Romantische Liebesgeschichten vergangener Zeiten von Jane Austen? Ich habe eine Ausgabe von 1944 mit Illustrationen von John Austen, deren süßliche Eleganz kaum übertroffen werden kann. Der Eindruck passt also, oder? Wer diese Illustrationen sieht oder Austens Romane nur in Form ihrer Verfilmungen kennt, liegt in der Bewertung von „Persuasion“ schwer daneben…
„Persuasion“, also Überzeugung, Überredung
Wer überzeugt oder lässt sich überzeugen, wovon? Oder doch überreden? – „Persuasion“ gehört zu meinen Lieblingsromanen. Oft gelesen, immer wieder genossen. Die Vielfältigkeit der Facetten ist einer der Gründe für mein Vergnügen: Liebesgeschichte, Mystery Novel, Sittengemälde, Charakter-Analyse. Jane Austens Roman erschien 1818, 14 Jahre vor Goethes Tod. Eines seiner erstaunlichen Merkmale ist seine Modernität.
Die Erzählweise in „Persuasion“
Austen hat in ihren Romanen, lange bevor es eine Bezeichnung dafür gab, einen inneren Monolog für ihre Figuren erfunden: teils Gedankenstrom, teils indirekte Rede, werden durch dieses Stilmerkmal die Figuren lebendig, wirken „echt“. In einer weiteren, extremen Fortführung dieses Stilelements nutzt Austen dieses, um Zeit zu raffen und parallel mehrere Stimmen auf einmal zu Wort kommen zu lassen: „(…) when a knock at the door suspended everything. ‚A knock at the door – and so late! It was ten o´clock. Could it be Mr. Elliot? They knew he was to dine in Lansdown Crescent. It was possible that he might stop in his way home to ask them how they did. They could think of nothing else. Mrs. Clay decidedly thought it Mr. Elliot´s knock.““
Mit spitzer Zunge
Mit ganz wenigen Worten ist Austen in der Lage, ihre Figuren zu skizzieren. Und dabei ist sie deutlich, sehr deutlich: „Mr. Shepherd, a civil, cautious lawyer, who, whatever might be his hold or his views on Sir Walter, would rather have the disagreeable prompted by anybody else“ oder „Lady Russell (…) was a woman rather of sound than of quick abilities“. Auch die Versatzstücke, die Austen ihren Figuren als biografischen Hintergrund gibt, lassen immer tief blicken, selbst wenn sie heute nicht mehr einfach verständlich sind. So hat der eitle, verschwenderische Sir Walter Elliot zum Beispiel in Bath ein prächtiges, teures Haus in Camden Place gemietet. Zeitgenossen Austens wußen genau, dass diese Häuser auf instabilem Grund gebaut waren, der tatsächlich nachgab. Die Ortsangabe ermöglicht die präzise soziale Verortung von Sir Walter UND einen Blick auf seinen Charakter. Für diejenigen, die mehr hierzu wissen möchten, ist „A Charming Place – Bath in the Life and Novels of Jane Austen“ von Maggie Lane eine Empfehlung.
Die Liebesgeschichte und – die Geschichte voller Geheimnisse
Ja, ein wichtiges Thema besteht in den unterschiedlichen Spielarten des Sich-Verliebens, der Liebe und der Ehe. Ganz ähnlich wie in Goethes „Wahlverwandtschaften“ spielt Austen durch, wie Frauen und Männer zusammen kommen können, voneinander angezogen sind und miteinander leben. Die detektivische Neugier dagegen wird geweckt, indem es neben eindeutigen Figuren andere gibt, deren Motivationen nicht ganz klar sind. Eine Fülle kleiner Anzeichen weist immer wieder einmal darauf hin, läßt Leser und Leserinnen jedoch im Dunkel. Die Figuren sind oft nicht, was sie scheinen, geben vor, was sie nicht sind. Sie überreden einander. Die Haupfiguren Anne Elliot und Captain Wentworth jedoch überzeugen sich im Lauf des Buchs von ihren eigenen Gefühlen und einander von deren Ernsthaftigkeit.
Vielleicht ist es auch diese hoffnungsvolle Botschaft, fast tröstlich, die der Roman ausdrückt: Auch wenn die Zeit uns lehrt, getroffene Entscheidungen bitter zu bereuen, auch dann kann etwas passieren, das eine neue Wende zum Glück einleitet. Also: „Persuasion“ ist doch romantisch.
Es gibt zwei gute Verfilmungen von „Persuasion“: Die Verfilmung von 1995 mit Amanda Root und Ciarán Hinds in den Hauptrollen sowie den Film von 2007 mit Sally Hawkins, Alice Krige und Anthony Head. Allerdings gelingt es beiden Filmen nicht, auf überzeugende Weise herauszuarbeiten, worin Anne Elliots Entwicklung liegt: Sie hat als sehr junge Frau auf den Rat einer Ersatz-Mutter gehört, weil sie es für ihre Pflicht hielt, nicht nur den eigenen Vorlieben zu folgen, da für ein gemeinsames Leben kein entsprechendes Vermögen zur Verfügung stand. Sobald die Versorgung gesichert ist, sieht sie keine Gründe mehr dagegen, den Mann ihrer Wahl zu heiraten, und ist bereit, auch Widerstände zu überwinden.