Ein blendender Spion. John le Carré

Die Vorgeschichte war ideal: Ein heißer, etwas schwüler Tag in Windhoek. Ein Gewitter lag in der Luft, aber wahrscheinlich nicht für heute. Eine alte Brauerei, ein halb verlassener Parkplatz, ein paar undurchsichtige Typen, die neben ihren Autos auf irgendetwas warten. Verstreute deutsche Touristen auf der Suche nach ihrem nächsten Windhoek Lager. Der Blick fällt auf eine Buchhandlung, „die beste Buchhandlung in Namibia“. Die alte Frau darin schaut melancholisch, nicht viel los, wer liest schon Bücher in Windhoek. Auf dem Stapel mit der Nummer 75 ganz oben wie dort für mich hingelegt dieses Buch: „Ein blendender Spion“.

Aber so wie auch in Windhoek nicht alles toll ist, sind nicht alle Bücher von le Carré wirklich gut. „A perfect spy“ gehört aus meiner Sicht in die eher mäßige Kategorie. Damit stehe ich allerdings anscheinend allein. The Sunday Times bemerkt: „Without doubt his masterpiece (…) Universally acknowledged as a perfect work of fiction.“ Oder Philip Roth: „The best English novel since the war.“ Die Los Angeles Times: „Le Carré’s best book, one of the enduring peaks of imaginative literature in our time.“ Alles zitiert auf der Rückseite des englischen Taschenbuchs. Fühlt man sich richtig schlecht, wenn man’s selber anscheinend nicht mitbekommt, wie toll das Buch ist, dass man gerade zu lesen versucht…

Andererseits: Vielleicht wäre es ja noch toll geworden, als ich auf Seite 197 aufgegeben habe (so lange habe ich durchgehalten, obwohl ich immer gegen die aufkommende Müdigkeit und Langeweile kämpfen musste!) . Nur noch 500 Seiten und du hast es geschafft! Nein, wirklich nicht mehr. Ich lese lieber etwas anderes („When we were orphans“ von Ishiguro, spannend, überzeugend, berührend ab Seite 1, mehr dazu demnächst in diesem Blog).

Warum geht es in dem Buch?
Der deutsche Klappentext verrät: „Magnus Pym, Angehöriger der britischen Botschaft in Wien und dort für Geheimaufträge zuständig, ist spurlos verschwunden. Seine Frau, sein Vorgesetzter und die Londoner Geheimdienststellen werden zunehmend unruhig. Und auch andernorts beginnt man, sich Sorgen zu machen.“
Ausführlicher die Inhaltsangabe in Wikipedia.

Warum gehört es für mich nicht zu den Gipfelereignissen der Nachkriegsbelletristik?
Weil bei mir keinerlei Spannung aufkommt, die Personen nicht interessant genug werden, ich kein Interesse am weiteren Verlauf des Plots gewinne, zu offensichtlich Sex & Crime eingesetzt werden, anscheinend nicht mit Sorgfalt geschrieben wurde, sondern eher viel (700 Seiten, siehe oben!). Und da helfen auch nicht die mitunter sehr gelungenen einzelnen Formulierungen, die treffenden Vignetten zum britischen (und amerikanischen) Establishment. Auch nicht, dass ich einen anderen Roman von le Carré in diesem Blog empfohlen habe.

Das Buch geht ab zu Oxfam, damit sich jemand anderes daran erproben kann, ob er beim Lesen von Deckel bis Deckel kommt. Man kann natürlich auch den Film anschauen, spart das Lesen.

 

Die Reise nach Indien. E.M. Forster

Edward Morgan Forster ist zwischenzeitlich eher durch die Verfilmungen seiner Romane als durch diese selbst bekannt. Den schwelgerisch-schwülstigen Filmen von James Ivory sei Dank.

