadurch dichter am Original.

Oder natürlich im Original: Andere haben sich vor ein paar Hundert Jahren auch schon die Mühe gemacht!

Dafydd ap Gwilym: A Selection of Poems. Hrsg. von Rachel Bromwich

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Um den Eindruck zu vermeiden, eventuell zu stark auf englische oder zumindest englisch-sprachige Literatur oder gar auf eine Art „Mainstream“ ausgerichtet zu sein, heute ein Beitrag zu einem der vielleicht besten walisischen Dichter: Dafydd ap Gwilym, der im 14. Jahrhundert gelebt hat.

Immer wieder neu aufgelegt wird ein Buch, das zuerst 1982 erschienen ist und dessen immerhin 3. Auflage von 2003 ich gelesen habe. „Immerhin“, denn das Buch macht auf seinen rechten Seiten für die meisten Leser einen eher sperrigen, deutlich konsonantigen, man möchte fast sagen: abschreckenden Eindruck – auf dieser Seite steht jeweils das walisisch-sprachige Original.

Warum erfreut sich Dafydd ap Gwilym also offensichtlich einer wahrnehmbaren Popularität? Und ist seine Lyrik auch etwas für Nicht-Waliser?

Dafydd ap Gwilym ist schon besonders:

  • Ungefähr zeitgleich mit Geoffrey Chaucer lebend, hat er fast im Alleingang eine Verbindung geschaffen zwischen der walisischen bardischen Tradition des frühen Mittelalters und der Troubadour- und Minnelyrik insbesondere des französischsprachigen Raums, die auch dank der Normannen in England und Wales eine Rolle gespielt hat.
  • Außer dieser innovativen Weiterentwicklung hat er – auch wieder quasi im Alleingang – die eigene Person deutlich stärker ins Zentrum seiner Gedichte gerückt als in der walisischen Tradition üblich. Dies macht seine Gedichte recht zugänglich.
  • Ein Innovator ist er auch, da er die walisische Sprache um zahlreiche Worte – auch um Lehnworte vom Kontinent – erweitert hat, die er als Neuschöpfung in seinen Gedichten verwendet.
  • Vor allem aber ist er herausragend aufgrund seiner poetischen Meisterschaft. Die Anforderungen der walisischen Poetik zur Form von Strophe und Vers, Silbenzahl, Reimformen, Alliterationen, anderen Lautharmonien sind so vielfältig, dass es fast ein Wunder ist, hierbei auch noch inhaltlich zu glänzen. Und dies tut Dafydd ap Gwilym.

Für all diejenigen, die mit Walisisch nichts anfangen können, geht aber leider viel verloren. Denn gerade walisische Dichtung beeindruckt (und soll beeindrucken) viel stärker durch ihre akustische Wirkung als durch die Inhalte. Und die akustische Ästhetik lässt sich auch vom besten Übersetzer nicht einmal ansatzweise nachschaffen.

Bromwich als Übersetzerin und Herausgeberin dieses Buchs tut viel, um die Lücke zum Walisischen zu überbrücken. Ihre Einleitung bringt einem den Dichter, die walisische Bardentradition und auch die poetischen Anforderungen näher. Die Anmerkungen zu den Gedichten sind umfassend und erleichtern das Verständnis. Schade vielleicht, dass die Übersetzungen doch eher auf den inhaltlichen Sinn fokussieren, als dass sie hohe poetische Anforderungen erfüllen wollen. Persönlich wäre mir eine andere Balance lieber gewesen.

Das Buch ist sicherlich nichts für jeden Leser. Aber für alle, die sich mit mittelalterlicher Lyrik befassen, ist es ein Gewinn. Und für Freunde keltische oder speziell walisischer  Literatur und Kultur sowieso.

Als Leseprobe der Auszug eines der bekanntesten Gedichte von Dafydd ap Gwilym, in dem er Naturdichtung – über den Wind – mit Liebesdichtung – der Wind als Liebesbote an seine Geliebte Morfudd – miteinander verbindet:

„Yr wybrwynt helynt hylaw
Agwrdd drwst a gerdda draw,
Gŵr eres wyd garw ei sain,
Drud byd heb droed heb adain. „

Bromwich übersetzt:
„Sky wind of impetuous course
who travels yonder with your mighty shout,
you are a strange being, with a blustering voice,
most reckless in the world, though without foot or wing.“

Eine etwas poetischere Übersetzung des Gedichts von Gwyneth Lewis, durchaus dichter hinsichtlich der Klangeffekte am Original,  findet sich hier auf der Website der Poetry Foundation.

Und wer es genau wissen will, kann sich auch den walisischen Originalton anhören (man muss dann noch Gedicht 47 „Y Gwynt“ aussuchen und anschließend auf Audio klicken), da das Welsh Department der University of Swansea eine ganze Website den Gedichten von Dafydd ap Gwilym gewidmet hat.