In Search of Mary Shelley – The Girl Who Wrote Frankenstein. Fiona Sampson

Die junge Frau hinter dem Bestseller: Frankenstein, der aus Leichenteilen ein belebtes Wesen erschaffen hat, ist Teil unserer Grusel- und Horror-Geschichten-Kultur. Aber wer kennt heute Mary Shelley?

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Gelebt hat sie von 1797 bis 1851, war die Tochter der Feministin Mary Wollstonecraft und des revolutionären Philosophen William Godwin, zweier Berühmtheiten der intellektuellen Szene im England um 1800. Berühmt berüchtigt waren die Eltern nicht nur für ihre Publikationen, sondern auch für ihr unkonventionelles Leben. Hinter der außerordentlichen Bekanntheit von „Frankenstein“ tritt die Autorin Mary Shelley seltsam weit in den Hintergrund zurück. Die Gründe rekonstruiert Fiona Sampson in ihrer Biografie.

„Mary Shelley was a literary star. But too often she appears as little more than a bright spot being tracked as she moves from one location to another.”

Mit 16 Jahren von Zuhause ausgerissen

Auch vor 200 Jahren kann es kein reines Vergnügen gewesen sein, mit 16 Jahren zusammen mit einem verheirateten Mann, der seine schwangere Frau verlassen hat, auszureißen und dabei auch noch die Stiefschwester mitzunehmen. Mary Shelley, damals noch Mary Godwin, war dabei, ihren literarisch und philosophisch geprägten Traum von einem romantischen Dasein, losgelöst von der Konventionen der Gesellschaft, ins wirkliche Leben umzusetzen. So kam es, dass sie sich mit dem berüchtigten Poeten Percy Bysshe Shelley auf den Weg zum Kontinent machte. Die Motive beschreibt Fiona Sampson klug, einfühlsam und nachvollziehbar.

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Mit 19 Jahren einen Bestseller geschrieben

Sampson, Mitglied der Royal Society for Literature, beschreibt das Leben der jungen Mary Shelley in Europa: Geldmangel, Untreue von Percy Shelley, Tod von drei Kindern… In diesem Kontext schreibt sie einen Bestseller, der heute noch ethische Relevanz hat und mit Erfindung der Figuren des künstlich geschaffenen Menschen sowie des besessenen Wissenschaftlers unzählige Nachahmungen erfahren hat: „One reason the novel´s parable of created life lacks the slickness of later stories about robots (…) is surely that it is written by a woman. Mary cannot avoid knowing both that the creation of life is costly and that the resulting “animal” (contemporary for baby) is autonomous, volatile, the center of his or her own meaning.” 1818 erschien Mary Shelleys Roman “Frankenstein oder Der moderne Prometheus”.

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Mit 19 Jahren geheiratet, mit 25 Jahren Witwe

Mary Shelley lebte 29 Jahre lang als Witwe, nachdem Percy Shelley 1822 ums Leben gekommen war. Sampson geht in ihrer Biografie den Lebensweg der älter werdenden Shelley nach. Versucht nachzuzeichnen, wie Ideale und Realitäten aufeinanderprallen. Sie endet ihr Buch mit dem Bild einer zunehmend kranken Frau, die aufgehört hat zu schreiben.

Die Biografie von Sampson findet große Beachtung. Besprechungen durch Zeitungen finden sich zum Beispiel:

 

 

Äthiopische Geschichten. Heliodor

Die „Äthiopischen Geschichten“ von Heliodor, zweifellos ein Werk der Weltliteratur, der vielleicht beste, zweifellos der längste antike griechische Roman, Bestseller im Byzantinischen Reich. Zu seinem Fanclub gehören: Shakespeare, Goethe, Verdi.

Und heute? Noch nie etwas davon gehört, oder?

Der vollständige Titel des Romans lautet „Äthiopische Geschichten oder: Die Erlebnisse von Theagenes und Charikleia“ (Αἰθιοπικὰ ἢ τὰ περὶ Θεαγένην καὶ Χαρίκλειαν). Geschrieben wurden sie von Heliodoros aus Emesa, dem heutigen Homs in Syrien, irgendwann im 3. oder 4. Jahrhundert unserer Zeitrechnung.