Wie meistens jedoch sind die Bücher besser, falls es sich nicht um Verschreibungen gleichnamiger Filme handelt. Das Buch „A passage to India“, 1924 erschienen, gewinnt um Längen: Der Film kam erst 1984, 60 Jahre später, in die Kinos. Und bevor ich diesem Film unrecht tue: Er ist von David Lean gedreht worden, nicht James Ivory, und das macht einen Unterschied.

Forster (1879 – 1970), ist eine durchaus schillernde Persönlichkeit, zeitweise Mitglied des Bloomsbury Circle, homosexuell, intellektuell, später Honorary Fellow am King’s College in Cambridge, immer wieder einer der Favoriten für den Literaturnobelpreis. Vieles, worüber er schrieb, kannte er aus eigener Anschauung. So war er – wichtig für diesen Roman – zweimal selbst in Indien, das zweite Mal als Privatsekretär des Maharajah von Dewas.

„A passage to India“ nimmt sich Zeit. Kein Buch sich überschlagender Handlung. Statt dessen ein Buch des Beobachtens, Zuhörens, Nachdenkens, Wirken-Lassens. Forster verwendet Sorgfalt und Subtilität auf die Beschreibung der Menschen und ihrer Beziehungen zueinander. Man erfährt viel über das Innenleben der handelnden Personen.

Vor allem ist „A passage to India“ natürlich ein Buch über den britischen Kolonialismus in Indien. Die Personen des Romans werden alle dadurch einsortiert, wie sie zum jeweils anderen Land stehen und wie sie über den real existierenden Kolonialismus denken. Fast alle Facetten werden dabei abgedeckt, so gibt es zum Beispiel jeweils bei Briten und Indern die Naiven, die Arrangierten, die Opportunisten, die Zyniker, die Von-Außen-Beobachtenden.
Für mich macht dies, neben dem unauffälligen Humor Forsters, einen wesentlichen Teil des Reizes dieses Romans aus.

Eine typische Passage, es spricht Ronny Heaslop, ein junger Amtsrichter in Indien, zu seiner Mutter und seiner Verlobten:
„‚There’s no point in all this. Here we are, and we’re going to stop, and the country’s got to put up with us (…). Oh, look here,‘ he broke out, rather pathetically, ‚what do you and Adela want me to do? Go against my class, against all the people I respect and admire out here? Lose such power as I have for doing good in this country because my behaviour isn’t pleasant? You neither of you understand what work is, or you’d never talk such eyewash. (…) I am out here to work, mind, to hold this wretched country by force. I’m not a missionary or a Labour Member, or a vague sentimental sympathetic literary man. I’m just a servant of the Government; it’s the profession you wanted me to choose myself, and that’s that. We’re not pleasant in India, and we don’t intend to be pleasant. We’ve something more important to do.'“

Ein Kritiker hat einmal über Forster geschrieben:
„E. M. Forster is for me the only living novelist who can be read again and again and who, after each reading, gives me what few writers can give us after our first days of novel-reading, the sensation of having learned something.“

Klingt wie eine Empfehlung.

The remains of the day. Kazuo Ishiguro

Ab und zu lesen wir von diesem Blog dann sogar dieselben Bücher. Im vorherigen Beitrag war es noch dieselbe Autorin, aber ein anderes Buch. Jetzt wieder der identische Titel. Und wieder ist Kazuo Ishiguro an der Reihe mit seinem bekanntesten Werk „The remains of the day“.

Dem positiven Fazit meiner Vor-Besprecherin kann ich mich anschließen. Ein wirklich und richtig gutes Buch, rundherum zu empfehlen. Überaus lesbar, wirklich nicht seicht, für jeden zugänglich.

Allerdings lässt mich der Roman sehr bedrückt zurück. Mr Stevens, der Butler und Ich-Erzähler, hat letztlich sich selbst, seine eigene Person, seine Seele, sein Leben aufgegeben zugunsten einer Rolle, eines Jobs, seiner Profession als Butler. Absichtlich, da seiner Meinung nach nur der ein ausgezeichneter Butler sein kann, der ganz diese Rolle lebt.

