Lucky Jim. Kingsley Amis

image

Lucky Jim von Kingsley Amis ist ein satirischer Roman von einem der „angry young men“ der 50er Jahre, den ich – angeregt von den DVDs „In Their Own Words: British Novelists“ – gelesen habe.

Die klassische Beschreibung zu Werken und Protagonisten dieser „angry young men“ aus der Encyclopedia Britannica passt naturgemäß sehr gut auf Lucky Jim (Dixon), ist sie doch zum Teil aufgrund dieses Romans entwickelt worden: „Their novels and plays typically feature a rootless, lower-middle or working-class male protagonist who views society with scorn and sardonic humour and may have conflicts with authority but who is nevertheless preoccupied with the quest for upward mobility.“

Das Buch ist spannend, witzig, intellektuell auch anregend und bietet – trotz eines durchaus zynischen Untertons – sogar eine Art Happy End. Man kann es also bedenkenlos lesen, auch wenn es in den 50er Jahren offenbar als fast revolutionär wahrgenommen wurde. Nicht damit gerechnet hatte ich, als ich das Buch in die Hand nahm, dass der Plot und auch die Beschreibung der Protagonisten mich sehr an Romane von P.G. Wodehouse erinnern würden. Und den hat – glaube ich – noch niemand zu den „Angries“ gezählt…., allerdings spielen seine Romane auch in deutlich höheren gesellschaftlichen Gefilden und der „quest for upward mobility“ ist bei seinen Helden nicht übermäßig ausgeprägt.

Der Klappentext empfiehlt Lucky Jim zutreffend „anyone who has been a student, anyone who has been to university and anyone who has come to hate a job they have to keep.“

Als Leseprobe ein kurzes Zitat aus einer Partie, in der Jim Dixon ein überraschendes Jobangebot bekommt:
„I think you’ll do the job all right, Dixon. It’s not that you’ve got the qualifications, for this or any other work, but there are plenty who have. You haven’t got the disqualifications, though, and that’s much rarer.“

Gelesen habe ich die Penguin Essentials-Ausgabe von 2012. In deutsch ist das Buch neu als „Jim im Glück“ bei Zweitausendeins oder antiquarisch als „Glück für Jim“ erhältlich.

 

 

 

Krimi: Morse’s Greatest Mystery. Colin Dexter

image

Normalerweise mache ich um Kurzgeschichten von Krimi-Autoren einen großen Bogen: Plots, die nicht für einen ganzen Krimi gereicht haben – Geschichten, die aufgenommen wurden, um auf die erforderliche Seitenzahl zu kommen – Produkte kreativer Ebbe.

Vor die Wahl gestellt werde ich auch in diesem Fall nach dem Lesen der Kurz-Krimis von Colin Dexter immer seine Romane empfehlen. Andererseits sind Geschichten von Dexter oft besser als ganze Romane anderer Autoren, daher ist er auch unter unseren empfohlenen Krimi-Autoren… Und so gibt es in diesem Band einige Geschichten, die sich sehr gut behaupten und dem Leser/der Leserin Spaß machen können. Für mich gehören hierzu „Evans Tries an O-Level“ über einen Gefängnisausbrecher, „A Case of Mis-identity“ als Dexters einziger, auch stilistisch passender Sherlock Holmes-Geschichte und „The Inside Story“, die fast ein ganzer Roman hätte werden können.

Anregend auch immer die kurzen Zitate, die Dexter häufig seinen Kapiteln voranstellt wie zum Beispiel eines von Henry David Thoreau: If I repent of anything, it is very likely to be my good behaviour.

Gelesen habe ich die Taschenbuchausgabe von 2011.

Voltaire’s Coconuts or Anglomania in Europe. Ian Buruma

imageAufmerksam wurde ich auf dieses Buch durch Bloody Foreigners.
Voltaire’s Coconuts befasst sich damit, wie sich die Anglophilie oder -Phobie der Kontinental-Europäer über die letzten Jahrhunderte entwickelt hat – und was das jeweils ausgelöst hat. Die Beispiele reichen von Voltaire und Goethe über Marx und Coubertin bis zu Wilhelm II und Pevsner. Hierbei verbindet Buruma – ohne seine eigene Anglophilie zu verstecken – auf intelligente, sehr lesbare und anregende Art und Weise Historie mit Biographie, Anekdote mit großen Entwicklungslinien, Amüsantes mit Ernsthaftem. Nach dem Lesen war mir vieles klarer.
Wer nicht spontan weiß, was es mit Voltaires Kokosnüssen und mit Churchills Zigarre auf sich hat oder warum Pevsner neben einer sehr alten Kirche in Clyffe Pypard begraben ist, sollte das Buch lesen. Auch als Weihnachtsgeschenk bestimmt ein Treffer.
Gelesen habe ich die englische Ausgabe von 1999. In deutscher Sprache ist es 2002 unter dem Titel „Anglomania: Europas englischer Traum“ erschienen.

