The porcelain thief: Searching the Middle Kingdom for buried China. Huan Hsu

Gerade letztens habe ich einen Artikel darüber gelesen, dass Buchtitel immer länger werden und kaum noch ohne erklärenden Untertitel auskommen. Hierfür ist der Porzellan-Dieb von Huan Hsu sicherlich ein gutes Beispiel.

Und sonst?

Und sonst ist das Buch gar nicht schlecht. Während des chinesisch-japanischen Kriegs 1938 vergräbt der Ururgroßvater des Autoren seine Porzellansammlung zusammen mit anderen Wertgegenständen im Garten seines Hauses zum Schutz vor den anrückenden Japanern. Die Suche nach diesem Schatz ist der Plot des Romans. Hierin webt Huan Hsu, der in Amerika geboren und groß geworden ist und nicht einmal Chinesisch spricht, seine Suche nach China (und Porzellan heißt ja auf Englisch auch einfach „china“), nach seiner Familie, seiner Herkunft.

Hieraus entsteht eine gut lesbare Mischung aus Abenteuerroman mit Schatzsuche (ein Rezensent beschreibt das Buch als „Indiana Jones adventure“), Autobiographie, Einführung in die chinesische Geschichte, chinesische Kulturgeschichte unter besonderer Berücksichtigung des Porzellans und Tipps zum Umgang mit der zeitgenössischen chinesischen Gesellschaft. All das ist geschickt gemacht, gut strukturiert, spannend geschrieben, informativ und unterhaltsam. Ein anderer Rezensent schreibt auf dem Einband: „Huan Hsu blends a fascinating search for his own family’s roots with an illuminating portrait of modern China. The Porcelain Thief is a wonderful read.“

Also nichts zu kritteln?

Doch. Schon. Natürlich.
Das Buch wirkt oft so, als habe der Autor vorher ein wohl-strukturiertes Konzeptpapier erstellt, dem er dann sorgfältig folgt. Dies ist nicht verwunderlich, denn Huan Hsu unterrichtet kreatives Schreiben. Gelegentlich fehlt dadurch allerdings das Blitzen von Spontaneität, von kreativem Funkeln. Man kann sich eine Liste der Epochen der chinesischen Geschichte machen und beim Lesen abhaken, dass sie alle vorkommen. Zweite Liste: Die Generationen seiner Familie mit den verschiedenen Familienzweigen. Dritte Liste: Die chronologischen Meilensteine bis zum Höhepunkt der Schatzsuche im letzten Kapitel.

Außerdem: Wenn man nicht wüsste, dass der Autor aus den Vereinigten Staaten von Amerika kommt, man würde es treffsicher erraten. Gute Schulen und gute Universitäten in China: in der Regel amerikanische Gründungen. Umsichtige und verantwortungsbewusste Personen in China, die den Chinesen auf den rechten Pfad helfen: meist Amerikaner. Gut also, dass es Amerika gibt.

Trotz Gekrittel: ein gutes, durchaus zu empfehlendes Buch; ein sehr informativer, spannender, fundierter, autobiographischer Schmöker.

Cuentos hispanoamericanos. Hrsg. von Monika Ferraris

Als ich diesen bei Reclam in der Reihe „Fremdsprachentexte“ erschienenen Band mit Erzählungen hispano-amerikanischer Autoren gesehen habe, habe ich mich gefreut. Immerhin hatte ich von einigen der Autoren bereits gehört und sogar zum Teil schon etwas von Ihnen gelesen. Gabriel García Márquez, Mario Vargas Llosa und Isabel Allende zählen ja auch in Deutschland zu den geläufigeren und umfassend übersetzten Autoren.
Andererseits gab es auch einige vollständig unbeschriebene Blätter: Horacio Quiroga oder Alejo Carpentier beispielsweise sind mir vorher noch nicht begegnet.