Das ist sogar noch radikaler, als ein Mönchsgelübde abzulegen. Und das ist weit verbreitet in der heutigen Leistungsgesellschaft, in der dem Beruf häufig unbedingter Vorrang vor dem Privatleben eingeräumt wird/werden soll.

Für Stevens heißt das, dass er keine sozialen Beziehungen hat, dass er nur über die sehr gepflegte, aber doch formalisierte Butlersprache verfügt. Seinen Vater zum Beispiel spricht er in der dritten Person Singular an. Als dieser im Obergeschoss im Sterben liegt, hat er keine Zeit für ihn – die Pflicht geht vor, es sind gerade Gäste da. Der entzündete Zeh eines Gasts hat Vorrang vor dem tödlichen Schlaganfall des eigenen Vaters.

Ganz funktioniert das nicht mit dem Aufgeben der eigenen Person. Stevens stehen dann doch die Tränen in den Augen. Aber es ist ein Triumph seines Butler-Seins, dass er dem nicht nachgibt, dass er Haltung bewahrt, sich sonst nichts anmerken lässt.

An den wenigen Tagen der bis dahin einzigen Reise seines Lebens, die den zeitlichen Horizont der Romanhandlung bilden, kommt er ernsthaft ins Grübeln. Er fasst sogar den Vorsatz, sich zu ändern, mehr Humor und menschliche Wärme zu zeigen.

Aber dann geht’s doch schief, menschliche Wärme und Humor werden zu Funktionen der Butler-Profession, die berufliche Rolle gewinnt über sein Leben, über das, was von seinem Leben übrig ist:
„It occurs to me, furthermore, that bantering is hardly an unreasonable duty for an employer to expect a professional to perform. I have of course already devoted much time to developing my bantering skills, but it is possible I have never previously approached the task with the commitment I might have done. Perhaps, then, when I return to Darlington Hall (…) I will begin practising with renewed effort. I should hope, then, that by the time of my employer’s return, I shall be in a position to pleasantly surprise him.“

Humor als Pflicht. Nicht komisch mehr, tragisch.

Der Maler der fließenden Welt. Kazuo Ishiguro

Ich mag Roman-Autoren, die erste Sätze schreiben können. Kazuo Ishiguro in seinem zweiten Roman, „An Artist of the Floating World“, gehört ganz deutlich dazu:
„If on a sunny day you climb the steep path leading up from the little wooden bridge still referred to around here as ‚the bridge of hesitation‘, you will not have to walk far before the roof of my house becomes visible between the tops of two gingko trees.“

Vorsichtig, eventuell, Zögern – Vergangenheit, Tradition, Kontinuität und Veränderung – steiler Weg, Brücke – Ich-Erzähler, wir und die anderen – Asien – Dinge, die erst nach und nach sichtbar werden. Viele, eigentlich alle Akzente werden gesetzt, die kennzeichnend und wesentlich sind für den gesamten Roman.

Der Guardian zählt diesen Roman zu den 100 besten in englischer Sprache, bevor Ishiguro den Literatur-Nobelpreis bekommt, damals im Jahr 2015, Platz 94. Die anderen, bekannteren Bücher von Ishiguro tauchen auf der Liste nicht auf. Also der beste Roman von ihm?

Beurteilen kann ich das nicht, da dies der erste Roman ist, den ich von Ishiguro gelesen habe. Meine Kollegin in diesem Blog fand einen anderen, „The remains of the day„, ebenfalls ausgezeichnet. Vielleicht ist er aber tatsächlich besonders:

  • dieser englische Autor mit japanischem Hintergrund schreibt über Japan
  • sein exquisiter und sparsamer Stil erinnert an die ebenfalls exquisite Sparsamkeit japanischer Kunst, ohne dadurch nicht mehr ausgezeichnet Englisch zu sein.

