Jane Austen at Home. Lucy Worsley

Diese neue Biografie zu Jane Austen nimmt ihr Alltagsleben in den Fokus.

 

Wie haben Frauen um 1800 gelebt, wenn sie sich zur besseren Gesellschaft zugehörig fühlten, das Geld aber nicht hatten, um einen entsprechenden Lebensstil zu pflegen? Wie war das Leben zu einer Zeit, in der äußere Details ganz genau für alle nachvollziehbar zeigten, wie gut oder schlecht es um die eigenen finanziellen Verhältnisse aussah? Hierbei gelingt es Worsley, Jane Austens Leben über die Distanz von 200 Jahren verständlich zu machen, ohne diese Distanz naiv zu übersehen.

„While I´ll try to put Jane back into her social class and time, I must admit that I also write as a signed-up „Janeite“(…). Jane´s passage through life, so smooth on the surface, seems sharply marked by closed doors, routes she could not take, choices she could not make.”

Unverheiratete Frau ohne eigenes Einkommen

Jane Austen entschied sich, nicht zu heiraten. Warum? Angebote hatte sie. Worsley beschreibt, wie Austen im eigenen unmittelbaren Umfeld immer wieder sah, wie verheiratete Frauen ein Kind nach dem anderen bekamen, viele von ihnen während einer dieser Geburten starben. Heiraten, so deutet Worsley an, war weit davon entfernt, eine glückliche finanzielle Absicherung zu sein: Der Preis konnte extreme körperliche Belastung sein oder der Tod.

Als unverheiratete Frau ohne ausreichendes eigenes Auskommen war Austen Zeit ihres Lebens von Entscheidungen anderer abhängig und davon, dass Verwandte bereit waren, ihren Lebensunterhalt zu bezahlen. Unabhängigkeit war unter diesen Rahmenbedingungen nicht möglich, Spielräume waren klein. Und es musste um sie gerungen werden. Eine Konsequenz bestand für Austen darin, in mehreren Phasen ihres Lebens kein Zuhause zu haben. So wird nachvollziehbar, warum das fehlende Zuhause, Verlust und Sehnsucht nach einem eigenen Zuhause in ihrem Werk an vielen Stellen thematisiert wird.

Alltagsleben – alltägliche Lebensumstände

Die Autorin zeigt die alltäglichen Umstände im Leben von Jane Austen und spürt mit detektivischem Sinn der Frage nach, wie es der Schriftstellerin möglich war, neben all den Pflichten als Tochter, Schwester, Tante überhaupt zu schreiben. Sie malt das Bild einer entschlossenen, oft bissigen Frau, einer ausgezeichneten Beobachterin, die durch ihren Vater stark gefördert wurde. Deren Verwandtschaft sie schätzte, jedoch nicht recht einsehen mochte, eine Schriftstellerin in ihren Reihen zu haben, deren Werke ein außerordentliches Niveau hatten.

„A sad life, a life of struggle, is at odds with the first impressions given by her books: of a country parsonage on a sunny morning, with roses round the door, a spirited heroine about to meet her life-partner, a fresh romance about to unfold…”.

Bildergebnis für Lucy Worsley

Die Historikerin Lucy Worsley veröffentlichte außerdem: “Cavalier – The Story of a Seventeenth Century Playboy”, “Courtiers – The Secret History of Kensington Palace”, “If Walls Could Talk – An Intimate History of Your Home” und “A very British Murder” sowie die Romane “Eliza Rose” und “My Name is Victoria”.

Diese anderen Bücher zu Jane Austen haben wir bereits in Buch und Sofa besprochen…

Enid Blyton: A biography. Barbara Stoney

Wer seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufgewachsen ist und in seiner Kindheit oder Jugend Bücher gelesen hat, kennt Enid Blyton. Was für eine Erfolgsgeschichte, wenn man bedenkt, wie sehr sich die Welt seit damals verändert hat: Enid Blyton ist geblieben, fast zeitlos, letztlich klassisch, die Essenz von Kinder- und Jugendbüchern.