Also habe ich mich ans Lesen gemacht und wieder einmal die Vorteile dieser Fremdsprachentexte genossen, bei denen die etwas obskureren spanischen Vokabeln jeweils in der Fußzeile erklärt werden. Mit passablen Spanisch-Vorkenntnissen kommt man recht flüssig voran. Die Sprache stellt sich dem Lesevergnügen nicht in den Weg – im Gegenteil, das Lesen im Original macht deutlich, wie wenig adäquat oft Übersetzungen sind.

Neben den Vokabelhilfen bewährt sich auch der Anhang mit kurzen biographischen und bibliographischen Darstellungen zu den einzelnen Autoren, die allesamt vor allem im 20. Jahrhundert geschrieben haben.

Die Erzählung, die mich am meisten überrascht hat, stammt von Carlos Fuentes und erschien 1954 in seinem Buch „Los días enmascarados“. Der Titel der Erzählung – Chac Mool – bezieht sich auf einen Typus präkolumbianischer mittelamerikanischer Skulptur:

Der Erzähler beschreibt in seinem Tagebuch die Erlebnisse mit einem solchen Chac Mool, den er selber gekauft hat. Ziemlich unheimlich, sehr spannend. Folgerichtig der Schluss-Satz:
„Dígale a los hombres que lleven el cadáver al sótano.“

Und wenn wir schon bei Gruselgeschichten sind: „El almohadón de pluma“ von Horacio Quiroga kann da sehr gut mithalten…:
„Murió, por fin. La sirvienta, que entró después a deshacer la cama, sola ya, miró un rato extrañada el almohadón.
– ¡Señor! – llamó a Jordán en voz baja -. En el almohadón hay manchas que parecen de sangre.“
Sieht man dem Autoren allerdings auch an…
Horacio Quiroga.jpg

 

Ich habe keine Feinde, ich kenne keinen Hass. Liu Xiaobo

Vor wenigen Tagen ist der chinesische Dissident und Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo gestorben. Dies habe ich zum Anlass genommen, diesen Band mit ausgewählten Schriften und Gedichten zu lesen, der erstmals 2011 erschienen ist.

Liu Xiaobo, geboren 1955, war einer der Protagonisten der Studentenproteste auf dem Tiananmen-Platz von 1989. Im Jahr 2008 verfasste er mit anderen gemeinsam die Charta 08, in der unter anderem Demokratie, Rechtsstaat, Meinungsfreiheit für China gefordert werden. Daraufhin wurde er verhaftet, ein Jahr später zu elf Jahren Gefängnis verurteilt und starb jetzt an einer Krebserkrankung. Der Friedensnobelpreis wurde ihm 2010 verliehen. Eine Entgegennahme des Preises wurde vom chinesischen Staat verhindert.

Was ich gelesen habe, hat mich sehr beeindruckt, auch die Gedichte, von denen ich vorher nicht einmal wusste, dass er welche geschrieben hat. Liu war sehr deutlich und klar und auf den Punkt, in seiner Kritik am aktuellen chinesischen politischen System und der herrschenden materialistischen Kultur, in seinen Zielvorstellungen, in seiner Gewaltfreiheit, in der Zurücknahme seiner eigenen Person, auch in einer gewissen Bescheidenheit. Dabei neigt er deutlich dazu, Negatives zu betonen, ist also – wie er auch selbst sagt – nicht ausgewogen und emotional. Differenziert ist er allerdings, sehr gebildet, sehr intelligent, nicht naiv, nicht zynisch, sondern freundlich, beharrlich, bereit für die Konsequenzen dessen, was er für richtig und notwendig hält. Dass ihn die chinesische Regierung und die chinesischen Behörden als Gefahr einstuften, ist leicht nachzuvollziehen.