Der Inhalt

Passabel, aber zugleich viel zu platt und zu konkret zusammengefasst im deutschen Klappentext: „In den dreißiger Jahren hat der Maler Masuji Ono seine Kunst in den Dienst der japanischen Expansionspolitik gestellt. Jetzt, nach dem Krieg, ist sein damaliger Hurrapatriotismus anrüchig geworden, und als seine Tochter heiraten will, wird seine politische Vergangenheit zur Belastung für die Familie. Seine Lebensbeichte offenbart ein heilloses Geflecht von Schuld und Irrtum und ist ein Läuterungsprozess, nach dem er nicht mehr derselbe sein wird wie zuvor.“

Das Buch ist wirklich viel, viel besser, als diese Inhaltsangabe vermuten lassen würde.

Was mich besonders beeindruckt

Die phänomenale Konsistenz zwischen dem Charakter des Ich-Erzählers und der Sprache, in der er erzählt. Die Fähigkeit, auch schreckliche Ereignisse deutlich werden zu lassen, ohne dabei konkret und plakativ zu werden. Der vignettenhafte Blick auf nur wenige Personen in einem kurzen Zeitfenster, der ein ganzes Land und eine ganze Epoche erscheinen lässt.

Und was bedrückt

Eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit schafft keine einzige der Personen im Buch, egal auf welcher Seite sie standen, egal aus welcher Generation. Am besten gelingt dies vielleicht noch dem Ich-Erzähler, aber auch er kommt nur bis zu dem etwas vagen Satz:
„Our nation, it seems, whatever mistakes it may have made in the past, has now another chance to make a better go of things. One can only wish these young people well.“

Und die jüngste Generation, vertreten durch den Enkel des Ich-Erzählers, begeistert sich zwar für amerikanische Rollenmuster wie Cowboys und Popeye. Chauvinismus und eine Neigung zu Traditionen aus der Vorkriegszeit sind aber bei diesem Kind, das noch keine 10 Jahre alt ist, bereits angelegt und entwickeln sich.

Erstaunlich

Ein solches wirklich großartiges Buch wie dieses bekommt man als Taschenbuch für unter 10 €. Dafür kann man nicht ins Kino gehen.

The Remains of the Day. Kazuo Ishiguro

Der Roman des britischen Nobelpreis-Gewinners von 2017 ist ein schönes, komisches, trauriges Porträt der britischen Gesellschaft.

Der Inhalt von „The Remains of the Day“

1989 erschienen, geht die erzählte Zeit im Roman noch weiter zurück in die Vergangenheit: Ein alternder Butler erhält in den 1950er Jahren die Gelegenheit zu einer Reise. Auf dem Weg von und zu den verschiedenen Stationen seiner Reise, erinnert er sich an die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Der Butler Stevens reflektiert seine großen beruflichen Erfolge und versucht zu beschreiben, was für ihn das Ideal des wirklich großen Butlers ausmacht, dem er immer versucht hat zu entsprechen.

Erst am Ende des Romans, als Stevens aufs Meer schaut und darauf wartet, wie nach dem Sonnenuntergang die Lichter angehen, wird ihm klar, wie sehr er in seinem bisherigen Leben die eigenen Gefühle nicht wahrhaben wollte und ihnen schon gar nicht sprachlichen Ausdruck geben konnte.

Was vom Tage übrig blieb

Die Sprache

In einer Radio-Rezension hatte ich gehört, die Sprache Ishiguros sei wie eine Mischung aus Jane Austen und Marcel Proust. Stimmt. Wunderbar flüssig lesbar, präzise, gibt sie die formelle, sprachliche Variante einer vergangenen Upper Class wieder: „As I say, I have never in all these years thought of the matter in quite this way; but then it is perhaps in the nature of coming away on a trip such as this that one is prompted towards such surprising new perspectives on topics one imagined one had long ago thought through thoroughly.“ Erstaunlich…

Der ganze Roman ist aus der Perspektive des Butlers in Form eines inneren Monologs geschildert. Hin und wieder lockern berichtete Dialoge diese Erzählweise auf.