Fünf Freunde, die Abenteuer-Serie, Hanni und Nanni, Die schwarze Sieben – alles von Enid Blyton. Mehr als 750 Bücher und noch viel mehr Kurzgeschichten, über 600 Millionen verkaufte Bücher weltweit, in über 40 Sprachen.

Lohnt sich eine Biographie über eine Person, die ja allein wegen des Umfangs ihres Werks kaum Zeit gehabt haben kann, um anderes zu tun als zu schreiben?

Barbara Stoney hat sich jedenfalls ans Werk gemacht. 1974 erschien die Biographie, die von Enid Blytons Nachkommen in den Rang einer „offiziellen“ Biographie gehievt wurde. Immer wieder neu aufgelegt bekommt sie regelmäßig bessere Rezensionen als andere biographische Werke über Blyton wie „Looking for Enid: The mysterious and inventive life of Enid Blyton“ von Duncan McLaren oder Paula Whitesides „Enid Blyton: Biography of the author behind Noddy, The Famous Five, and The secret seven“.

 

Herausgekommen ist ein seltsames Buch.

Das Leben von Enid Blyton lässt sich tatsächlich recht schnell erzählen. Geboren 1897 als älteste von drei Geschwistern – der für sie und ihre Interessen verständnisvolle Vater verließ die Familie, als sie 13 war – die Mutter ihr immer fern; Enid brach den Kontakt mit 19 ab – Ausbildung zur Kindergärtnerin und Vorschullehrerin – erste Heirat 1924 mit zwei Kindern – Scheidung und erneute Heirat 1942 – Alzheimer-Erkrankung in der 60er Jahren – Tod 1968. So gut wie nie im Ausland. Begrenzte Kontakte in die Gesellschaft. Aber sehr sehr viele Kontakte mit Kindern und Jugendlichen. Und immer hat sie geschrieben, handschriftlich, später auf einer Schreibmaschine, zu geregelten Zeiten, fast jeden Tag. Und hat bei den Kindern und Jugendlichen gefragt, wie sie ihre Texte finden. Und so wurden ihre Bücher, Geschichten, Gedichte für ihre Zielgruppe immer besser.

Das erklärt natürlich nicht, warum ich die Biographie „seltsam“ finde. Seltsam deshalb, weil Stoney rein deskriptiv bleibt. Sie erzählt rein chronologisch. Sie benennt die Fakten und die Quellen. Sie beschönigt nichts. Aber sie reflektiert auch nirgends, ordnet nichts ein in den größeren Kontext der Gesellschaft und Kultur, in der Blyton lebte. Damit bleibt Blyton aber leider auch eigentümlich ungewürdigt, etwas farblos, etwas flach.

Und das ist für eine Autorin, die auch Mädchen in der damaligen Zeit aktive, selbstbestimmte Rollen gegönnt hat (George/Georgina in den fünf Freunden, Dina in der Abenteuer-Reihe!) doch ein Verlust. Da hätte sie eine anspruchsvollerer Biographin verdient gehabt.

Auch heute ist sie übrigens aktuell wie nie. Ihre letzte Neuerscheinung:
„Five on Brexit Island“, erschienen 2016, geschrieben allerdings von Bruno Vincent für Erwachsene.

Persuasion. Jane Austen

Romantische Liebesgeschichten vergangener Zeiten von Jane Austen? Ich habe eine Ausgabe von 1944 mit Illustrationen von John Austen, deren süßliche Eleganz kaum übertroffen werden kann. Der Eindruck passt also, oder? Wer diese Illustrationen sieht oder Austens Romane nur in Form ihrer Verfilmungen kennt, liegt in der Bewertung von „Persuasion“ schwer daneben…

„Persuasion“, also Überzeugung, Überredung

Wer überzeugt oder lässt sich überzeugen, wovon? Oder doch überreden? – „Persuasion“ gehört zu meinen Lieblingsromanen. Oft gelesen, immer wieder genossen. Die Vielfältigkeit der Facetten ist einer der Gründe für mein Vergnügen: Liebesgeschichte, Mystery Novel, Sittengemälde, Charakter-Analyse. Jane Austens Roman erschien 1818, 14 Jahre vor Goethes Tod. Eines seiner erstaunlichen Merkmale ist seine Modernität.

