Für mich die Entdeckung des Monats: Ernest Bramah,
von dem ich vorher noch nichts, aber auch noch gar nichts gehört hatte. Damit war ich jedoch gar nicht schlecht unterwegs und immerhin auf dem Stand des Concise Oxford Companion to English Literature: Kein Eintrag!
Vielleicht liegt diese offensichtliche Heimlichtuerei daran, dass Bramah unter anderem berühmt war für seine Detektivgeschichten um einen blinden Spion, Max Carrados, die damals in einem Atemzug mit Arthur Conan Doyle genannt wurden.
Jorge Luis Borges war da kritischer, aber gleich mit einem guten konstruktiven Tipp: „Bramah’s books fall into two very unequal categories. Some, fortunately the smaller part, record the adventures of the blind detective, Max Carrados. These are competent, mediocre books. The rest are parodic in nature: they pass themselves off as translations from the Chinese, and their boundless perfection achieved the unconditional praise of Hilaire Belloc in 1922.“
Deshalb habe ich keinen Thriller gelesen, sondern „Kai Lung’s Golden Hours“, den zweiten Roman der Kai Lung-Serie.
Kai Lung ist ein wandernder Geschichtenerzähler im China der Kaiserzeit. Der Aufbau des Buchs erinnert an 1001 Nacht oder auch an das Decameron mit dem typischen Wechsel aus Rahmenhandlung und eingebetteten Geschichten. Besonders und außergewöhnlich ist der Roman wegen seiner Sprache. Vielleicht inspiriert durch chinesische Bekannte in England hat er ein völlig überzeugendes Mandarin-Englisch entwickelt, das anschließend durchaus stilprägend war für literarische oder filmische Darstellungen von Chinesen. Ein Beispiel über eine finstere Gestalt mit Mafia-Ambitionen namens Ho:
„(…) Ho was already known in every quarter (…). This distressingly active person made no secret of his methods and intentions; for, upon his arrival, he plainly announced that his object was to make the foundations of benevolence vibrate like the strings of a many-toned lute, and he compared his general progress through the haunts of the charitably-disposed to the passage of a highly-charged firework through an assembly of meditative turtles. (…) ‚Honourable salutations,‘ he would say, ‚but do not entreat this illiterate person to enter the inner room, for he cannot tarry to discuss the movements of the planets or the sublime Emperor’s health. Behold, for half-a-tael of silver you may purchase immunity from his discreditable persistence for seven days (…).'“
Das liest sich schon ein wenig gestelzt. Dennoch ist der Roman literarisch tatsächlich gelungen, spannend, unterhaltsam und sehr gut geeignet, ihn an einem warmen Sommertag im Garten zu lesen. Für zitierfähige Aphorismen ist er dabei kaum zu übertreffen, zum Beispiel: „There are few situations in life that cannot be honourably settled, and without loss of time, either by suicide, a bag of gold, or by thrusting a despised antagonist over the edge of a precipice upon a dark night.“ Oder: „He who has failed three times sets up as an instructor.“
In England fand man die Kai Lung-Romane auch gelungen, so dass ich die immerhin 6. Auflage von 1928 lesen konnte. Und immer noch in Druck – trotz Missachtung aus Oxford.
Auch lesenswert die Biographie Bramahs von Aubrey Wilson. Bramah hat die Öffentlichkeit gemieden, wo immer das ging – auch schon vor Social Media. Wilson hat dennoch mit viel detektivischem Gespür und Mut zu neuen methodischen Lösungen viel und vor allem viel Interessantes herausgefunden.