Die Schriften umfassen ein weites Feld: Politik, Kultur, auch dokumentarische Schriften wie die Ankündigung des Hungerstreiks 1989, die Charta 08, seine Verteidigung vor Gericht, das Urteil gegen ihn. Und eben auch Gedichte, vor Allem an seine Frau. Hieraus aus ein Zitat:
„Liebe
schließ dich nicht zu
du sollst nicht allein
der Verlierer Verzweiflung beneiden
öffne die Tür
nimm auch mich als Verlierer
mach mich
zum traurigen Grund weiterzuleben
lass den stillen Rauch deiner Zigarette
zwischen uns steigen“

Textkünste: Buchrevolution um 1500. Hrsg. von Ulrich Johannes Schneider

„Buchrevolution um 1500“: ein ausgesprochen aktuelles Thema, natürlich nicht wegen der Jahreszahl 1500, sondern wegen der aktuellen Buchrevolution rund ums digitalisierte Lesen. Erster Blick ins Buch: prima, offensichtlich keine Kosten und Mühen gescheut. Das Impressum verrät: erschienen 2016, also sogar obendrein ganz frisch und zeitgenössisch. Das wird bestimmt gut.

Allerdings ist das Buch als Ausstellungskatalog und -begleitung unter der Ägide der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft und zweier Universitäten, Leipzig und Lyon, entstanden. Beginnende Skepsis. Wahrscheinlich doch so ein verstaubtes Elaborat deutschen universitären Schreibens. Da springt sofort eine Rezension in der Neuen Rundschau in die Bresche, endend mit: „Ein – zu guter Letzt – Wort an die Adresse der Stiftung Buchkunst: Das hier gehört zu den schönsten Büchern des Jahres! Es sollte unbedingt von Ihnen prämiert werden“.

Also, wie fand ich das Buch?
Fazit nach dem Lesen:
Das Thema ist so spannend und interessant, wie die Innengestaltung des Buchs aufwändig und gelungen ist. Die Texte des Buches sind so uninspiriert wie der Einband. Maximal.

Anfangs orientierte sich die Seitengestaltung von gedruckten Büchern am Erscheinungsbild von Handschriften. Zum Teil wurden sogar auch farbige Initialen ergänzt. Mitunter wurde auf Pergament gedruckt. Besser lesbar als Handschriften waren die Drucke (besonders für alternde Leser mit schwächeren Augen), günstiger in der Verbreitung, einfacher zu korrigieren.

Nachteile hatte der Buchdruck leider auch: Die Berufe der Schreiber und Illuminatoren begannen auszusterben. Unikate wurden durch „Massen“-Produkte ersetzt. Die Flexibilität des Schreibers zu sehr aufwändigen und filigranen Seitengestaltungen tat sich schwer gegen die ökonomischen Vereinfachungstendenzen der Buchdruckereien.

Aus der Fülle der Entwicklungen im ersten Jahrhundert des Buchdrucks greift „Textkunst“ einige wenige Themen heraus, vor allem die Gestaltung von Absätzen und Überschriften sowie die Einbindung von Illustrationen. Interessant sind dabei einige Beobachtungen wie die überraschend späte Erfindung von Seitenzahl und Titelblatt.

Ausgezeichnet und zahlreich sind die illustrativen Reproduktionen aus frühen gedruckten Büchern. Schade, dass ich die Ausstellung in Leipzig verpasst habe.

Aber vor allem schade, dass in so gut wie keinem der Aufsätze des Buches ein revolutionärer Funken überspringen mag. Beschreibend, betulich, vorsichtig, relativierend, fremdwortverliebt, satzbau-ungetümlich. Fast gänzlich ohne roten Faden, ohne Einordnung in den größeren historisch-kulturellen Kontext, ohne faszinierende Anekdoten über einzelne bahnbrechende Druckereien, ohne Blick auf das Ganze. Das Vorurteil sieht sich bestätigt: Faszinierend zu schreiben lernen deutsche Wissenschaftler nicht. Fans gewinnt man anders.

Trotzdem: Wegen des ausgezeichneten Bildmaterials ist das Buch nützlich – ein Hauch von Empfehlung.

 

The most perfect thing: inside (and outside) a bird’s egg. Tim Birkhead

Was für ein faszinierendes Buch über etwas so Alltägliches wie das Vogel-Ei!