Die Erzählweise in „Persuasion“

Austen hat in ihren Romanen, lange bevor es eine Bezeichnung dafür gab, einen inneren Monolog für ihre Figuren erfunden: teils Gedankenstrom, teils indirekte Rede, werden durch dieses Stilmerkmal die Figuren lebendig, wirken „echt“. In einer weiteren, extremen Fortführung dieses Stilelements nutzt Austen dieses, um Zeit zu raffen und parallel mehrere Stimmen auf einmal zu Wort kommen zu lassen: „(…) when a knock at the door suspended everything. ‚A knock at the door – and so late! It was ten o´clock. Could it be Mr. Elliot? They knew he was to dine in Lansdown Crescent. It was possible that he might stop in his way home to ask them how they did. They could think of nothing else. Mrs. Clay decidedly thought it Mr. Elliot´s knock.““

Mit spitzer Zunge

Mit ganz wenigen Worten ist Austen in der Lage, ihre Figuren zu skizzieren. Und dabei ist sie deutlich, sehr deutlich: „Mr. Shepherd, a civil, cautious lawyer, who, whatever might be his hold or his views on Sir Walter, would rather have the disagreeable prompted by anybody else“ oder „Lady Russell (…) was a woman rather of sound than of quick abilities“. Auch die Versatzstücke, die Austen ihren Figuren als biografischen Hintergrund gibt, lassen immer tief blicken, selbst wenn sie heute nicht mehr einfach verständlich sind. So hat der eitle, verschwenderische Sir Walter Elliot zum Beispiel in Bath ein prächtiges, teures Haus in Camden Place gemietet. Zeitgenossen Austens wußen genau, dass diese Häuser auf instabilem Grund gebaut waren, der tatsächlich nachgab. Die Ortsangabe ermöglicht die präzise soziale Verortung von Sir Walter UND einen Blick auf seinen Charakter. Für diejenigen, die mehr hierzu wissen möchten, ist „A Charming Place – Bath in the Life and Novels of Jane Austen“ von Maggie Lane eine Empfehlung.

Die Liebesgeschichte und – die Geschichte voller Geheimnisse

Ja, ein wichtiges Thema besteht in den unterschiedlichen Spielarten des Sich-Verliebens, der Liebe und der Ehe. Ganz ähnlich wie in Goethes „Wahlverwandtschaften“ spielt Austen durch, wie Frauen und Männer zusammen kommen können, voneinander angezogen sind und miteinander leben. Die detektivische Neugier dagegen wird geweckt, indem es neben eindeutigen Figuren andere gibt, deren Motivationen nicht ganz klar sind. Eine Fülle kleiner Anzeichen weist immer wieder einmal darauf hin, läßt Leser und Leserinnen jedoch im Dunkel.  Die Figuren sind oft nicht, was sie scheinen, geben vor, was sie nicht sind. Sie überreden einander. Die Haupfiguren Anne Elliot und Captain Wentworth jedoch überzeugen sich im Lauf des Buchs von ihren eigenen Gefühlen und einander von deren Ernsthaftigkeit.

Vielleicht ist es auch diese hoffnungsvolle Botschaft, fast tröstlich, die der Roman ausdrückt: Auch wenn die Zeit uns lehrt, getroffene Entscheidungen bitter zu bereuen, auch dann kann etwas passieren, das eine neue Wende zum Glück einleitet. Also: „Persuasion“ ist doch romantisch.

