Bloody Foreigners: The Story of Immigration to Britain. Robert Winder

imageOffensichtlich ein Buch, das gut für die heutige Zeit passt, auch wenn es bereits im Jahr 2004 erschienen ist. Darüber hinaus ein wohltuendes und empfehlenswertes Buch: Winder behandelt Immigration nicht als „Problem“; er versucht konsequent, weder eine xenophobe noch eine xenophile Haltung einzunehmen; er berichtet und erzählt sine ira et studio. Und all dies in bester britischer liberaler Tradition.
Neben den immer wieder hochinteressanten Details, die sich in der Jahrtausende-alten Geschichte der Immigration nach Britannien finden, zeigt Winder vor allem in den ausgezeichneten Acknowledgements und der Einleitung auch große Linien und findet einsichtsvolle Perspektiven:

  • Es gibt keine englische oder britische Kultur ohne Immigration. Das, was wird heute als englische Kultur wahrnehmen, ist durch dauernde Immigration entstanden. Winder zitiert in diesem Zusammenhang ein Gedicht von Daniel Defoe von 1700:
    A true born Englishman’s a Contradiction
    In Speech an Irony, in Fact a Fiction.
  • Identität und Identifizierung ist erstaunlich flexibel: A man or a woman can cheer for England at the World Cup, Britain at the Olympics, Europe at the Ryder Cup, Scotland against Wales, Sussex in the Country Championship, and the West Indies in Test matches. Our loyalties can be fluid and overlapping.
  • Die Perspektive auf Immigranten kann sich deutlich verändern, wenn man sie um 180° dreht und dieselben Personen als Emigranten betrachtet: There is a built-in tendency to to present immigrants as passive or problematic second-tier characters, as guests or mere visitors with certain obligations of deference and gratitude towards their ‚host‘. Emigrants are much more dashing – adventurous, eager, intrepid, fun. (…) Migrants ceased to be the feeble, dependent figures of so much cartoon myth-making, and became plucky explorers on the sharp, often painful edge of social progress.
  • Immigration an sich ist nicht „gut“ oder „schlecht“. Es kommt darauf an. Vor allem kommt es darauf an, was man daraus macht: I now find it pointless even to brood on whether it can be described as a ‚good‘ or a ‚bad‘ thing. It is like wondering whether it is good or bad to grow old. Nor can immigration be conceived of as a single experience. For the man who meets the woman of his dreams, or makes his fortune, it is a happy process; for the boy knifed at a bus stop by a gang of violent bigots, it is a catastrophe.

The Smile Revolution in Eighteenth Century Paris. Colin Jones

Dieses im Jahr 2014 erschienene Buch habe ich zufällig in einem Buchgeschäft entdeckt und fand den Buchtitel sehr einladend.
Dieser Eindruck bestätigt sich: Gut und flüssig zu lesen, immer interessant, sogar gelegentlich spannend – ich habe mich auf jedes weitere Kapitel gefreut. Gute Balance zwischen wissenschaftlichem Anspruch (der Autor ist als Professor in London ausgewiesener Experte für Geschichte, Medizingeschichte und das französische 18. Jahrhundert) und Verständlichkeit auch für den interessierten Laien. Wenn man unbedingt kritteln möchte: Einige wirklich kleinere Wiederholungen hätte ein richtig sorgfältiges Lektorat vielleicht vermeiden können helfen.
Und vor allem der Inhalt:
Im westlichen Europa schon seit der Antike ist Lächeln in den besseren Kreisen nicht gut angesehen. Vordergründig liegt dies am moralischen Verhaltenskodex, der sang froid, stiff upper lip und ähnliches vorsieht. Nicht zuletzt trägt aber auch dazu bei, dass Zähne oft schlecht sind oder gar komplett fehlen und dass die generell eher mäßige Zahnhygiene ebenfalls ein Öffnen des Mundes nicht empfehlenswert macht…: Viele Menschen haben mit Anfang 30 bereits keine Zähne mehr.
Gegen Ende der Regierungszeit von Ludwig XIV. bekommt dann aber das Lächeln eine unerwartete Chance. Rousseau, Voltaire in Frankreich, aber auch Richardson in England und die gesamte Literatur der Empfindsamkeit werten das Lächeln als positives Zeichen des Charakters auf. Die in Paris aufkommende Zahnmedizin mit besserer Zahnbehandlung und ersten akzeptablen Zahnprothesen ermöglichen, beim Lächeln sogar weiße Zähne blitzen zu lassen.
Allerdings lässt die Französische Revolution mit Aufkommen des Terrors das Lächeln doch wieder erstarren. Auch Zahnärzte verlassen lieber das Land und wandern aus. Erst im 20. Jahrhundert erlebt das Lächeln – besonders das mit den weißen Zähnen – eine Renaissance mit Start in den USA, wohin sich auch die Zahnmedizin zurückgezogen hatte.
Diese Geschichte erzählt Colin Jones anhand von zwei Gemälden: einem Porträt Ludwigs XIV.  von Rigaud in Pomp und Ornat, aber offenbar ohne Zähne und ohne Lächeln sowie einem Selbstporträt von Vigée-Le Brun mit ihrer Tochter und einem Lächeln im Gesicht, das damals bei seiner ersten öffentlichen Ausstellung einen Skandal auslöst.
Wer gerne quer auf die Geschichte schaut, hat an diesem Buch bestimmt viel Freude.