Ich bin eine freie Frau. Francoise Giroud

„Ich bin eine freie Frau“ von Francoise Giroud ist ein autobiografischer Text. Er blieb lange unveröffentlicht. Interessant sind die Agumente dafür.

 

Der Text sei peinlich, seine Qualität sei außerordentlich schlecht, eine Veröffentlichung würde dem Image der Autorin schaden.

Worum geht es? Nach dem ersten Versuch einer Selbsttötung wird die Autorin im letzten Moment gerettet. Im Krankenhaus unternimmt sie einen zweiten Versuch; auch dieser scheitert. Daraufhin beschließt sie, den Umstand, zu leben, zu akzeptieren: „Die Grenzen meiner Freiheit kenne ich. Ich habe sie an dem Tag erfahren, als ich meinem Leben ein Ende setzen wollte, um dem KZ zu entkommen, in das ich mich selbst eingesperrt hatte und aus dem ich nicht mehr herausfand. Das ist mir merkwürdigerweise nicht gelungen, obwohl alles gut organisiert war. Über den eigenen Tod zu bestimmen, über den Zeitpunkt und die Umstände, ist doch der reinste Ausdruck von Freiheit. Er blieb mir verwehrt.“

Wer war Francoise Giroud? Sie lebte von 1916 bis 2003 und war eine der bekanntesten Journalistinnen Frankreichs. Giroud war Chefredakteurin von Elle und gründete das Nachrichten-Magazin L´Express zusammen mit Jean-Jacques Servan-Schreiber. Unter ihren vielen Büchern sind Biografien über Jenny Marx, Cosima Wagner und Alma Mahler.

Warum die Versuche, dem Leben ein Ende zu setzten? Körperliche Arbeitsüberlastung, der Tod der Mutter, ein Unfall des Sohnes und dann die Trennung von ihrem Partner Servan-Schreiber, der eine Ehe mit einer jüngeren Frau anstrebte, um mit dieser eine bürgerlich-akzeptable Familie zu gründen. Wie diese biografischen Eckpunkte zusammenwirkten, Girouds Leben für sie selbst nicht mehr lebenswert erscheinen zu lassen, erzählt das Buch.

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…und ist der Text peinlich? Das Buch ist ein Porträt der Pariser Gesellschaft der sechziger Jahre. In dieser war Giroud eine äußerst bekannte, gut vernetzte Figur. Im Text reflektiert sie ihre Herkunft aus dem bürgerlichen Milieu im Kontrast zu ihren eher linken politischen Einstellungen. Sie thematisiert weiterhin die langjährige Liebes- und Arbeitsbeziehung zu einem Partner, mit welchem sie nicht verheiratet war, und spricht über die Abtreibung des gemeinsamen Kindes – damals gesetzlich verboten. Diese Kombination war der Sprengstoff. Aus meiner Sicht ist „Ich bin eine freie Frau“ ein sehr gut lesbares, kluges Buch, geschrieben in lakonischer Sprache.

„Wenn man unbedingt ein Flugzeug steuern will, ohne sich mit einem Fallschirm zu belasten, muss man das Risiko in Kauf nehmen und darf sich nicht beklagen, wenn man hinausgeschleudert wird und sich das Kreuz bricht. Ich beklage mich nicht. Ich war immer bereit, den Preis für meine Freiheit zu zahlen.“

Einen schönen Beitrag zum Buch hat das Deutschlandradio gesendet. Hier die Informationen…

The Birth of the West: Rome, Germany, France, and the Creation of Europe in the Tenth Century. Paul Collins

imageEin faszinierendes und inhaltsschweres Buch, in dem – durchaus nachvollziehbar – argumentiert wird, dass das Europa, welches wir heute kennen, ganz wesentlich im 10. Jahrhundert gegründet und geprägt wurde. Neben allem historischen, sozialgeschichtlichen, kulturellen Tiefgang bietet Collins auch immer wieder anregende und überraschende Anekdoten, so zum Beispiel über einen katholischen Heiligen:
“ Another extraordinary story  concerns the relics of Saint Guinefort (…). Though a saint, Guinefort was not a person but a heroic pet greyhound! One day when his owner was absent, a large serpent approached the cradle of the owner’s child. Guinefort attacked and killed the snake but was badly hurt himself. (…) When the parents returned, they found both cradle and dog covered in blood. Assuming Guinefort had attacked the baby, they killed him but later found the baby safe and the snake torn to pieces. Local peasant women began to ‚visit the place and honor the dog as a martyr in quest of help for their sicknesses and other needs,‘ particularly for the greyhound to cure sick babies.“
Und das Buch ist eine beeindruckende Quelle aus der Mode gekommener Vornamen wie Hatheberg, Herimann, Heriger, Hildebert, um nur das H herauszugreifen.
Gelesen habe ich die Ausgabe von 2013.