Birkhead hatte bei mir als Autor ohnehin bereits ein sehr gutes Image, unter Anderem wegen seines Buchs über die Sinneswahrnehmungen der Vögel.

In seinem 2016 erschienenen Buch über Eier bestätigt er dies. Wiederum eine sehr gelungene Kombination aus Erfahrungsberichten (eigene und die anderer mit Vögeln Beschäftigter), Wissenschaftsgeschichte, Anekdoten, Ei-Anatomie. Gekonnt verwoben mit den beiden roten Fäden vom Äußeren ins Innere des Eis, vom Entstehen des Eis bis zum Schlüpfen des Kükens.

Man erfährt und lernt erstaunlich viel: Wie, wann und wo die Farbe aufs Ei kommt – wofür die Farbe überhaupt gut ist – wie die Eier vor mikrobiellem Befall geschützt werden – warum es so unterschiedliche Formen von Eiern gibt – wie es gelingt, Eier zur Entwicklung zu bringen bei -50° C (Antarktis!) bis +50° C (Wüste!) – woher die Vögel den Kalk für die Eierschale bekommen – wie Küken im Ei atmen – wie sie mit Wasser versorgt werden – warum die Eier eines Geleges etwa zur selben Zeit schlüpfen, obwohl sie über mehrere Tage gelegt werden undundund.
Birkhead schreibt:
„The developing embryo is protected from the outside world by the egg’s hard chalky shell, but the shell also creates a connection with that world. How do you make a structure that keeps microbial aliens out, but at the same time allows the embryo inside to breathe; a shell that is strong enough to withstand the full weight of an incubating parent but weak enough to allow the chick to eventually break free? Evolution has done a fine job of devising ‚a self-contained life support system‘ – what is essentially an external placenta and premature baby unit.“

Tatsächlich und uneingeschränkt eine ganz dicke Empfehlung für ein überzeugendes, spannendes, informatives und überaus lesbares Buch.

The unfeathered bird. Katrina van Grouw

Für Freunde (und Freundinnen) von zoologischen Zeichnungen und Stichen insbesondere ist dieses Buch über Vögel ein Muss: „The Unfeathered Bird“ von Katrina van Grouw.

Van Grouw ist eine Künstlerin mit erheblichen ornithologischen Kenntnissen, die ihr auch eine Stelle als Kuratorin am britischen Natural History Museum eingebracht haben. Dieses Buch war ihr über lange Zeit ein Anliegen:
„This book was begun twenty-five years ago. Broken down, that roughly constitutes: five years of innocent research, little expecting what it would lead to; one moment of inspiration; fifteen years hoping to convince someone else that it was a good idea; and several more years of very hard labor.“ Das Warten und Arbeiten hat sich gelohnt: Immerhin erreichte sie einen Platz auf dem Treppchen unter den Best Bird Books of the Year 2013.

Meine Empfehlung basiert vor allem auf den vielen (um die 300!) wirklich ausgezeichneten Illustrationen, die nicht nur ästhetisch sehr gelungen sind, sondern auch ein deutlich vertieftes Verständnis der Anatomie (Skelett und Muskeln) von Vögeln vermitteln.

Ergänzt wird sie durch die Qualitäten des Texts. Er ist insgesamt flott und auch witzig geschrieben, gut verständlich (abgesehen von der einen oder anderen anatomisch anspruchsvolleren Partie, in der mein englisches Fachvokabular an seine Grenzen stößt), erläutert gut die Abbildungen und bietet interessantes Anekdotisches zu den dargestellten Vögeln. Die gelegentlichen inhaltlichen Wiederholungen sind leicht zu verschmerzen, auch wenn sie ein aufmerksameres Lektorat hätte vermeiden können (müssen).

Die Struktur des Buchs ist zunächst generisch mit Erläuterungen zur Anatomie der Vögel im Allgemeinen, danach spezifisch mit Kapiteln zu einzelnen Gattungen der Vögel.

