Die Suche nach Glück: Eine Geschichte. Darrin McMahon

Ein wichtiges Buch für die heutige Zeit: Die Suche nach Glück. Oder im englischen Original: „The pursuit of happiness: A history from the Greeks to the present“. Passend zum Thema die Kurz-Einschätzung der New York Times: „A delight to read“.

Einfach ist es offenbar nicht mit der Glücksuche, das zeigt bereits der Umfang des Buchs mit seinen 480 Seiten, bis man die Danksagungen erreicht hat.

Das Buch ist kein Ratgeber der Kategorie „100 Tipps für ein glückliches Leben“ oder „Der Weg zum Glück des Dalai Lama“. Es versteht sich als historischen Abriss über den Begriff des Glücks von den Griechen der Antike bis in die heutige Zeit. Dabei beschäftigt es sich ausschließlich mit dem Glücksbegriff der westlichen bzw. christlichen Tradition, fast ausschließlich aus Perspektive der Philosophie. Diesem historisch-philosophischen Anspruch wird es gerecht – womit sich auch die vielen Seiten erklären – und führt nebenbei die Ratgeber ad absurdum: Es gibt offensichtlich kein Patentrezept für das Glück. Zumindest im Westen. Was unglücklich ist.

McMahon, aktuell Professor für Geschichte am Dartmouth College in den Vereinigten Staaten, spannt einen weiten Bogen. Einige Beispiele:

McMahon beginnt in Griechenland mit Herodot und der Anekdote von Krösus, der von Solon wissen möchte, wer der glücklichste Mensch ist, in der sicheren Erwartung, dass das er selbst ist (weil super-reich und mächtig mächtig, man kennt das ja). Solon tut ihm den Gefallen nicht und nennt drei andere. Glücklich in der Formulierung McMahons: „All three successfully negotiated life’s perils while they lived, and then died with honor at the moment of their greatest glory.“ Vor dem Lebensende ist keiner glücklich zu nennen. Auf den Tod kommt es an.

Beeindruckend und verstörend die frühchristliche Erzählung von Perpetua und Felicitas, die sich dank ihres Glaubens mit seligem Lächeln auf den Weg zum Märtyrertod machen. Das irdische Leben ist nicht wichtig, das Glück liegt im Jenseits.

Der Ansatz, dass man auch auf Erden glücklich sein kann, ja sogar soll, erreichte das Christentum erst mit der Renaissance. Dann weitete sich das irdische Glück nach und nach aus. Die Verbindung mit tugendhaftem Handeln und sozialer Verantwortung wurde schwächer, „Glück“ wurde quasi zu einer neuen Gottheit, wobei „Spaß“ sich zur wichtigsten Komponente entwickelte. Auf die Spitze getrieben ist diese Entwicklung mit ihren schrecklichen Konsequenzen literarisch in „Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley.

Manche Kapitel des Buchs sind etwas mühsam zu lesen wie zum Beispiel das über Friedrich Nietzsche. Zum Glück ist das aber die Ausnahme. McMahon hat ein recht großes Geschick, auch etwas schwierige philosophische Ansätze verständlich und greifbar zu machen.

Erfreulich auch, dass er immer wieder auch für mich überraschende Autoren, Erkenntnisse, Facetten einbaut. Darwin und Freud zum Beispiel hatte ich selber nicht auf dem Zettel als wesentliche Treiber der Entwicklung des Glücksbegriffs. Und die Verbindung von Eigentum und Glück in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung war mir nicht klar.

Vielleicht zum Abschluss noch etwas ausführlicher das Verdikt der New York Times: „From Herodotus and Aristotle through Locke and Rousseau down to Darwin, Marx and Freud  (…) The musings on happiness of these and dozens of lesser thinkers are lucidly presented in fine, sturdy prose that is (…) a delight to read.“

The dream of enlightenment: The rise of modern philosophy. Anthony Gottlieb

„Men must think for themselves.“ Dieser möglichen Quintessenz der Werke von Locke, einem der Protagonisten der Philosophie der Aufklärung, folgt Anthony Gottlieb im zweiten Band seiner Philosophiegeschichte aufs Beste.