The Birth of the West: Rome, Germany, France, and the Creation of Europe in the Tenth Century. Paul Collins

imageEin faszinierendes und inhaltsschweres Buch, in dem – durchaus nachvollziehbar – argumentiert wird, dass das Europa, welches wir heute kennen, ganz wesentlich im 10. Jahrhundert gegründet und geprägt wurde. Neben allem historischen, sozialgeschichtlichen, kulturellen Tiefgang bietet Collins auch immer wieder anregende und überraschende Anekdoten, so zum Beispiel über einen katholischen Heiligen:
“ Another extraordinary story  concerns the relics of Saint Guinefort (…). Though a saint, Guinefort was not a person but a heroic pet greyhound! One day when his owner was absent, a large serpent approached the cradle of the owner’s child. Guinefort attacked and killed the snake but was badly hurt himself. (…) When the parents returned, they found both cradle and dog covered in blood. Assuming Guinefort had attacked the baby, they killed him but later found the baby safe and the snake torn to pieces. Local peasant women began to ‚visit the place and honor the dog as a martyr in quest of help for their sicknesses and other needs,‘ particularly for the greyhound to cure sick babies.“
Und das Buch ist eine beeindruckende Quelle aus der Mode gekommener Vornamen wie Hatheberg, Herimann, Heriger, Hildebert, um nur das H herauszugreifen.
Gelesen habe ich die Ausgabe von 2013.

The Two of Us – My life with John Thaw. Sheila Hancock

Es ist eine Liebesgeschichte und eine Doppelbiografie zweier Schauspieler. Es ist eine Geschichte vom Erwachsenwerden im England der Nachkriegszeit, vom gesellschaftlichen Aufstieg aus ärmlichen Verhältnissen. Und es ist eine Geschichte von Alkoholismus, Krebserkrankung und Sterben. Es ist eine Geschichte über die Liebe und den Versuch, gemeinsam zu leben. John Thaw war im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert einer der beliebtesten Schauspieler Englands. Für viele bekannt durch seine 13jährige Darstellung des Inspektor Morse, einer Kriminal-Serie nach Vorlagen und unter Mitarbeit von Colin Dexter. Diese gibt es auch in mehreren ausgezeichneten DVD-Serien unter dem Titel „Morse“.

„Even though he (John Thaw) had left school, his teachers rode to his rescue, believing that acting was the path John should persue. His old headmaster … moved heaven and earth … It seemed unlikely that a boy from a council flat in Burnage, with an accent you could cut with a knife, could enter those hallowed halls (der Schauspielschule RADA).“

Hancock, Thaws zweite Frau, beschreibt in einer parallelen Erzählebene die Krebserkrankung und den Tod ihres Mannes sowie ihre Anstrengungen nach Trauer und Verzweiflung neu das Leben zu akzeptieren: „I have really lived this grief. I have been totally centred on my pain. That´s some sort of achievement. Most of my life has been postponing feeling or thinking what comes next. … Shame I had to learn though pain rather than pleasure.“

Gelesen in der Ausgabe von 2004.image

John Betjeman’s Collected Poems. Hrsg. von Lord Birkenhead

John Betjeman gilt als der populärste Dichter Englands des 20. Jahrhunderts. Er gehört zu den Dichtern, derer in der Poets‘ Corner in Westminster Abbey gedacht wird (neben Shakespeare, Keats, T.S. Eliot, ….). Anzahl Bücher Betjemans in deutscher Übersetzung? Null.
„Formal konservativ und oft komisch, zeigten Betjemans Gedichte keinerlei Anklänge an die literarische Avantgarde und waren dadurch für ein breites Publikum leicht lesbar. Mit ihren oft exzentrischen Figuren und der im Alltag des zeitgenössischen Englands angesiedelten Handlung trafen die Gedichte außerdem den Nerv der Zeit und waren kommerziell sehr erfolgreich.“ – so der Eintrag in Wikipedia. Dem ist hinzuzufügen: Auch wenn seine Gedichte oft arglos daherkommen, haben sie erstaunlich viel Tiefgang.
Und er liebte anscheinend die Herausforderung, britische Ortsnamen in seinen Gedichten reimend unterzubringen:
Kirkby with Mucky-cum-Sparrowby-cum Spinx
Is down a long lane in the County of Lincs,
And often on Wednesdays, well-harnessed and spruce,
I would drive into Wiss over Winderby Sluice.