Persuasion Poster

Es gibt zwei gute Verfilmungen von „Persuasion“: Die Verfilmung von 1995 mit Amanda Root und Ciarán Hinds in den Hauptrollen sowie den Film von 2007 mit Sally Hawkins, Alice Krige und Anthony Head. Allerdings gelingt es beiden Filmen nicht, auf überzeugende Weise herauszuarbeiten, worin Anne Elliots Entwicklung liegt: Sie hat als sehr junge Frau auf den Rat einer Ersatz-Mutter gehört, weil sie es für ihre Pflicht hielt, nicht nur den eigenen Vorlieben zu folgen, da für ein gemeinsames Leben kein entsprechendes Vermögen zur Verfügung stand. Sobald die Versorgung gesichert ist, sieht sie keine Gründe mehr dagegen, den Mann ihrer Wahl zu heiraten, und ist bereit, auch Widerstände zu überwinden.

You can’t do both. Kingsley Amis

Nach „Lucky Jim“ und längerer Zeit jetzt wieder ein Beitrag zu Kingsley Amis. Der Roman für heute: „You can’t do both“, erschienen 1994, in deutsch nicht zu bekommen (warum eigentlich?).

Vorweg: Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, empfehle es daher auch gerne weiter.

Warum? Das sagt alles der Klappentext: „Robin Davis (…) is both a shrewd observer and an energetic actor which takes him from school to Oxford. With him we live through all the pangs of South London adolescence in a pre-war household whose gods enshrine the gentility principle.“ Und: „(…) Amis as you know him – brilliantly funny, outrageous, and exact ro every social nuance; but also as you’ve never known him before, writing with tenderness and compelling insight in a story which is strongly autobiographical.“

Eine Sache verschweigt er: Robin Davis ist ein ziemlich eingefleischter Selbstoptimierer, dem Wohl und Wehe seiner Nächsten nicht so wichtig sind, solange es für ihn und sein Vergnügen gut ausgeht. Ein sehr beeindruckendes und abschreckendes Porträt.

Ergänzen muss ich aus gegebenem Anlass meines Beitrags über Sayers‘ „Murder must advertise„, dass auch dieser Roman ein Cricket-Buch ist. Noch besser, es ist das EINZIGE Buch mit Buch-Cricket!!
„‚Of course if I get a moment to myself ever I might play a bit of book cricket. (…) Each letter of the alphabet stands for something that can happen when a ball is bowled, like no run, one run, two, three, four, six, and wicket down. The twelve commonest letters give no run, the next six commonest one run and so on. (…) When you’ve settled all the letters in the alphabet you go through a book, as I said. ‚The cat sat on the mat‘ would give you three overs less one ball with no score except on M, which would give you a single. For instance.'“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

The porcelain thief: Searching the Middle Kingdom for buried China. Huan Hsu

Gerade letztens habe ich einen Artikel darüber gelesen, dass Buchtitel immer länger werden und kaum noch ohne erklärenden Untertitel auskommen. Hierfür ist der Porzellan-Dieb von Huan Hsu sicherlich ein gutes Beispiel.

Und sonst?

Und sonst ist das Buch gar nicht schlecht. Während des chinesisch-japanischen Kriegs 1938 vergräbt der Ururgroßvater des Autoren seine Porzellansammlung zusammen mit anderen Wertgegenständen im Garten seines Hauses zum Schutz vor den anrückenden Japanern. Die Suche nach diesem Schatz ist der Plot des Romans. Hierin webt Huan Hsu, der in Amerika geboren und groß geworden ist und nicht einmal Chinesisch spricht, seine Suche nach China (und Porzellan heißt ja auf Englisch auch einfach „china“), nach seiner Familie, seiner Herkunft.

