Big sister, little sister, red sister. Jung Chang

Gerade vor wenigen Tagen habe ich schon ein Buch von Jung Chang besprochen, ihre Biographie über die chinesische Kaiserinwitwe Cixi. Als ich damit fertig war, sah ich, dass gerade ein neues Buch von Chang erschienen ist. Die Mehrfachbiographie zur Übergangszeit zwischen Qing-Dynastie und kommunistischer Regierung in China hat drei Schwestern der Familie Song, die Song-Schwestern, zum Thema.

Song Ailing, die älteste der Song-Schwestern, wurde zu einer der reichsten Frauen Chinas. Song Qingling, die mittlere Schwester (im Buchtitel die rote Schwester, da Kommunistin), heiratete Sun Yatsen und wurde später unter Mao Vizepräsidentin Chinas. Song Meiling, die jüngste, heiratete Chiang Kaishek und wurde dadurch ebenfalls zu einer First Lady in China. Alle kamen also groß heraus – und alle standen politisch weit voneinander entfernt.

Eingewoben in diese Dreier-Biographie der Song-Schwestern sind noch zwei weitere: über Sun Yatsen und über Chiang Kaishek. Mao wäre wahrscheinlich noch dazu gekommen, aber über den hat Chang gemeinsam mit ihrem Ehemann schon eine separate Biographie geschrieben. Der Gatte der ältesten Schwester dagegen bot offensichtlich nicht genügend Stoff, um ihm deutlich mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Auch in diesem Buch gelingt es Chang, ihre Leser (und Leserinnen) zu fesseln. Sie schreibt unverändert flott, spannend und einfach. Der Gefahr, sich in den Wirren der Zeit und in den sehr unterschiedlichen Charakteren zu verheddern und den Überblick zu verlieren, entgeht sie souverän: Das Buch ist sehr gut und geschickt strukturiert.

Wie schon in der Biographie über Cixi war ich erstaunt, wie wenig ich tatsächlich über diese Zeit wusste und wie stark meine Meinungen durch Meinungsmache (nicht nur seitens Chinas) beeinflusst waren. Allein schon dafür, hier etliches gerade oder zumindest in ein anderes Licht zu rücken, gebührt Chang viel Dank.

Trotz all dieser positiven Aspekte war ich beim Lesen immer wieder etwas genervt und unzufrieden.

  • Mich hat gestört, dass Chang mit mehr als einem Hauch von Selbstzufriedenheit immer wieder auf ihre eigene Biographie über Mao verweist.
  • Und ich hatte den Eindruck, dass Chang gelegentlich einem Hang zu Klischees erliegt, dass sie eine Neigung dazu hat, ihre Hauptpersonen zu stilisieren. Ich bin mir zum Beispiel sicher, dass sie Sun Yatsen nicht schätzt – aber weiß nicht, ob er wirklich so ausschließlich egoistisch und opportunistisch war, wie sie ihn darstellt. Auch ist mir nicht klar, ob Chang die Meinung hat, Frauen sind nur als Mütter glücklich, und so den Kummer der Kinderlosigkeit in die mittlere und jüngste Schwester hineininterpretiert – oder ob dieser Kummer tatsächlich durch Quellen belegbar ist. Jedenfalls zwischenmenschelt es in diesem Buch überraschend häufig.
  • Außerdem erzählt Chang so, als ob es praktisch keine Zweifel gäbe. So, wie sie es erzählt, muss es gewesen sein. Für sie ist die Quellenlage immer eindeutig. Und das stimmt einen ein wenig skeptisch.

Dennoch, in Summe einen lohnendes und spannendes Buch. Aber vielleicht sollte man auch noch einen anderen Autoren zum Vergleich lesen.

Kaiserinwitwe Cixi. Jung Chang

Dieses Buch über Cixi, die letzte Herrscherin Chinas vor dem Ende des Kaiserreichs und dem Beginn des Kommunismus, habe ich mit großer Überraschung und viel Vergnügen gelesen.

