No-Theater: Kissing the Mask – Beauty, Understatement and Femininity in Japanese Noh Theater. William T. Vollmann

Dieses Buch über das japanische No-Theater ist eine breit angelegte Suche nach der weiblichen Schönheit. So trägt es zunächst unerwartet, jedoch folgerichtig den weiteren Untertitel „With some thoughts on muses (especially Helga Testorf), transgender women, Kabuki goddesses, porn queens, poets, housewives, makeup artists, Geishas, Valkyries and Venus figurines.

Japanisches No-Theater

Vollmann beschreibt die stilisierte Darstellungsform in dieser alten Theater-Tradition, die auf das 14. Jahrhundert zurückgeht. Das abstrakte Niveau der Themen, Gesten, Andeutungen, Masken war eine Unterhaltungsform für den Adel. Heute, so Vollmann, ist es nur Spezialisten ein Genuss und selbst diese sind auf Erklärungen angewiesen. Der Autor charakterisiert No als die mysteriöse Verbindung des Ewigen mit dem Vorübergehenden: „The old man transforming himself into the young female, the stillness that frames passion and delusion and violence, the constant endeavor to neutralize opposites.“

Worin besteht weibliche Schönheit, Grazie?

Im No tragen Schauspieler geschnitzte Masken, alle Frauen-Rollen werden durch männliche Schauspieler dargestellt. Wie kann es sein, dass eine Frauen-Figur auf der Bühne als wunderschön, als weiblich wahrgenommen wird, obwohl ein Mann hinter ihr steckt, der in seiner Männer-Stimme spricht und singt, dessen Hände, Hals und Füße als „männlich“ zu erkennen sind? Die Antwort des Autors, eine seiner Antworten, lautet, Schönheit zu erleben und zu erfahren, ist immer ein andauernder Prozess. Nach der Empfehlung Zeamis, eines No-Theoretikers aus der Entstehungszeit, soll der Zuschauer die Details des Stücks vergessen, damit er das Ganze wahrnehmen kann. Daraufhin soll er das Stück selbst vergessen und sich auf den Schauspieler konzentrieren, dann diesen vergessen und seinen Geist studieren. Zu guter Letzt soll er dessen Geist vergessen und übrig bleibt die Essenz des No. Vollmann überträgt dies in dieser Weise: „I propose to forget face, body and clothes in order to take in the entire impression that the woman makes. Next, forget her impression and consider its maker: her. Now forget her, and perhaps you may find a way to see her soul. At the last, forget even that, and then you will know her grace.“

Ausgehend von der Wirkung des No untersucht der Autor die Wirkung von weiß geschminkten Geisha-Gesichtern, Schminke, Körperhaltung und Kleidung bei transgender Frauen, Transvestiten und biologischen Frauen. Kapitel in diesem erstaunlichen und wunderbaren Buch heißen: Perfect Faces, A  Curtain of Mist, There is no Ugly Lady Face, Snow in a Silver Bowl, The Decay of the Angel, The Moon Maiden goes Home, Behind the Rainbow Curtain…

 Gelesen habe ich die Ausgabe von 2010.

 

Centuries of Female Days – Englishwomen´s Private Diaries. Harriet Blodgett

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Frauen schreiben seit Jahrhunderten Tagebuch. Warum? Tagebuchschreiben ist eine kleine, ganz private Zeiteinheit. Zeit für einen selbst. Sich diese Zeit zu gönnen, war für Frauen nicht immer einfach. Es wurde dann weniger schwer, wenn sie sich einen  als „nützlich“ akzeptierten Grund dafür selbst geben konnten: Für die eigenen Kinder zu schreiben, die eigenen Fehler festzuhalten, über das eigene korrekte religiöse Verhalten Buch zu führen. So wurde das Tagebuch-Schreiben vom Vergnügen zu einer Pflicht und – erlaubt.