Übersetzung und Verfilmungen

Wer sich zu englischer Lektüre im Original nicht wirklich hingezogen fühlt, sollte diesen Roman unbedingt in Übersetzung lesen: Der Titel der deutschen Übersetzung lautet „Was vom Tage übrig blieb“. Als Alternative bietet sich die Verfilmung aus dem Jahr 1993 an von James Ivory mit Anthony Hopkins und Emma Thompson.

 Bildergebnis für Kazuo Ishiguro

Der Autor

Kazuo Ishiguro OBE ist ein britischer Schriftsteller japanischer Herkunft. Sein dritter und berühmtester Roman „Was vom Tage übrigblieb“ wurde 1989 mit dem Booker Prize ausgezeichnet. Er wurde ebenso verfilmt wie der 2005 erschienene Roman „Alles, was wir geben mussten“. Im Jahr 2017 erhielt Ishiguro den Nobelpreis für Literatur zugesprochen. Die Schwedische Akademie würdigte ihn als einen Schriftsteller, „der in Romanen von starker emotionaler Wirkung den Abgrund in unserer vermeintlichen Verbundenheit mit der Welt aufgedeckt hat“. (Quelle Wikipedia)

Enid Blyton: A biography. Barbara Stoney

Wer seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufgewachsen ist und in seiner Kindheit oder Jugend Bücher gelesen hat, kennt Enid Blyton. Was für eine Erfolgsgeschichte, wenn man bedenkt, wie sehr sich die Welt seit damals verändert hat: Enid Blyton ist geblieben, fast zeitlos, letztlich klassisch, die Essenz von Kinder- und Jugendbüchern.

Fünf Freunde, die Abenteuer-Serie, Hanni und Nanni, Die schwarze Sieben – alles von Enid Blyton. Mehr als 750 Bücher und noch viel mehr Kurzgeschichten, über 600 Millionen verkaufte Bücher weltweit, in über 40 Sprachen.

Lohnt sich eine Biographie über eine Person, die ja allein wegen des Umfangs ihres Werks kaum Zeit gehabt haben kann, um anderes zu tun als zu schreiben?

Barbara Stoney hat sich jedenfalls ans Werk gemacht. 1974 erschien die Biographie, die von Enid Blytons Nachkommen in den Rang einer „offiziellen“ Biographie gehievt wurde. Immer wieder neu aufgelegt bekommt sie regelmäßig bessere Rezensionen als andere biographische Werke über Blyton wie „Looking for Enid: The mysterious and inventive life of Enid Blyton“ von Duncan McLaren oder Paula Whitesides „Enid Blyton: Biography of the author behind Noddy, The Famous Five, and The secret seven“.

 

Herausgekommen ist ein seltsames Buch.

Das Leben von Enid Blyton lässt sich tatsächlich recht schnell erzählen. Geboren 1897 als älteste von drei Geschwistern – der für sie und ihre Interessen verständnisvolle Vater verließ die Familie, als sie 13 war – die Mutter ihr immer fern; Enid brach den Kontakt mit 19 ab – Ausbildung zur Kindergärtnerin und Vorschullehrerin – erste Heirat 1924 mit zwei Kindern – Scheidung und erneute Heirat 1942 – Alzheimer-Erkrankung in der 60er Jahren – Tod 1968. So gut wie nie im Ausland. Begrenzte Kontakte in die Gesellschaft. Aber sehr sehr viele Kontakte mit Kindern und Jugendlichen. Und immer hat sie geschrieben, handschriftlich, später auf einer Schreibmaschine, zu geregelten Zeiten, fast jeden Tag. Und hat bei den Kindern und Jugendlichen gefragt, wie sie ihre Texte finden. Und so wurden ihre Bücher, Geschichten, Gedichte für ihre Zielgruppe immer besser.