Mit meiner Empfehlung stehe ich nicht allein, so der Scientific American:  „I only have good things to say about it, and so do all the other people whose opinions I take notice of. There are already a huge number of highly positive reviews of this book out there in the blogosphere and elsewhere; if you’re interested in bird anatomy, or are aware of the book already, you’ll likely have seen or read some or many of them.“

Monty Python’s flying circus: selected sketches. Monty Python

And now for something completely different: Monty Python’s flying circus.

Die Komikertruppe Monty Python ist eine – leider nicht mehr aktive – englische Institution. Wikipedia beschreibt ihren „flying circus“: „Monty Python’s Flying Circus (known during the final series as just Monty Python) is a British sketch comedy series created by the comedy group Monty Python and broadcast by the BBC from 1969 to 1974. The shows were composed of surreality, risqué or innuendo-laden humour, sight gags and observational sketches without punchlines. It also featured animations by group member Terry Gilliam, often sequenced or merged with live action.“

Am Besten schaut man sich das auf DVD an – unbedingt auf Englisch, denn in Übersetzung funktioniert das nicht -, wappnet sich mit interkultureller Kompetenz und dann geht’s los.

Alternativ gönnt man sich die Auswahl von Sketches in einem Band der Reihe Fremdsprachentexte bei Reclam. Die bietet den Vorteil, obskurere Worte und apokryphe Anspielungen jeweils als Fußnote erklärt zu bekommen. Dafür fehlt allerdings alles Visuelle und der Ton – und damit bestimmt die Hälfte. Gut an der Ausgabe: Sie bietet nicht nur einzelne Sketche, sondern auch den Text kompletter Episoden. Und der völlig abgedrehte, abrupte, zusammenhanglose (oder doch bedeutungsvolle?) Wechsel zwischen Sketches und wieder zurück und quer und noch einmal rückwärts ist eine gute Übung in Mentalakrobatik und für die Gesichtsmuskulatur.

Oder man nimmt beides, DVDs und Buch, für die vollständige Kurpackung an Political Incorrectness.

Als kurzes Beispiel das von Reclam gewählte Beispiel auf dem Einband:
„MAN. I was here on Saturday, getting married to a blond girl, and I’d like to change please.
REGISTRAR. What do you mean?
MAN. Er, well, the other wasn’t any good, so I’d like to swap it for this one, please. Er, I have paid. I paid on Saturday. Here’s the ticket.
Gives him the marriage licence.
REGISTRAR. Ah, ah, no.“

Wem Sketche zu kurz sind, kann natürlich auch auf Spielfilmlänge wechseln mit dem „Leben des Brian“ als vielleicht bestem Beispiel für sehr intelligenten, sehr schwarzen, sehr britischen Humor. Da funktioniert sogar die deutsche Übersetzung.

Bird sense: What it’s like to be a bird. Tim Birkhead

Dieses Buch habe ich gerade das zweite Mal gelesen. Wärmstens zu empfehlen. Wer auch nur ansatzweise etwas für Vögel übrig hat und obendrein liest, hat mit „Bird sense“ eine Reihe erfreulicher Stunden vor sich.

Tim Birkhead steht in der Kolonie der Ornithologen auf einem der oberen Felsvorsprünge, hinter sich eine ganze Reihe von Bestsellern: Eine der besten Enzyklopädien zu Vögeln („Cambridge encyclopedia of ornithology“), eine Geschichte der Ornithologie („The wisdom of birds“), ein weiteres über das Ei („The most perfect thing“). Die Rezensionen sind ausgezeichnet, zum Beispiel im Guardian. Preise gibt es auch, zum Beispiel der „Best Bird Book of Year“-Award, der „Science Book Price“ und viele mehr.

Wie ich finde voll und ganz zurecht.