Hieraus entsteht eine gut lesbare Mischung aus Abenteuerroman mit Schatzsuche (ein Rezensent beschreibt das Buch als „Indiana Jones adventure“), Autobiographie, Einführung in die chinesische Geschichte, chinesische Kulturgeschichte unter besonderer Berücksichtigung des Porzellans und Tipps zum Umgang mit der zeitgenössischen chinesischen Gesellschaft. All das ist geschickt gemacht, gut strukturiert, spannend geschrieben, informativ und unterhaltsam. Ein anderer Rezensent schreibt auf dem Einband: „Huan Hsu blends a fascinating search for his own family’s roots with an illuminating portrait of modern China. The Porcelain Thief is a wonderful read.“

Also nichts zu kritteln?

Doch. Schon. Natürlich.
Das Buch wirkt oft so, als habe der Autor vorher ein wohl-strukturiertes Konzeptpapier erstellt, dem er dann sorgfältig folgt. Dies ist nicht verwunderlich, denn Huan Hsu unterrichtet kreatives Schreiben. Gelegentlich fehlt dadurch allerdings das Blitzen von Spontaneität, von kreativem Funkeln. Man kann sich eine Liste der Epochen der chinesischen Geschichte machen und beim Lesen abhaken, dass sie alle vorkommen. Zweite Liste: Die Generationen seiner Familie mit den verschiedenen Familienzweigen. Dritte Liste: Die chronologischen Meilensteine bis zum Höhepunkt der Schatzsuche im letzten Kapitel.

Außerdem: Wenn man nicht wüsste, dass der Autor aus den Vereinigten Staaten von Amerika kommt, man würde es treffsicher erraten. Gute Schulen und gute Universitäten in China: in der Regel amerikanische Gründungen. Umsichtige und verantwortungsbewusste Personen in China, die den Chinesen auf den rechten Pfad helfen: meist Amerikaner. Gut also, dass es Amerika gibt.

Trotz Gekrittel: ein gutes, durchaus zu empfehlendes Buch; ein sehr informativer, spannender, fundierter, autobiographischer Schmöker.

Cuentos hispanoamericanos. Hrsg. von Monika Ferraris

Als ich diesen bei Reclam in der Reihe „Fremdsprachentexte“ erschienenen Band mit Erzählungen hispano-amerikanischer Autoren gesehen habe, habe ich mich gefreut. Immerhin hatte ich von einigen der Autoren bereits gehört und sogar zum Teil schon etwas von Ihnen gelesen. Gabriel García Márquez, Mario Vargas Llosa und Isabel Allende zählen ja auch in Deutschland zu den geläufigeren und umfassend übersetzten Autoren.
Andererseits gab es auch einige vollständig unbeschriebene Blätter: Horacio Quiroga oder Alejo Carpentier beispielsweise sind mir vorher noch nicht begegnet.

Also habe ich mich ans Lesen gemacht und wieder einmal die Vorteile dieser Fremdsprachentexte genossen, bei denen die etwas obskureren spanischen Vokabeln jeweils in der Fußzeile erklärt werden. Mit passablen Spanisch-Vorkenntnissen kommt man recht flüssig voran. Die Sprache stellt sich dem Lesevergnügen nicht in den Weg – im Gegenteil, das Lesen im Original macht deutlich, wie wenig adäquat oft Übersetzungen sind.

Neben den Vokabelhilfen bewährt sich auch der Anhang mit kurzen biographischen und bibliographischen Darstellungen zu den einzelnen Autoren, die allesamt vor allem im 20. Jahrhundert geschrieben haben.