A Season in Hell. Arthur Rimbaud

imageGestern habe ich im Zug die Gedichte noch einmal gelesen…

It has been found again.

What? – Eternity.

It is the sea fled away

with the sun.

Sentinel Soul,

Let us whisper the confession

Of the night full of nothingness

And the day on fire. (Aus Eternity)

Jean Nicolas Arthur Rimbaud (1854-1891) gilt heute als einer der wichtigsten französischen Lyriker. Obwohl ich ihn früher bereits in deutscher und nun englischer Übersetzung gelesen habe, sagt er mir nicht viel. Vielleicht entgeht mir das revolutionär Moderne seiner Sprache, weil ich das französische Original nicht lesen kann. Genutzt habe ich die Miniausgabe „A Season in Hell, Illuminations, Poems, Last Lines“.

The Smile Revolution in Eighteenth Century Paris. Colin Jones

Dieses im Jahr 2014 erschienene Buch habe ich zufällig in einem Buchgeschäft entdeckt und fand den Buchtitel sehr einladend.
Dieser Eindruck bestätigt sich: Gut und flüssig zu lesen, immer interessant, sogar gelegentlich spannend – ich habe mich auf jedes weitere Kapitel gefreut. Gute Balance zwischen wissenschaftlichem Anspruch (der Autor ist als Professor in London ausgewiesener Experte für Geschichte, Medizingeschichte und das französische 18. Jahrhundert) und Verständlichkeit auch für den interessierten Laien. Wenn man unbedingt kritteln möchte: Einige wirklich kleinere Wiederholungen hätte ein richtig sorgfältiges Lektorat vielleicht vermeiden können helfen.
Und vor allem der Inhalt:
Im westlichen Europa schon seit der Antike ist Lächeln in den besseren Kreisen nicht gut angesehen. Vordergründig liegt dies am moralischen Verhaltenskodex, der sang froid, stiff upper lip und ähnliches vorsieht. Nicht zuletzt trägt aber auch dazu bei, dass Zähne oft schlecht sind oder gar komplett fehlen und dass die generell eher mäßige Zahnhygiene ebenfalls ein Öffnen des Mundes nicht empfehlenswert macht…: Viele Menschen haben mit Anfang 30 bereits keine Zähne mehr.
Gegen Ende der Regierungszeit von Ludwig XIV. bekommt dann aber das Lächeln eine unerwartete Chance. Rousseau, Voltaire in Frankreich, aber auch Richardson in England und die gesamte Literatur der Empfindsamkeit werten das Lächeln als positives Zeichen des Charakters auf. Die in Paris aufkommende Zahnmedizin mit besserer Zahnbehandlung und ersten akzeptablen Zahnprothesen ermöglichen, beim Lächeln sogar weiße Zähne blitzen zu lassen.
Allerdings lässt die Französische Revolution mit Aufkommen des Terrors das Lächeln doch wieder erstarren. Auch Zahnärzte verlassen lieber das Land und wandern aus. Erst im 20. Jahrhundert erlebt das Lächeln – besonders das mit den weißen Zähnen – eine Renaissance mit Start in den USA, wohin sich auch die Zahnmedizin zurückgezogen hatte.
Diese Geschichte erzählt Colin Jones anhand von zwei Gemälden: einem Porträt Ludwigs XIV.  von Rigaud in Pomp und Ornat, aber offenbar ohne Zähne und ohne Lächeln sowie einem Selbstporträt von Vigée-Le Brun mit ihrer Tochter und einem Lächeln im Gesicht, das damals bei seiner ersten öffentlichen Ausstellung einen Skandal auslöst.
Wer gerne quer auf die Geschichte schaut, hat an diesem Buch bestimmt viel Freude.