Birkhead ist ein begeisterter Ornithologe und lässt diesen Funken überspringen. Er schreibt überaus zugänglich und verzichtet wenn möglich auf obskure Fachbegriffe. Er vermittelt viele faszinierende Informationen, ohne dass man sich überladen fühlt, sondern im Gegenteil angeregt und begeistert. Er kombiniert Berichte über eigene Erfahrungen mit ornithologischer Geschichte, mit Anekdoten, mit anatomischen Beschreibungen, mit amüsanten Einsichten, mit Versuchsanordnungen, mit…. Er beschreibt komplizierte, auch technische Zusammenhänge, so, dass man sie als Laie begreift. Und immer so, dass man Lust hat, immer weiter zu lesen

Und was man nicht alles erfährt. Einige Beispiele, die der Guardian nennt:

  • „Nightingales in Berlin have to up their vocal performance by 14 decibels to be heard over the traffic; great tits in the city keep down the volume but change the pitch or the frequency to get the message across. The oilbird of Ecuador sleeps with its eyes closed but then it could even fly with its eyes closed: like a bat, it uses echolocation to work out where it is in total darkness.“
  • „The ears of the great grey owl are asymmetrical – higher on one side than the other – the better to pinpoint prey on the vertical as well as the horizontal axis. That is why it can swoop on a mouse under the snow. All listeners can localise a source of sound by unconsciously measuring the difference in time as the waves arrive at each separate ear: for small birds, this would dwindle to less than a millionth of a second so little birds move their heads from side to side to increase the range.“

Oder Vögel, die non-stop 11.000 Kilometer in 8 Tagen fliegen (also 60 km/h durchgehend für fast 200 Stunden!), die aus Hunderten Metern ihren Partner unter vielen komplett gleich aussehenden anderen Vögeln erkennen, die….

Eine der besten Nachrichten für deutsche Leser: Dieses Buch gibt es auch auf Deutsch, „Die Sinne der Vögel oder Wie es ist, ein Vogel zu sein“.

In the mountains. Elizabeth von Arnim

Unter den beinahe unbekannten Büchern der (fast) unbekannten Autorin Elizabeth von Arnim zählt „In the mountains“ zu den besonders unbekannten. Dies ändert auch nicht die deutsche Übersetzung unter dem Titel „Ein Chalet in den Bergen“, erst recht nicht die italienische Übersetzung, auch wenn sie vielleicht mit das passendste Cover hat.
Uno chalet tutto per me von [Arnim, Elizabeth von]

Dieser Roman, erschienen im Jahr 1920, ist geprägt von den Folgen des ersten Weltkriegs. Nach fünf Jahren Abwesenheit und dem Verlust vieler Freunde und Verwandter kehrt eine Frau allein wieder zurück in ihr Haus in den Schweizer Bergen. Sie ist niedergeschlagen, ohne Mut, ohne Lebensfreude und möchte nur noch Ruhe, Ruhe, Ruhe. So der Start. Und zum Glück – wie meist bei von Arnim – werden die Dinge dann nach und nach wieder besser.

Viel Plot braucht von Arnim nicht. Auch gibt es nur einen einzigen Ort, an dem die gesamte Handlung spielt. Der Roman ist als eine Serie von Tagebucheintragungen konzipiert. Er lebt von den Dialogen, den Kommentaren, den Charakteren. Und davon lebt er sehr gut. Auch wenn „In the mountains“ wahrscheinlich nicht von Arnims bester Roman ist, ich habe ihn an einem Tag mit viel Genuss und Freude gelesen.

Als Leseprobe eine Partie zu den Risiken und Nebenwirkungen des Sortierens von Büchern:
„But it is impossible, I find, to tidy books without ending by sitting on the floor in the middle of a great untidiness and reading. (…) You open a book idly, and you see:

‚The most glaring anomalies seemed to afford them no intellectual inconvenience, neither would they listen to any arguments as to the waste of money and happiness which their folly caused them. I was allowed almost to call them life-long self-deceivers to their faces, and they said it was quite true, but that it did not matter.‘

Naturally then you read on.
You open another book idly, and you see:

‚Our admiration of King Alfred is greatly increased by the fact that we know very little about him.‘

Naturally then you read on.
You open another book idly, and you see:

‚Organic life, we are told, has developed gradually from the protozoon to the philosopher, and this development, we are assured, is indubitably an advance. Unfortunately it is the philosopher, not the protozoon, who gives this assurance.‘

Naturally then you read on..
You open – but I could go on all day like this (…).“

Dies ist nicht das erste Buch von Arnims, das wir in diesem Blog besprechen – empfohlen haben wir sie bisher alle.