Die Erzählung, die mich am meisten überrascht hat, stammt von Carlos Fuentes und erschien 1954 in seinem Buch „Los días enmascarados“. Der Titel der Erzählung – Chac Mool – bezieht sich auf einen Typus präkolumbianischer mittelamerikanischer Skulptur:

Der Erzähler beschreibt in seinem Tagebuch die Erlebnisse mit einem solchen Chac Mool, den er selber gekauft hat. Ziemlich unheimlich, sehr spannend. Folgerichtig der Schluss-Satz:
„Dígale a los hombres que lleven el cadáver al sótano.“

Und wenn wir schon bei Gruselgeschichten sind: „El almohadón de pluma“ von Horacio Quiroga kann da sehr gut mithalten…:
„Murió, por fin. La sirvienta, que entró después a deshacer la cama, sola ya, miró un rato extrañada el almohadón.
– ¡Señor! – llamó a Jordán en voz baja -. En el almohadón hay manchas que parecen de sangre.“
Sieht man dem Autoren allerdings auch an…
Horacio Quiroga.jpg

 

Ich habe keine Feinde, ich kenne keinen Hass. Liu Xiaobo

Vor wenigen Tagen ist der chinesische Dissident und Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo gestorben. Dies habe ich zum Anlass genommen, diesen Band mit ausgewählten Schriften und Gedichten zu lesen, der erstmals 2011 erschienen ist.

Liu Xiaobo, geboren 1955, war einer der Protagonisten der Studentenproteste auf dem Tiananmen-Platz von 1989. Im Jahr 2008 verfasste er mit anderen gemeinsam die Charta 08, in der unter anderem Demokratie, Rechtsstaat, Meinungsfreiheit für China gefordert werden. Daraufhin wurde er verhaftet, ein Jahr später zu elf Jahren Gefängnis verurteilt und starb jetzt an einer Krebserkrankung. Der Friedensnobelpreis wurde ihm 2010 verliehen. Eine Entgegennahme des Preises wurde vom chinesischen Staat verhindert.

Was ich gelesen habe, hat mich sehr beeindruckt, auch die Gedichte, von denen ich vorher nicht einmal wusste, dass er welche geschrieben hat. Liu war sehr deutlich und klar und auf den Punkt, in seiner Kritik am aktuellen chinesischen politischen System und der herrschenden materialistischen Kultur, in seinen Zielvorstellungen, in seiner Gewaltfreiheit, in der Zurücknahme seiner eigenen Person, auch in einer gewissen Bescheidenheit. Dabei neigt er deutlich dazu, Negatives zu betonen, ist also – wie er auch selbst sagt – nicht ausgewogen und emotional. Differenziert ist er allerdings, sehr gebildet, sehr intelligent, nicht naiv, nicht zynisch, sondern freundlich, beharrlich, bereit für die Konsequenzen dessen, was er für richtig und notwendig hält. Dass ihn die chinesische Regierung und die chinesischen Behörden als Gefahr einstuften, ist leicht nachzuvollziehen.

Die Schriften umfassen ein weites Feld: Politik, Kultur, auch dokumentarische Schriften wie die Ankündigung des Hungerstreiks 1989, die Charta 08, seine Verteidigung vor Gericht, das Urteil gegen ihn. Und eben auch Gedichte, vor Allem an seine Frau. Hieraus aus ein Zitat:
„Liebe
schließ dich nicht zu
du sollst nicht allein
der Verlierer Verzweiflung beneiden
öffne die Tür
nimm auch mich als Verlierer
mach mich
zum traurigen Grund weiterzuleben
lass den stillen Rauch deiner Zigarette
zwischen uns steigen“

Monty Python’s flying circus: selected sketches. Monty Python

And now for something completely different: Monty Python’s flying circus.

Die Komikertruppe Monty Python ist eine – leider nicht mehr aktive – englische Institution. Wikipedia beschreibt ihren „flying circus“: „Monty Python’s Flying Circus (known during the final series as just Monty Python) is a British sketch comedy series created by the comedy group Monty Python and broadcast by the BBC from 1969 to 1974. The shows were composed of surreality, risqué or innuendo-laden humour, sight gags and observational sketches without punchlines. It also featured animations by group member Terry Gilliam, often sequenced or merged with live action.“

Am Besten schaut man sich das auf DVD an – unbedingt auf Englisch, denn in Übersetzung funktioniert das nicht -, wappnet sich mit interkultureller Kompetenz und dann geht’s los.