Das erklärt natürlich nicht, warum ich die Biographie „seltsam“ finde. Seltsam deshalb, weil Stoney rein deskriptiv bleibt. Sie erzählt rein chronologisch. Sie benennt die Fakten und die Quellen. Sie beschönigt nichts. Aber sie reflektiert auch nirgends, ordnet nichts ein in den größeren Kontext der Gesellschaft und Kultur, in der Blyton lebte. Damit bleibt Blyton aber leider auch eigentümlich ungewürdigt, etwas farblos, etwas flach.

Und das ist für eine Autorin, die auch Mädchen in der damaligen Zeit aktive, selbstbestimmte Rollen gegönnt hat (George/Georgina in den fünf Freunden, Dina in der Abenteuer-Reihe!) doch ein Verlust. Da hätte sie eine anspruchsvollerer Biographin verdient gehabt.

Auch heute ist sie übrigens aktuell wie nie. Ihre letzte Neuerscheinung:
„Five on Brexit Island“, erschienen 2016, geschrieben allerdings von Bruno Vincent für Erwachsene.

You can’t do both. Kingsley Amis

Nach „Lucky Jim“ und längerer Zeit jetzt wieder ein Beitrag zu Kingsley Amis. Der Roman für heute: „You can’t do both“, erschienen 1994, in deutsch nicht zu bekommen (warum eigentlich?).

Vorweg: Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, empfehle es daher auch gerne weiter.

Warum? Das sagt alles der Klappentext: „Robin Davis (…) is both a shrewd observer and an energetic actor which takes him from school to Oxford. With him we live through all the pangs of South London adolescence in a pre-war household whose gods enshrine the gentility principle.“ Und: „(…) Amis as you know him – brilliantly funny, outrageous, and exact ro every social nuance; but also as you’ve never known him before, writing with tenderness and compelling insight in a story which is strongly autobiographical.“

Eine Sache verschweigt er: Robin Davis ist ein ziemlich eingefleischter Selbstoptimierer, dem Wohl und Wehe seiner Nächsten nicht so wichtig sind, solange es für ihn und sein Vergnügen gut ausgeht. Ein sehr beeindruckendes und abschreckendes Porträt.

Ergänzen muss ich aus gegebenem Anlass meines Beitrags über Sayers‘ „Murder must advertise„, dass auch dieser Roman ein Cricket-Buch ist. Noch besser, es ist das EINZIGE Buch mit Buch-Cricket!!
„‚Of course if I get a moment to myself ever I might play a bit of book cricket. (…) Each letter of the alphabet stands for something that can happen when a ball is bowled, like no run, one run, two, three, four, six, and wicket down. The twelve commonest letters give no run, the next six commonest one run and so on. (…) When you’ve settled all the letters in the alphabet you go through a book, as I said. ‚The cat sat on the mat‘ would give you three overs less one ball with no score except on M, which would give you a single. For instance.'“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

Monty Python’s flying circus: selected sketches. Monty Python

And now for something completely different: Monty Python’s flying circus.

Die Komikertruppe Monty Python ist eine – leider nicht mehr aktive – englische Institution. Wikipedia beschreibt ihren „flying circus“: „Monty Python’s Flying Circus (known during the final series as just Monty Python) is a British sketch comedy series created by the comedy group Monty Python and broadcast by the BBC from 1969 to 1974. The shows were composed of surreality, risqué or innuendo-laden humour, sight gags and observational sketches without punchlines. It also featured animations by group member Terry Gilliam, often sequenced or merged with live action.“

Am Besten schaut man sich das auf DVD an – unbedingt auf Englisch, denn in Übersetzung funktioniert das nicht -, wappnet sich mit interkultureller Kompetenz und dann geht’s los.