Gelesen habe ich seine Collected Poems in der dritten Ausgabe von 1970, in der leider sein besonders gelungenes Gedicht über den Ort Diss fehlt.

Empire: What ruling the world did to the British. Jeremy Paxman

imagePaxman beschreibt in seinem mitreißenden, journalistisch geschriebenen Buch, welchen Einfluss das „Empire“ auf die Briten und deren Selbstverständnis hatte und hat. „Without understanding how we looked at the rest of the world, we cannot really understand ourselves“, so Paxman zu seinem aufklärerischen Ansatz.

„(…) life in the empire promised freedom of one sort or another – from class, from creditors, from penury, from religious oppression. Living abroad offered a better life, at lower cost.“ Wie sich dies auf die eroberten Gebiete auswirkte, behandelt das Buch chronologisch. Im Fokus stehen die Regionen Karibik, Amerika, China, Indien und Asien sowie Palästina.

Paxman vermittelt sehr klar die wichtigsten Entwicklungen einerseits, ergänzt diese andererseits durch Anekdoten zu den wichtigsten Protagonisten:

„Gordon made his way up the Nile towards Khartoum in a buzz of thoughts, counter-thoughts, flashes of inspiration, second thoughts and fourth thoughts which he fired back to E. Baring in Cairo by telegraph, sometimes at the rate of  twenty or thirty a day (…) Baring soon decided that the only way to deal with Gordon´s dispatches was to let them pile up, and then to settle down in the evening and attempt to make out what was going on in his head.“

Zitiert nach der Ausgabe von 2011.

Bloody Foreigners: The Story of Immigration to Britain. Robert Winder

imageOffensichtlich ein Buch, das gut für die heutige Zeit passt, auch wenn es bereits im Jahr 2004 erschienen ist. Darüber hinaus ein wohltuendes und empfehlenswertes Buch: Winder behandelt Immigration nicht als „Problem“; er versucht konsequent, weder eine xenophobe noch eine xenophile Haltung einzunehmen; er berichtet und erzählt sine ira et studio. Und all dies in bester britischer liberaler Tradition.
Neben den immer wieder hochinteressanten Details, die sich in der Jahrtausende-alten Geschichte der Immigration nach Britannien finden, zeigt Winder vor allem in den ausgezeichneten Acknowledgements und der Einleitung auch große Linien und findet einsichtsvolle Perspektiven:

  • Es gibt keine englische oder britische Kultur ohne Immigration. Das, was wird heute als englische Kultur wahrnehmen, ist durch dauernde Immigration entstanden. Winder zitiert in diesem Zusammenhang ein Gedicht von Daniel Defoe von 1700:
    A true born Englishman’s a Contradiction
    In Speech an Irony, in Fact a Fiction.
  • Identität und Identifizierung ist erstaunlich flexibel: A man or a woman can cheer for England at the World Cup, Britain at the Olympics, Europe at the Ryder Cup, Scotland against Wales, Sussex in the Country Championship, and the West Indies in Test matches. Our loyalties can be fluid and overlapping.
  • Die Perspektive auf Immigranten kann sich deutlich verändern, wenn man sie um 180° dreht und dieselben Personen als Emigranten betrachtet: There is a built-in tendency to to present immigrants as passive or problematic second-tier characters, as guests or mere visitors with certain obligations of deference and gratitude towards their ‚host‘. Emigrants are much more dashing – adventurous, eager, intrepid, fun. (…) Migrants ceased to be the feeble, dependent figures of so much cartoon myth-making, and became plucky explorers on the sharp, often painful edge of social progress.
  • Immigration an sich ist nicht „gut“ oder „schlecht“. Es kommt darauf an. Vor allem kommt es darauf an, was man daraus macht: I now find it pointless even to brood on whether it can be described as a ‚good‘ or a ‚bad‘ thing. It is like wondering whether it is good or bad to grow old. Nor can immigration be conceived of as a single experience. For the man who meets the woman of his dreams, or makes his fortune, it is a happy process; for the boy knifed at a bus stop by a gang of violent bigots, it is a catastrophe.