Alternativ gönnt man sich die Auswahl von Sketches in einem Band der Reihe Fremdsprachentexte bei Reclam. Die bietet den Vorteil, obskurere Worte und apokryphe Anspielungen jeweils als Fußnote erklärt zu bekommen. Dafür fehlt allerdings alles Visuelle und der Ton – und damit bestimmt die Hälfte. Gut an der Ausgabe: Sie bietet nicht nur einzelne Sketche, sondern auch den Text kompletter Episoden. Und der völlig abgedrehte, abrupte, zusammenhanglose (oder doch bedeutungsvolle?) Wechsel zwischen Sketches und wieder zurück und quer und noch einmal rückwärts ist eine gute Übung in Mentalakrobatik und für die Gesichtsmuskulatur.

Oder man nimmt beides, DVDs und Buch, für die vollständige Kurpackung an Political Incorrectness.

Als kurzes Beispiel das von Reclam gewählte Beispiel auf dem Einband:
„MAN. I was here on Saturday, getting married to a blond girl, and I’d like to change please.
REGISTRAR. What do you mean?
MAN. Er, well, the other wasn’t any good, so I’d like to swap it for this one, please. Er, I have paid. I paid on Saturday. Here’s the ticket.
Gives him the marriage licence.
REGISTRAR. Ah, ah, no.“

Wem Sketche zu kurz sind, kann natürlich auch auf Spielfilmlänge wechseln mit dem „Leben des Brian“ als vielleicht bestem Beispiel für sehr intelligenten, sehr schwarzen, sehr britischen Humor. Da funktioniert sogar die deutsche Übersetzung.

In the mountains. Elizabeth von Arnim

Unter den beinahe unbekannten Büchern der (fast) unbekannten Autorin Elizabeth von Arnim zählt „In the mountains“ zu den besonders unbekannten. Dies ändert auch nicht die deutsche Übersetzung unter dem Titel „Ein Chalet in den Bergen“, erst recht nicht die italienische Übersetzung, auch wenn sie vielleicht mit das passendste Cover hat.
Uno chalet tutto per me von [Arnim, Elizabeth von]

Dieser Roman, erschienen im Jahr 1920, ist geprägt von den Folgen des ersten Weltkriegs. Nach fünf Jahren Abwesenheit und dem Verlust vieler Freunde und Verwandter kehrt eine Frau allein wieder zurück in ihr Haus in den Schweizer Bergen. Sie ist niedergeschlagen, ohne Mut, ohne Lebensfreude und möchte nur noch Ruhe, Ruhe, Ruhe. So der Start. Und zum Glück – wie meist bei von Arnim – werden die Dinge dann nach und nach wieder besser.

Viel Plot braucht von Arnim nicht. Auch gibt es nur einen einzigen Ort, an dem die gesamte Handlung spielt. Der Roman ist als eine Serie von Tagebucheintragungen konzipiert. Er lebt von den Dialogen, den Kommentaren, den Charakteren. Und davon lebt er sehr gut. Auch wenn „In the mountains“ wahrscheinlich nicht von Arnims bester Roman ist, ich habe ihn an einem Tag mit viel Genuss und Freude gelesen.

Als Leseprobe eine Partie zu den Risiken und Nebenwirkungen des Sortierens von Büchern:
„But it is impossible, I find, to tidy books without ending by sitting on the floor in the middle of a great untidiness and reading. (…) You open a book idly, and you see:

‚The most glaring anomalies seemed to afford them no intellectual inconvenience, neither would they listen to any arguments as to the waste of money and happiness which their folly caused them. I was allowed almost to call them life-long self-deceivers to their faces, and they said it was quite true, but that it did not matter.‘

Naturally then you read on.
You open another book idly, and you see:

‚Our admiration of King Alfred is greatly increased by the fact that we know very little about him.‘

Naturally then you read on.
You open another book idly, and you see:

‚Organic life, we are told, has developed gradually from the protozoon to the philosopher, and this development, we are assured, is indubitably an advance. Unfortunately it is the philosopher, not the protozoon, who gives this assurance.‘

Naturally then you read on..
You open – but I could go on all day like this (…).“

Dies ist nicht das erste Buch von Arnims, das wir in diesem Blog besprechen – empfohlen haben wir sie bisher alle.