In diesem Liebesroman geht es um eine ausgesprochene verwickelte und ereignisreiche Geschichte, die ca. im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung spielt. Im Zentrum ein Liebespaar mit Namen Charikleia und Theagenes (wer diese beiden Personen sind, wird hier nicht verraten, denn sonst ist einiges der Spannung beim Lesen weg). Orte der Handlung sind Griechenland (Delphi, Athen), Ägypten und Äthiopien. Es gibt Entführungen, Räuber, ägyptische Priester, Intrigen, Überfälle, Orakel, Rettungen in letzter Minute – kurz: alles, was das Fortsetzungsroman-liebende Publikum liebt und braucht, inklusive Happy End, so dass man wieder ruhig schlafen kann. Und das nicht nachgemacht und pseudo, wie bei vielen der heutigen Historienschinken, sondern original-antik, von der Sprache bis zur Kleidung und den Einrichtungsgegenständen. Da sage noch einmal jemand, antike Texte seien langweilig.

Besonders beeindruckend ist der sehr sorgfältige und gekonnte Aufbau dieses Romans, der es versteht, durch Vor- und Rückblenden, eingeschobene Erzählungen, subtile Andeutungen zu faszinieren und zu fesseln. In den Worten eines klassischen Philologen und Spezialisten für antike Romane, B.P. Reardon: „(…) another of the Aithiopika’s greatest delights: its sheer convolution and intricacy. As connections emerge, seemingly of their own accord, over long spans of text, as plot and subplot slowly mesh together, as subsidiary narrators successively play with the partial knowledge  of their audience, we are invited to admire the virtuoso skills of the self-concealing author who has engineered the whole complex mechanism.“

Ebenfalls toll – wenn auch in einer Übersetzung leider nicht vollständig nachzuvollziehen – die Sprache Heliodors, ein exzellentes Griechisch voller Anspielungen auf Homer, Hesiod, Euripides… Wohlklingend und poetisch, schnelle Dialoge, eindrucksvolle Beschreibungen. Wunderbar konstruierte Sätze, für Laut-Leser eine Fülle des Wohlklangs. Vielleicht etwas manieriert, aber es ist ja auch ein Liebesroman!
Oder in den Worten des Humoristen S.J. Perelman, auf den ich an anderer Stelle aufmerksam wurde, auch wenn er diese Worte in einem komplett anderen Zusammenhang geschrieben hat: „Their adventures are recorded in some of the most stylish prose to flow out of an inkwell since Helen Hunt Jackson’s Ramona. The people of  (this) piece, beset by hostile aborigines, snakes, and blackwater fever, converse with almost unbearable elegance, rolling out their periods like Edmund Burke.“ Passt genau, nur das Schwarzwasser-Fieber kommt bei Heliodor nicht vor.

Verdis Aida gäbe es ohne Heliodor nicht, Goethe benannte seinen Zauberlehrling nach ihm, Shakespeare ist in vielen Szenen seiner Komödien von Heliodors Dramaturgie beeinflusst, der moderne Roman sähe ohne Heliodor sicherlich anders aus.

Bereits der Beginn des ersten Satzes des Romans ist in der Lage, die Leser zu fesseln:
„ἡμέρας ἄρτι διαγελώσης καὶ ἡλίου τὰς ἀκρωρείας καταυγάζοντος, ἄνδρες ἐν ὅπλοις λῃστρικοῖς ὄρους ὑπερκύψαντες (…).
„The smile of daybreak was just beginning to brighten the sky, the sunlight to catch the hilltops, when a group of men in brigand gear peered over the mountain (…).“ (Übersetzung von J.R. Morgan)

Und das Beste? Es gibt Heliodor für kleines Geld auch in deutschen Übersetzung! Mit lockendem Einband – und außerdem in klassisch-asketischer Aufmachung bei Reclam.

