Nocturnes. Kazuo Ishiguro

Nocturnes von Kazuo Ishiguro sind tatsächlich Geschichten im Dämmerlicht und in der Nacht. Leise Geschichten. Liebesgeschichten.

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Leise Liebesgeschichten

In fünf Geschichten lotet der Nobelpreisträger Ishiguro – siehe Artikel aus der FAZ – aus, was wohl Liebe sein mag. Ob es bereits Liebe ist, ob es noch Liebe ist, ob es eine Beziehung ist oder nicht. Leise kommen diese Geschichten daher. Der Titel des Buchs erinnert nicht zu Unrecht an Chopin. Der Untertitel offenbart mehr: „Five Stories of Music and Nightfall“.

Der Erzähler ist in der Regel ein Musiker. Er berichtet uns, wie er ein Paar beobachtet und langsam kennenlernt oder nach langen Jahren wieder kennenlernt. Der Blick ist ein Blick von außen: Die Figuren werden durch ihr Handeln und Sprechen charakterisiert. Ihre wahren Motive bleiben schattenhaft. Können nur geahnt oder erraten werden. Und wahrscheinlich ist die Interpretation nicht ganz richtig.

 

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Musik als zweiter Erzählstrang

Eine Ausnahme besteht in der Geschichte „Nocturne“. In ihr ist der Ich-Erzähler auch eine der Hauptfiguren. Was er berichtet, ist die absurd-traurige Geschichte vom erfolglosen Musiker, der sich einer Schönheitsoperation unterzieht, in der Hoffnung, mit einem anderen Gesicht zukünftig erfolgreicher zu sein:

„So how does someone like me get to be here among these stars and millionaires, having my face altered by the top man in town? I guess it started with my manager, Bradley, who isn’t so big-league himself, and doesn’t look any more like George Clooney than I do. He first mentioned it a few years ago, in a jokey sort of way, then seemed to get more serious each time he brought it up again. What he was saying, in a nutshell, was that I was ugly. And that this was keeping me from big league.“

Die Musik als ein Thema dieser fünf Geschichten verbindet Menschen – und bietet Anlässe zu ihrer Trennung.

Diese Bücher von Ishiguro haben wir bei Buch-und-Sofa ebenfalls besprochen:

Triumph der Musik. Tim Blanning

Eine der deutschen Ausgaben hätte einen fast abschrecken können: Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann. Wahrscheinlich kein besonders substanzielles Buch. Eher etwas Leichtes, Schmökeriges. Wie ist denn Tim Blanning an Elke Heidenreich geraten? Und dann auch noch der Titel: „Triumph der Musik“. Hätte fast Rosamunde Pilcher so titulieren können. Oh je. Lieber nicht kaufen.

Aber ich habe diese deutsche Ausgabe erst entdeckt, als ich die englische schon gelesen hatte.

Der deutsche Klappentext trifft den Inhalt gar nicht schlecht: „Wie kommt es, dass Mozart, eines der größten musikalischen Genies, wie ein lästiger Parasit behandelt wurde und völlig verarmt starb, während sich Politiker heute Rat bei U2-Sänger Bono holen und Opernsänger Spitzengagen bekommen? Der renommierte britische Historiker Tim Blanning zeichnet den unglaublichen Aufstieg des Musikers und seiner Kunst vom Barock bis heute nach. Welche gesellschaftlichen, politischen und technischen Neuerungen haben bewirkt, dass die Musik vom kirchlichen und höfischen Beiwerk ins Zentrum einer Massenkultur gerückt ist, deren unangefochtene Protagonisten – weit über den Persönlichkeitsstatus eines Richard Wagner und Franz Liszt hinaus – heute Popstars wie Paul McCartney sind? Reich an Fakten, Anekdoten und verblüffenden Querverweisen ist Blanning eine informative, lehrreiche und höchst unterhaltsame Kultur- und Sozialgeschichte der Musik gelungen.

Also doch ein ausgezeichnetes Buch? Auf demselben hohen Niveau wie Blannings Bücher über Friedrich den Großen und über die Epoche von 1648 bis 1815?
Gut schon, ausgezeichnet eher nicht. Bei aller Brillanz im Einzelnen und auch bei aller umfassenden Belesenheit von Blanning, drei Haken hat das Buch für mich:

  • Blanning beschreibt den Aufstieg der Musik anhand von fünf Elementen: Status, purpose, places and spaces, technology, liberation. Jedem dieser Elemente widmet er ein Kapitel, in dem er dann chronologisch vorgeht, immer von 1700 bis heute. Fünf mal von 1700 bis heute ist aber anstrengend, etwas repetitiv und behindert Blanning darin, die Querbezüge zwischen den fünf Elementen herauszuarbeiten.
  • Vielleicht auch wegen dieses gewählten Buchaufbaus bleibt Blanning oft ungewohnt seicht und hastet gleich wieder weiter. Aspekte werden angerissen, Anekdoten erzählt, aber immer leicht vordergründig.
  • Nicht zuletzt: Die Linie steigt zu ungebrochen, zu triumphalistisch, zu glorios. Von Beethoven bis Bono, von Mozart bis Madonna, von Haydn bis Hip-Hop, von Stradivari bis Stratocaster, die Bedeutung der Musik wächst und wächst, der Triumph wird immer vollkommener, die anderen Künste bleiben mehr und mehr zurück. Sogar die Politik räumt der Musik das Feld.

Auch andere sind nicht durchgehend euphorisch, bei allem verdienten Lob für das Buch, so etwa der Guardian und der Telegraph. Der Telegraph bemerkt aber auch anerkennend: „It may (…) be the only work written by a Cambridge professor to include a comparative description of The Rubadubbers and Bob the Builder“ und  bezeichnet das Buch als „extraordinarily wide-ranging and stimulating“.

In Sachen Anekdoten ein Auszug über die Liedtraditionen der Franzosen während Ludwig XIV.:
„Especially during the glory days of Louis XIV’s reign (1643-1715), there were so many songs celebrating his latest triumphs as to constitute a musical history of his campaigns, as their self-explanatory titles reveal: ‚On the Second Capture of Besançon during the Months of April and May 1674‘ (…). Some songs even criticised the conduct of the war. The duc de Luxembourg cannot have enjoyed hearing ‚On Henry de Montmorency-Luxembourg Who Did Not Hurry Himself Enough to Help Philippsbourg in 1676‘, for example. The most durable proved to be ‚Marlborough Goes to War‘ (Marlborough s’en va-t-en guerre), sung to the tune of ‚For He’s a Jolly Good Fellow‘.
Da kann man als Leser und Leserin gleich mit den Franzosen mitsummen.

In Summe und trotz der genannten Haken: Gut und flott geschrieben, kenntnisreich, ohne gelehrt zu wirken; man lernt viel dazu, erhält ungewohnte Perspektiven, wird zum Denken (und Musik-Hören) angeregt. Ideal als Weihnachtsgeschenk. Passt also schon gar nicht so schlecht: Edition Elke Heidenreich.