The Caravaners. Elizabeth von Arnim

Wieder ein Treffer von Elizabeth von Arnim.  „The Caravaners“, auf deutsch: „Die Reisegesellschaft“, erschien 1909, ein Jahr nachdem von Arnim ihren ersten Ehemann, den preußischen Grafen von Arnim-Schlagenthin, verlassen hatte und sechs Jahre vor dem ersten Weltkrieg.

Drei Aspekte machen diesen Roman ungewöhnlich im Werk von Arnims.

  • Es gibt einen Ich-Erzähler.
  • Die Perspektive, aus der erzählt wird, ist die eines Mannes
  • Und das Buch ist noch viel stärker satirisch als die anderen.

Wie immer bei von Arnim geht es eigentlich um fast nichts und es passiert auch wenig. Ein deutsches Barons-Ehepaar beschließt auf Anregung einer befreundeten Bekannten, gemeinsam mit deren englischen Verwandten und wiederum deren englischen Bekannten in England einen Pferde-Wohnwagen-Urlaub zu machen. Dieser dauert eine Woche bei typisch wechselndem Wetter. Erzählt werden die wenig spektakulären Ereignisse dieser Woche wie Kochen bei Regen, Abwaschen des Geschirrs, Einpacken am Morgen, die Fahrt von einem Stellplatz zum nächsten…

Wie immer ist der Ton heiter und plaudernd. Es liest sich flott. Man fühlt sich bestens unterhalten.

Allerdings ist der Ich-Erzähler ein ziemlich übles und ziemlich typisches Exemplar traditionellen preussischen Militär-Adelstums der vorletzten Jahrhundertwende. Ein patriotischer Nationalist. Ein Chauvinist. Ein Geizkragen und Schmarotzer. Eitel und aufgeblasen. Bigott. Wehleidig. Voller Etiquette. Von sehr geringer Sozialkompetenz. Stolz darauf, Frankreich schon besiegt zu haben. Voller Vorfreude darauf, dass England dann auch bald dran ist.

Ohne Zitate kann ich nicht aufhören:
„(…) a reasonable man will take care to consider the suggestions made by his wife from every point of view before consenting to follow them or allowing her to follow them. Women do not reason: they have instincts; and instincts would land them in strange places sometimes if it were not that their husbands are there to illuminate the path for them and behave, if one may so express it, as a kind of guiding and very clever glow-worm. As for those who have not succeeded in getting husbands, the flotsam and jetsam, so to speak, of their sex, all I can say is God help them.“

„Doing, as all persons of intellect know, is a very inferior business to thinking, and much more likely to make one hot. But these cool excursions of the intellect are not to be talked about to women and the lower classes. (…) The less you have the more it is necessary that you should be contented (…). Women it is true are fairly safe so long as they have a child once a year, which is Nature’s way of keeping them quiet (…).“

„Irreverence in the treatment of its creeds is an inevitable sign that a nation is well on that downward plane which jerks it at last into the jaws of (say) Germany. Well, so be it. Though irreverence is undoubtedly an evil, and I am the first to deplore it, I cannot deplore it as much as I would if it were not going to be the cause of that ultimate jerking. And what a green and fruitful country (i.e. England) it is! Es wird gut schmecken, as we men of healthy appetite say.“

Noch sechs Jahre bis zum ersten Weltkrieg…

Auch zu anderen Romanen von Arnims gibt es schon Beiträge in diesem Blog, und zwar hier: Liebe, Introduction to Sally, The solitary summer.