Gottlieb ist ein erstaunlicher Autor. Er vermittelt sehr überzeugend den Eindruck, dass er all die Philosophen und ihre Werke, über die er schreibt, tatsächlich selbst gelesen hat. Dass er sich eigenständig Gedanken gemacht hat über das Gelesene und nicht nur bei anderen abschreibt. Dass er es verglichen hat mit dem, was andere über diese Philosophen gesagt oder oft: behauptet haben. Dass er die Ergebnisse auf eine pointierte, amüsante und interessante, leichtfüssig-tiefschürfende Art und Weise literarisch-sorgfältig zu Papier gebracht hat. Dass er dafür sogar noch einen Verlag gefunden hat. Und – vielleicht das Erstaunlichste überhaupt – dass er zahlreiche Leser findet. Vielleicht eine der besten Nachrichten bisher im Jahr 2017.

Auf den meisten englischen Büchern finden sich Zitate aus Rezensionen. Immer sind diese positiv. Deutlich seltener kann man sich selbst diesen Zitaten am Ende vorbehaltlos anschließen. Bei diesem Buch gelingt das: „delightfully written und wonderfully instructive“, „as enjoyable as he is intellectually stimulating“, „written with both wit and scholarship“, „never seen a discussion of philosophy as fun to read“. Besonders gelungen ist wieder einmal eine Rezension im Guardian, die auch eine gute inhaltliche Zusammenfassung des Buchs bietet (auf die Leser dieses Blogs sonst – wie so oft – verzichten müssen, da wir ja zum Selberlesen anregen wollen).

Ach, und mutig ist Gottlieb auch, indem er sich konzentriert. Er beginnt mit der Beobachtung: „Western philosophy is now two and a half millenia old, but a great deal of it came in just two staccato bursts lasting some 150 years each. The first was in the Athens of Socrates, Plato and Aristotle (…). The second was in northern Europe, in the wake of Europe’s wars of religion and the rise of the Galilean science. It stretches from the 1630s to the eve of the French Revolution in the late eighteenth century.“ Alles, was nicht wesentlich ist, lässt Gottlieb weg, und beginnt seine Geschichte der Philosophie der Aufklärung mit Descartes. Mit Hume ist dann Schluss. Pech für Francis Bacon (der aber dann doch in Zitaten zu seinem Recht kommt), Pech auch für Rousseau und Voltaire (die aber im Schlusskapitel nebeneinander, wie im Pantheon, mit ihren Unterschieden, wie in ihrem Leben, gewürdigt werden).

Ohne auch nur im Ansatz schematisch zu wirken, sondern mit (fast) soviel Variationsreichtum wie Bach in seinen Goldberg-Variationen, stellt Gottlieb immer die Biographie, die Hauptwerke, die philosophischen Hauptgedanken und auch die Nachwirkung der verschiedenen Philosophen dar. Praktisch immer ist er frei von Ehrfurchtsgeraune. Nie versteckt er eigene gedankliche Leere hinter obskurantistischen Formulierungen, wie sie manche Philosophen und viele deutsche Wissenschaftler pflegen. Wenn Gottlieb selbst etwas nicht überzeugt oder einleuchtet, dann schreibt er das auch und reduziert so die Hürde auch für philosophisch weniger hartgesottene Leser. Wenn Leibniz etwas nicht besonders gut mit einem Beispiel erklärt, schreibt Gottlieb: „This little thought-experiment does not settle anything, but it neatly expresses a common intuition.“ Woraus auch zu erkennen ist, dass Gottlieb uneitel und nicht besserwisserisch schreibt, frei von herablassender Häme, die journalistisch geprägten Autoren sonst gelegentlich mit in die Feder fließt. Es scheint ihm viel Vergnügen zu bereiten, anderen Philosophen hinterherzudenken.

Vor diesem Buch hätte ich nicht gedacht, dass ich Neugier und Lust entwickeln könnte, den Tractatus theologico-politicus von Spinoza oder gar das historisch-kritische Wörterbuch von Pierre Bayle zu lesen. Da habe ich mich sehr getäuscht.

Übrigens: Vom ersten Band war ich ebenfalls schon letztes Jahr sehr angetan wie in einem anderen Blogbeitrag vermerkt.

Und außerdem: Im spanisch- oder holländisch-sprachigen Ausland gibt es Gottlieb schon in Übersetzung. Im Land der Dichter und Denker offenbar nicht.