Alternativ gönnt man sich die Auswahl von Sketches in einem Band der Reihe Fremdsprachentexte bei Reclam. Die bietet den Vorteil, obskurere Worte und apokryphe Anspielungen jeweils als Fußnote erklärt zu bekommen. Dafür fehlt allerdings alles Visuelle und der Ton – und damit bestimmt die Hälfte. Gut an der Ausgabe: Sie bietet nicht nur einzelne Sketche, sondern auch den Text kompletter Episoden. Und der völlig abgedrehte, abrupte, zusammenhanglose (oder doch bedeutungsvolle?) Wechsel zwischen Sketches und wieder zurück und quer und noch einmal rückwärts ist eine gute Übung in Mentalakrobatik und für die Gesichtsmuskulatur.

Oder man nimmt beides, DVDs und Buch, für die vollständige Kurpackung an Political Incorrectness.

Als kurzes Beispiel das von Reclam gewählte Beispiel auf dem Einband:
„MAN. I was here on Saturday, getting married to a blond girl, and I’d like to change please.
REGISTRAR. What do you mean?
MAN. Er, well, the other wasn’t any good, so I’d like to swap it for this one, please. Er, I have paid. I paid on Saturday. Here’s the ticket.
Gives him the marriage licence.
REGISTRAR. Ah, ah, no.“

Wem Sketche zu kurz sind, kann natürlich auch auf Spielfilmlänge wechseln mit dem „Leben des Brian“ als vielleicht bestem Beispiel für sehr intelligenten, sehr schwarzen, sehr britischen Humor. Da funktioniert sogar die deutsche Übersetzung.

In the mountains. Elizabeth von Arnim

Unter den beinahe unbekannten Büchern der (fast) unbekannten Autorin Elizabeth von Arnim zählt „In the mountains“ zu den besonders unbekannten. Dies ändert auch nicht die deutsche Übersetzung unter dem Titel „Ein Chalet in den Bergen“, erst recht nicht die italienische Übersetzung, auch wenn sie vielleicht mit das passendste Cover hat.
Uno chalet tutto per me von [Arnim, Elizabeth von]

Dieser Roman, erschienen im Jahr 1920, ist geprägt von den Folgen des ersten Weltkriegs. Nach fünf Jahren Abwesenheit und dem Verlust vieler Freunde und Verwandter kehrt eine Frau allein wieder zurück in ihr Haus in den Schweizer Bergen. Sie ist niedergeschlagen, ohne Mut, ohne Lebensfreude und möchte nur noch Ruhe, Ruhe, Ruhe. So der Start. Und zum Glück – wie meist bei von Arnim – werden die Dinge dann nach und nach wieder besser.

Viel Plot braucht von Arnim nicht. Auch gibt es nur einen einzigen Ort, an dem die gesamte Handlung spielt. Der Roman ist als eine Serie von Tagebucheintragungen konzipiert. Er lebt von den Dialogen, den Kommentaren, den Charakteren. Und davon lebt er sehr gut. Auch wenn „In the mountains“ wahrscheinlich nicht von Arnims bester Roman ist, ich habe ihn an einem Tag mit viel Genuss und Freude gelesen.

Als Leseprobe eine Partie zu den Risiken und Nebenwirkungen des Sortierens von Büchern:
„But it is impossible, I find, to tidy books without ending by sitting on the floor in the middle of a great untidiness and reading. (…) You open a book idly, and you see:

‚The most glaring anomalies seemed to afford them no intellectual inconvenience, neither would they listen to any arguments as to the waste of money and happiness which their folly caused them. I was allowed almost to call them life-long self-deceivers to their faces, and they said it was quite true, but that it did not matter.‘

Naturally then you read on.
You open another book idly, and you see:

‚Our admiration of King Alfred is greatly increased by the fact that we know very little about him.‘

Naturally then you read on.
You open another book idly, and you see:

‚Organic life, we are told, has developed gradually from the protozoon to the philosopher, and this development, we are assured, is indubitably an advance. Unfortunately it is the philosopher, not the protozoon, who gives this assurance.‘

Naturally then you read on..
You open – but I could go on all day like this (…).“

Dies ist nicht das erste Buch von Arnims, das wir in diesem Blog besprechen – empfohlen haben wir sie bisher alle.

