One crimson thread. Micheal O’Siadhail

Diese Sammlung von Sonetten lässt sich nicht lesen, ohne berührt, betroffen, beeindruckt und verändert zu werden. Ich habe schon einiges von Micheal O’Siadhail gelesen, aber mit solchen Gedichten habe ich nicht gerechnet. „I read slowly, carefully and with deep emotion One Crimson Thread. It is a beautiful, beautiful but terribly sad poem of love.“

150 Sonette, ein Thema: Die Liebe zwischen ihm und seiner Frau Bríd vor dem Hintergrund der letzten zwei Lebensjahre seiner Frau, die schon seit 20 Jahren an Parkinson litt, danach auch unter Demenz.

Eine solche Themenwahl kann leicht schief gehen, kann voyeuristisch werden, gefühlsduselig, peinlich. Diese Klippen umschifft O’Siadhail mit seinen vielleicht besten und bestimmt persönlichsten Gedichten. Unter diesem Link findet sich ein Video, in dem O’Siadhail eines seiner Sonette liest.

Inhaltlich kann ich die Sonette nicht besser beschreiben, als dies ein Zitat von Joseph Heininger auf der Buchrückseite tut: „(…) Michael O’Siadhail explores how a devoted husband and wife respond and adjust when she is greatly altered by Parkinson’s disease, examining his states of mind and feeling, his daily adjustments, her changing personality, and finally his sorrow and brokenness at her death. Yet at the spiritual heart of this sequence are the ways in which the poems courageously show how the couple’s deep-rooted love searches for ways to overcome her debilitating illness, their fear and dread, and their eventual loss.“

Die Sprache, so scheint mir, ist das Gerüst, das O’Siadhail beim Schreiben über seine Gefühle geholfen hat, Stabilität zu bewahren. Die Worte sind einfach, viel weniger Fremd- oder ungewöhnliche Worte als in anderen seiner Gedichtbände. Auch der Satzbau ist eher schlicht. Vorsichtig schreibt er, tastend, aber auch sehr deutlich und unmittelbar, benennt die Dinge, berührt die Stellen, an denen es wehtut.

Und voller Dichtkunst, dicht zum Beispiel an der Reim- und Assonanz-Tradition irischer und walisischer Lyrik seit dem frühen Mittelalter, dicht vielleicht auch an der Qualität von Shakespeares Sonetten. Mit ausbleibendem Reim, je weiter weg ihm seine Frau vorkommt, je mehr er kämpft und verzweifelt ist.

Eine Zeile aus Sonett 150:
„The pain of loss the price of love we pay.“

Springnight. Mícheál Ó Siadhail

Irische Schriftsteller erfreuen sich großer Beliebtheit; sogar manch irischer Dichter ist bekannt und erreicht recht erstaunliche Verkaufszahlen.  In Deutschland noch (fast) nicht im Licht der Aufmerksamkeit ist Mícheál Ó Siadhail, Jahrgang 1947, trotz mittlerweile zahlreicher Veröffentlichungen, zahlreicher Preise und sogar einer deutschen Übersetzung.

 

Ó Siadhail schreibt sowohl in englischer als auch in irischer Sprache. Neben seiner Dichterei hat er auch eines der besten Lehrbücher der irischen Sprache verfasst und genießt generell den Ruf eines ausgezeichneten Linguisten in akademischen Kreisen.

Seine Gedichte sind oft nicht einfach zu lesen und haben meistens mehrere ineinander verschränkte Bedeutungsebenen. Es lohnt sich, sie mehrfach zu lesen, besonders nach einer dazwischen geschobenen Phase des Darüber-Nachdenkens. Ó Siadhail scheint keine einfache gestrickte Person zu sein, und er versucht es seinen Leser nicht zu leicht zu machen: platt ist anders. Die Vielschichtigkeit vielleicht gut zu erkennen auf diesem Bild:

Sehr passend der Klappentext zu seinen „Collected Poems“ von 2013: „Micheal O’Siadhail knows desire, love, trust and wonder, while at the same time facing suffering, tragedy and loss. His life has always been a yearning for meaning, and these four decades of poems work both head and heart towards a ripe wisdom. They are not only richly personal – marriage, friendship, vocation, grief – but also engage with what matters in culture and society – music, language, city life and the dynamics of history. His deep roots are Irish but O’Siadhail’s scope is global. This is life lived to the full with jazz-like leaps and let-go where classical forms and variations make for playful freedom and innovation.“

Eines seiner sehr gut lesbaren Gedichte – „A note with flowers“ – für einen Eindruck:
„Another day stirs in me
Marred by the recollection
Of yesterday’s mean-mindedness.

Acquit me of malice. A flaw
In the make-up, a splitsecond
Throw-back to juvenility

Prevailed. Gallant flowers
Must chance a rebuff –
Bowing, ask for pardon:

The I acknowledges the thou.
Self-forgetting, the flowers submit –
Each inch now a mile;

Word too contentious, only
Mute repentance can redeem
Our intimacy. So let

This bunch, final resource
Of one contrite male,
Make silent amendment.“

Springnight, seine erste Gedichtsammlung in englischer Sprache, erschien 1983. In deutscher Sprache erschienen ist „Aus heiterem Himmel“ im Jahr 2001.