Das Buch enthält eine Fülle von Zitaten aus den Tagebüchern von Frauen. Frappierend ist die durchgehende Selbstentwertung der Frauen, die dem gesellschaftlichen Druck der Zeit entspricht, Frauen eine rein dienende Rolle für andere zuzuschreiben, für Mann und Familie. Basis hierfür waren laut der Autorin die protestantischen Reformbewegungen Englands, deren religiöse Überzeugungen die völlige Unterschiedlichkeit von Frauen und Männern beinhalteten und hierdurch zur Trennung der Lebensbereiche beitrugen.

Die Reflexion, die Erkundung des eigenen Selbst hat nur langsam Raum in den Tagebüchern von Frauen erhalten. Auch die Benennung eigener Gefühle setzte sich nur langsam durch. Beschreibungen des Alltags standen lange im Vordergrund. Hierfür gab es ab 1800 in England vorgedruckte, gebundene Bücher. Oft führten Frauen ein solches Buch als Haushaltsbuch und ein weiteres als Tagebuch; manchmal diente ein Buch beiden Zwecken.

Ganz sicher waren sich Frauen offenbar nicht, ob sie einen Leser wünschten oder fürchteten. Manchmal wurden Tagebücher von Ehemännern weitergeführt, wenn ihre Frauen zu krank waren, dies selbst zu tun. Viele Tagebücher wurden von Frauen vernichtet. Und  – ein Symptom für das, was schreibbar war – über sexuelle Wünsche und Erfahrungen zum Beispiel der Hochzeitsnacht haben die Tagebuchschreiberinnen so gut wie immer geschwiegen. Diese Themen kommen erst im 20. Jahrhundert vor.

Blodgett analysiert in ihrem Buch die privaten Tagebücher von englischen Frauen aus drei Jahrhunderten, von Margaret Hobys Buch von 1599 bis Virginia Woolfs von 1941. Behandelte Themen sind:

  • The Fact of Things – History and Characteristics of the Diaries
  • Personal Time – Motivations and Justifications for Diary Keeping
  • Accomodation and Defiance – On Woman´s Rights
  • Women´s World – On Marriage and Motherhood
  • A Very Ordinary Woman – On Female Psychology and Daughterhood
  • Afterword: Change and Continuity – On Diaries of the Great War

„This lively and engrossing account of the lost voices of female history is both a valuable resource for historians and an engaging insight into the drama of female lives through the centuries, with every shade of joy and despair“, so der Klappentext.

Gelesen in einer Secondhand-Ausgabe ohne Erscheinungsjahr, vermutlich um 1990.

Film-Tipp: Der wahre Preis der Mode – The True Cost

Arbeiterinnen in einer Textilfabrik bei Dhaka, Bangladesch.

Sie kleiden sich gerne modisch? Sie kaufen gerne günstige Mode? Ob ja oder nein, wir alle, die wir Geld für Kleidung, Mode, Fast Fashion – wie immer wir es nennen wollen – ausgeben, sollten diesen Film von Andrew Morgan gesehen haben: „The True Cost“. (Bildquelle dpa)

Trailer zum Film hier.

„The True Cost“ ist eine Geschichte über Mode und ihren wahren Preis. Über eine Milliardenindustrie, die jeden Style als immer neue Offenbarung inszeniert, an der wir teilhaben dürfen – vorausgesetzt, wir kaufen. Doch diese Geschichte beginnt nicht auf den Laufstegen, sondern hier: in den Textilfabriken Bangladeschs, Indiens und Chinas. (…) Brandneue Trends rund um die Uhr, direkt von der Straße in die Fabriken und in die Stores. Das Konzept nennt sich „Fast Fashion“, eine Strategie für maximale Gewinne und ein Euphemismus für radikale Menschenverachtung.“ Zitiert nach ARD auf dieser Seite zum Film.

Film-Tipp: „The True Cost“
Dokumentarfilm, USA 2015
Regie: Andrew Morgan
Nur auf DVD mit deutschen Untertiteln erhältlich, aktuell vorbestellbar (lieferbar ab März?)

Hintergrundinformationen auch hier unter Zeit online.

Britischer Roman: In Their Own Words – British Novelists

In Their Own Words

Diese Dokumentarserie zur Geschichte des britischen Romans im 20. Jahrhundert ist ein echtes Fundstück. Durch Originaltöne der Autoren selbst in Interviews und Vorträgen entsteht ein Überblick zum britischen Roman und zugleich über die Kulturgeschichte, der sehr gut Moderne, Nachkriegszeit und Post-Moderne abdeckt.  Facettenreich, intellektuell anregend, immer wieder auch berührend, spannend.