The Caravaners. Elizabeth von Arnim

Wieder ein Treffer von Elizabeth von Arnim.  „The Caravaners“, auf deutsch: „Die Reisegesellschaft“, erschien 1909, ein Jahr nachdem von Arnim ihren ersten Ehemann, den preußischen Grafen von Arnim-Schlagenthin, verlassen hatte und sechs Jahre vor dem ersten Weltkrieg.

Drei Aspekte machen diesen Roman ungewöhnlich im Werk von Arnims.

  • Es gibt einen Ich-Erzähler.
  • Die Perspektive, aus der erzählt wird, ist die eines Mannes
  • Und das Buch ist noch viel stärker satirisch als die anderen.

Wie immer bei von Arnim geht es eigentlich um fast nichts und es passiert auch wenig. Ein deutsches Barons-Ehepaar beschließt auf Anregung einer befreundeten Bekannten, gemeinsam mit deren englischen Verwandten und wiederum deren englischen Bekannten in England einen Pferde-Wohnwagen-Urlaub zu machen. Dieser dauert eine Woche bei typisch wechselndem Wetter. Erzählt werden die wenig spektakulären Ereignisse dieser Woche wie Kochen bei Regen, Abwaschen des Geschirrs, Einpacken am Morgen, die Fahrt von einem Stellplatz zum nächsten…

Wie immer ist der Ton heiter und plaudernd. Es liest sich flott. Man fühlt sich bestens unterhalten.

Allerdings ist der Ich-Erzähler ein ziemlich übles und ziemlich typisches Exemplar traditionellen preussischen Militär-Adelstums der vorletzten Jahrhundertwende. Ein patriotischer Nationalist. Ein Chauvinist. Ein Geizkragen und Schmarotzer. Eitel und aufgeblasen. Bigott. Wehleidig. Voller Etiquette. Von sehr geringer Sozialkompetenz. Stolz darauf, Frankreich schon besiegt zu haben. Voller Vorfreude darauf, dass England dann auch bald dran ist.

Ohne Zitate kann ich nicht aufhören:
„(…) a reasonable man will take care to consider the suggestions made by his wife from every point of view before consenting to follow them or allowing her to follow them. Women do not reason: they have instincts; and instincts would land them in strange places sometimes if it were not that their husbands are there to illuminate the path for them and behave, if one may so express it, as a kind of guiding and very clever glow-worm. As for those who have not succeeded in getting husbands, the flotsam and jetsam, so to speak, of their sex, all I can say is God help them.“

„Doing, as all persons of intellect know, is a very inferior business to thinking, and much more likely to make one hot. But these cool excursions of the intellect are not to be talked about to women and the lower classes. (…) The less you have the more it is necessary that you should be contented (…). Women it is true are fairly safe so long as they have a child once a year, which is Nature’s way of keeping them quiet (…).“

„Irreverence in the treatment of its creeds is an inevitable sign that a nation is well on that downward plane which jerks it at last into the jaws of (say) Germany. Well, so be it. Though irreverence is undoubtedly an evil, and I am the first to deplore it, I cannot deplore it as much as I would if it were not going to be the cause of that ultimate jerking. And what a green and fruitful country (i.e. England) it is! Es wird gut schmecken, as we men of healthy appetite say.“

Noch sechs Jahre bis zum ersten Weltkrieg…

Auch zu anderen Romanen von Arnims gibt es schon Beiträge in diesem Blog, und zwar hier: Liebe, Introduction to Sally, The solitary summer.