Meine Erwartung war bereits recht hoch. Hatte ich doch früher schon ein anderes Buch der Autorin, „Wilde Schwäne, Die Frauen meiner Familie“, gelesen, ebenfalls eine Biographie, jedoch in diesem Fall über ihre eigene Familie. Damals fand ich, dass Jung Chang sehr informativ, einfühlsam und flott schreibt, und mir vorgenommen, bei Gelegenheit ein weiteres ihrer Bücher zu lesen.

Das Buch über Cixi, erschienen in englischer Sprache im Jahr 2013 (die deutsche Übersetzung folgte bereits 2014), beschäftigt sich mit einer Frau, die für mich bisher eher negativ besetzt war, die – wie ich dachte  und andernorts gelesen hatte – viel mit dem Scheitern zu tun hatte: Unter ihr ging es richtig bergab mit dem chinesischen Kaiserreich, intrigant, brutal und rücksichtslos, der Tradition verhaftet, eine Feindin jeglicher Modernisierung. Ein echtes Anti-Vorbild. Auch der aktuelle Wikipedia-Beitrag über die Qing-Dynastie widerspricht hier nicht….
Diese Sperrigkeit wurde vielleicht noch verstärkt, da Cixi auf praktisch keinem ihrer Fotos lächelt, und durch ihren Namen, bei dem man in Deutschland nicht so genau weiß, ob „Zicksi“ (?) oder „Kicksi“ (?)  ein schlechter Scherz sein soll oder ernst gemeint ist. Man redet mal besser nicht über sie, bevor man den Namen eventuell falsch ausspricht.

Nach dem Lesen dieses Buchs ist mein Bild Cixis deutlich anders. Nicht erfahren habe ich darin, dass die richtige Aussprache ihres Namens eine andere ist: 慈禧 spricht sich „zöchi“ aus, die erste Silbe mit der Stimme nach oben, die zweite erst tief, dann nach oben gezogen. Klingt ganz interessant. Die beiden Silben ihres Namens bedeuten „barmherzig, freundlich“ und „Glück“ – das wiederum steht auch im Buch.

Sehr überrascht war ich davon, dass Cixi – geboren 1835, gestorben 1908 – tatsächlich sehr viel dafür getan hat, China zu modernisieren. Sie hat vorangetrieben, dass Elektrizität, die Eisenbahn, Telegraphen und andere Erfindungen nach China kamen. Einige der unerfreulichsten körperlichen Strafen wurden von ihr abgeschafft und auch das Binden der Füße bei Frauen beendet. Sie war politisch sehr gewieft, obwohl sie als Frau de iure nicht regieren durfte. Meinungs- und Pressefreiheit wurden von ihr unterstützt und gefördert. Sogar die Umwandlung des Kaiserreichs in eine konstitutionelle Monarchie mit recht weitgehendem Wahlrecht hat sie auf den Weg gebracht – allerdings kam dann ihr Tod und anschließend die chinesische Republik dazwischen.
Eine Heilige war sie damit trotzdem nicht. Sie beging eine Reihe von fatalen Fehlern während des Boxeraufstands. Auch hat sie schon das eine oder andere Leben auf der Gewissen. Sicherlich aber viel weniger, als sonst damals bei Kaisers üblich (auch zum Beispiel bei deutschen Kaisers, die in China nicht gerade zur Imagepflege unterwegs waren….).

Eine sehr beeindruckende und auch sehr faszinierende Persönlichkeit also. Leider teilte sie lange das Schicksal vieler einflußreicher Frauen. Bereits zu Lebzeiten wollte man ihr viel Übles nachsagen, nicht nur in China. Und für die Chefs der chinesischen Republik und anschließend der heutigen Volksrepublik China musste sie als Feindbild herhalten und wurde nach Kräften schlecht gemacht.

Jung Chang hat sich die Mühe gemacht, umfangreiche Quellenforschung zu betreiben und dieses Bild gerade zu rücken. Das ist ihr gelungen, auch wenn  einige andere Forscher (weniger: Forscherinnen) ihren Schlussfolgerungen widersprechen. Und außerdem hat sie eine sehr vielschichtige, spannende und faszinierende Biographie über eine der einflußreichsten Persönlichkeiten Chinas geschrieben.