Naokos Lächeln. Haruki Murakami

Vor fast 30 Jahren, 1987, erschien der fünfte Roman von Haruki Murakami, sein Titel: ノルウェイの森 (Noruwei no mori), auf Englisch: Norwegian Wood, auf Deutsch: Naokos Lächeln. Dieses Buch etablierte den Ruhm und die Verehrung Murakamis bei der (nicht nur) japanischen Jugend.

Sinn und Unsinn deutschsprachiger Buchtitel kommentiere ich in diesem Fall nicht. Nur soviel: Der Bezug auf das gleichnamige Lied der Beatles erschließt sich auf japanisch und englisch unmittelbarer.

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Murakami, geboren 1949, ist ein Garant hoher Verkaufszahlen. Seine Romane sind in mehr als 50 Sprachen übersetzt, etliche verfilmt; er selbst ist vielfach preisgekrönt. Artikel auf Wikipedia über ihn gibt es sogar in fast 70 Sprachen – hier der Link zu einer ebenso kurzen wie graphisch gelungenen Variante für all diejenigen, die einmal eine neue Sprache ausprobieren wollen.

In diesem Roman geht es um Verlust, Orientierungslosigkeit, Beziehungen, vielleicht um Liebe, jedenfalls um Sex, auch Selbstmord im Japan der späten 60er Jahre.

Murakami schreibt flott, eher umgangssprachlich (zumindest in der Übersetzung) und unprätentiös. Die Atmosphäre ist oft etwas surreal und leicht geheimnisvoll. Er verwendet meist einen nicht-allwissenden Ich-Erzähler. Rückblenden sind ein sehr beliebtes Element. Sexszenen werden relativ regelmäßig, ohne dabei in irgendeiner Weise sparsam zu sein, eingestreut.

Ich muss gestehen, bei mir ist kein Funke übergesprungen. Zu lässig geschrieben, zu lang, zu flach und platt, zu sehr auf Wirkung ausgerichtet, zu wenig spannend, die Charaktere trotz vieler Details zu scherenschnittig und durchsichtig. Dass Murakami angeblich immer wieder für den Literatur-Nobelpreis gehandelt wird, erschließt sich mir nur aus den Verkaufszahlen. Andererseits: Vielleicht sind seine anderen Werke deutlich besser. Oder: Es geht gar nicht um literarische Qualität. Und auch: Ich kann es nicht beurteilen, denn ich habe den Roman nicht bis zum Ende gelesen….

Eine beliebige, aber durchaus typisch-seicht-plätschernde Leseprobe aus der englischen Übersetzung (in der ich gelesen habe):
„Reiko gave a deep sigh (…), then folded her hands on her knees.
‚This will be your bed,‘ she said, patting the sofa. ‚We’ll sleep in the bedroom, and you’ll sleep here. You should be all right, don’t you think?‘
‚I’m sure I’ll be fine.‘
‚So, that settles it,‘ said Reiko. ‚We’ll be back around five. Naoko and I both have things to do until then. Do you mind staying here alone?‘
‚Not at all. I’ll study my German.‘
When Reiko left, I stretched out on the sofa and closed my eyes. I lay there steeping myself in the silence (…).“

Keine Empfehlung also. Wird aber den Bestseller-Zahlen nicht schaden.

Metamorphosen: Der goldene Esel. Apuleius

Ein ziemlich unbekanntes, aber von der Antike über die Renaissance bis heute sehr einflussreiches Werk der Weltliteratur möchte ich dieses Mal empfehlen: Die „Metamorphosen“ von Apuleius – auch bekannt als „Der goldene Esel“ – ist einer der ältesten erhaltenen Romane der Weltliteratur und sicherlich nicht der schlechteste. Flott geschrieben, spannend, amüsant, nicht immer jugendfrei; so ziemlich das genaue Gegenteil von allem, was man häufig mit verstaubter, verquaster, vorgestriger lateinischer Literatur verbindet.