The Caravaners. Elizabeth von Arnim

Wieder ein Treffer von Elizabeth von Arnim.  „The Caravaners“, auf deutsch: „Die Reisegesellschaft“, erschien 1909, ein Jahr nachdem von Arnim ihren ersten Ehemann, den preußischen Grafen von Arnim-Schlagenthin, verlassen hatte und sechs Jahre vor dem ersten Weltkrieg.

Drei Aspekte machen diesen Roman ungewöhnlich im Werk von Arnims.

  • Es gibt einen Ich-Erzähler.
  • Die Perspektive, aus der erzählt wird, ist die eines Mannes
  • Und das Buch ist noch viel stärker satirisch als die anderen.

Wie immer bei von Arnim geht es eigentlich um fast nichts und es passiert auch wenig. Ein deutsches Barons-Ehepaar beschließt auf Anregung einer befreundeten Bekannten, gemeinsam mit deren englischen Verwandten und wiederum deren englischen Bekannten in England einen Pferde-Wohnwagen-Urlaub zu machen. Dieser dauert eine Woche bei typisch wechselndem Wetter. Erzählt werden die wenig spektakulären Ereignisse dieser Woche wie Kochen bei Regen, Abwaschen des Geschirrs, Einpacken am Morgen, die Fahrt von einem Stellplatz zum nächsten…

Wie immer ist der Ton heiter und plaudernd. Es liest sich flott. Man fühlt sich bestens unterhalten.

Allerdings ist der Ich-Erzähler ein ziemlich übles und ziemlich typisches Exemplar traditionellen preussischen Militär-Adelstums der vorletzten Jahrhundertwende. Ein patriotischer Nationalist. Ein Chauvinist. Ein Geizkragen und Schmarotzer. Eitel und aufgeblasen. Bigott. Wehleidig. Voller Etiquette. Von sehr geringer Sozialkompetenz. Stolz darauf, Frankreich schon besiegt zu haben. Voller Vorfreude darauf, dass England dann auch bald dran ist.

Ohne Zitate kann ich nicht aufhören:
„(…) a reasonable man will take care to consider the suggestions made by his wife from every point of view before consenting to follow them or allowing her to follow them. Women do not reason: they have instincts; and instincts would land them in strange places sometimes if it were not that their husbands are there to illuminate the path for them and behave, if one may so express it, as a kind of guiding and very clever glow-worm. As for those who have not succeeded in getting husbands, the flotsam and jetsam, so to speak, of their sex, all I can say is God help them.“

„Doing, as all persons of intellect know, is a very inferior business to thinking, and much more likely to make one hot. But these cool excursions of the intellect are not to be talked about to women and the lower classes. (…) The less you have the more it is necessary that you should be contented (…). Women it is true are fairly safe so long as they have a child once a year, which is Nature’s way of keeping them quiet (…).“

„Irreverence in the treatment of its creeds is an inevitable sign that a nation is well on that downward plane which jerks it at last into the jaws of (say) Germany. Well, so be it. Though irreverence is undoubtedly an evil, and I am the first to deplore it, I cannot deplore it as much as I would if it were not going to be the cause of that ultimate jerking. And what a green and fruitful country (i.e. England) it is! Es wird gut schmecken, as we men of healthy appetite say.“

Noch sechs Jahre bis zum ersten Weltkrieg…

Auch zu anderen Romanen von Arnims gibt es schon Beiträge in diesem Blog, und zwar hier: Liebe, Introduction to Sally, The solitary summer.