 

Dafydd ap Gwilym: A Selection of Poems. Hrsg. von Rachel Bromwich

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Um den Eindruck zu vermeiden, eventuell zu stark auf englische oder zumindest englisch-sprachige Literatur oder gar auf eine Art „Mainstream“ ausgerichtet zu sein, heute ein Beitrag zu einem der vielleicht besten walisischen Dichter: Dafydd ap Gwilym, der im 14. Jahrhundert gelebt hat.

Immer wieder neu aufgelegt wird ein Buch, das zuerst 1982 erschienen ist und dessen immerhin 3. Auflage von 2003 ich gelesen habe. „Immerhin“, denn das Buch macht auf seinen rechten Seiten für die meisten Leser einen eher sperrigen, deutlich konsonantigen, man möchte fast sagen: abschreckenden Eindruck – auf dieser Seite steht jeweils das walisisch-sprachige Original.

Warum erfreut sich Dafydd ap Gwilym also offensichtlich einer wahrnehmbaren Popularität? Und ist seine Lyrik auch etwas für Nicht-Waliser?

Dafydd ap Gwilym ist schon besonders:

  • Ungefähr zeitgleich mit Geoffrey Chaucer lebend, hat er fast im Alleingang eine Verbindung geschaffen zwischen der walisischen bardischen Tradition des frühen Mittelalters und der Troubadour- und Minnelyrik insbesondere des französischsprachigen Raums, die auch dank der Normannen in England und Wales eine Rolle gespielt hat.
  • Außer dieser innovativen Weiterentwicklung hat er – auch wieder quasi im Alleingang – die eigene Person deutlich stärker ins Zentrum seiner Gedichte gerückt als in der walisischen Tradition üblich. Dies macht seine Gedichte recht zugänglich.
  • Ein Innovator ist er auch, da er die walisische Sprache um zahlreiche Worte – auch um Lehnworte vom Kontinent – erweitert hat, die er als Neuschöpfung in seinen Gedichten verwendet.
  • Vor allem aber ist er herausragend aufgrund seiner poetischen Meisterschaft. Die Anforderungen der walisischen Poetik zur Form von Strophe und Vers, Silbenzahl, Reimformen, Alliterationen, anderen Lautharmonien sind so vielfältig, dass es fast ein Wunder ist, hierbei auch noch inhaltlich zu glänzen. Und dies tut Dafydd ap Gwilym.

Für all diejenigen, die mit Walisisch nichts anfangen können, geht aber leider viel verloren. Denn gerade walisische Dichtung beeindruckt (und soll beeindrucken) viel stärker durch ihre akustische Wirkung als durch die Inhalte. Und die akustische Ästhetik lässt sich auch vom besten Übersetzer nicht einmal ansatzweise nachschaffen.

Bromwich als Übersetzerin und Herausgeberin dieses Buchs tut viel, um die Lücke zum Walisischen zu überbrücken. Ihre Einleitung bringt einem den Dichter, die walisische Bardentradition und auch die poetischen Anforderungen näher. Die Anmerkungen zu den Gedichten sind umfassend und erleichtern das Verständnis. Schade vielleicht, dass die Übersetzungen doch eher auf den inhaltlichen Sinn fokussieren, als dass sie hohe poetische Anforderungen erfüllen wollen. Persönlich wäre mir eine andere Balance lieber gewesen.

Das Buch ist sicherlich nichts für jeden Leser. Aber für alle, die sich mit mittelalterlicher Lyrik befassen, ist es ein Gewinn. Und für Freunde keltische oder speziell walisischer  Literatur und Kultur sowieso.

Als Leseprobe der Auszug eines der bekanntesten Gedichte von Dafydd ap Gwilym, in dem er Naturdichtung – über den Wind – mit Liebesdichtung – der Wind als Liebesbote an seine Geliebte Morfudd – miteinander verbindet:

„Yr wybrwynt helynt hylaw
Agwrdd drwst a gerdda draw,
Gŵr eres wyd garw ei sain,
Drud byd heb droed heb adain. „

Bromwich übersetzt:
„Sky wind of impetuous course
who travels yonder with your mighty shout,
you are a strange being, with a blustering voice,
most reckless in the world, though without foot or wing.“

Eine etwas poetischere Übersetzung des Gedichts von Gwyneth Lewis, durchaus dichter hinsichtlich der Klangeffekte am Original,  findet sich hier auf der Website der Poetry Foundation.

Und wer es genau wissen will, kann sich auch den walisischen Originalton anhören (man muss dann noch Gedicht 47 „Y Gwynt“ aussuchen und anschließend auf Audio klicken), da das Welsh Department der University of Swansea eine ganze Website den Gedichten von Dafydd ap Gwilym gewidmet hat.