Apuleius lebte im zweiten nachchristlichen Jahrhundert. Er stammt aus dem heutigen Algerien, verbrachte dann einige Zeit unter anderem in Karthago, Athen und Rom, bevor er wieder nach Nordafrika zurückkehrte. Ihn als schillernde Persönlichkeit zu bezeichnen, ist eine deutliche Untertreibung. Neben den Metamorphosen ist von ihm eine Verteidigungsrede in eigener Sache überliefert; er war der Zauberei angeklagt…

Schillernd sind auch die Metamorphosen und umstritten. Das fängt schon bei der ausgesprochen kunstvollen, oft sehr kraftvollen, manchmal poetischen, immer flamboyanten Sprache an. August Rode, der den Roman in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts übersetzt hat, mochte das nicht: „des Apuleius Schreibart ist bei weitem nicht die beste. Er kettet ewig lange Perioden zusammen, ist sehr kostbar und schwülstig in seinem Ausdrucke, gebraucht unerhörte Wortfügungen und veraltete, ja wohl gar selbsterfundene Wörter und Redensarten.“

Schillernd auch, weil Generationen von Klassischen Philologen immer wieder an der Interpretation dieses Romans gescheitert sind, der wie ein Hase die deutungswütigen und Eindeutigkeits-suchenden Literaturwissenschaftler immer wieder durch einen überraschenden Haken hinter sich lässt. Für andere Leser macht gerade das einen erheblichen Teil des Reizes des Buchs aus.

Schillernd zumal wegen des Inhalts, in dem es um Zauberei, Isis-Kult, Verwandlungen, Abenteuer, Liebesgeschichten geht mit einem wenig heroischen Helden. Und dann gibt es noch die in den Roman eingebauten Geschichte von Amor und Psyche, die auch die bildende Kunst inspirierte und für sich alleine Weltliteratur ist. Diese Geschichte ist sogar heute noch vielen bekannt, ohne immer dabei zu wissen, von wem sie stammt und in welchen Zusammenhang sie gehört.

Für Schullateiner ist Apuleius auf Latein nichts, wenn sie nicht gerne ein Wörterbuch verwenden. Hier als eher leichtes Beispiel eine Partie aus der Geschichte von Amor und Psyche – Psyche wird zur vorgeblichen Eheschließung mit einem Drachen auf einen Felsen geführt:
„Itur ad constitutum scopulum montis ardui, cuius in summo cacumine statutam puellam cuncti deserunt taedasque nuptiales, quibus praeluxerunt, ibidem lacrimis suis extinctas relinquentes deiectis capitibus domuitionem parant. Et miseri quidem parentes eius tanta clade defessi, clausae domus abstrusi tenebris, perpetuae nocti sese dedidere. Psychen autem paventem ac trepidam et in ipso scopuli vertice deflentem mitis aura molliter spirantis Zephyri vibratis hinc inde laciniis et reflato sinu sensim levatam suo tranquillo spirito vehens paulatim per devexa rupis excelsae vallis subditae florentis cespitis gremio leniter delapsam reclinat.“

In der guten, wenngleich gelegentlich schwer altertümelnden Übersetzung von Brandt und Ehlers (Artemis & Winkler Verlag) liest sich dies so:
„Man geht zu der bestimmten steilen Bergklippe, stellt das Mädchen auf den höchsten Gipfel, und nun gehen alle hinweg, lassen die Hochzeitsfackeln, die vorangeleuchtet hatten und jetzt in ihren Tränen erloschen, an Ort und Stelle zurück und machen sich gesenkten Hauptes auf den Heimweg. Ihre armen Eltern selbst warf der furchtbare Schlag zu Boden, daß sie das Haus versperrten und in seinem Dunkel untertauchten, um sich beständiger Nacht zu befehlen. Psyche aber, die mit Furcht und Zittern oben auf dem Felsgipfel sich die Augen ausweinte, hebt sanft säuselnd ein linder Zephyrhauch mit flatternden Gewändern und geblähtem Bausch sacht empor, trägt sie in ruhigem Wehen gemächlich über die ragenden Berghänge und lehnt sie, da sie hinabgeglitten, im Tale drunten leise auf einen blühenden Rasenschoß.“

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Gelesen habe ich die bei Iohannes Maire in Leiden erschienene Ausgabe von 1623. Aktuellere Ausgaben auch in Deutsch sind aber problemlos verfügbar…