Wer mehr über China lesen möchte, kann auch hier schauen.

Ich, Kaiser von China. Jonathan D. Spence

„Emperor of China: Self-Portrait of K’ang-hsi“ – in der deutschen Übersetzung von 1985 einfach nur „Ich, Kaiser von China“ – ist ein bemerkenswertes Buch.
Die Geschichte von Kaiser Kangxi

Kangxi (so die Schreibweise des Namens dieses Kaisers in der etwas geläufigeren Pinyin-Variante), * 1654, † 1722, war der zweite Kaiser der mandschurischen Qing-Dynastie Chinas, ein Zeitgenosse Ludwigs XIV. also. So lange wie er hat kein anderer Kaiser vor ihm regiert, er schaffte sage und schreibe 61 Jahre. Sogar heute noch gilt er in China als einer der vorbildlichsten Regierungschefs der chinesischen Geschichte. Er vergrößerte das Kaiserreich, sorgte für ein relativ friedliches Miteinander zwischen den Manchu und den Chinesen, war moralisch anscheinend ziemlich integer und kümmerte sich sehr um Kultur und Wissenschaft.
KANXI (ruled 1662–1722) | Facts and Details

Von Kangxi gibt es noch ziemlich viele Originaltexte, unter anderem Gedichte, Briefe und auch ein sogenanntes Abschiedsedikt, das er selbst einige Jahre vor seinem Tod verfasst und kommuniziert hat. Er ist damit einer der wenigen chinesischen Kaiser, von dessen Charakter und Ansichten man sich ein recht unmittelbares Bild machen kann.

Dies nutzt der anglo-amerikanische Sinologe Jonathan Spence, um quasi eine Autobiographie Kangxis zu schreiben. In den meisten Kapiteln setzt er Fragmente von Originaltexten des Kaisers zu verschiedenen Themen zusammen, z.B. „In motion“, „Ruling“, „Thinking“, „Growing old“. Im letzten Kapitel wird das Abschiedsedikt vollständig widergegeben. Alles ist also von Kangxi, redigiert von Spence. Hier das Edikt im handschriftlichen Original (wobei ich gleich auf den Beitrag in diesem Blog zu chinesischer Kalligraphie und die Seite zu China insgesamt hinweisen möchte, wo die hier besprochene Kangxi-Biographie auch schon von uns empfohlen wurde – ich habe sie jetzt zum zweiten Mal gelesen….)

Das Buch bringt einem diesen faszinierenden Menschen recht nah. Man lernt ihn mit seinen Selbstzweifeln kennen; wie er sich mit seiner zunehmenden Gebrechlichkeit auseinandersetzt; mit den Schwierigkeiten seiner Nachfolgeregelung; seinen Gedanken zu Erziehung, Ernährung, Medizin, Familie. Passend zur Zeit – der Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert – könnte man ihn durchaus als Kaiser der Aufklärung verstehen. Das Buch ist sehr poetisch, fast schön. Ein Rezensent hat geschrieben: „A masterpiece: it lifts scholarship to a level of beauty.“ Das würde ich so unterschreiben.
Qing Dynastie: Als Kaiser Kangxi China dem Westen öffnete - WELT

Als Zitat ein Gedicht von Kangxi:
„How many now are left
Of my old court lecturers?
I can only grieve as the decays of age
Reach ruler and minister.
Once I had great ambitions –
But they’ve grown so weak;
Being disillusioned by everything,
I don’t bother to seek the truth.
Shrinking back I look for simple answers,
But everything seems blurred.
Complexities bring me to a halt,
Exhausting my energies.
For years past, now,
I’ve neglected my poetry
And, shamed as I grope for apt phrases,
Find dust on my writing brush.“

Und vielleicht die letzten Zeilen seines Abschiedsedikts:
„I’ve revealed my entrails and shown my guts, there’s nothing left within me to reveal.
I will say no more.“