In drei Teilen – Among the Ruins:1919-1939; The Age of Anxiety: 1945-1969; Nothing Sacred: 1970-1990 – werden wesentliche Tendenzen in der Entwicklung des Romans anhand wesentlicher Autoren mit ihren wesentlichen Romanen aufgezeigt.

Die DVDs bieten das einzige erhaltene Originalton-Fragment von Virginia Woolf, zeigen faszinierende Gespräche mit Kingsley Amis, bringen ein Interview mit J.R.R. Tolkien, lassen auch immigrierte Schriftsteller wie zum Beispiel Sam Selvon aus Jamaika zu Wort kommen, zeigen J.D. Salinger, bieten ein für mich neues Bild von Salman Rushdie, sparen auch Ian Fleming nicht aus….

Ich habe viel gelernt durch diese Serie – und gleich ein, zwei Bücher bestellt!

Leider gibt es diese DVDs ausschließlich in der englischsprachigen Originalausgabe von 2011. Aber Originaltöne in Übersetzung wären ja auch keine Originaltöne.

Älter werden. Silvia Bovenschen

image„Älter werden“ ist ein Buch über das Älter- und Alt-werden. Bovenschens Ich-Erzählerin führt ein Selbstgespräch, in dem sie Erinnerungen, aktuelle Eindrücke und Reflexionen in Worte fasst. Sie ist oft kritisch – auch mit sich selbst-, manchmal wehmütig, nie resigniert. Die Sprache ist einfach, fast lakonisch und dennoch poetisch:

„Wenn wir Kinder sind, ist immer noch alles möglich. Die Welt ist noch so neu und phantastisch, daß uns der Wechsel in andere Jahrhunderte, andere Weltteile, andere Identitäten keine Mühe macht. Ein strahlender Ritter zu werden, ist nicht unwahrscheinlicher, als einmal zwanzig Jahre alt zu werden. Alles steht noch in der Möglichkeitsform. Mit der Einsicht in die abnehmenden Möglichkeiten aber beschleicht die meisten von uns eine lächerliche Angst, vor sich selbst lächerlich zu werden. (…) Den meisten verdirbt der Gelenkrheumatismus die heroischen Träume. Helden sterben nicht auf Intensivstationen.“

Ein gutes und schönes Buch. Gelesen in der Ausgaben von 2013.

Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Erich Beyreuther

imageBiografie über den Gründer der Herrnhuter Bewegung. Interessant ist der größere Kontext der protestantischen Reformbewegungen wie des Pietismus im 18. Jh.. Graf von Zinzendorf (1700-1760) ist eine spannende Persönlichkeit: Reformator, Weltreisender, Dorfgründer, Frauen-Unterstützer. Mit seiner Auffassung von auch weiblichen Anteilen Gottes und vom „Mutteramt des Heiligen Geistes“ ent-patriarchalisierte  er den christlichen Gottesbegriff. Er sprach im Zusammenhang mit der Dreifaltigkeit von der Mütterlichkeit Gottes. Zinzendorf förderte ökumenische Anstrengungen. Innerhalb der Gemeinde erhielten auch Frauen verantwortlichen Aufgaben. Ihre Titel wurden in femininer Form verwendet; zum Beispiel „Ältestinnen“. Die Herrnhuter Gemeinde hat die Beschränkung von Frauen auf Haus und Familie relativiert.

Das Buch hat eine ausgezeichnete Einleitung von Peter Zimmerling. Der eigentliche Text ist veraltet und oft unfreiwillig komisch: „Alles war an diesem Reichsgrafen aus uraltem und bewährtem Geschlecht unbürgerlich und genial gewesen bis in die Sorglosigkeit (…).“ Formulierungen wie „Negersklaven“ hätten bei der Neuherausgabe ersetzt werden müssen. Ich habe das Buch in einer Ausgabe des Brunnen Verlag Gießen von 2000 gelesen.